17. September 2024
Migration ist nicht schuld daran, dass Menschen in Großstädten immer höhere Mieten zahlen müssen. Linke tun sich aber keinen Gefallen, wenn sie die Wohnungsknappheit in städtischen Regionen verleugnen.
Sozialwohnungen, wie hier in Berlins Gropiusstadt, sind auf lange Sicht kein geeignetes Mittel gegen explodierende Mietpreise.
Flüchtlinge sowie Migrantinnen und Migranten müssen in der deutschen Öffentlichkeit gerade mal wieder als Sündenböcke für alles herhalten, was Regierungen der letzten Jahre vergeigt haben. Auch die desaströse Situation auf den Wohnungsmärkten der meisten größeren Städte ist da keine Ausnahme. Zuletzt machte ein Ausschnitt aus der ZDF Talkshow Markus Lanz die Runde. Lanz fragt den Linken-Politiker und Bewerber auf die Parteispitze Jan van Aken, wie denn seine Ablehnung einer Obergrenze für Migration zu seinem Kampf für niedrige Mieten passe. Schließlich entstehe durch Zuwanderung ein Konkurrenzkampf um Wohnraum. Van Aken entgegnet, die Mieten stiegen nicht durch Migration, sondern weil »reiche Erben den letzten Cent da rauspressen«.
Lanz und Schleswig-Holsteins Bildungsministerin Karin Prien (ebenfalls in der Runde) reagierten auf seine Antwort mit einem süffisanten Grinsen. Auch in der Breite der Bevölkerung ist es keine Ausnahme, dass Menschen eine Verbindung zwischen Migration und Wohnungsknappheit herstellen. In Zeiten wirtschaftlicher Misere entsteht schnell der Eindruck, die eine oder andere Minderheit würde vom Staat bevorzugt.
Es ist verständlich, dass Linke da widersprechen. So real wie die ökonomischen Missstände sind, so herbeifantasiert ist, dass Geflüchtete oder Arbeitslose alles hinterhergeworfen bekämen. Einfach reflexartig alles zu verneinen, was die andere Seite sagt, ist aber nie ratsam: Erstens weil politische Gegner diesen Reflex sehr leicht für sich nutzen können, zweitens, weil man so sein eigenes Verständnis der Welt schwächt.
Wohnungspolitik ist ein gutes Beispiel für diese Dynamik. Wenn Linke Mietregulierungen fordern oder Verstaatlichungen vorantreiben, pochen Vermieter und ihre Sprachrohre in der Springer-Presse und den bürgerlichen Parteien darauf, dass stattdessen Anreize für Immobilieninvestoren gesetzt werden müssen, mehr neuen Wohnraum zu bauen, und dass solche Maßnahmen das Problem nur noch verschlimmern würden.
Die oft sarkastischen Erwiderungen von Linken haben vor allem gemeinsam, dass sie kein ökonomisches Argument liefern. Mit Sprüchen wie »Der Markt wird’s schon regeln«, über Liberale zu spotten, ist vielleicht schlagfertig, aber es erreicht nicht diejenigen, die deren Argumentation auf den ersten Blick überzeugend finden. Um zu bekräftigen, dass ein kapitalistisch organisierter Wohnungsmarkt von selbst keinen leistbaren Wohnraum schaffen wird, wird oft auf den Status von Wohnraum als Spekulationsobjekt oder die Monopolstellung von Wohnungskonzernen verwiesen. Aber es ist eine Sache, die Probleme der liberalen Wohnungspolitik zu kritisieren, es ist eine andere Sache, zu zeigen, wie der Wohnungsmarkt tatsächlich funktioniert.
