26. Januar 2021
Jetzt fordert selbst das Kanzleramt die Schuldenbremse länger auszusetzen. Doch das reicht nicht. Eine Politik im Interesse der kommenden Generationen muss mehr Staatsschulden machen. Nur so können wir die Wirtschaft auf den Klimaschutz umrüsten.
Demonstration für Klimaschutz vor der Europäischen Zentralbank in Frankfurt, 24. Mai 2019.
Während die Jugend auf die Straße geht und für einen bewohnbaren Planeten demonstriert, schwingen Finanzpolitiker im Bundestag reden zur Generationengerechtigkeit. Aufhänger dafür ist der Anstieg der Staatsverschuldung, der mit einbrechenden Steuereinnahmen und höheren Ausgaben – etwa für Wirtschaftshilfen im Lockdown – zusammenhängt. Doch die Jugend, in deren Sinne die Finanzpolitik zu handeln vorgibt, demonstriert nicht für einen schuldenfreien Staat. Im Gegenteil. Sie fordert, dass die deutsche Wirtschaft auf Klimaschutz umgerüstet wird. Und sie hat recht.
Im Bundestag läuft die Generaldebatte zum Bundeshaushalt 2021. Die Kanzlerin spricht. Zuerst führt sie in ungewohnter Manier die AfD vor, die mit einem Zwischenruf ihren Zweifel an der Corona-Pandemie kundtut. Merkel appelliert an die Errungenschaften der Aufklärung und den Nutzen der Wissenschaft. Sie erntet großen Applaus. Der Videoausschnitt geht in den sozialen Medien viral. Dann fährt sie mit der Rede fort und liefert eine im Kontext der geplanten Neuverschuldung bittere Point für die Jugend:
»Wir müssen uns auch immer wieder vergegenwärtigen, was öffentliche Schulden bedeuten. Es bedeutet natürlich die Belastung künftiger Haushalte, bedeutet die Notwendigkeit, das zurückzuzahlen und es bedeutet Einschränkungen für künftige Ausgaben und künftige Generationen.«
Was für ein Dämpfer. Merkel lässt sich auf die Kürzungsdebatte ein. Friedrich Merz hätte es wahrscheinlich anders formuliert und gefordert: »Deutschland muss den Gürtel enger schnallen!« Mit dieser Haltung wird der dringend benötigte ökologische Umbau zum Opfer finanzpolitischer Kleingeistigkeit. Deutschland hat 99 Probleme. Aber Staatsschulden sind keines davon.
Es ist die ewig alte Leier der Konservativen: Staatsschulden als Last für die zukünftigen Generationen. Das ist sowohl auf finanzieller als auch auf realwirtschaftlicher Ebene nicht haltbar. Dieses Denken gründet in der Annahme, der Staat funktioniere wie ein Sparschwein aus einem Privathaushalt. Doch Olaf Scholz hat kein Sparschwein, sondern ein Konto bei der Zentralbank. Und das ändert alles.
Zunächst sei einmal Merkels Rat ernst zu nehmen: »Wir müssen uns auch immer wieder vergegenwärtigen, was öffentliche Schulden bedeuten.« Was bedeuten sie also?
Staatsschulden sind die Folge von Staatsdefiziten aus der Vergangenheit. Wenn der Staat mehr Geld ausgibt, als er über Steuern einnimmt, nennt man das »Staatsdefizit«. Dabei gilt das altbewährte ökonomische Gesetz: Die Ausgaben des einen sind die Einkommen eines anderen. Also sind die Ausgaben des Staates die Einkommen des Privatsektors. Ob der Staat den Straßenbauer für die Sanierung einer Straßendecke bezahlt oder pandemiebedingt ausgefallene Einkommen für Soloselbstständige kompensiert: die Empfänger der Zahlung haben dann mehr Geld. Das können sie dann entweder wieder ausgeben oder ansparen. In beiden Fällen bleibt es solange im Privatsektor, bis damit Steuern gezahlt werden und das Geld zurück an den Staat fließt. Bei einem Defizit gibt der Staat in einem bestimmten Zeitraum mehr Geld in die Wirtschaft hinein, als er über Steuern wieder hinauszieht. Dann hat logischerweise irgendjemand in der Wirtschaft ein höheres Einkommen. Die Defizite des Staates machen uns also finanziell reicher.
