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15. November 2025

Kann Berlin »rote Metropole«?

Auf ihrem Landesparteitag berät die Berliner Linke über den kommenden Wahlkampf. Das Rote Rathaus ist zum Greifen nah – doch die Partei sollte gut abwägen, ob die Regierung in diesem Moment der beste Ort ist, um ihre langfristigen Ziele zu verfolgen.

Teilnehmer schauen auf die Bühne beim 10. Landesparteitag der Linken Berlin, 17. Mai 2025.

Teilnehmer schauen auf die Bühne beim 10. Landesparteitag der Linken Berlin, 17. Mai 2025.

Flickr / Die Linke Berlin

Vor einem Jahr lag Die Linke in Berlin in Umfragen zur Abgeordnetenhauswahl bei nur 6 Prozent, bei der Bundestagswahl 2025 wurde sie mit 19,9 Prozent stärkste Kraft. In aktuellen Umfragen liegt die Linke mit 17 Prozent nur knapp vor SPD (16 Prozent), Grünen (14 Prozent) und AfD (15 Prozent) und deutlich hinter der CDU (23 Prozent). Sie hat aber im linken bis linksliberalen Lager erstmals Chancen, stärkste Kraft zu werden und damit vielleicht auch die Berliner Landesregierung anzuführen.

Dabei stellt sich die strategische Frage, ob Regierungsbeteiligung in Berlin unter den gegebenen politischen und finanziellen Bedingungen aus Perspektive einer Partei, die die Überwindung des Kapitalismus zum Ziel hat, um ein »ein anderes Wirtschafts- und Gesellschaftssystem: den demokratischen Sozialismus« aufzubauen, strategisch Sinn ergibt. Gemessen an dem Maßstab dieses Ziels kann dies nur der Fall sein, wenn die Regierungsbeteiligung dazu beitrüge, die Kräfteverhältnisse zwischen den Klassen zu verändern: Also Machtverhältnisse zu verschieben und Reformen umzusetzen, die die gesellschaftliche demokratische Kontrolle über Eigentum und Ressourcen ausweitet, das Leben der Menschen konkret verbessert und dazu fortschrittliche Bewegungen in und außerhalb des parlamentarischen Betriebs stärkt und mobilisiert.

Erst Manhattan, dann Berlin?

Die Frage der Regierungsbeteiligung ist im Landesverband Berlin, so wie in der Linken insgesamt und auch schon in ihren Vorgängerorganisationen PDS und WASG, seit Jahrzehnten ein Streitpunkt. Der Landesparteitag der Berliner Linken hatte im Mai mit großer Mehrheit einen Antrag des Jugendverbands angenommen, der eine Strategiedebatte zu dieser Frage einfordert. In dieser sollte geklärt werden, ob und unter welchen Bedingungen eine Regierungsbeteiligung mit Blick auf ihren langfristigen Anspruch des demokratischen Sozialismus sinnvoll ist.

Der historische Wahlerfolg von Zohran Mamdani in New York, der bei einer der größten Wahlbeteiligung der vergangenen Jahrzehnte mithilfe von über 90.000 Freiwilligen über 52 Prozent der Stimmen erhielt, beflügelt viele in- und außerhalb der Partei, die auf ein erfolgreiches linkes Reformprojekt auch in Berlin hoffen. Seit Ihrer Wahl als Landesvorsitzende sprechen nun Kerstin Wolter und Max Schirmer davon, dass sie für eine »rote Metropole« Berlin kämpfen wollen.

»Bundesländer wie das Land Berlin übernehmen auf regionaler Ebene Aufgaben, die dafür sorgen, dass der Markt weiter funktioniert. Sie betreiben regionale Standortpolitik, organisieren das Ausbildungssystem und übernehmen Aufgaben der sozialstaatlichen Absicherung der Lohnabhängigen.«

Auch die designierte Kandidatin für das Amt der Regierenden Bürgermeisterin der Berliner Linken, die vom Landesvorstand einstimmig nominierte Kreuzberger Abgeordnete Elif Eralp, spricht davon, dass die Linke, wenn sie Veränderung wolle, auch bereit sein müsse, »Verantwortung zu übernehmen und in das Rote Rathaus einzuziehen«. Eralp betont, dass eine Regierungsbeteiligung der Linken nur infrage kommt, wenn zentrale soziale Ziele durchgesetzt werden: die Vergesellschaftung großer Wohnungsunternehmen, eine wirksame Begrenzung der Mieten, der Ausbau sozialer Infrastruktur und Teilhabe sowie eine Politik, die Diskriminierung und Ausgrenzung aktiv bekämpft.

