20. Mai 2025
Saskia Esken kam mit dem Versprechen, die SPD zu erneuern – und wurde zuletzt eiskalt abserviert. Ihr Rückzug verdeutlicht, wie aussichtslos jeder Versuch ist, die Partei zu ihren politischen Wurzeln zurückzuführen. Warum die Selbstaufgabe der SPD kein Grund zum Jubeln ist.
Während sich ihr Co-Vorsitzender Lars Klingbeil hochrangige Posten sicherte, wurde Esken zum Bauernopfer für die Wahlniederlage gemacht.
Nachdem sie für ein Ministeramt in der neuen Regierung übergangen wurde, war klar, dass die Zeit von Saskia Esken in der Führungsriege der SPD ihrem Ende naht. Sogar ihr eigener Landesverband hatte sie einige Wochen zuvor nicht mehr für den Parteivorstand nominiert. Die Nachricht, dass die einstige linke Außenseiterin nicht mehr für den Parteivorsitz kandidiert, ist zwar keine Überraschung, wirkt aber dennoch wie eine kleine Zäsur. Obwohl ihre Nachfolgerin vermutlich die neue Arbeitsministerin Bärbel Bas sein wird, nominell eine Parteilinke, signalisiert Eskens Abgang das Ende des kurzen – und bemerkenswert oberflächlichen – Versuchs der SPD, zu ihren sozialdemokratischen Wurzeln zurückzufinden, um verlorenes Terrain zurückzugewinnen.
Dieser vorsichtige Linksschwenk begann im Grunde schon mit der Nominierung von Martin Schulz zum Kanzlerkandidaten im Jahr 2017, wurde aber nach dessen katastrophalem Wahlergebnis wieder ausgebremst, nur um zwei Jahre später von Esken und ihrem Ko-Kandidaten Norbert Walter-Borjans wiederbelebt zu werden, der den Favoriten des Establishments Olaf Scholz knapp besiegte. Doch nach dem Rücktritt von Walter-Borjans im Jahr 2021, dem sehr öffentlichen Abgang des nominellen Parteilinken Kevin Kühnert und dem Rückzug von Saskia Esken ist die Partei wieder fest in den Händen des Apparats.
Stimmen innerhalb und außerhalb der Partei haben zurecht kritisiert, dass die SPD Esken vermutlich nicht so kalt abserviert hätte, wenn sie keine Frau wäre. Während sich ihr Co-Vorsitzender Lars Klingbeil – ein Vertreter des rechten Parteiflügels und lange der sichtbarere der beiden Vorsitzenden – trotz der Wahlniederlage als zentrale, mächtige Führungsfigur innerhalb der Partei installiert hat, wurde Esken öffentlich an den Pranger gestellt. Sie allein wurde für den Einbruch in den Umfragewerten verantwortlich gemacht und war einer öffentlichen Demütigung ausgesetzt, in der alles Mögliche an ihr beanstandet wurde – angefangen bei ihrem angeblichen Mangel an politischem Scharfsinn bis hin zu ihren unberechenbaren Auftritten in Talkshows und sogar ihrem Aussehen. Auch wenn einige SPD-Größen Esken nun öffentlich für ihren würdevollen Abgang loben, hat sich keiner an ihre Seite gestellt, als sie Wochen zuvor entwürdigenden Angriffen aus der Presse und den eigenen Reihen ausgesetzt war.
»Der Sieg von Esken und Walter-Borjans war nicht das Ergebnis eines linken Aufschwungs, sondern vielmehr das Werk von Dissidenten innerhalb des Apparats.«
Mit dem Ausscheiden von Esken und der festen Einbindung der SPD in die Merz-Regierung mit Klingbeil als Vize-Kanzler kehren die Sozialdemokraten in die Rolle zurück, die sie bisher den größten Teil dieses Jahrhunderts eingenommen haben: Als Juniorpartner einer CDU/CSU-Regierung unterstützen sie im Namen der Staatsverantwortung Maßnahmen, die gegen die Interessen der eigenen Basis gerichtet sind und die eigene Position mittelfristig schwächen. Doch anders als in der Amtszeit von Angela Merkel bewegt sich die CDU unter Merz nicht weiter auf die politische Mitte zu, sondern klar nach rechts. Wenn die jüngste Geschichte ein Anhaltspunkt ist, wird diese Dynamik die ohnehin schwindende Basis der SPD weiter zersplittern und die Bildung stabiler Regierungen – ob mit den Konservativen oder einer anderen Parteienkonstellation – zunehmend erschweren.
