13. Februar 2023
Bei den Berliner Wiederholungswahlen zeigt sich: Gegenüber rechten Sozialdemokratinnen wie Franziska Giffey bevorzugen die Wähler das konservative Original.
Versteinerte Mine: Der gestrige Wahlabend war für SPD-Spitzenkandidatin Franziska Giffey eine herbe Niederlage, 12. Februar 2023.
IMAGO / Bernd ElmenthalerDas Ergebnis der Berliner Wiederholungswahl ist in erster Linie eine Klatsche für Franziska Giffey. Mit ihr fuhr die SPD im wiedervereinigten Berlin – und in der Geschichte Westberlins – ihr historisch schlechtestes Ergebnis ein. Alle drei Koalitionsparteien links der Mitte mussten Verluste einstecken, doch am deutlichsten verlor die Partei der Regierenden Bürgermeisterin.
Berlin ist nicht unbedingt für die Kompetenz seiner Exekutive bekannt. Aber dass Rot-Grün-Rot zur unbeliebtesten Landesregierung Deutschlands wurde, ist zu großen Teilen das Verdienst der Regierungschefin. Giffey scheint zu der unerschütterlichen Überzeugung gekommen zu sein, dass diese Stadt jemanden genau wie sie will: Eine Macherin, die nichts macht, eine Kümmerin, die nichts kümmert.
Giffeys gouvernantenhaftes Auftreten tut sein Übriges, um das Bild einer Bürgermeisterin zu vervollständigen, die sich als politisches Genie versteht, letztlich aber einfach von der Maschinerie des SPD-Parteiapparats in ihre Position manövriert wurde. Eingeschränkt kompetent, mittelmäßig und uncharismatisch zu sein, ist das eine. Sich dafür dermaßen abzufeiern, ist das andere. Schon Klaus Wowereit bürdete der Stadt eine brutale Spar- und Privatisierungspolitik auf und regierte sie im Sinne der Immobilienbranche statt ihrer Einwohnerinnen und Einwohner – doch immerhin tat er es mit einer gewissen Ausstrahlung und ab und an mit einem flotten Spruch auf den Lippen. Die Berliner SPD scheint der Illusion erlegen zu sein, dieses Politikmodell lasse sich beliebig lange – und mit austauschbarem Personal – einfach fortschreiben.
Doch das Wahlergebnis zeigt, dass es für Giffeys rechtssozialdemokratischen Personenkult in der Stadt keine Basis gibt. Die mythische Wählerin der Mitte, an die Giffey zu appellieren versuchte, mag es vereinzelt gegeben haben, doch in der Masse ist die Stadt stärker polarisiert: Für die Innenbezirke lag Giffey mit ihrem Law-and-Order-Kurs letztlich zu weit rechts, in den Außenbezirken wählte man mit der CDU lieber das Original. Giffeys eigener Wahlkreis im Süden von Neukölln ging mit mehr als 15 Prozent Abstand an ihren CDU-Kontrahenten. Nach Zweitstimmen gewann die Berliner SPD keinen einzigen Wahlkreis. Das Zentrum der Stadt dominieren die Grünen, die Peripherie die Konservativen.
Viel wird nun davon abhängen, ob sich der hauchdünne Vorsprung von etwas mehr als hundert Stimmen, mit denen die SPD vor den Grünen liegt, nun bestätigt – sollte das der Fall sein, könnte er Giffeys politische Karriere retten. Die Bürgermeisterin könnte unter Rot-Grün-Rot weitermachen, als sei nichts geschehen, und würde diese Option aus Mangel an Alternativen vermutlich auch wahrnehmen.
Vor der Wahl hatte es Gerüchte gegeben, CDU-Spitzenkandidat Wegner könnte auf das Bürgermeisteramt verzichten und Giffey so in eine Koalition locken. Doch bei einem Vorsprung von fast 10 Prozent vor der SPD steht ihm diese Möglichkeit kaum offen. Es ist schwer vorstellbar, dass die CDU diesen Weg mitgehen würde. Sollten am Ende doch die Grünen vorne liegen, wäre Giffeys Karriere in der Berliner Landespolitik wohl zu Ende – und bei den Koalitionsverhandlungen alles offen. Schwarz-Rot oder Schwarz-Grün (trotz gegenseitiger Beteuerungen, dies komme nicht in Frage) wären dann keine unrealistischen Optionen mehr.