Ob eine linke Regierung in Berlin überhaupt Reformen durchsetzen kann, die Kräfteverhältnisse verschieben, entscheidet sich jedoch nicht an ihrer programmatischen Absicht, sondern an den konkreten Bedingungen. Dazu gehören neben den politischen Kräfteverhältnissen in und außerhalb des Parlaments auch der verfassungsrechtliche und finanzielle Rahmen. Bundesländer wie das Land Berlin übernehmen auf regionaler Ebene Aufgaben, die dafür sorgen, dass der Markt weiter funktioniert. Sie betreiben regionale Standortpolitik, organisieren das Ausbildungssystem und übernehmen Aufgaben der sozialstaatlichen Absicherung der Lohnabhängigen. Ihre institutionelle Eigenständigkeit ist jedoch keine politische Autonomie im Sinne souveräner Gestaltungsmacht.

Etwa 80 Prozent der Aufgaben der Länder sind direkter Vollzug von Bundesgesetzgebung. Echte Landesgesetzgebungskompetenzen bestehen in der Bildungs-, Kultur-, Polizei-, Kommunal- und Hochschulpolitik sowie teilweise im Bau-, Umwelt- und Versammlungsrecht. Doch auch hier braucht es Ressourcen, über die im Wesentlichen ebenfalls der Bund durch seine Steuerpolitik bestimmt. Dazu kommt, dass auch Die Linke als stärkste Kraft eine Koalition mit SPD und Grünen bilden müsste, Parteien, die das Ziel einer sozialistischen Transformation nicht teilen. Auch den vorteilhaftesten Umfragen zufolge hätten diese beiden Parteien in einer Koalition absehbar weiterhin eine Mehrheit gegenüber der Linkspartei.

Angespannte Haushaltslage

Die Haushaltslage des Landes Berlin ist angespannt. Die Ursachen dieser Situation liegen weniger in der Ausgabenpolitik Berlins als in der strukturellen Unterfinanzierung der Bundesländer. Der von dem derzeitigen CDU-SPD-Senat vorgeschlagene Doppelhaushalt 2026/27 weist eine Differenz zwischen Einnahme und Ausgaben von rund 5 Milliarden Euro pro Jahr auf. Er umfasst Ausgaben von rund 43,8 Milliarden Euro für 2026 und 44,6 Milliarden Euro für 2027. Dieser Haushaltsentwurf ist nur deshalb ausgeglichen, weil der Senat die wenigen Rücklagen der Stadt Berlin fast vollständig aufbraucht, um in einem Wahlhaushalt nicht noch radikaler als schon in den vergangenen Jahren kürzen zu müssen. Insgesamt werden dafür etwa 2,9 Milliarden Euro aus bestehenden Rücklagen entnommen.

Auch die von der Linksfraktion im Abgeordnetenhaus seit Jahren geforderte Nutzung des nach Schuldenbremse zulässigen Konjunkturkredits zur Stabilisierung des Haushalts setzen CDU und SPD nun selbst um. Zudem nimmt die Landesregierung die vollen 0,35 Prozent des BIP als Schulden auf, die nach der Reform der Schuldenbremse möglich sind. Ab 2028 steht Berlin dann jedoch, unabhängig davon, wer regieren wird, fast ohne Rücklagen da.

Die Umsetzung der zentralen Forderungen der Linken – wie eine wirksame Mietbegrenzung, der Ausbau sozialer Infrastruktur und die Stärkung der sozialen Infrastruktur – kostet Geld. Die Mieten der landeseigenen Wohnungsbauunternehmen ließen sich zwar beispielsweise sofort begrenzen, doch die sich anschließende Frage, aus welchen Mitteln die landeseigenen Unternehmen dann den notwendigen Neubau finanzieren und gleichzeitig stabile Bilanzen ausweisen können sollen, ist damit nicht geklärt. Auch landeseigene Unternehmen müssen die Schulden, die sie abseits des Landeshaushaltes aufnehmen können, aus ihren laufenden Einnahmen zurückzahlen. Der Ausbau sozialer Infrastruktur sowie eine nachhaltige Antidiskriminierungspolitik bedingen ebenfalls dauerhaft höhere Ausgaben für Personal, Gebäude, Programme und Bildungsarbeit. Zusätzlich dazu weist Berlin in den kommenden Jahren einen Investitionsbedarf in Infrastruktur in Höhe von über 108 Milliarden Euro auf.

