25. September 2024
Die Landtagswahl in Brandenburg ist symptomatisch für die Krise der etablierten Parteien. Auch wenn die SPD die AfD noch einmal knapp überholen konnte, ist klar: Die Sozialdemokraten haben keine Strategie gegen den Rechtsruck.
Der personalisierte Wahlkampf der Brandenburger SPD ist vor allem auch Ausdruck der Entpolitisierung.
Die jüngsten Landtagswahlen in Brandenburg haben einmal mehr die tiefen Risse in der politischen Landschaft des Bundeslandes offengelegt. Noch einmal ist der SPD gelungen, stärkste Kraft im Landtag zu werden. Doch nicht einmal 2 Prozent trennen sie von der AfD. Die Rechtsextremen verfügen über eine Sperrminorität. Das erst kürzlich gegründete Bündnis Sahra Wagenknecht kam aus dem Stand auf ein zweistelliges Ergebnis. Grüne, Linke, FDP – sie alle sind im neuen Landtag nicht mehr vertreten. Der SPD bleiben vorerst nur Gespräche mit der CDU und dem Bündnis Sahra Wagenknecht.
Im Wesentlichen dürften zwei Aspekte zum Wahlerfolg der SPD beigetragen haben: die Inszenierung der Partei als eine von der Bundespolitik unabhängige Kraft und das Schüren der Angst vor einer Regierungsbeteiligung oder Sperrminorität der AfD. Dietmar Woidkes Distanzierung von Bundeskanzler Olaf Scholz und seine Kritik an dessen Regierungspolitik haben sich positiv auf die SPD-Wahlergebnisse ausgewirkt. Diese Taktik ist in Brandenburg durchaus üblich. Auch die ehemaligen Ministerpräsidenten von Brandenburg, Manfred Stolpe und Matthias Platzeck, haben sich in ihren Wahlkämpfen regelmäßig von der Bundes-SPD distanziert. Dietmar Woidke hatte seine persönliche Zukunft sogar an den Wahlausgang geknüpft und angekündigt, sich aus der Regierung zurückzuziehen, sollte die AfD stärkste Kraft werden. Woidkes Flucht ist symptomatisch für die anhaltende Krise der etablierten Parteien.
Sie zeigt sich zum einen im Trend zur Personalisierung politischer Prozesse, bei dem die Person des Spitzenkandidaten und nicht etwa Inhalte und Programme in den Mittelpunkt rücken. Das Vorgehen kann auch als Versuch gesehen werden, Wählerinnen und Wähler zu mobilisieren, indem die Wahl zu einer Art Referendum über die Führungsperson stilisiert wird.
»Die Reduktion des Wahlzwecks auf die Verhinderung rechter Parteien ist indes eine denkbar schlechte Strategie gegen den Aufstieg der Rechten.«
Die Fokussierung auf den Spitzenkandidaten entpolitisiert den Wahlkampf und lenkt von den strukturellen Problemen des Landes ab. Sie macht den Erfolg der Partei abhängig von der Popularität einer einzelnen Person – ein riskantes Unterfangen in Zeiten wachsender politischer Volatilität. Zudem offenbart diese Strategie das tiefe Misstrauen der SPD-Führung gegenüber der eigenen Basis und den eigenen Wählerinnen und Wählern. Denn anstatt einen ehrlichen Dialog über die Zukunft Brandenburgs zu führen, setzte man auf politisches Marketing und Emotionalisierung. Die Reduktion des Wahlzwecks auf die Verhinderung rechter Parteien ist indes eine denkbar schlechte Strategie gegen den Aufstieg der Rechten. Zum einen führt es zu inhaltlicher Leere. Parteien vernachlässigen ihre eigene politische Identität und Programmatik und begnügen sich mit einer reaktiven statt proaktiven Politik. Und das wiederum führt zur Vernachlässigung eigentlichen Interessen der Wählerinnen und Wähler. Diese Art von Verhinderungsstrategie erweckt außerdem den Eindruck, man ziehe eine Trennlinie zwischen »akzeptablen« und »inakzeptablen« Wahlergebnissen, was das Vertrauen in demokratische Institutionen und Prozesse untergraben kann.