Auch auf einem monopolistischen Markt können Verkäuferinnen und Verkäufer bei erhöhter Nachfrage höhere Preise verlangen – sogar noch stärker als im idealisierten Modell mit perfekter Konkurrenz. Wenn wenige große Vermieter den Markt kontrollieren, können sie es für sich besser ausnutzen, wenn mehr Menschen eine Wohnung von ihnen mieten wollen, als wenn es viele Vermieter gibt, die zu einem Marktpreis vermieten müssen, den sie alleine nicht beeinflussen können. Und es mag sein, dass Deregulierung vor allem zu mehr Luxuswohnungen und höheren Mieten führt, das bedeutet aber nicht, dass die meisten Großstädte nicht mit akuter Wohnungsknappheit konfrontiert sind.
»Die steigenden Einkommensunterschiede der letzten Jahrzehnte sind eine der Hauptursachen dafür, dass die Mieten im selben Zeitraum so explodiert sind.«
Auch wenn wir uns in einem politischen Kampf gegen Wohnungskonzerne und Landbesitzer befinden, haben wir es gleichzeitig auch mit einem ökonomischen Phänomen zu tun. Wie der Journalist Seth Ackerman dargelegt hat, funktioniert der Wohnungsmarkt nicht so, wie Liberale denken. Anders als in anderen Industrien werden die Produktionskosten von Wohnraum nicht nur von der Produktivität bestimmt, sondern hängen auch maßgeblich vom Wert des Baulandes ab. Der wiederum richtet sich nach der Höhe der Mieteinnahmen, die prospektiv darauf erzielt werden können. Je höher die Mieten steigen, desto teurer wird es also, neuen Wohnraum zu bauen.
Hinzu kommt ein akutes Anreizproblem auf der Seite von Vermietern. Wenn Grundstückspreise kontinuierlich steigen, ist es im Interesse der Eigentümer, auf höhere Kaufangebote zu warten, anstatt das Bauland für Neu- oder Ausbauten zu verkaufen. Gleichzeitig besteht wenig Anreiz für Vermieter, Geld in die Hand zu nehmen und in neuen Wohnraum zu investieren, wenn sie ihre Einnahmen auch über Mieterhöhungen steigern können.
Auch wenn niedrige Lohnkosten oft eine dämpfende Wirkung auf Investitionen in arbeitssparende Technologien haben (sprich Maschinen, die die Produktivität steigern), ist es Kapitalisten in anderen Industrien in der Regel nicht möglich, einfach kontinuierlich ihre Preise zu erhöhen. Der Konkurrenzkampf mit anderen Firmen vereitelt diese Strategie, außer sie sind in der Lage, Preiserhöhungen durch einen Schock zu koordinieren, wie es im Zuge der Inflation der letzten Jahre der Fall war.
Der Unterschied auf dem Wohnungsmarkt ist die inhärente Knappheit von urbanem Land. Ein Grundstück irgendwo im tiefsten Dithmarschen ist kein Substitut für ein Grundstück in Hamburg. Diese Knappheit gibt den Besitzern von urbanem Land eine enorme Marktmacht. Sie können die Mieten so lange erhöhen, wie sie noch jemanden finden, der den höheren Preis bezahlen kann und will.
Es gibt eine Reihe von Gründen, die dazu führen, dass die Nachfrage an extrem teurem Wohnraum nicht abreißt. Studierende etwa, die es sich nicht leisten können, alleine zu wohnen, können sich mit anderen zu einer WG zusammenschließen und sind so in der Lage, einen höheren Quadratmeterpreis zu zahlen. Touristinnen und Touristen, die in Airbnbs übernachten, sind bereit, pro Nacht viel mehr zu bezahlen, als sie in einem regulären Mietverhältnis zahlen würden. Und auch Zuwanderung aus dem Ausland erhöht Preisdruck, wenn auch in geringem Ausmaß. Warum sollte man das leugnen? Alle diese Menschen sind mehr oder weniger Opfer ihrer Umstände. Diese ökonomischen Tatsachen anzuerkennen, bedeutet nicht, ihnen die Schuld für explodierende Mieten zu geben. Zumal das eigentliche Problem hier auf der Hand liegt: die Einkommensungleichheit. Wer viel Geld hat, kann die Mieten weiter nach oben treiben lassen und weniger Glückliche vom Wohnungsmarkt verdrängen. Die steigenden Einkommensunterschiede der letzten Jahrzehnte sind eine der Hauptursachen dafür, dass die Mieten im selben Zeitraum so explodiert sind.