»Selbst eine im sozialdemokratischen verbleibende Reformpolitik wäre unter den gegebenen finanzpolitischen Rahmenbedingungen von Schuldenbremse, strukturellem Defizit und begrenzten Landeskompetenzen schwer realisierbar.«

Auf ihrem Parteitag im Mai hatte die Linke die Umsetzung des Volksentscheids »Deutsche Wohnen & Co Enteignen« zur »Chefinnensache« erklärt. »Nur, wer die Vergesellschaftung […] umsetzen möchte«, könne ein »Partner« der Linken sein. Ob SPD und Grüne dafür zur Verfügung stehen, ist jedoch fragwürdig. Insbesondere das Argument der Finanzierbarkeit wird von diesen Parteien angesichts der allgemeinen Haushaltslage angeführt werden. Es ist im Gegensatz zu den Behauptungen der Gegnerinnen der Vergesellschaftung zwar grundsätzlich denkbar, dass die Vergesellschaftung großer Wohnungsunternehmen haushaltsneutral erfolgen kann. Dennoch setzt auch die Bewirtschaftung über eine Anstalt öffentlichen Rechts den kostenintensiven Aufbau einer Verwaltung voraus, die diese Bestände dann auch verwaltet.

Selbst wenn man sinnlose Ausgaben wie für NFL-Spiele, Olympia-Bewerbung oder Eigenheimförderung für ohnehin Besitzende streicht und so ein paar Millionen zusammenkratzt: In der Größenordnung die es bräuchte, um die ohnehin bestehende milliardenschwere Finanzierungslücke zu schließen, ist das nicht möglich. Auch die erfolgreiche Einführung einer Luxusvillensteuer oder der Vermögenssteuer auf Landesebene wären nicht in der Lage, die Milliarden umfassenden Finanzierungslöcher zu stopfen, die der schwarz-rote Senat jetzt schon hinterlässt. Maßnahmen wie eine effektivere Steuerverwaltung oder neue vermögensbezogene Steuern verlangen zunächst erhebliche Investitionen in Personal und Verwaltung, bevor sie dann tatsächlich zu Mehreinnahmen führen.

Ob eine Einführung der Vermögenssteuer allein in Berlin überhaupt umzusetzen ist, ist zudem höchst fraglich. Für die Steuerpolitik ist der Bund zuständig. Länder dürfen Steuern nur erheben, wenn der Bund von seiner Gesetzgebungskompetenz keinen Gebrauch macht. Für die Vermögenssteuer gibt es jedoch bereits ein geltendes Bundesgesetz, das derzeit nur nicht vollzogen wird.

Berliner Erfahrungen

Für die Umsetzung der Forderungen der Linken braucht es jedoch sogar zusätzliches Geld. Selbst eine im sozialdemokratischen verbleibende Reformpolitik wäre unter den gegebenen finanzpolitischen Rahmenbedingungen von Schuldenbremse, strukturellem Defizit und begrenzten Landeskompetenzen schwer realisierbar. Ohne eine grundlegende Veränderung dieser Rahmenbedingungen liefe auch eine linke Regierungsführung darauf hinaus, Sachzwänge zu verwalten, statt gesellschaftliche Verhältnisse zu transformieren und demokratische Kontrolle über Eigentum auszuweiten. In Berlin hat Die Linke damit durchaus Erfahrungen.

So wie die heutigen Landesvorsitzenden der Linken von der roten Metropole Berlin sprechen, sprach der Fraktionsvorsitzende der PDS Harald Wolf 2001 von der »roten Zukunft« Berlins. Die PDS beteiligte sich von 2001 bis 2011 erstmals während einer angespannten Haushaltslage nach der Berliner Bankenkrise an einer Berliner Regierung und bildete eine Koalition mit der SPD. Zusammen setzten sie ein hartes Sparprogramm um, mit dem der Berliner Haushalt durch massiven Personalabbau, Lohnsenkungen im öffentlichen Dienst, die Privatisierung und Auslagerung öffentlicher Aufgaben sowie Einsparungen bei Sozial-, Infrastruktur- und Investitionsausgaben von 24,36 Milliarden Euro (2001) auf 22,57 Milliarden Euro (2011) heruntergekürzt wurde. Das entsprach preisbereinigt Kürzungen um rund 26,85 Prozent des Haushaltes. Die Linke wurde zu Recht an der Wahlurne dafür abgestraft und hat ihr Ergebnis von 22,6 Prozent in den Wahlen von 2001 bis heute nicht wieder erreicht.