Die Strategie der Brandenburger SPD offenbart die Hilflosigkeit der traditionellen Sozialdemokratie angesichts des Aufstiegs rechtspopulistischer Kräfte, welche von den Widersprüchen des neoliberalen Wirtschaftsmodells und der daraus resultierenden Verunsicherung breiter Bevölkerungsschichten profitieren. Statt einer fundierten Analyse der materiellen Bedingungen, die den Nährboden für den Rechtspopulismus bilden, und der Entwicklung echter Alternativen, flüchtet sich Woidke in eine moralische Geste des Rückzugs. Es ist ein Eingeständnis der Unfähigkeit, den strukturellen Problemen in Brandenburg effektiv zu begegnen. Kurz: Die Fokussierung auf die Verhinderung rechter Parteien lenkt von der notwendigen Kritik an den strukturellen Problemen ab, die den Aufstieg der Rechten befeuert haben.
Es reicht also nicht aus, klare Kante gegen Rechts zu zeigen. Es braucht vor allem eigene, überzeugende Antworten auf die drängenden sozialen und ökonomischen Fragen. Denn die real existierenden Herausforderungen in Brandenburg sind gewaltig: Der Strukturwandel in der Lausitz und der geplante Kohleausstieg bedrohen tausende Arbeitsplätze. Die SPD laviert zwischen Klimaschutz und dem Erhalt von Arbeitsplätzen, ohne eine klare Vision für die Menschen in der Region zu entwickeln. Trotz wirtschaftlichen Wachstums in einigen Regionen, besonders um Berlin, bleiben viele ländliche Gebiete abgehängt. Die SPD hat es versäumt, eine radikale Umverteilungspolitik zu implementieren, um der wachsenden sozialen Ungleichheit wirksam entgegenzutreten. Stattdessen schließt die Partei zwielichtige Deals mit dem rechten Multimilliardär Elon Musk ab. Die AfD konnte in Brandenburg erheblich an Boden gewinnen, indem sie die Unzufriedenheit vieler Menschen aufgriff. Die SPD hat keine wirksame Strategie gegen diesen Rechtstrend gefunden. Auch eine alternde Bevölkerung und der Wegzug junger Menschen stellen das Land vor enorme Herausforderungen. Die bisherigen Ansätze der SPD zur Bewältigung dieser Krise bleiben halbherzig.
Auch bundesweit befindet sich die SPD in einem historischen Tief. In Brandenburg konnte sie sich bisher besser behaupten, doch die Erosion ihrer Wählerbasis ist unübersehbar. Gewählt wurde sie vor allem von alten Menschen, während die zahlenmäßig kleinere Gruppe der jüngeren Menschen vor allem die AfD wählten. Die SPD verliert sich in Symbolpolitik und lässt zu, dass rechte Kräfte den Unmut der Menschen instrumentalisieren. Die Wahlergebnisse zeigen: Dieser Kurs hat gerade so noch einmal eine Regierungsbeteiligung der AfD verhindert. Die Rechtspopulisten können sich allerdings gemütlich zurücklehnen. Denn die Sozialdemokratie sieht dem Zerfall der Infrastruktur nur tatenlos zu und greift zugleich rechtspopulistische Rhetorik auf.
