05. Mai 2025
Rechte Regierungen übernehmen die Macht, Handelskriege spitzen sich zu, das Dollarregime gerät ins Wanken und ein neuer Rüstungswettlauf droht: Der Kapitalismus steht an einem historischen Wendepunkt. Politökonom Lucio Baccaro erklärt, wie die politische Linke intervenieren kann.
Trump behauptet, die amerikanische Mittelschicht stärken zu wollen, doch seine Politik erzielt das Gegenteil.
Die Weltordnung ist im größten Umbruch seit dem Ende des Staatssozialismus. Mit seiner Zollpolitik stellt Donald Trump nicht nur die bisherige Handelspolitik der USA, sondern auch Grundpfeiler des globalen Kapitalismus schlechthin in Frage. Verschärfungen wirtschaftlicher und politischer Spannungen drohen jedoch auch durch angekündigte massive militärische Aufrüstung, mögliche Preisschocks und Angriffe der Rechtsradikalen auf formale demokratische und soziale Rechte. Die sogenannte politische Mitte weiß nicht weiter, außer verzweifelt die Reihen zu schließen.
Umso dringender ist die Frage, wie die politische Linke wirksam in dieser Konstellation intervenieren kann. Hierzu sprach Alban Werner mit dem Politökonomen Lucio Baccaro. Er ist Ko-Direktor des Max-Planck-Instituts für Gesellschaftsforschung in Köln und zu seinen Forschungsschwerpunkten gehören internationale Ökonomie, europäisches Währungssystem, Arbeitsbeziehungen, globale Gerechtigkeit und Arbeiterbewegungen.
Folgt Trumps Regierung mit ihrem (außen)wirtschaftspolitischem Vorgehen den Vorstellungen einer Oligarchie? Ist sein Vorgehen gesteuert von Interessen oder eher von Ideologie?
Wenn es einen Plan oder eine Rationalität hinter dem Vorgehen gibt, dann besteht sie darin, verarbeitendes Gewerbe zurück zu holen in die Vereinigten Staaten. Bei diesem Ziel unterscheidet sich die Trump-Regierung gar nicht von derjenigen Joe Bidens, außer – und das ist ein wichtiger Unterschied – dass Biden eine »grüne« Produktion wollte, während Trump eine braune will.
Aber Trump versteht das »unverschämte Privileg« der USA nicht, das heißt die Fähigkeit der USA, über ihren Verhältnissen zu leben dank der Rolle des US-Dollars als Leit- und Reservewährung. Die Vereinigten Staaten können sich verhalten wie ein Kunde im Lebensmittelladen, der unbegrenzt anschreiben lassen kann, ohne jemals seine Rechnung begleichen zu müssen. Die Geisteshaltung, die sich dadurch herausbildete, ist schlimmer als im Merkantilismus. Zunehmend nehmen die jetzt herrschenden Kräfte in den USA den Dollar eher als Bürde war, denn als Vorteil.
Ist jetzt der Zeitpunkt gekommen, an dem man auch über die (fehlende) „Rationalität“ der Trump-Wähler sprechen, die ihm die Treue halten, komme was wolle?
Wir wissen schon lange, dass Wählerinnen und Wähler nicht »rational« im strengen Sinne sind, außer vielleicht im Sinne rückblickender Beurteilung der Regierungsleistung als Grundlage ihrer Wahlentscheidung. Die Trump-Wähler wollten Veränderung. Sie stimmten gegen das Inflationshoch unter Joe Biden und dessen sichtbare (altersbedingte) Probleme, das Amt auszuführen. Sie stimmen für den Kandidaten, der Wandel versprach, Kamala Harris stand für Kontinuität, Fortsetzung des bis dahin Bestehenden. Mich besorgt vor allem, wie wenig die US-amerikanischen Wählerinnen und Wähler sich um den demokratischen Prozess sorgten. Ich befürchte, dies könnte die letzte kompetitive Wahl – also eine Wahl mit offenem Ausgang – gewesen sein. Wie viel Beweise für die Gefährdung braucht man noch nach dem Sturm aufs Kapitol vor vier Jahren?
