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04. Juli 2025

Die SPD ist so orientierungslos wie nie zuvor

Der SPD-Parteitag zeigt: Zwischen einer ideenlosen Partei-Rechten und einer dezimierten Partei-Linken verharrt die SPD in politischer Lähmung. Für den linken Flügel heißt das: Er darf sein Schicksal nicht länger an den Apparat ketten.

Fest im Sattel, aber ideell ausgezehrt: die neue Führungsspitze auf dem SPD-Parteitag in Berlin, 27. Juni 2025

Fest im Sattel, aber ideell ausgezehrt: die neue Führungsspitze auf dem SPD-Parteitag in Berlin, 27. Juni 2025

IMAGO / photothek

Beim Bundesparteitag der SPD in Berlin liegt Frust in der Luft: »Furchtbar«, »katastrophal«, »ein Albtraum« – mit solch drastischen Worten beschreiben Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten ihr Abschneiden bei der letzten Bundestagswahl, bei der die Partei das schlechteste SPD-Ergebnis seit 1887 einfuhr. Während die Basis die historische Niederlage seziert, klammert sich die Parteispitze an die Macht. Der Parteivorsitzende Lars Klingbeil – gleichzeitig Vizekanzler und Finanzminister – warnt in seiner Eröffnungsrede vor einer »Personalisierung von Problemen«. Doch viele der 600 Delegierten hören längst nicht mehr zu: Zu groß ist die Wut, dass Klingbeil trotz der Wahlschlappe einfach weitergemacht hat, statt Verantwortung zu übernehmen. Nun erntet er die Quittung: Nicht einmal zwei Drittel der Delegierten stimmen für seine Wiederwahl zum Parteichef – ein historisch mieses Resultat für einen Kandidaten ohne Gegenbewerber.

Die Bühne des Parteitags im Berliner CityCube wird zur Kulisse eines offenen Richtungsstreits: Hier der machtbewusste Apparat, dort eine verunsicherte, teils rebellische Basis.

Im Paralleluniversum

Während die ehemalige Bundestagspräsidentin Bärbel Bas – Vertreterin des linken Flügels und Hoffnungsträgerin vieler einfacher Mitglieder – mit 95 Prozent beachtliche Zustimmung erfuhr, wurde Klingbeil mit nur rund 65 Prozent regelrecht abgestraft. Dieser drastische Unterschied spiegelt den strukturellen Gegensatz in der Partei: Hier eine breite Basis, die nach Erneuerung ruft, dort eine Führung, der viele an der Basis Machtstreben und Abgehobenheit vorwerfen. Die Harmonie auf der Bühne, die diese neue Doppelspitze zu signalisieren versucht, kann die Spannungen zwischen Parteiführung und Basis kaum überdecken.

Manche beschreiben den letzten Parteitag gar als »Paralleluniversum«: Die SPD-Spitze inszeniere ein kontrolliertes Schauspiel, tue so, als hätte sie alles im Griff. Trotz Haushaltskrise, Weltlage, Klima- und Umfragedesaster um 14 bis 16 Prozent. Kritische Selbstreflexion? Fehlanzeige. Lieber würden akribisch die Minuten des Applauses gezählt und beherzte Reden geschwungen, während draußen die Realität brennt, so der Tenor im linken Lager, das sich unter Klingbeils Regie zur politischen Statistin degradiert sieht.

»Die Linke in der SPD rennt programmatisch offene Türen bei vielen Mitgliedern ein, steht aber realpolitisch vor verschlossenen Toren.«

Diese Diskrepanz zwischen offizieller Selbstdarstellung und innerer Verfassung zeigte sich exemplarisch im Umgang mit Beschlüssen: So mancher Genosse beschwor auf dem Parteitag pathetisch, man dürfe »nicht die Axt an den Sozialstaat anlegen«. Doch im Koalitionsalltag stimmt die SPD-Führung einem schärferen Vorgehen gegen Bürgergeld-Empfänger zu – inklusive neuer Sanktionen. Da wird auf dem Parteitag vehement für soziale Gerechtigkeit geworben, nur um dann in der Koalition soziale Einschnitte mitzutragen.

Viele Mitglieder fühlen sich von der Parteispitze weder vertreten noch ernst genommen. Das erklärt, warum nur knapp die Hälfte der 380.000 SPD-Mitglieder überhaupt am Mitgliederentscheid über die neue GroKo teilnahm. Die andere Hälfte schwieg aus Desillusionierung oder Resignation. Dieser Vertrauensverlust ist Ergebnis jahrelanger Entfremdung: Die SPD-Führung hat sich in eine »Regierungsmaschine« verwandelt, der interne Debatten und basisnahe Visionen weitgehend egal sind, solange man irgendwie mitregiert. Das hält die Partei am Laufen, frisst aber ihre Seele auf.