Die CDU könnte ihren potenziellen Koalitionspartnern auf einigen Politikfeldern entgegenkommen, wobei die Überschneidungen zur SPD ausgeprägter sind. Auf keinen Fall wird sie aber beim Thema innere Sicherheit nachgeben, dem sie zu großen Teilen ihren Wahlsieg zuschreibt. Egal, ob es um die Moralpanik nach den Ausschreitungen in der Silvesternacht oder um konstante symbolische Auseinandersetzungen rund ums Auto und seine Rolle in der urbanen Verkehrspolitik geht: Bei der Berliner Wahl zeigt sich einmal mehr, dass eine linke Mitte, die den Menschen materiell wenig bietet, den Raum für Kulturkämpfe von rechts schafft.
DIE LINKE ist nach einem defensiven Wahlkampf derweil zufrieden mit Verlusten von beinahe 2 Prozent. Viele hatten wohl mit Schlimmerem gerechnet. Mit solch niedrigen Ansprüchen in den Wahlkampf zu starten, ist dennoch gefährlich. Denn im Grunde ist die Ausgangslage für DIE LINKE in Berlin durchaus aussichtsreich.
Die Hauptstadt der Bundesrepublik ist jung, divers und ein Brennpunkt knallharter Verteilungskonflikte. Eine traditionsreiche linke Szene und tausende Aktivistinnen und Aktivsten in unzähligen sozialen Bewegungen und Projekten prägen den Charakter der Stadt bis heute; Ostberlin war nach der Wende über viele Jahre die Hochburg der PDS; zwei antikapitalistische Traditionen waren im Begriff, zusammenzuwachsen. Wenn es der LINKEN, und der gesellschaftlichen Linken im weiteren Sinn, hier nicht gelingt, politische Macht zu erlangen, wo sonst?
Dass bei der Berliner Wiederholungswahl alle drei Parteien links der Mitte Verluste einbüßen mussten, hat sicherlich landespolitische Ursachen: Die Zustimmungswerte der Koalition lagen eineinhalb Jahre nach der pannenreichen Wahl von 2021 und einer schlampigen, kleinkarierten Regierungsarbeit des Senats im Keller. Doch den Erfolg der CDU in Berlin allein den besonderen Verhältnissen vor Ort zuzuschreiben, würde bedeuten, ein Warnsignal für DIE LINKE im ganzen Land zu ignorieren.
Die Berliner LINKE ist bei dieser Wahl mit einem blauen Auge davongekommen – mehr nicht. Ihre Wählerschaft ist jünger und gebildeter als noch vor wenigen Jahren und erscheint auch relativ zuverlässig zu irregulären Wahlterminen. Zwar hat die Partei Achtungserfolge wie das 9-Euro-Sozialticket, den Härtefallfonds für Energieschulden oder die Jugendkulturkarte vorzuweisen – und man sollte diese Hilfestellungen für Menschen, die sie dringend benötigen, nicht kleinreden.
Doch sie ändern nichts an der Tatsache, dass die Berlinerinnen und Berliner in einer Stadt leben, in der die Infrastruktur zerfällt, Regierung und Verwaltung kaum ansprechbar sind und die Mieten zunehmend unbezahlbar werden. Mit Reförmchen lassen sich die Probleme der Stadt nicht lösen. Eine sozialistische Partei sollte sich nur an Regierungen beteiligen, wenn sie in der Lage ist, die gesellschaftlichen Kräfteverhältnisse grundlegend zugunsten arbeitender Menschen zu verschieben. Davon kann in Berlin beim besten Willen nicht die Rede sein.
Alexander Brentler ist Journalist und Übersetzer.