»Woidke, der sich gerne als bodenständiger Landesvater inszeniert, soll die Wählerinnen und Wähler mit seinem Image als verlässlicher Krisenmanager überzeugen. Diese Personalisierung der Politik ist Ausdruck der Visionslosigkeit der SPD.«
Das Wahlprogramm der SPD für die Landtagswahl 2024 offenbart einmal mehr die ideologische Leere der einst stolzen Arbeiterpartei. Unter dem wohlklingenden Motto »Zusammenhalt sichern, Zukunft gestalten« verbirgt sich ein Sammelsurium neoliberaler Wirtschaftspolitik, garniert mit zaghaften sozialen Zugeständnissen. Die SPD verspricht, Brandenburg zum »innovativsten Bundesland« zu machen. In der Praxis bedeutet dies Steuererleichterungen für Unternehmen und die weitere Privatisierung öffentlicher Dienstleistungen unter dem Deckmantel von »Public-Private-Partnerships«. Statt den Ausbau der digitalen Infrastruktur als öffentliche Aufgabe zu begreifen, setzt die SPD auf »Anreize« für private Investoren – ein Freibrief für die weitere Durchdringung aller Lebensbereiche durch Tech-Konzerne. Der geplante Kohleausstieg wird zwar erwähnt, aber die konkreten Maßnahmen bleiben vage. Von einer Vergesellschaftung der Energieproduktion, die eine echte demokratische Kontrolle ermöglichen würde, ist keine Rede. Im Bereich Bildung und Soziales finden sich die üblichen Lippenbekenntnisse zu »Chancengleichheit« und »sozialer Gerechtigkeit«. Doch ohne radikale Umverteilung bleiben sie leere Versprechungen.
Die Wahlkampfstrategie der SPD offenbart also ihre programmatische und personelle Schwäche. Woidke, der sich gerne als bodenständiger »Landesvater« inszeniert, soll die Wählerinnen und Wähler mit seinem Image als verlässlicher Krisenmanager überzeugen. Doch diese Personalisierung der Politik ist nicht nur zutiefst undemokratisch, sondern auch Ausdruck der Visionslosigkeit der SPD. Statt kollektive Lösungen für die drängenden Probleme Brandenburgs zu entwickeln, wird die Hoffnung auf eine vermeintlich starke Führungspersönlichkeit projiziert.
Die AfD hat in Brandenburg erheblich an Boden gewonnen, indem sie die Unzufriedenheit vieler Menschen, insbesondere in strukturschwachen Regionen, für ihre rechtspopulistische Agenda instrumentalisiert und Ressentiments gegen Migranten schürt. Die SPD hat es bisher nicht geschafft, dieser Entwicklung effektiv entgegenzutreten. Statt die wahren Ursachen sozialer Missstände zu benennen – es ist nicht die Migration, sondern noch eher die Unterfinanzierung der Kommunen –, versucht sie, der AfD mit einer »Politik der Mitte« den Wind aus den Segeln zu nehmen. Diese Strategie ist zum Scheitern verurteilt, da sie die berechtigten Sorgen vieler Menschen nicht adressiert und keine echte Alternative zum Status quo bietet.
»Die Brandenburger SPD steht vor der Herausforderung, sich sowohl gegen eine erstarkende AfD zu behaupten als auch ihre Wählerschaft nicht an das BSW zu verlieren.«
Das neu gegründete BSW positioniert sich als oppositionelle Alternative zur etablierten Parteienlandschaft. Mit seiner Mischung aus linken wirtschaftspolitischen Forderungen, konservativen gesellschaftspolitischen Positionen und einer rechten Migrationspolitik spricht Wagenknecht gezielt enttäuschte SPD- und CDU-Wähler sowie AfD-Sympathisantinnen an. Im Gegensatz zur SPD greift das BSW soziale Themen offensiver auf und kritisiert die neoliberale Wirtschaftspolitik schärfer. Die Brandenburger SPD steht nun vor der Herausforderung, sich sowohl gegen eine erstarkende AfD zu behaupten als auch ihre Wählerschaft nicht an das BSW zu verlieren. Bisher hat sie darauf vor allem mit Anpassung und Verwässerung ihrer sozialdemokratischen Positionen reagiert. Was Brandenburg jedoch wirklich bräuchte, wäre eine Partei, die die Privatisierung der Daseinsvorsorge zurückdreht, die eine ambitionierte Industriepolitik für abgehängte Regionen entwickelt und für eine radikale Umverteilung des gesellschaftlichen Reichtums eintritt. Die Sozialdemokratie hat sich seit langem von einer solchen Politik weit entfernt.