Die Linke in der SPD: programmatisch beliebt, organisatorisch gelähmt

Angesichts dieser Schieflage verwundert es kaum, dass der linke Parteiflügel auf dem Parteitag 2025 wieder lauter aufbegehrt hat. Während der Regierungsjahre unter Olaf Scholz war es auffallend still um die SPD-Linke geworden – man hatte sich weitgehend der Koalitionsdisziplin gefügt. Doch jetzt, nach dem Absturz, melden sich Jusos & Co. zurück. Juso-Chef Philipp Türmer sorgte auf dem Parteitag mit einer lauten Rede für Aufhorchen, in der er forderte: »Es braucht wieder eine Sozialdemokratie, die sich traut, die Verteilungsfrage so laut zu stellen, dass niemand sie überhören kann!«. Auch für die Wiedereinführung der Vermögenssteuer plädierte Türmer – eine uralte Forderung der SPD-Linken. Der Haken: Mit einem konservativen Koalitionspartner wie der CDU/CSU sind solche Vorhaben nicht umsetzbar. Die Linke in der SPD rennt programmatisch offene Türen bei vielen Mitgliedern ein, steht aber realpolitisch vor verschlossenen Toren.

Das liegt zum einen an der organisatorischen Schwäche der SPD-Linken. Zwar gibt es Gruppierungen wie das Netzwerk Demokratische Linke 21 (DL21) oder die Parlamentarische Linke in der Bundestagsfraktion. Doch diese verfügen über wenig Machtmittel in der Partei. Um die DL21 wurde es nach dem Abgang der damaligen Vorsitzenden Hilde Mattheis eher still. Erst im Spätsommer 2024 wurde die Organisation wieder öffentlich wahrnehmbar, als die Vorsitzenden Jan Dieren, Alma Kleen und Erik von Malottki der SPD-Führung damit drohten, mit einem Mitgliederbegehren innerhalb der SPD gegen den damals geplanten Sparhaushalt der Ampelregierung abstimmen zu lassen. Die Parlamentarische Linke hingegen, das räumen auch Abgeordnete hinter vorgehaltener Hand ein, ist inzwischen eher ein Karrierenetzwerk, weniger Motor inhaltlicher Debatten.

Die meisten Funktionärsposten und Kreisverbände in der SPD werden vom gemäßigten Lager dominiert, das über Jahrzehnte ein enges Beziehungsgeflecht geknüpft hat. Linke Außenseiter wie Saskia Esken oder Norbert Walter-Borjans konnten 2019 nur dank eines überraschenden Mitgliedervotums an die Spitze gelangen. Doch selbst als Parteichefin fand Esken kaum Personal, um den Apparat umzubauen oder eine von der Basis getragene Erneuerung durchzusetzen. Die Wahl von Norbert Walter-Borjans und Saskia Esken in den Parteivorsitz konnte den Verfall der SPD lediglich verlangsamen, analysierte Soziologe Oliver Nachtwey damals treffend. Entsprechend isoliert blieb Esken: Sie hatte weder genug loyale Gefolgsleute noch eine soziale Bewegung im Rücken. Das Ergebnis war eine »linke« Parteivorsitzende ohne Zähne – eine Art zahmer Corbyn, jedoch ohne dessen Massenbasis und Charisma.

»Der linke Flügel hat es bislang versäumt, eigene Machtzentren aufzubauen. Seine Rolle ist die einer intellektuellen Mahngruppe.«

Nach der Wahlniederlage 2025 kam für Esken dann das Aus. Bezeichnenderweise wurde sie nicht etwa von den eigenen Anhängerinnen und Anhängern gestürzt, sondern schleichend von den Apparatschiks demontiert, die sie einst ins Amt hoben. Schließlich verzichtete sie auf eine erneute Kandidatur, und die Parteirechte hatte das linke Intermezzo überstanden. Mit Kevin Kühnert trat zudem der profilierteste Vertreter der jungen Linken im Herbst 2024 vom wichtigen Posten des Generalsekretärs zurück – offiziell aus freien Stücken, doch manche munkeln, auch das sei vom rechten Lager forciert worden. So oder so: Die parteiinternen Gegenkräfte zur traditionellen Machtelite sind geschwächt wie lange nicht.

Die letzten Jahre haben gezeigt, dass einzelne linke Gesichter an der Spitze nicht genügen, wenn dahinter keine gefestigte Organisation steht. Im Zweifel setzt sich stets der Professionalismus des Apparats durch, notfalls mit Tricks und Druck. Der linke Flügel hat es bislang versäumt, eigene Machtzentren aufzubauen, seien es starke Netzwerke in den Landesverbänden oder Allianzen mit außerparteilichen Bewegungen. Seine Rolle ist die einer intellektuellen Mahngruppe, der zwar oft moralisch Recht gegeben wird, die aber praktisch nur wenig verändern kann. Die programmatische Sympathie großer Teile der Basis für linke Positionen läuft ins Leere, solange die Parteilinke organisatorisch so schwach aufgestellt ist. Ihr bleibt entweder die Anpassung – oder die offene Konfrontation mit der Führung, für die ihr jedoch bisher die Mittel fehlen.

