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23. August 2025

Palantir steht für einen digitalen Rechtsruck

CSU-Bundesinnenminister Dobrindt plant den bundesweiten Einsatz von Palantir – eine Software, hinter der rechte Tech-Oligarchen stehen. Datengetriebene Polizeiarbeit wird keine Sicherheit schaffen, sondern die Überwachung ausweiten.

Dobrindt prüft den polizeilichen Einsatz von Palantir. Das Unternehmen, hinter dem der rechtslibertäre Milliardär Peter Thiel steht, erhielt sein Startkapital von der CIA.

Dobrindt prüft den polizeilichen Einsatz von Palantir. Das Unternehmen, hinter dem der rechtslibertäre Milliardär Peter Thiel steht, erhielt sein Startkapital von der CIA.

IMAGO / Bernd Elmenthaler

Der Kurs des US-Tech-Konzerns Palantir ist aktuell, so titelt die Wirtschaftswoche, »jenseits von Gut und Böse«. Das verdankt der Konzern unter anderem dem Hype und dem Mysterium, in das er sich seit Jahren hüllt. Palantir wird als »allwissende Datenkrake« beschrieben, als KI-Riese und globales Überwachungssystem. Seine Dienstleistungen werden von den Geheimdiensten der USA genutzt, ebenso wie von staatlichen Einrichtungen wie dem National Health Service (NHS) in Großbritannien und Unternehmen auf der ganzen Welt. Und obwohl, oder gerade weil kaum jemand so wirklich versteht, was die Firma eigentlich anbietet, wird angestoßen von Innenminister Alexander Dobrindt (CDU) jetzt auch lautstark über den flächendeckenden Einsatz von Palantirs Polizeisoftware Gotham in Deutschland diskutiert.

Der gemeinsame Wunsch nach einer solchen Software ist ein weiteres Glied in der Kette, die Union und AfD verbindet. Die AfD drängt schon lange auf die Einführung, und CDU und CSU, jetzt in Regierungsverantwortung, hoffen, die Lorbeeren für die erfolgreiche Implementierung selbst einheimsen zu können. Das ist wenig verwunderlich, denn beide Parteien haben »innere Sicherheit« im letzten Wahlkampf zu ihrem Markenkern gemacht. Beiden Parteien liegt die Law-and-Order-Ideologie in der DNA. Ihrem Impuls nach flächendeckender und vorauseilender Kontrolle über die Bevölkerung ist das Bedürfnis zu kategorisieren, aufzulisten und zu antizipieren vorgelagert – und genau dieses Bedürfnis soll Palantir nun stillen.

Die Kritik von den anderen Bundestagsparteien ist zwar lautstark und scheint Einigkeit zwischen SPD, Grünen und Linken zu signalisieren. Doch ein tieferer Blick in die Debatte zeigt: Auch SPD und Grüne sind grundsätzlich für den Einsatz solcher Technologien zu gewinnen, und markieren damit eine weitere Stufe im Rechtsruck. Generell würden wohl alle Parteien rechts der Linken auf der Stelle einen derartigen Schutz des Staates und des Eigentums (die Software wird bereits in drei Bundesländern genutzt, oftmals für simple Eigentumsdelikte) vor den Schutz der Privatsphäre und Sicherheit der breiten Gesellschaft stellen. Der große Konfliktpunkt mit den Rechten ist hier vielmehr geopolitischer Natur: Schafft es Deutschland, sich mittels deutscher oder europäischer Anbieter von dem US-Sicherheitsapparat unabhängig zu machen, oder setzt es gar auf noch engere Beziehungen mit den zunehmend autoritären Vereinigten Staaten?

Peterchens Mondfahrt

Im Internet, wie auch in der öffentlichen Debatte, kursieren märchenhafte und vor allem falsche Vorstellungen von Palantir, die das Unternehmen auch selbst gerne herbeiführt. Das Image des geheimnisvollen und allwissenden Unternehmens, das sie kultivieren, hat sie einerseits lange vor Kritik abgeschirmt, und andererseits ihren Aktienkurs »to the moon« schießen lassen. Das liegt auch in der Natur der von Venture-Capital dominierten Tech-Branche: Risikokapitalgeber, wie Palantir-Gründer Peter Thiel selbst einer ist, und Tech-Investoren im Allgemeinen, investieren bekanntermaßen in kein Produkt, das nicht mit dem Buzzword »Disruption« vermarktet wird. Diese Disruption ist in der Regel rein ästhetisch und zeigt die Affekthaftigkeit der im Selbstbild gerne als hyperrational beschriebenen Tech- und Finanzsektoren.