Arbeitende Menschen leiden also doppelt unter der immer größer werdenden Schere zwischen Arm und Reich. Ein robusteres Verständnis des Wohnungsmarktes kann uns helfen, bessere Antworten auf diesen Missstand zu finden. In linken Kreisen ist es nicht unüblich, dass gegen Neubauten gewettert oder der schrumpfende Anteil sozial geförderter Wohnungen lamentiert wird. Beides ist völlig kontraproduktiv.
»In Wien und in Finnland lebt weit mehr als die Hälfte der Bevölkerung in Wohnungen im öffentlichen Eigentum.«
Sozialwohnungen sind eine Mietsubvention. Die Förderung erlaubt Mieterinnen und Mietern effektiv mehr für eine Wohnung zu bezahlen, als sie es sich leisten könnten. Das wiederum macht die Lage auf dem Wohnungsmarkt noch angespannter. Außerdem handelt es sich bei subventionierten Sozialwohnungen um keine nachhaltige Investition. Die Sozialbindung ist zeitlich begrenzt und die Eigentumsrechte an der Wohnung, für die der Staat zahlt, liegen am Ende bei einem privaten Vermieter.
Es ist außerdem absolut notwendig, mehr Wohnraum in Städten zu schaffen. Das Problem ist, dass private Vermieter nicht genug investieren. In den letzten Jahren unterlagen die Baukosten starken Schwankungen, was wiederum zur Folge hat, dass gerade dann nicht gebaut wird, wenn der Bedarf an Wohnraum am größten ist. Die Entscheidungen über Investitionen sollten wir daher nicht der Willkür des Marktes überlassen und uns stattdessen für massive Investitionen in öffentlichen Wohnraum einsetzen.
Es spricht einiges dafür, das zu einem Kernziel sozialistischer Politik zu machen. Für ein öffentliches Wohnraumprogramm kann man vor Ort auf kommunaler Ebene kämpfen. Viele Städte haben bereits kommunale Wohnungsgesellschaften, die mit mehr Mitteln ausgestattet werden könnten. Das ist auch dort möglich, wo Enteignungen nicht auf der Agenda stehen. Für große, gut funktionierende öffentliche Wohnraumprogramme gibt es in europäischen Nachbarländern bereits Beispiele. In Wien und in Finnland lebt weit mehr als die Hälfte der Bevölkerung in Wohnungen im öffentlichen Eigentum.
Dieser Kampf eignet sich außerdem bestens dazu, um sich in den Stadtteilen zu verankern und eine Basis aufzubauen. Langfristig kann ein erfolgreiches öffentliches Wohnraumprogramm auch ein Sprungbrett für andere Programme sein, weil die Mieteinnahmen nicht mehr an Porsche fahrende Erben gehen, sondern in den öffentlichen Haushalt – besonders wenn so Wohnraum für die breite Bevölkerung geschaffen wird, anstatt nur für die ärmsten Menschen. Auch eine flächendeckende Mietenregulierung ist eine sinnvolle Maßnahme. Sie schöpft vor allem die erwähnten Monopolprofite ab, ohne das Angebot an Wohnraum maßgeblich zu beeinflussen.
Linke tun sich keinen Gefallen (und machen sich im schlimmsten Fall unglaubwürdig), wenn sie reale Verteilungskonflikte innerhalb der Arbeiterklasse leugnen, nur weil diese nicht in ihr Weltbild passen. Die Antwort der sozialistischen Bewegung war aber stets, nicht der Spaltung hinterherzulaufen, sondern diesen Konflikten mit einer Politik für die gesamte Klasse zu begegnen. Eine ebensolche Politik ist im Bereich Wohnen dringend nötig und vor allem möglich.