Machtblock ohne Kompass

Während die Linke in der SPD schwächelt, hält der rechte Parteiflügel das Zepter fest in der Hand. Spätestens nach Eskens Abgang ist die SPD wieder das, was sie die längste Zeit seit 1945 war: eine Partei, die von ihren gemäßigten, pragmatischen, oftmals karriereorientierten Kräften geführt wird. Lars Klingbeil, Boris Pistorius und auch Bärbel Bas stehen exemplarisch für diesen Parteistrang.

Klingbeil etwa gilt als »verlässlicher Manager« ohne ideologisches Profil. Seine Machtbasis sind Netzwerke in den westdeutschen Landesverbänden. Seitdem er nach der Wahl prompt nach dem Amt des Vizekanzlers und Finanzministers griff – was ihm viele als »Postenjagd« übelnahmen –, wird im nachgesagt, ein Mann ohne Skrupel zu sein. Inhaltlich vertritt Klingbeil einen Kurs der »offenen Mitte«: modern auftreten, aber bloß nicht zu links und nicht zu »woke«. In der GroKo mit CDU-Kanzler Merz ist Klingbeil voll auf Regierungslinie eingeschwenkt: Konsolidierung des Haushalts, Einhaltung der Schuldenbremse, Priorität für Wirtschaft und Sicherheit. So trieb er es auf die Spitze, als er im Frühjahr 2025 ankündigte, Deutschland solle ab 2029 5 Prozent der Wirtschaftsleistung für Verteidigung ausgeben – das NATO-Ziel. Eine unglaubliche Summe, die es erlauben würde, die Bundeswehr zur größten Armee Europas aufzurüsten. Viele in der SPD – vor allem klassische Friedenspolitikerinnen und Friedenspolitiker – reagierten entsetzt und warnten vor einer weltweiten Aufrüstungsspirale, die Geld von Bildung, Sozialem und Klima abziehe. Doch Klingbeil blieb hart.

Verteidigungsminister Boris Pistorius – spätestens seit dem Ukraine-Krieg der neue starke Mann der SPD-Rechten – flankiert Klingbeils Linie. Pistorius, ein ehemaliger Hardliner-Innenpolitiker aus Niedersachsen, verkörpert die »Law-and-Order«-Tradition in der SPD. Er forderte, die Bundeswehr wieder »kriegsfähig« zu machen – Worte, die bei Linken und Älteren in der SPD Schaudern auslösen, suggeriert das doch eine fatale Abkehr von Willy Brandts Entspannungspolitik. Hier zeigt sich die politische Orientierungslosigkeit der SPD-Rechten: Aus Angst, als »naiv« oder »russlandnah« zu gelten, übernimmt man praktisch im Wortlaut die Hardliner-Positionen der Union – und opfert damit eigene sozialdemokratische Prinzipien wie Rüstungskontrolle und Entspannung ohne jede Not. Eine originäre sicherheitspolitische Strategie der SPD ist nicht erkennbar.

»Die Parteirechte der SPD dominiert zwar organisatorisch, wirkt aber konzeptionell ausgelaugt.«

Bärbel Bas schließlich, die neue Co-Vorsitzende, soll als linkes Feigenblatt dienen – doch auch sie ordnet sich dem dominanten Kurs unter. Zwar kommt Bas aus dem traditionellen SPD-Milieu im Ruhrgebiet und gibt sich kämpferisch in Sozialfragen. Als neue Arbeitsministerin versprach sie etwa, »mit aller Macht gegen Sozialabbau« anzutreten. Doch ihre ersten Äußerungen zeigen, dass sie die Logik der Regierung und die Logik der Partei zusammenbringen will. Übersetzt heißt das: der Koalitionsfrieden hat Vorrang, visionäre Politik bleibt Rhetorik. Wer glaubt, die SPD schlage unter Bas einen linken Kurs ein, sollte deren Parteitagsrede genau studieren: Dort sprach Bas zwar blumig von »Visionen für eine bessere Welt«, betonte aber im gleichen Atemzug, man werde in der Regierung »die Themen durchkämpfen, die wir im Koalitionsvertrag haben«. Mehr ist offenbar nicht vorgesehen. Und selbst dieses Versprechen wurde gerissen: In einem Interview kurz nach dem Parteitag rechtfertigte Bas Klingbeils Entscheidung, die im Koalitionsvertrag vereinbarte Senkung der Stromsteuer »für alle« – eine halbherzige Ersatzmaßnahme für das ursprünglich versprochene gezieltere Klimageld – wieder aus dem Haushaltsentwurf zu streichen. Das zeigt: Bas mag persönlich links verortet sein, aber in der konkreten Machtkonstellation agiert auch sie vor allem pragmatisch und konfliktscheu.