Mitte der 2000er, im Schatten der geplatzten Dotcom-Blase, wurden neue Produkte häufig mit technologischer »Proficiency« und einem gewissen Futurismus beworben. Genau in dieser Zeit baut Thiel mit früher Unterstützung des CIA-eigenen VC-Funds In-Q-Tel sein Unternehmen auf, und benennt es, gemäß den ästhetischen Regeln der Disruption, nach Tolkiens allsehender Glaskugel. Das mythologisch aufgeladene Marketing der nächsten Jahre sorgt für Palantirs polarisierenden Ruf: Es herrscht sehr viel Unklarheit über den tatsächlichen Service, den die Firma anbietet, und dennoch setzt sich das Bild einer globalen Datenkrake, einer allwissenden Big-Brother-ähnlichen Entität durch – und das Image fantastischer Fähigkeiten, egal ob im guten oder im schlechten Sinne, hat eine magische Anziehungskraft auf Investoren.

Wie das Unternehmen selbst jedoch immer wieder betont, erhebt Palantir keine Daten, es überwacht nicht. Die Software nutzt nur solche Daten, die für Palantirs Kundschaft ohnehin zugänglich sind, die ihre Kunden selbst erworben oder erhoben haben. Tatsächlich stellt Palantir »nur« den Code zur Verarbeitung der Daten, das Gerüst der Datenmatrix, aus der sich die Vorhersagen, sowohl über Aktienkurse als auch über potenzielle Verbrechen ableiten lassen. Hierfür nutzt Palantir unter anderem »künstliche Intelligenz«, ebenfalls ein Marketing-Begriff, der im Grunde für hochkomplexe Berechnungen von Wahrscheinlichkeiten und Erkennung von Mustern steht, die für Menschen in schön anzusehenden Visualisierungen aufbereitet werden.

»Es herrscht Unklarheit über den tatsächlichen Service, den die Firma anbietet, und dennoch setzt sich das Bild einer allwissenden Big-Brother-ähnlichen Entität durch.«

Wenn immer also das Phantasma der Datensicherheit bemüht wird, sollte die Aufmerksamkeit nicht primär auf Palantir gelenkt werden, sondern auf die zunehmende Überwachung im öffentlichen Raum, wie von der Hessischen Landesregierung und der Bundes-CDU gefordert, sowie im privaten digitalen Raum, durch die unzähligen Apps auf unseren Gadgets, Wearables und anderen »Devices«. Die Anreicherung von Social-Media-Daten, digitalen Kommunikationsprotokollen, Finanzdaten, ebenso wie Daten aus öffentlicher Gesichtserkennungssoftware, sowohl durch private Unternehmen, als auch durch staatliche Sicherheitsinstitutionen, ist durchaus bedenklich. Das war sie jedoch auch schon vor Palantir.

Die Realität ist demnach zunächst einmal unspektakulärer, als Palantirs PR uns glauben lässt. Die Entwicklung Palantirs ist jedoch auf andere Weise besorgniserregend. Der Tech-Konzern mag keine Daten »klauen«, sammeln oder erheben, eben keine Komplettüberwachung durchführen, wie immer wieder behauptet wird. Aber er setzt und festigt Standards in der Wissensproduktion, besonders in Fragen, wie wir Kriminalität und Unsicherheit begegnen, und diese Standards sind alles andere als fortschrittlich. Sie sind zutiefst reaktionär: Venture-Capital sucht die Ästhetik der Disruption. Und in Zeiten des »Brainrots«, der geistlosen Unterhaltung durch Tech-Konzerne wie Meta oder X, positioniert sich Palantir mit militärischer Ernsthaftigkeit gegen die digitale Dekadenz der Konsumgesellschaft. In ihrer Erzählung bieten sie sich als autoritärer Alternative an, als Tech-Unternehmen, das mit harter Hand gegen die Feinde des Volkes im Innen und im Außen vorgeht und die Nation zurück zu eiserner Disziplin führt. Die hoch entwickelten Ressourcen zur Datenerhebung und Verarbeitung, die jahrzehntelang an die kurzsichtige, private Werbeindustrie verschwendet wurden, so Palantir-CEO Alex Karp, sollen nun vor allem der nationalen Sicherheit unterstellt werden.