Die radikale und populistische Rechte an der Regierungsmacht oder im Wartestand für die Regierung wird oft mit dem Faschismus gleichgesetzt oder als dessen Fortsetzung angesehen. Unterscheiden sich aber nicht beide darin, dass die historischen Faschisten offen von der Abschaffung der Demokratie sprachen?
In ihrem Selbstbild ist die heutige radikale Rechte die wahre Verteidigerin der »wahren« Demokratie. Soweit ich weiß, begann dies mit der Schweizerischen Volkspartei (SVP), die das Mittel der Volksabstimmungen nutzte, um ihre Inhalte durchzusetzen. Die liberalen Demokratien zeichnen sich durch zwei Merkmale aus: Die Zuteilung politischer Macht durch Wahlen und Gewaltenteilung. Die radikale Rechte an der Regierung übergeht Letztere und will eine Zentralisierung politischer Macht erreichen.
Hat der politische Mainstream die Demokratie verwundbarer gemacht durch die Angriffe von Rechtsaußen, durch Dulden oder Betreiben übergriffiger Rechtsprechung, Etablierung »nicht-majoritärer« Institutionen und anderer Beschränkung politischer Entscheidungsspielräume?
Ja.
Wie schätzen Sie vor dieser Folie Giorgia Meloni ein, die Ministerpräsidentin Italiens?
Meloni hat die Lektionen einer früheren Regierung mit radikal rechter Beteiligung aus dem Jahre 2018 gelernt: Man darf es sich mit der EU nicht verscherzen. Man braucht ihr Wohlwollen, wenn man an der Macht bleiben möchte. Im Hinblick auf ihre Vergangenheit und ihre Ideologie ähnelt sie durchaus Viktor Orbán und anderen aus der »Parteienfamilie« der radikalen Rechten. Allerdings verfügt sie nicht über den Handlungsspielraum Trumps, weil sie die Bedingungen des EU-Rahmenwerks einhalten muss. In den USA wurde Trumps Wahl verstanden als Auftrag, einen radikalen Wandel herbeizuführen. In Italien hingegen sind die Wählerinnen und Wähler im Grunde immer unzufrieden. Keiner Regierung ist es gelungen, das Land aus dem Wachstumstief herauszuführen, in dem es seit Einführung des Euro festsitzt. Melonis Vorteil besteht darin, die letzte neue Spielerin auf dem politischen Spielfeld zu sein. Nach zwei Jahren an der Regierung sind ihre Beliebtheitswerte unverändert, obwohl sie im Grund nichts erreicht hat.
Sind wir an einer Wegscheide des »globalen Westens« angekommen, weil er »von innen« zersetzt wird und »von außen« unter Druck gerät?
Das Neue an der Konstellation: Der globale Hegemon findet jetzt die Kosten seiner Hegemonie zu hoch. Sie sägen am Ast, auf dem sie selber sitzen. Die US-amerikanische Hegemonie beruht auf zwei Säulen: Zum einen die Rolle des Dollars, die sich praktisch darin zeigt, dass sie Jahr für Jahr große Leistungsbilanzdefizite haben, das heißt, dass sie sich bei Ausländern verschulden können, ohne dass es – bis vor kurzem – Anzeichen dafür gab, dass die Gläubiger ihren Kurs ändern wollten. Zum anderen ist da die auf Regeln basierende Weltwirtschaftsordnung, insbesondere der Schutz der geistigen Eigentumsrechte. US-Unternehmen haben ihre Produktion ins Ausland verlagert, behalten aber (oft über ausländische Tochtergesellschaften) die geistigen Eigentumsrechte und verkaufen ihre Waren weiterhin in den Vereinigten Staaten. Das geistige Eigentum ist ihre Gewinnquelle, der lukrativste Teil, und es wird durch das internationale Rechtssystem geschützt. Aber wenn die USA jetzt die zugrunde liegenden Regeln niederreißen, warum sollten andere sie dann respektieren? Es sei darauf hingewiesen, dass die bisherige Regelung für die Reichen und Superreichen sehr gut funktioniert hat. Die Trump-Administration sagt, sie wolle die amerikanische Mittelschicht wiederherstellen, aber die Sabotage der Rolle des Dollars und der Staatsanleihen könnte diese Bemühungen untergraben.