Wofür genau die aktuelle SPD-Spitze inhaltlich eigentlich steht, ist kaum auszumachen. Angesichts dieser politischen Konturlosigkeit klammert sich die Parteiführung an einen gemeinsamen Nenner: den Kampf gegen Rechts. In Berlin beschlossen die Genossinnen und Genossen nahezu einmütig, ein Verbot der AfD juristisch prüfen zu lassen. Tatsächlich ist der Abwehrkampf gegen die rechtsradikale AfD einer der wenigen Punkte, die alle Flügel eint. Doch gerade diese Einigkeit deutet auf eine gewisse Hilflosigkeit der SPD-Strategen hin: Statt die AfD politisch zu bekämpfen, setzt man auf ein Parteiverbotsverfahren – ein rechtlich höchst unsicheres Mittel. Es wirkt fast wie ein Ablenkungsmanöver von der eigenen Ratlosigkeit, wie man dem AfD-Zulauf sonst begegnen soll. Denn die SPD-Rechte hat keine überzeugende Antwort darauf, warum immer mehr Arbeiter und Arbeitslose lieber die AfD wählen als die SPD. Ihr reflexhaftes Rezept lautet oft: Law-and-Order, Panzer statt Autos und ein bisschen Kulturkampf gegen den »Wokeismus«. Kurzum: Man kopiert konservative Positionen, in der Hoffnung, damit punkten zu können. Damit manövriert sich die Partei in eine Sackgasse: Indem die SPD ihre eigene Identität verwischt, hat sie erst recht nichts mehr entgegenzusetzen, wenn die Menschen »das Original« wählen.

Die Parteirechte der SPD dominiert zwar organisatorisch, wirkt aber konzeptionell ausgelaugt. Aus Angst vor weiteren Niederlagen treibt sie die Partei immer weiter nach rechts – zurück zur Schröderschen »New Labour«-Agenda wirtschaftsliberaler Prägung, gekoppelt mit Hardliner-Sicherheitspolitik. Dabei hat genau diese Politik maßgeblich zur Verzwergung der Sozialdemokratie beigetragen: Die SPD hat ihre Wählerbasis seit 2000 nahezu halbiert. In GroKo-Konstellationen musste sie immer wieder Maßnahmen gegen die Interessen ihrer eigenen Klientel mittragen, und erodierte so das Vertrauen der Stammwählerschaft. Jetzt, mit einer nach rechts driftenden CDU unter Merz, droht dieses Dilemma umso mehr. Der Führungszirkel um Klingbeil und Pistorius scheint jedoch entschlossen, den einmal eingeschlagenen Pfad weiterzugehen – selbst wenn die Partei dabei weiter schrumpft.

Ein inhaltlicher Kompass – jenseits der Orientierung an »Regierungsfähigkeit« um jeden Preis – ist kaum auszumachen. Stattdessen verlässt man sich darauf, dass die SPD als Traditionsmarke und staatstragende Institution schon irgendwie überleben wird. Doch ob das in Zeiten gesellschaftlicher Umbrüche reicht, ist fraglicher denn je. Ohne klare Vision und eigenes Profil droht die SPD, in die Bedeutungslosigkeit abzudriften – ein Ausweichmanöver nach rechts außen (AfD-Verbot) kann diesen Trend kaum aufhalten, sondern unterstreicht nur die ideelle Leere im eigenen Laden.

Von Godesberg über Schröder bis zur GroKo

Um die gegenwärtigen Widersprüche der SPD zu verstehen, lohnt der Blick zurück. Die Partei durchlief in ihrer über 150-jährigen Geschichte immer wieder grundlegende Richtungsentscheidungen, bei denen sich rechte und linke Strömungen gegenüberstanden. Der Parteitag 2025 reiht sich in gewisser Weise in diese historischen Konfliktlinien ein – jedoch mit einem entscheidenden Unterschied.

Ein erster Meilenstein war das Bad Godesberger Programm 1959. Damals verabschiedete die SPD auf einem Sonderparteitag in Bad Godesberg ein neues Grundsatzprogramm, das die Partei von einer marxistisch geprägten Arbeiterpartei zur Volkspartei transformieren sollte. Mit großer Mehrheit strich man den Sozialismusbezug aus dem Programm, bekannte sich fortan zur Marktwirtschaft und sogar zur Landesverteidigung – also zur NATO. Dieser Bruch mit der marxistischen Tradition wurde von der Parteirechten und den Pragmatikern vorangetrieben – gegen anfängliche Widerstände altgedienter Sozialisten. Letztlich akzeptierte die linke Parteibasis die »Anpassung an die Wirklichkeit«, wie es im Rückblick genannt wurde. Godesberg gilt seither als Geburtsstunde der modernen, gemäßigten SPD: eine Partei, die nicht mehr Klassenkampf, sondern gesellschaftlichen Ausgleich ins Zentrum stellte, offen für Mittelschichten und neue Wählerschichten.

»Die historische Betrachtung zeigt: Von Godesberg bis zur GroKo zog sich eine Linie der Anpassung, die kurzfristig oft erfolgreich schien, aber langfristig das Profil verwässerte und Flügelkämpfe verschärfte.«

Für die SPD bedeutete das einerseits wahlpolitischen Erfolg – 1969 stellte sie erstmals den Bundeskanzler –, andererseits aber den dauerhaften Abschied von radikalen Systemveränderungsansprüchen. Viele Linke in der Partei haderten mit Godesberg, wurden aber von Brandts Wahlsieg 1969 zunächst beschwichtigt. Doch die Spannung zwischen idealistischem Erbe und realpolitischer Anpassung blieb als latente Konfliktlinie bestehen.