Diese PR spiegelt die Ideologie der Palantir Chefetage und des zeitgenössischen Silicon Valley im Allgemeinen: Inspiriert von Neo-Monarchisten wie dem Blogger Curtis Yarvin (alias Mencius Moldbug) setzt sich in Palo Alto und darüber hinaus immer mehr das Idealbild einer Bevölkerung unter der Herrschaft eines CEO-Königs durch, eines (oder vieler) autoritär gestalteten Staaten, in denen Monopolkapitalisten mittels digitaler Automatisierung bis in die entlegensten Winkel der Psyche rein »managen«, und Dissens und Unproduktivität unterdrücken bevor sie entstehen. Als Weiterentwicklung des Neoliberalismus entsagt die libertäre Neo-Monarchie endgültig der Mär des fairen Wettbewerbs und bekennt sich voll und ganz zur Monopol-Herrschaft, ähnlich dem Führerprinzip nach Carl Schmitt. Diese Ideologie formt die Präsentation und den Code der Software, die Palantir anbietet.

Ungehorsam verhindern

Palantir repräsentiert den Code-gewordenen Rechtsruck. In einer wachsenden Anzahl von vor allem von den Unionsparteien (und Grünen) geführten Bundesländern ist Palantirs Polizeisoftware Gotham bereits im Einsatz, darunter Hessen, Bayern, Nordrhein-Westfalen, und bald auch Baden-Württemberg. Auch hier finden wir die Symbolkraft der Populärkultur wieder. Der Name der Software beschwört die Idee der fiktiven Metropole aus dem DC-Universum, die der Korruption und Kriminalität verfallen ist – nicht etwa wegen übermächtigen Kapitalisten wie der Wayne Company, sondern wegen korrupter Individuen und einer verkommenen Gesellschaft – und in der einige wenige moralisch gute Beamte verzweifelt versuchen, der Degeneration »Herr zu werden«.

Diese Geschichte fügt sich perfekt in das Bild der Unsicherheit ein, das deutsche Politik, besonders von rechts, seit Jahren vermehrt versucht zu zeichnen. Die Rede ist hier wie so oft von sogenannten »No-Go-Areas«, »Parallelgesellschaften« und von einem allgemeinen Gefühl der Unsicherheit. Diese Politik verfolgt vor allem ein Ziel: Migrantisierte, arme und von der Gesellschaft allein gelassene Menschen zu dämonisieren.

»Wovor man in der SPD besonders Angst hat, ist nicht die Registrierung von Daten oder deren Verarbeitung durch die Software eines privaten Unternehmens, sondern dass die Daten in die Hände rechter Antidemokraten gelangen könnten.«

Die Art der datengetriebenen Polizeiarbeit, die Gotham vereinfachen soll, ist tief verwoben mit reaktionärer und faschistischer Ideologie. Mittels Listenführung, Kategorisierung, Quantifizierung und Messung sollen weitreichende statistische Berechnungsverfahren ermöglicht werden. Diese sollen dann die Berechenbarkeit der Bevölkerung und die Antizipation von Ungehorsam, das sogenannte »predictive policing«, ermöglichen. Wider der Behauptung einer futuristischen, dystopischen Vision, handelt es sich bei diesen Methoden um Macht-Technologien, die sich bis in die Kolonialzeit zurückverfolgen lassen. Damals wurden sie unter anderem dazu verwendet, die entmenschlichende, finanzielle Logistik des transatlantischen Sklavenhandels zu ermöglichen, etwa in der Bewertung und Versicherheitlichung der Versklavten. Unter den faschistischen und autoritären Regimen des 20. Jahrhunderts genutzt und verfeinert, war diese Art von Macht-Technologie über ihre gesamte Lebensspanne das Gegenteil von demokratisch und sicher. Und es ist genau diese Technologie, die sich AfD und Union herbeisehnen. Im Law-and-Order-Kulturkampf rücken die Parteien immer weiter aneinander und ebnen so weiter den Weg für eine gemeinsame Regierung.

Es besteht jedoch nicht nur eine Annäherung zwischen rechten Parteien innerhalb Deutschlands. Noch vor wenigen Jahren, während Trumps erster Amtszeit, hat man in der CDU, ganz ähnlich dem fadenscheinigen Brandmauern-Narrativ, noch entrüstet die Augenbrauen gehoben, wenn es um eine Allianz mit der Trump-Regierung ging. Doch diesmal ist alles anders. Längst biedern sich Konservative in ganz Europa an die erstarkenden Faschisten in den USA an. So ist eine Kollaboration mit dem rechts-libertären Königsmacher Peter Thiel und seinem Konzern nicht nur kein Tabu mehr für die Union, es ist ausgewiesene Politik.

Welcher Weg, Sozialdemokrat?