Sechs Jahre lang stand Esken an der Spitze der SPD, zunächst an der Seite von Walter-Borjans, dann von Klingbeil. Dennoch war sie – untypisch für eine nominelle Außenseiterin – die ganze Zeit über das Gesicht einer Regierungspartei. Nach ihrem knappen Triumph 2019 hatten Esken und andere, die die Partei »erneuern« wollten, kaum Zeit, den Parteiapparat zu renovieren oder loyale Funktionäre in Schlüsselpositionen zu installieren, geschweige denn die Regierungspolitik der großen Koalition zu beeinflussen. Es ist nicht mal klar, ob sie das jemals vorhatten: Obwohl Esken und ihre Unterstützer die SPD sicherlich zu einer entschlosseneren Partei entwickeln wollten, die fortschrittliche, sozialdemokratische Positionen in der Sozial- und Wirtschaftspolitik vertritt, gab es keine Vorstellung davon, wie diese Transformation gelingen könnte
Wie der Soziologe Oliver Nachtwey damals feststellte, war der Sieg von Esken und Walter-Borjans nicht das Ergebnis eines linken Aufschwungs, sondern vielmehr das Werk von Dissidenten innerhalb des Apparats, die befürchteten, dass ein Weiter-So die Zukunft der Partei und damit ihre eigenen Karrieren gefährden könnte. Ihr Erfolg beruhte auf »interner Partizipation«, schlug sich aber nicht in einer breiteren gesellschaftlichen Mobilisierung nieder. Da sich Eskens politische Karriere überwiegend auf die regionale Ebene beschränkt hatte, vollzog sich ihr rasanter Aufstieg innerhalb der Institutionen der Partei. Gleichzeitig fehlten ihr sowohl die internen Ressourcen, um sie zu gestalten, als auch die externen Netzwerke, um Druck von außen auszuüben. Das Ergebnis war eine aufrichtige, aber weitgehend machtlose »Progressive« an der Spitze einer Partei, die ihre progressiven Ambitionen längst aufgegeben hatte – so etwas wie ein Corbyn light, allerdings ohne die vergleichbare Glaubwürdigkeit und Unterstützung innerhalb der breiteren Bevölkerung.
Ironischerweise spielte der vergleichsweise linke Wahlkampf der SPD im Jahr 2021, der dieselbe Stimmung verströmte, die Esken zwei Jahre zuvor beflügelt hatte, eine entscheidende Rolle dabei, Olaf Scholz zum Kanzler der ineffektiven und gespaltenen Ampelkoalition zu krönen. Die anhaltende Abwärtsspirale der SPD wurde damit nicht aufgehalten, sondern fortgeführt, da zentrale Wahlkampfversprechen wie höhere Löhne, niedrigere Energiekosten, Investitionen in die Infrastruktur und vieles mehr kaum umsetzbar waren, da die SPD zu zaghaft war, um sich gegen die ideologisch neoliberale FDP durchzusetzen. Der Krieg in der Ukraine, der nur zwei Monate nach Scholz’ Amtsantritt begann, sorgte stattdessen für einen dramatischen Anstieg der Energiekosten. Auch der Teuerung anderer Lebenshaltungskosten im Zuge der Inflation wurden von Scholz’ Regierung keine effektiven Maßnahmen entgegengesetzt. Als die Regierung Ende letzten Jahres zusammenbrach, war sie eine der unpopulärsten der jüngeren Vergangenheit.
»Esken fand sich in der Rolle wieder, unpopuläre Politik verteidigen und die eigene Parteilinke disziplinieren zu müssen.«
Hätte Eskens SPD von der Oppositionsbank aus einen anderen Weg einschlagen können? Angesichts ihres offensichtlichen Hangs zu vorauseilender Kapitulationen wahrscheinlich nicht. Denkbar wäre dennoch, dass die SPD dem linken Flügel vielleicht mehr Raum gegeben hätte, um eine eigene Agenda zu entwickeln und als soziale Opposition im Parlament den Takt vorzugeben. Stattdessen fand sich Esken immer wieder in der Rolle wieder, unpopuläre Politik verteidigen und die eigene Parteilinke disziplinieren zu müssen. Ähnlich wie die Demokraten in den USA befand sich die SPD in der misslichen Lage, gleichzeitig für und gegen einen unpopulären Status quo einzustehen, für den sie selbst in erheblichem Maße mitverantwortlich waren. Früher oder später verliert die eigene Basis dann das Vertrauen, wie die jüngsten Wahlen in beiden Ländern gezeigt haben.
Misst man Saskia Esken an ihren eigenen Worten und Taten, schien sie wirklich an eine sozialdemokratischere Sozialdemokratie geglaubt zu haben, und es gibt guten Grund zur Annahme, dass ein Mann in ihrer Position anders behandelt worden wäre. Doch ändert das nichts daran, dass sie an der Spitze eines Apparats stand, der, wie Hans Graudenz es kürzlich formulierte, inzwischen kaum mehr als eine »Regierungsmaschine« ist. Regieren ist kein Mittel zum Zweck mehr, sondern wird zum Selbstzweck. Dass Esken von dieser Maschine zermalmt und wieder ausgespuckt werden würde, war im Grunde absehbar.