In den 1970er und frühen 80er Jahren flammte diese Spannung mit der Nachrüstungsdebatte erneut auf. Kanzler Helmut Schmidt, ein rechter Sozialdemokrat par excellence (berühmt sein Spruch: »Wer Visionen hat, soll zum Arzt gehen«), unterstützte 1982 den NATO-Doppelbeschluss zur Stationierung neuer Atomraketen – gegen den Willen großer Teile seiner eigenen Partei und der Friedensbewegung. SPD-Linke wie Oskar Lafontaine liefen Sturm; am Parteitag 1983 wurde Schmidt faktisch das Vertrauen entzogen, da war er bereits durch den Bruch der Koalition gestürzt. Die SPD positionierte sich nach Schmidts Sturz gegen die Nachrüstung. Dieses Beispiel zeigt: In den existenziellen Fragen nach Krieg und Frieden gewann zeitweise der linke Flügel Oberwasser – doch meist erst, nachdem die Partei bereits schweren Schaden erlitten hatte, etwa nach Schmidts Regierungsverlust und der darauf folgenden Spaltung der Anhängerschaft der SPD.

Ähnlich verhielt es sich rund zwanzig Jahre später in der Agenda-2010-Auseinandersetzung. Gerhard Schröder, Kanzler von 1998 bis 2005, verkörperte die konsequente Fortsetzung des Godesberg-Kurses: Modernisierung um jeden Preis, Öffnung zur »neuen Mitte« und eine Distanzierung von klassischen linken Positionen. Mit den Arbeitsmarkt- und Sozialreformen der Agenda 2010 trieb Schröder die SPD weit in neoliberales Fahrwasser. 2003 peitschte Schröder die Agenda durch – gegen erbitterten Widerstand in den eigenen Reihen. Im SPD-Vorstand stimmten zwar am Ende fast alle Funktionäre dafür, nachdem Schröder die Vertrauensfrage gestellt und damit viele eingeschüchtert hatte. Doch an der Basis gab es einen Aufschrei: Linke SPD-Mitglieder und Gewerkschafter sprachen von »Verrat« an sozialdemokratischen Prinzipien. Es kam sogar zu einem Mitgliederbegehren gegen Schröders Reformkurs. Schröder reagierte hart: Er drohte Kritikern unverhohlen mit Rücktritt, sollten sie nicht einlenken – eine Erpressung, wie es etwa der damalige Juso-Vorsitzende Niels Annen nannte. Schröder setzte seinen Kurs durch, doch der Preis war hoch: Die SPD verlor 2004/2005 in Serie Landtagswahlen, Schröder trat vorzeitig zurück, und am Ende spaltete sich ein Teil der Partei ab. Oskar Lafontaine – einst Schmidts und Schröders parteiinterner Widersacher – gründete zusammen mit anderen Linken und Gewerkschaftern die Wahlalternative Arbeit & Soziale Gerechtigkeit (WASG), die sich 2005 mit der PDS zur neuen Linkspartei vereinigte.

»Die Konfliktlinien sind zwar die gleichen – rechts steht für Regierungswillen um jeden Preis, links für Erneuerung der sozialpolitischen Identität –, doch keine Seite kann sich vollständig durchsetzen.«

Diese Entwicklung markierte eine entscheidende Zäsur: Erstmals seit 1945 entstand links von der SPD eine konkurrenzfähige Partei, gespeist wesentlich aus enttäuschten SPD-Anhängern. Die SPD hatte mit Schröders Politik einen Teil ihrer linken Seele verloren – und damit auch Wählerstimmen in Millionenhöhe. Bei der Bundestagswahl 2009 rutschte sie – nach GroKo-Jahren unter Merkel – auf 23 Prozent ab, ein bis dato historischer Tiefpunkt. Viele Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten können bis heute Schröder nicht verzeihen, dass er einerseits die Partei nach rechts gezogen und andererseits seine Karriere nach dem Kanzleramt mit lukrativen Posten, etwa bei Gazprom, vergoldet hat. Die SPD hat diesen Schaden bis heute nicht vollständig reparieren können.

In den Großen Koalitionen 2013–2021 schließlich zeigte sich die nächste Runde des alten Musters: Wiederum rangen die Überbleibsel der linken Basis mit einer regierungswilligen Spitze. Entgegen vorherigen Versprechungen trat die SPD 2017 erneut in eine GroKo mit Angela Merkel ein. Zwar ließ man erstmals die Mitglieder darüber abstimmen, zwar stimmten zwei Drittel dafür, doch ein Drittel stimmte dagegen – und die Jusos unter dem jungen Kevin Kühnert mobilisierten offen gegen den Eintritt in die Regierung, warnten vor weiterem Profilverlust.