Die Staatsschulden ergeben sich aus den angesammelten Staatsdefiziten aus der Vergangenheit. Die Schulden entsprechen der Menge an Euro, die der Staat in der Vergangenheit ausgegeben, bisher aber noch nicht über Steuern wieder eingesammelt hat. Sie liegen als Ersparnisse im Privatsektor. Man könnte auch sagen: Es sind Steuergutscheine, die in der Zukunft zur Tilgung von Steuern genutzt werden können. Wenn sie in Form von Staatsanleihen gehalten werden, dann sind es sogar verzinste Steuergutscheine. Wenn wir der nächsten Generation Steuergutscheine vererben, stellen wir sie finanziell besser, nicht schlechter.
Woher bekommt nun aber Olaf Scholz sein Geld? Der Bund führt ein Konto bei der Zentralbank. Über das kann Olaf Scholz seine Ausgaben tätigen sowie Steuern und andere Einnahmen empfangen. Dieses Konto darf am Ende eines Tages nicht im Minus stehen, er darf es also nicht länger als einen Tag überziehen. Wie füllt er das Konto? Zum einen über Steuern und zum anderen über den Verkauf von Staatsanleihen.
Wenn er mehr Geld ausgibt, als er über Steuern einnimmt, muss er neue Staatsanleihen verkaufen. Die verkauft er per Auktion an eine Gruppe von 36 ausgewählten Banken – die sogenannte Bietergruppe. Nur diese Banken dürfen an der Auktion teilnehmen. Man kann sich das wie eine exklusive Ebay-Auktion vorstellen. Die Höchstbietende gewinnt und muss die Anleihe mit Guthaben bei der Zentralbank bezahlen. Bei dieser Transaktion wird der Kontostand auf dem Zentralbankkonto des Bundes erhöht und der Kontostand der Bank verringert. Ein Konto geht hoch, ein anderes herunter. Dafür erhält die Bank im Gegenzug die (verzinste) Staatsanleihe. Wichtig: Da nur Banken und der Staat Konten bei der Zentralbank führen, Privatpersonen aber nicht, können Privatpersonen gar nicht teilnehmen. Das ist der springende Punkt. Olaf Scholz leiht sich also nicht das Geld seiner Bürger – das ist technisch gar nicht möglich –, sondern beschafft sich neues Zentralbankguthaben im Umweg über die Banken. Folgt man der Spur der Euro, die der Staat ausgegeben hat, landet man also letztendlich immer bei der Europäischen Zentralbank (EZB), beziehungsweise ihren nationalen Einheiten, etwa der Deutschen Bundesbank.
Auch die Banken erhalten ihre Zentralbankguthaben, mit denen sie dem Staat die Anleihen abkaufen, von der Zentralbank. Diese versorgt gesunde Banken zu einem von ihr festgelegten Zinssatz mit unbegrenzten Kreditlinien, den sogenannten » ständigen Fazilitäten«. Dafür müssen die Banken lediglich halbwegs sichere Wertpapiere als Pfand vorlegen. Darüber hinaus kann die Zentralbank den Banken mit ihren sogenannten »Offenmarktgeschäften« Wertpapiere gegen Zentralbankguthaben abkaufen. Durch den Versuch der EZB, die Wirtschaft mit expansiver Geldpolitik und großangelegten Anleihekäufen anzukurbeln, schwimmen die Banken ohnehin in Zentralbankguthaben, die zu allem Überfluss auch noch mit einem Strafzins von minus 0,5 Prozent belegt werden. Sie können deshalb gar nicht genug Staatsanleihen von Olaf Scholz angeboten bekommen.
Sind die Staatsanleihen erst einmal an die Bank verkauft, kann sie die ausgegebenen Anleihen entweder selbst behalten oder sie mit Preisaufschlag weiterverkaufen, etwa an Privatinvestoren, Rentenfonds, Versicherungen oder auch die EZB. Private Investoren halten die Anleihen zwecks Vermögensbildung.