»Wer einer Regierungsbeteiligung kritisch gegenüber steht, plädiert damit aber keinesfalls für die Passivität.«

Die unter finanziell deutlich günstigeren Bedingungen regierende rot-grün-rote Koalition von 2016 bis 2021 verbesserte die soziale Lage nur begrenzt. Trotz einzelner Errungenschaften wie dem kostenlosen Mittagessen an Grundschulen blieben Mieten und Infrastrukturprobleme ungelöst. Der Mietendeckel scheiterte 2021 an Fragen der Zuständigkeit vor dem Bundesverfassungsgericht, und der Volksentscheid »Deutsche Wohnen & Co enteignen« wurde durch die Koalition unter Mitwirkung der Linken unter Klaus Lederer in einer Expertenkommission begraben. Die Linke erzielte mit 12,2 Prozent bei der Wiederholungswahl 2023 ihr schlechtestes Ergebnis seit 1990 und stürzte in Umfragen weiter ab. Insbesondere diese letzte Regierungsbeteiligung von 2021 bis 2023 der Berliner Linken gilt in breiten Teilen des Landesverbandes inzwischen als Fehler. Gestoppt wurde dieser Abwärtstrend erst durch den Bundestagswahlkampf 2025.

Auf Erfolgen aufbauen

Die Erfahrungen der letzten Jahre haben immer wieder gezeigt, dass Die Linke an der Wahlurne abgestraft wird, wenn sie nur den neoliberalen Status quo verwaltet, und die Erwartungen ihrer Wählerschaft auf konkrete Verbesserung nicht erfüllt. Eine andere Wahl bleibt jedoch angesichts der Haushaltslage in Berlin kaum.

Wer einer Regierungsbeteiligung kritisch gegenüber steht, plädiert damit aber keinesfalls für die Passivität. Wenn die Bedingungen für eine erfolgreiche Regierungsbeteiligung noch nicht vorhanden sind, kann eine linke Partei mit Tausenden Mitgliedern einen erheblichen Beitrag dazu leisten, Druck in- und außerhalb des Parlaments aufzubauen, soziale Bewegungen zu stärken und sich selbst besser aufzustellen – in Vorbereitung auf einen Moment, in dem eine transformatorische Politik möglich wird.

Dazu gehört auch, transparent zu machen, dass der Spardruck politisch gewollt ist. Es handelt sich um eine gezielte Beschränkung der Einflussmöglichkeiten gewählter demokratischer Regierungen auf Landes- und kommunaler Ebene, die eine »bessere« Regierung nicht einfach umgehen kann. Es liegt in der Logik des Systems und ist Ergebnis der neoliberalen Politik, die seit Jahrzehnten durch das politische Zentrum betrieben wird und Schritt für Schritt die Demokratie aushöhlt, statt sie auch auf die Wirtschaft auszuweiten. Versäumt es Die Linke jedoch, über diese Umstände aufzuklären und die Berlinerinnen gegen diese zu mobilisieren, und setzt stattdessen in der Regierung die neoliberalen Sachzwänge selbst um, so stärkt sie damit letztlich nur die AfD, die sich fälschlich als die einzige Alternative zum politischen Zentrum darstellen kann.

Um mittels Reformen unter den gegebenen Bedingungen wirklich etwas zu verändern und die Kräfteverhältnisse im Interesse der Lohnabhängigen und Mieterinnen nachhaltig zu verschieben, reicht es nicht aus, in einem einzelnen Bundesland zu regieren. Eine linke Regierung kann nur dann transformatorisch wirken, wenn sie sich nicht auf Verwaltung beschränkt, sondern als Teil einer breiten gesellschaftlichen Bewegung agiert. Es braucht dafür eine gesamtgesellschaftliche Wechselstimmung und Unterstützung für substanzielle Reformpolitik, die sich nicht allein durch Kompromisse im parlamentarischen Raum auf Grundlage knapper Ressourcen als vereinzelte Landesregierung herstellen lässt. Dass ein Oppositionswahlkampf hier eine Alternative bieten kann, zeigt der erfolgreiche Bundestagswahlkampf 2025, als Die Linke in Berlin noch vor der CDU stärkste Kraft wurde. Auf dieser Grundlage lässt sich noch einiges aufbauen.

Fabian Nehring ist Politikwissenschaftler und aktives Mitglied bei der Linken in Berlin.