Sie sollten recht behalten: Trotz einiger sozialpolitischer Erfolge, etwa der Einführung des Mindestlohns im Jahr 2015 und der Rente mit 63, war die SPD im Schatten Merkels kaum wahrnehmbar. Bei der Europawahl 2019 stürzte sie auf 15 Prozent, die einst stolze Arbeiterpartei landete bundesweit hinter den Grünen. Das war das Alarmzeichen, das die Partei zum ersten Mal überhaupt veranlasste, in einer Mitgliederwahl ein dezidiert linkes Führungsduo zu küren – Saskia Esken und Norbert Walter-Borjans –, das jedoch keine programmatische Erneuerung einzuleiten vermochte: 2021 übernahm Scholz als Kanzlerkandidat, die SPD gewann zwar noch einmal knapp die Wahl, doch der Preis war eine Koalition mit der FDP, die viele linke Vorhaben verhinderte. Als diese Ampel schließlich krachend unpopulär wurde und vorzeitig zerbrach, fand sich die SPD Anfang 2025 wieder in der bekannten Rolle: Juniorpartner in einer CDU-geführten Regierung, inhaltlich erpressbar und intern gespalten.

So schließt sich der historische Kreis: Der SPD-Parteitag 2025 steht in der langen Tradition der Parteitage, auf denen über den Kurs der Partei gerungen wurde – von Godesberg über die Nachrüstung und die Agenda bis heute. Doch es gibt einen Unterschied: Früher erzielte die SPD nach heftigen Debatten oft zumindest eine klare Richtungsentscheidung. Godesberg brachte den Volksparteikurs, Schröders Agenda zementierte den Neoliberalismus in der SPD. Heute hingegen wirkt die Partei orientierungsloser denn je. Die Konfliktlinien sind zwar die gleichen – rechts steht für Regierungswillen um jeden Preis, links für Erneuerung der sozialpolitischen Identität –, doch keine Seite kann sich vollständig durchsetzen. Stattdessen verharrt die SPD in einer Art Lähmung: gefangen zwischen der Sehnsucht, zur echten linken Volkspartei zurückzufinden, und der Angst, ohne Machtbeteiligung völlig an Relevanz zu verlieren.

Tragisches Déjà-vu

Die historische Betrachtung zeigt: Von Godesberg bis zur GroKo zog sich eine Linie der Anpassung, die kurzfristig oft erfolgreich schien (Regierungsfähigkeit, Modernisierung), aber langfristig das Profil verwässerte und Flügelkämpfe verschärfte. Heute steht die Partei vor den Scherben dieser Entwicklung: Die traditionelle Arbeiterbasis hat sie zum Teil an die Linkspartei, zum großen Teil aber an die Nichtwähler oder die AfD verloren. Die einst stolze sozialdemokratische Milieubindung – Gewerkschaften, Arbeitersportvereine, »rotes« Arbeiterviertel – ist großteils Geschichte. Was bleibt, ist ein alterndes Parteiestablishment, das auf Staatsämter setzt, und eine Rest-Linke, die ihren Platz sucht. Die Geschichte der SPD ist reich an Wendepunkten, doch allzu oft endeten diese mit einem Durchmarsch der Parteirechten. Der Parteitag 2025 hätte theoretisch eine Kurskorrektur einleiten können – doch dazu war die SPD-Linke zu schwach und die Rechte zu ideenlos. Die Gefahr ist, dass die SPD zu einer leeren Hülle verkommt – einer »bloßen Regierungsmaschine«, die läuft, weil sie läuft, aber keine Leidenschaft mehr weckt.

Die SPD-Spitze vermeidet die politische Polarisierungen seit Godesberg bewusst – man wolle nicht »Klassenkampf« führen, heißt es oft. Aber gerade die Abwesenheit eines solchen klassenorientierten Konfliktangebots treibt viele frustrierte Leute zur Wahlverweigerung oder zu Rechtspopulisten. Nach Jahren relativer Arbeitsruhe erleben wir seit 2022/23 in Deutschland eine neue Streikbewegung. Insbesondere die Gewerkschaft Verdi und andere DGB-Gewerkschaften haben spürbar an Kampfeslust gewonnen. Inflation und Arbeitskräftemangel trieben die Beschäftigten auf die Straße: Es gab Warnstreiks an Unikliniken, bei der Post, im Nahverkehr, bei der Bahn, in Kitas – so viel wie lange nicht. Im März 2023 kam es gar zu einem koordinierten Mega-Warnstreik im gesamten Verkehrssektor, der das halbe Land lahmlegte. Die Forderungen waren selbstbewusst: Verdi verlangte im öffentlichen Dienst 10,5 Prozent mehr Lohn, mindestens aber 500 Euro monatlich. Angesichts jahrelanger Reallohnverluste und Überlastung vor allem im Gesundheits- und Pflegebereich fand diese Härte viel Verständnis in der Bevölkerung. Unter dem Motto »Mehr für uns ist besser für alle« forderten Streikende im öffentlichen Dienst kräftige Lohnerhöhungen. Die neue Streikbereitschaft zeigt das Potenzial kollektiver Aktionen für soziale Ziele.