Die Staatsanleihen, die bei der EZB liegen, haben eine Besonderheit. Tilgungs- und Zinszahlungen, die an die EZB gehen, fließen am Jahresende an die Eigentümer der EZB zurück. Doch wem gehört die EZB? Den Mitgliedsstaaten. Das heißt: Tilgung und Zinsen gehen an die EZB und fließen am Jahresende wieder zurück an Olaf Scholz – rechte Tasche, linke Tasche. Konsequenterweise könnte man also alle Anleihen, die bei der EZB liegen, aus der Staatsschulden-Statistik herausrechnen. Das würde sicherlich das ein oder andere Gemüt beruhigen.
Festzuhalten ist also, dass Staatsschulden uns finanziell besserstellen und Olaf Scholz die Mehrausgaben nicht durch unsere Ersparnisse finanziert, sondern sich über die Banken Zentralbankguthaben besorgt.
Kommen wir nun zum Generationenkonflikt – der hat nämlich nichts mit Staatsschulden zu tun, sondern vielmehr mit herabgewirtschafteter Infrastruktur und ausbleibenden öffentlichen Investitionen in die öffentliche Daseinsvorsoge und den Klimaschutz. Die öffentliche Infrastruktur, die auf Klimaschutz umgerüstet werden müsste, wird auf Verschleiß gefahren. Hier liegt der tatsächliche Generationenkonflikt. Die öffentlichen Nettoinvestitionen (Investitionen minus Abschreibungen) in Deutschland krebsen seit knapp zwanzig Jahren um den Nullpunkt. Genau das ist aber der Indikator, der sich bewegen muss, damit die ökologische Wende einen Puls bekommt. Wer im Sinne der nächsten Generation handeln will, der muss höhere Ausgaben fordern, anstatt den Kürzungshammer aus dem Keller zu holen. Wir brauchen den Green New Deal. Wir brauchen erneuerbare Energien, den Ausbau der Stromnetze und des öffentlichen Nahverkehrs, den Aufbau einer nachhaltigen Kreislaufproduktion und vieles mehr.
Ab 2022 soll die Schuldenbremse wieder greifen. Ab 2023 sollen die Corona-Schulden über einer Zeitspanne von zwanzig Jahren getilgt werden. Das bedeutet: Zwanzig Jahre Staatsüberschüsse. Der Staat zieht dann über Steuern mehr Geld aus der Wirtschaft heraus, als er über Ausgaben hineingibt. Dadurch verliert der Privatsektor Einkommen und Ersparnisse. Der Staat wird damit zum ökonomischen Geisterfahrer, der die Wirtschaft ausbremst, wenn sie eigentlich wieder an Fahrt aufnehmen sollte.
Die große Frage lautet dann: Wessen Einkommen und Ersparnisse müssen herhalten? Die Entwicklung der Steuersätze in den letzten Jahren gibt darauf eine klare Antwort: Es werden nicht die Krisengewinner sein, sondern diejenigen, die Arbeit suchen und wegen fehlender Konjunktur keine finden. Oder diejenigen, die Niedriglöhne beziehen und wegen ausbleibender Lohnsteigerungen immer weniger abbekommen – auch wenn sie in der Krise noch als » systemrelevant« beklatscht wurden. Dazu drohen Kürzungen beim Sozialstaat und an Investitionen in den Klimaschutz. Spätestens dann guckt auch die Jugend in die Röhre. Bedenkt man dann noch die immense Herausforderung durch den Klimawandel und die massiven sozialen Härten, die die Corona-Krise nach sich zieht, wird klar: Das ist fatal.
Deutschland hat kein Finanzierungsproblem, Deutschland hat kein Staatsschuldenproblem, Deutschland hat ein finanzpolitisches Problem.
Maurice Höfgen ist Wissenschaftlicher Mitarbeiter für Finanzpolitik im Bundestag und Autor des Buches »Mythos Geldknappheit«. Zudem betreibt er den YouTube-Kanal »Geld für die Welt«.
Dana Moriße ist Finanzpolitische Sprecherin im Landesvorstand der Linkspartei in NRW.
Maurice Höfgen ist Wissenschaftlicher Mitarbeiter für Finanzpolitik im Bundestag und Autor des Buches »Mythos Geldknappheit«. Zudem betreibt er den YouTube-Kanal »Geld für die Welt«.
Dana Moriße ist Wirtschaftshistorikerin und wissenschaftliche Mitarbeiterin am DIFIS (Deutsches Institut für Interdisziplinäre Sozialpolitikforschung) sowie im Netzwerk Plural Ökonomik e.V.