Seit Dobrindts Ankündigung, die Nutzung in ganz Deutschland zu prüfen, hagelt es von allen Parteien links der CDU Kritik. Diese unterscheidet sich jedoch mehr, als es auf den ersten Blick scheint. Während Linken-Sprecherin Clara Bünger betont, mit der bundesweiten Nutzung Palantirs drohe »ein flächendeckender Angriff auf die Privatsphäre von Millionen Menschen«, beschränken sich Grüne und SPD auf die Herkunft und den Eigentümer des Unternehmens. Wovor man in der SPD besonders Angst hat, ist nicht die Registrierung von Daten allein oder deren Verarbeitung durch die Software eines privaten Unternehmens, sondern dass die Daten in die Hände rechter Antidemokraten in den USA gelangen könnten. So kritisiert der SPD-Bundestagsabgeordnete Johannes Schätzl: »Palantir ist kein neutraler IT-Dienstleister, sondern ein Unternehmen mit tiefen Verbindungen zu US-Geheimdiensten und klaren geopolitischen Interessen.«

Technisch gesehen ist diese Angst nicht gänzlich unbegründet. Dass Palantir die Zusammenarbeit mit deutschen Behörden geopolitisch auf irgendeine Weise nutzbar macht, ist nicht ausgeschlossen. Allerdings sei die einzige wirkliche Gefahr dabei, laut Expertenmeinung, nicht die Überwachung und Einsicht in sensible Daten Deutscher Bürgerinnen und Bürger in den USA, sondern eher ein möglicher »Kill Switch«, den Palantir in die Software eingebaut haben könnte. Dabei handelt es sich um eine Funktion, mit der das Unternehmen die Software per Knopfdruck lahmlegen oder deaktivieren könnte.

Darüber hinaus macht diese Kritik deutlich: Wenn es eine europäische Alternative gäbe, dann wären SPD und Grüne dieser nicht abgeneigt. Anstatt eine grundsätzliche Kritik an dieser polizeilich und militärischen Aufrüstung zu äußern, sind diese Statements daher Ausdruck einer (vergeblichen) Suche nach einer Alternative zu Palantir, einer »Lösung aus Europa«, die europäische Werte teilt und europäische Datenschutznormen einhält.

Die Kritik ist also viel mehr als eine geopolitische Positionierung zu verstehen, in der Frage, ob man sich Trumps und Vances Amerika unterordnet, oder sich (in Teilen) löst und eine unabhängige europäische Sicherheitsinfrastruktur schafft. Der lautstarke Unmut, besonders der SPD, ist eher ein zögerlicher Versuch sich gegen neue Abhängigkeiten von rechtslibertären Unternehmern aus den USA zu wenden, als ein vehementer Widerspruch gegen den Eingriff in die Privatsphäre. Denn selbst wenn der US-Konzern nicht einfach so die Daten der deutschen Polizei ›klauen‹ kann, wäre ein flächendeckender Einsatz in Deutschland doch mehr als nur ein Signal.

Die Intuition, sich von solch einer Abhängigkeit zu lösen, ist in vielen Bereichen durchaus nachvollziehbar. Besonders in den letzten Monaten zeigt sich, etwa in Vances Ansage auf der Münchner Sicherheitskonferenz, in Trumps willkürlich scheinenden Strafzöllen, und in der generell immer erratischen Führung in den USA, dass diese nicht mehr der machtpolitische Nordstern ist, an dem sich Europa lange orientieren konnte. Gleichzeitig fehlt es dem Kontinent an eigenen Technologieanbietern, einer eigenen, autonomen Energieversorgung, und eigenen sinnvollen Sicherheitskonzepten. All das sind Bereiche, die man problematisieren muss, und das tun SPD und Grüne zurecht – doch das »predictive policing«, wie es mit Gotham ermöglicht wird, ist keiner davon. Die Antwort auf Dobrindts Forderung sollte daher vielmehr lauten, wie Netzpolitik-Redakteurin Anna Biselli sagt, »ganz auf derartige Big-Data-Anwendungen mit einem großen Risiko für Privatsphäre und Grundrechte zu verzichten«.

SPD und Grüne verbinden in ihrer Kritik am Einsatz von Palantir die reale Gefahr einer nicht länger tragbaren Abhängigkeit von den USA, mit der Intention sich durch die Hintertür eine, zwar europäische, aber potentiell ebenso autoritär anmutende Sicherheitstechnologie ins Haus zu holen. In Zeiten, in denen auch diese Parteien nicht davor zurückschrecken, eine solche Sicherheitspolitik zur Tagesordnung zu machen, ist radikale Technologie-Kritik besonders wichtig. Mit der fortschreitenden Normalisierung von datengetriebenem Policing durch die spezifische Ablehnung bestimmter amerikanischer Software gelangen die »Parteien der Mitte« in gefährliches Fahrwasser. Die Antwort auf die Forderung nach dem US-amerikanischen Palantir darf nicht die Forderung nach einem europäischen Palantir sein.