»Man wolle nicht ›Klassenkampf‹ führen, heißt es oft. Aber gerade die Abwesenheit eines solchen klassenorientierten Konfliktangebots treibt viele frustrierte Leute zur Wahlverweigerung oder zu Rechtspopulisten.«

Bemerkenswert war, dass sich viele junge Leute und Frauen an diesen Arbeitskämpfen beteiligten – etwa die Pflegekräfte in Krankenhäusern, für die es mancherorts der erste Streik seit Jahrzehnten war. Die Streiks erzielten teils beträchtliche Erfolge: Im öffentlichen Dienst einigte man sich schließlich auf tabellenwirksame Lohnerhöhungen von rund 11 Prozent für niedrige Einkommen plus steuerfreie Einmalzahlungen von 3000 Euro. Bei der Deutschen Post stimmten die Beschäftigten mit einer 86 -prozentigen Mehrheit in einer Urabstimmung für unbefristeten Streik und erzwangen so ein deutlich verbessertes Angebot. Zwar gab es auch Kritik an vorschnellen Abschlüssen, etwa weil viele Post-Beschäftigte den Kompromiss zunächst ablehnten. Dennoch: Die Botschaft lautet, dass man durch Druck von unten spürbare Verbesserungen erringen kann.

Die SPD hatte traditionell eine enge Bindung an die Gewerkschaften; viele Gewerkschafter waren in Personalunion SPD-Mitglieder. Doch bereits in der Schröder-Ära begann diese Allianz zu bröckeln – Schröders Agenda-Politik empfanden viele Gewerkschafter als Frontalangriff, was das Vertrauensverhältnis zerrüttete. Heute stehen die Gewerkschaften wieder kämpferischer da, doch die SPD profitiert davon kaum: In den Streikdemonstrationen sieht man rote Ver.di-Fahnen, aber keine SPD-Plakate. Im Gegenteil, so mancher Sozialdemokrat in Regierungsverantwortung – etwa in kommunalen Arbeitgeberverbänden – saß am Verhandlungstisch auf der »Gegenseite« des Verhandlungstisches. Die SPD-Linke beobachtet zwar solidarisch die Streiks, aber eine aktive Verzahnung zwischen Partei und Arbeitskämpfen findet kaum sichtbar statt.

Hier verschenkt die SPD enorm viel Potential. Sie müsste eigentlich die öffentliche Sympathie für Arbeitskämpfe – die es trotz allem gibt – politisch kanalisieren. Stattdessen fehlt eine politische Kraft, »die das Momentum der Arbeitskämpfe aufgreift und bündelt«, wie Jörn Boewe in seiner Analyse für den Freitag kritisch anmerkt. Die Linkspartei versucht es punktuell, doch ihr fehlt die Breite. Die SPD wäre prädestiniert, Streikanliegen ins Parlament und in Regierungen zu tragen, doch dazu müsste sie sich offensiv an die Spitze solcher Bewegungen stellen – was aktuell undenkbar scheint. So bleibt es dabei, dass Lohnerfolge isoliert in Tarifrunden errungen werden, ohne dass daraus ein größeres politisches Projekt, etwa für eine neue soziale Sicherheit, erwächst. Für die SPD-Linke liegt hierin die Lehre: Man muss wieder Teil von realen Kämpfen werden, statt nur Sonntagsreden für »gute Löhne« zu halten. Die neue Streikbewegung zeigt, dass ein erhebliches Potenzial an Wut über soziale Ungleichheit vorhanden ist – aber eben außerhalb der Partei. Eine Revitalisierung der SPD müsste genau dort anknüpfen, wo Menschen sich wehren.

Wohin steuert die SPD-Linke?

Der SPD-Parteitag im Juni 2025 hat die Krisen der Partei schonungslos offengelegt. Inhaltlich ausgezehrt, personell zerstritten, historisch belastet – die SPD wirkt wie ein Traditionsschiff ohne klaren Kurs, während rundherum die politische See tobt. Die Parteirechte hält noch am Ruder fest, aber ihr fehlen Kompass und frischer Wind. Die Parteilinke hat ideelle Anker, aber keinen Motor, um das Schiff herumzureißen. So schleppt sich die SPD dahin, getrieben von äußeren Umständen, ohne ein überzeugendes Ziel in Sicht.