Die enttäuschende Erfolgsbilanz von Esken, die auf das schlechte Abschneiden von Martin Schulz vor acht Jahren folgt, wird nun genutzt, um eine endgültige Rückkehr zur Politik des neoliberalen »Dritten Weges« zu legitimieren – ähnlich wie in der Labour Party von Keir Starmer, wenn auch ohne eine so brutale interne Säuberung. Wenn Klingbeil sagt, er will der SPD wieder den »Charakter einer Partei der Arbeit« verleihen, meint er damit vermutlich eine Verhärtung des Krisenkorporatismus, einen Kampf um ein paar letzte regionale Hochburgen und das Abschleifen gewisser kultureller Merkmale der gebildeten Mittelschicht, die Einzug in die Partei gehalten habe. Dass es ihm darum geht, die Demokratisierung der Wirtschaft, für die Parteien der Arbeit einst gekämpft haben, wieder auf die Agenda zu setzen, ist ausgeschlossen.
Programmatisch ist mit einer Rückkehr zur unverhohlenen Marktorientierung der Schröder-Ära zu rechnen, verbunden mit einer Unterstützung für zunehmende staatliche Repression und militärische Aufrüstung. Strategisch wird die SPD also den Weg fortsetzen, den sie Ende der 1990er zum ersten Mal einschlug. Dass dieser zu einem »säkularen Bedeutungsverlust« führte, mit dem jede nachfolgende Parteispitze zu kämpfen hatte, wie die SPD-nahen Sozialwissenschaftler Gerd Mielke und Fedor Rose in ihrer Analyse feststellen, scheint die neue Führung um Klingbeil in Kauf zu nehmen.
Ob die rund 360.000 SPD-Mitglieder diese neue Marschrichtung mittragen, ist weniger klar – obwohl rund 84 Prozent von ihnen in dem Mitgliederentscheid für den Regierungsvertrag gestimmt haben, hat sich nur etwa die Hälfte überhaupt an der Abstimmung beteiligt, was auf eine weitverbreitete Desillusionierung oder bestenfalls Apathie schließen lässt. So oder so, sehen die Aussichten für eine sozialdemokratische Rückbesinnung der Partei düster aus. Esken stand symbolisch nicht nur für den schwächelnden linken Flügel, sondern für eine ganze Generation von SPD-Mitgliedern – Kinder und Enkelkinder des traditionellen proletarischen Milieus der SPD, die dank der erfolgreichen Reformen der Nachkriegszeit Zugang zu höherer Bildung erhielten und gesellschaftlich aufsteigen konnten. In einer Zeit, wo das traditionelle proletarische Milieu in der Auflösung begriffen war, fanden sie eine natürliche politische Heimat in der SPD. Doch auch dieses Bollwerk bröckelt, da desillusionierte Wähler entweder zur wiedererstarkten Linken oder zur extremen Rechten abwandern oder einfach nicht mehr zur Wahl gehen.
»Die Idee war, dass die Sozialdemokratie mittelfristig von einer neuen sozialistischen Partei überholt und schließlich ersetzt werden könnte. Doch dazu kam es nicht.«
Es wäre verlockend, den Niedergang der Sozialdemokratie als Chance für die Linke zu sehen. Ein wesentlicher Bestandteil des strategischen Kalküls, das Mitte der 2000er Jahre zur Gründung der Linkspartei beitrug, war nicht zuletzt auch die Vorstellung, dass die SPD ihre historische Rolle als parlamentarischer Arm der Arbeiterbewegung zunehmend vernachlässigte. Die Idee war, dass die Sozialdemokratie daher mittelfristig von einer neuen sozialistischen Partei überholt und schließlich ersetzt werden könnte. Doch dazu kam es nicht. Zunächst versuchte die SPD, die Linke zu isolieren. Als das nicht mehr funktionierte, kam sie ihr entgegen und kooperierte sogar mit ihr, wohlwissend, dass eine Zusammenarbeit mit der SPD die Basis der Linken ebenso schwächen würde, wie eine Zusammenarbeit mit der CDU die Basis der SPD. Vor allem in größeren Bundesländern mit Schwerindustrie, in denen die SPD tiefer verwurzelt und sowohl in der Regierung als auch in der Gewerkschaftsbürokratie stark vertreten ist, reichte der aufrichtige Protest der Linken nie aus, um die Vorherrschaft der Sozialdemokratie zu brechen. Es braucht eben mehr, als ein paar Wahlerfolge, um Wurzeln zu schlagen und eine dauerhafte Basis zu etablieren.