Die Strategie der Brandenburger SPD, sich in den Landtagswahlen 2024 auf die Dichotomie »AfD oder Woidke« zu konzentrieren, ist eine riskante und kurzfristige Taktik, die langfristig negative Auswirkungen auf die politische Landschaft haben könnte. Diese Strategie ignoriert die tiefen sozialen und wirtschaftlichen Probleme, die die AfD nutzt, um ihre Anhängerinnen und Anhänger zu mobilisieren. Ein Beispiel für die negativen Auswirkungen einer solchen Strategie kann in den skandinavischen Ländern gefunden werden.
»Eine Erosion des politischen Vertrauens und eine weitere Stärkung rechtsextremer Parteien sind mögliche Folgen der kurzfristigen Strategie der SPD.«
In Dänemark hat die Sozialdemokratische Partei (Socialdemokraterne) in den letzten Jahren eine harte Abgrenzung gegenüber der rechtspopulistischen Dänischen Volkspartei (Dansk Folkeparti) gefahren, indem sie sich auf die Abwehr der Rechten konzentrierte, ohne eine eigene Vision für die Zukunft zu entwickeln. Dies führte dazu, dass die Sozialdemokraten ihre eigene politische Identität untergruben und ihre Fähigkeit, langfristige politische Ziele zu verfolgen, verloren. Gleichzeitig übernahmen sie teilweise die rechte Rhetorik, was zu einer weiteren Polarisierung der politischen Landschaft führte. Ähnliches kann in Schweden beobachtet werden, wo die Sozialdemokratische Partei (Socialdemokraterna) in den letzten Jahren eine ähnliche Strategie verfolgte. Die Konzentration auf die Abwehr der rechtspopulistischen Schwedendemokraten (Sverigedemokraterna) führte dazu, dass die Sozialdemokraten ihre eigene politische Basis untergruben und die Rechten indirekt stärkten. Auch in Brandenburg könnte eine ähnliche Entwicklung eintreten.
Darüber hinaus wurden durch diese Strategie mögliche andere Koalitionspartner marginalisiert, wie zum Beispiel die Grünen oder die Linke. Diese Parteien, die traditionell eine wichtige Rolle in der brandenburgischen Politik spielten, wurden durch die Konzentration auf die Abwehr der AfD an den Rand gedrängt. Dies kann zu einer weiteren Fragmentierung der politischen Landschaft führen und die Bildung einer stabilen Regierung erschweren. Wenn im Brandenburger Landtag bestimmte Einstellungen oder politische Präferenzen unterdurchschnittlich oder gar nicht mehr abgebildet werden, kann dies ein Repräsentationsdefizit zur Folge haben, was die Unzufriedenheit mit dem politischen System zusätzlich stärkt. Ein solches Repräsentationsdefizit kann zu einem Legitimationsdefizit anwachsen, da Bürgerinnen und Bürger das Gefühl haben, dass ihre Interessen nicht mehr angemessen repräsentiert werden. Eine Erosion des politischen Vertrauens und eine weitere Stärkung rechtsextremer Parteien sind mögliche Folgen der kurzfristigen Strategie der SPD. Ähnlich wie in Thüringen und Sachsen ist das Problem mit der AfD also nicht gelöst, sondern lediglich aufgeschoben. Daneben gibt es eine weitere, äußerst beunruhigende Entwicklung: lassen sich demokratische Parteien wie die SPD von rechtsextremen Kräften treiben, in dem sie polizeiliche Befugnisse ausweiten, die Grenzen hochrüsten und den Raum für öffentliche geäußerte Meinungen einschränken, schaffen sie genau den autoritären Staat, vor dem sie die Menschen mit ihrem Widerstand gegen die AfD zu schützen vorgeben.