Was könnte der Ausweg sein? Eine agitatorische Parole wie »SPD-Linke, übernehmt die Macht!« greift zu kurz – wir haben gesehen, dass ohne Machtbasis das bloße Austauschen von Personen wenig bringt. Ebenso wenig zielführend wäre wohl eine Spaltung oder die Abwanderung der SPD-Linken zur Konkurrenz: Die Linkspartei erlebt zwar in jüngster Zeit einen gewissen Aufschwung. Doch noch ist sie bundesweit strukturell nach wie vor deutlich schwächer verwurzelt als die SPD und hätte im Bund ohne SPD wenig Gestaltungsmacht. Stattdessen deutet vieles darauf hin, dass die SPD-Linke einen doppelten Weg verfolgen muss: Innerhalb der Partei weiter Druck machen, Debatten erzwingen, Mitglieder mobilisieren – und gleichzeitig außerhalb Verbündete gewinnen, eigene Netzwerke stärken. Es geht darum, was Loren Balhorn als »soziale Verwurzelung« beschreibt: Eine linke Kraft benötigt mehr als Wahlerfolge, sie braucht tiefe Anker in Gewerkschaften, Nachbarschaften, Kultur und sozialen Bewegungen. Die SPD hatte diese Anker einst – heute muss sie gewissermaßen neu auswerfen.

Im kommenden Prozess für ein neues Grundsatzprogramm, den Generalsekretär Tim Klüssendorf angekündigt hat, wird sich zeigen, ob die Linken ihre Chance nutzen. Klüssendorf – selbst dem linken Flügel zugehörig – versprach »inhaltlichen Freiraum« für diese Debatte. Hier gilt es für die SPD-Linke, den Spagat zu schaffen: einerseits konstruktiv eine moderne linke Programmatik zu erarbeiten, andererseits mutig genug zu sein, Konflikte nicht zu scheuen, wenn die Rechte in der Praxis davon abweicht.

Ein aggressiver Burgfrieden – also nur schöne Worte im Programm, aber Mitmachen bei unsozialer Regierungspolitik – würde die Partei endgültig unglaubwürdig machen. Besser wäre es, echte Streitkultur zuzulassen, ja geradezu zu zelebrieren, wie es in der Hochzeit der SPD durchaus üblich war (man denke an Brandt vs. Wehner, Schmidt vs. Lafontaine). Die SPD-Linke sollte offen benennen, wo Kompromisse die eigenen Werte verraten, und diese gegebenenfalls auch ablehnen, wenn es etwa um die weitere Militarisierung oder Sozialabbau geht – selbst um den Preis eines Koalitionskrachs. Nur so gewinnt sie Profil und Rückhalt.

Für die SPD-Linke, die ja Teil der SPD bleiben will, übersetzt sich das in den Rat, unbequem zu bleiben und notfalls loyale Opposition im Innern zu leisten, bis sich die Zeiten ändern. Die Geschichte zeigt: Sozialdemokratische Parteien neigen zwar dazu, linke Mahner auszuhalten, solange sie das Establishment nicht akut gefährden – doch wenn Krisen eskalieren (etwa extreme Wahlniederlagen), kann plötzlich die Stunde der Linken schlagen. So war es in Großbritannien 2015 mit Jeremy Corbyn, so war es gewissermaßen auch 2019 in der SPD mit Esken und Walter-Borjans, als die GroKo am Boden lag. Beide Beispiele lehrten allerdings, dass ein Überraschungssieg allein nicht reicht – danach fängt die Arbeit erst an.

Die SPD-Linke muss Geduld und Entschlossenheit kombinieren. Sie sollte innerhalb der Partei alle offenen Räume nutzen – von Programmkommission bis Juso-Kampagnen –, um linke Positionen mehrheitsfähig zu machen. Zugleich sollte sie ihr Schicksal nicht völlig an den Apparat ketten: Vernetzung mit sozialen Bewegungen, Gewerkschaften, gemeinsame Sache mit progressiven Kräften außerhalb der SPD (statt Abgrenzung) und das Austesten neuer Aktionsformen (Mitgliederentscheide, Urabstimmungen von unten zu Koalitionsfragen und Ähnliches) können Hebel sein, um den Einfluss der Basis zu stärken.

Ob die SPD insgesamt noch die Kurve kriegt, bleibt ungewiss. Die historische Hypothek ist immens und der rechte Parteiflügel klammert sich an einen Status quo, der die SPD klein hält. Nur die Toten passen sich nicht mehr an, besagt ein Sprichwort. Die SPD lebt – noch. Und womöglich braucht es gerade die Rückbesinnung auf ihre eigenen Wurzeln, um wieder aufzuerstehen: zurück zu echtem Eintreten für Arbeiterinteressen, Frieden und sozialen Fortschritt, natürlich unter den Bedingungen des 21. Jahrhunderts. Die Linke in der SPD hat diese Vision zumindest im Ansatz parat – sie muss sie nur in die Wirklichkeit bringen. Und dafür sorgen, dass der nächste Parteitag nicht wieder ein Paralleluniversum abgibt, sondern ein Ort echter Richtungsentscheidung wird.

Die Zeit drängt, noch ist die Sozialdemokratie nicht verloren. Die kommenden Jahre werden zeigen, ob sie aus ihrer Krise einen Neuanfang formen kann oder ob sie in der Bedeutungslosigkeit versinkt. Die SPD-Linke steht dabei vor der Wahl: gestalten oder untergehen. Die Geschichte ist noch nicht zu Ende geschrieben – nutzen wir die Lehren aus Vergangenheit und Gegenwart, um das Blatt zu wenden.