An dieser grundlegenden Dynamik hat sich seitdem nichts geändert. Die Linke mag zwar einen Aufschwung bei den Wahlen erleben, so wie auch eine regelrechte Explosion der Mitgliederzahlen. Aber ihr institutionelles und gesellschaftliches Gewicht ist mit der SPD kaum vergleichbar. Darüber hinaus kann die SPD trotz oder vielleicht gerade wegen ihrer Funktion als »Regierungsmaschine« ihrer verbliebenen sozialen Basis – insbesondere den gewerkschaftlich organisierten Arbeitnehmern – greifbare Vorteile verschaffen, wozu eine Protestpartei, insbesondere in einer Wirtschaftskrise, kaum imstande ist. Wenn es darum geht, zu entscheiden, welche Industrien staatliche Subventionen erhalten, welche Fabriken geschlossen werden oder welche Kommunen Bundesmittel für neue Infrastruktur erhalten, kann selbst eine geschwächte SPD in einer Großen Koalition den Leuten mehr bieten als eine Linke in der Opposition. Aus diesem Grund werden die zarten Bande zwischen der SPD und dem, was von ihrer traditionellen Basis übrig geblieben ist, in absehbarer Zeit wohl kaum zerreißen.
Sollte die Linke in Anbetracht dessen also die Weichen für ein »progressives Bündnis« mit SPD und Grünen im Jahr 2029 stellen, wie einige der üblichen politischen Verdächtigen bereits argumentieren? Diese Frage kann nur mit einem klaren Nein beantwortet werden. Abgesehen davon, dass es dafür nicht annähernd eine Mehrheit gibt (die jüngsten Umfragen sehen die drei Parteien zusammen bei unter 40 Prozent), ist angesichts des Rechtsrucks und der breiten Unbeliebtheit von SPD und Grünen unklar, was eine ambitionierte sozialistische Kraft in einer solchen Verliererkoalition zu gewinnen hätte.
»Ohne die soziale Verankerung, die die SPD zumindest in Teilen noch hat, ist der Eintritt in eine unpopuläre Koalition für die Linke ein wesentlich riskanteres Unterfangen.«
Obwohl sich in der deutschen Politik seit Mitte der 2000er Jahre vieles verändert hat – vor allem das Aufkommen einer rechtsextremen Partei, die immer mehr zur stärksten Kraft im Parlament zu werden droht –, befindet sich die Linke in mancherlei Hinsicht in einer ähnlichen Situation wie vor etwa zwanzig Jahren, als sie gegen eine Große Koalition aus CDU und SPD antrat, die mit der Rückendeckung mancher Gewerkschaften und im Namen der Standortsicherung eine Arbeitgeberoffensive austrug. Gleichzeitig ist die jetzige Situation insgesamt politisch brenzliger. Die bereits erwähnte AfD ist stärker denn je, und weder die Massendemonstrationen des letzten Jahres noch die jüngsten Versuche, die Partei zu verbieten, scheinen ihre Popularität brechen zu können. Wo sich die diffuse Wut der Bevölkerung auf das Establishment einst in der Unterstützung für Kräfte wie die Linke niederschlug, wird sie nun in eine unheilvollere Richtung gelenkt. Die bloße Präsenz der AfD scheint die gesamte politische Landschaft weiter nach rechts zu ziehen. Und anders als 2005 scheinen die gesellschaftlichen Reservoirs des außerparlamentarischen Widerstands im Großen und Ganzen erschöpft zu sein.
Die sozialistische Linke wird also einen langen Atem brauchen. Während die SPD dank ihrer staatstragenden Funktion einige »katastrophale« Wahlergebnisse aushalten kann, ist der gesellschaftliche Rückhalt und Nutzwert der Linken viel prekärer, wie die letzten Jahre zeigten. Ohne die soziale Verankerung, die die SPD zumindest in Teilen noch hat, ist der Eintritt in eine unpopuläre Koalition für die Linke ein wesentlich riskanteres Unterfangen. Und auch wenn das weitere Schrumpfen der SPD ein gesellschaftliches Vakuum hinterlässt, kann die Linke dieses nicht über Nacht füllen. In erster Linie wird vermutlich die AfD profitieren.
Die Linke wäre daher gut beraten, sich in den nächsten Jahren klar von der immer unglaubwürdiger werdenden Sozialdemokratie und den immer militaristischer auftretenden Grünen abzugrenzen, Parteiaufbau vor Ort zu betreiben und ihre marginalen gesellschaftlichen Machtressourcen zu konsolidieren. Eine Regierung kommt für die Linke erst dann in Frage, wenn sie diese aus einer Position der Stärke prägen kann. Wie Eskens Auf- und Abstieg exemplarisch vorgeführt hat, muss eine solche Stärke auf mehr beruhen als ein paar Wahlerfolgen.
Loren Balhorn ist Editor-in-Chief von JACOBIN.