Was bedeutete ein Ende des Dollar-Regimes für die politische Linke?
Es wäre zu begrüßen, wenn es denn mit einer De-Finanzialisierung einherginge. Heute haben wir das Problem, dass jeder politische Eingriff in die Märkte unter dem prüfenden Blick der Finanzmärkte steht. Trotzdem wäre es eine beträchtliche Herausforderung. Eine Krise des Dollarregimes hätte eine massive globale Finanzkrise zur Folge, die jeden beträfe, auch Menschen, die keine direkten finanziellen Interessen haben, aber beispielsweise eine Rente, die an die Entwicklung des Finanzmarktes gekoppelt ist. Der Unterschied zur globalen Finanzkrise von 2007/08 bestünde darin, dass damals das Geld in auf Dollar lautende Vermögenswerte floss, während jetzt das Geld auf der Suche nach anderen sicheren Vermögenswerten aus dem Dollar fliehen würde, was zu einem Einfrieren des internationalen Finanzsystems führen könnte. Trotzdem würde ich keine Träne vergießen über das Ende des Dollar-Systems.
Manche, auch linke Wirtschafts- und Sozialwissenschaftler, beobachten einen »säkularen« Rückgang des verarbeitenden Gewerbes zugunsten des Dienstleistungssektors. Können sich die Vereinigten Staaten überhaupt gegen einen solchen Trend stemmen?
Ich halte es nicht für unmöglich, dass die USA ihren Fertigungssektor zurückgewinnen, zumindest Teile davon, die hochwertigsten, die mit Forschung und Entwicklung und Design verbunden sind. Aber dazu müssen sie in der Lage sein, weiterhin Talente aus der ganzen Welt anzuziehen. Das verträgt sich nicht mit der fremdenfeindlichen Politik der Trump-Administration.
Der Preis für die Rückkehr der Industrie wäre Inflation?
Zu Beginn, ja. Mit einer andauernden höheren Inflation ist aber nur zu rechnen bei starker Macht der Beschäftigten, wenn diese sich weigern, die Einbußen ihrer Kaufkraft hinzunehmen und daraufhin höhere Nominallöhne durchsetzen, worauf die Unternehmen wieder mit Preiserhöhungen reagieren. Eine rechte Regierung wird hingegen die Inflation bekämpfen wollen, indem sie von den Lohnabhängigen fordert, »Opfer zu erbringen« und ihnen diese Opfer dann auferlegen.
Hat Deutschland mit seinem Festhalten am Überschussregime eine Chance vertan, was sich nun rächt, weil es umso anfälliger für eine destruktive Handelspolitik à la Trump ist?
Ja, man hat Chancen vergeudet, die lange Phase niedriger bis negativer Anleihezinsen hätte zum Beispiel für Investitionen in die Infrastruktur genutzt werden können. Deutschland hat die Digitalisierung und die Dekarbonisierung verschlafen. Dies hätte die deutsche Wirtschaft wieder ins Gleichgewicht gebracht, denn höhere Investitionen reduzieren den Außenbeitrag. Doch die Schuldenbremse und der Fetisch der »schwarzen Null« standen im Weg. Damit hat Deutschland der gesamten Eurozone geschadet.
Ist in nächster Zeit etwas Vergleichbares zum Europäischen Aufbauprogramm »NextGenerationEU« denkbar, mit dem die EU aus dem Dogma knapper Kassen ausbricht?
Es geht bereits in diese Richtung, aber eben bei der Aufrüstung. Wir werden vermutlich eine Umwidmung industrieller Kapazitäten für Rüstungsproduktion erleben. In Europa ist Deutschland die Nummer eins im verarbeitenden Gewerbe, Italien die Nummer zwei. Beide sind oft in dieselben Lieferketten integriert. Was wir aber vermutlich nicht noch einmal erleben werden, ist die Vergemeinschaftung von Staatsschulden. Es läuft eher darauf hinaus, dass Ausgaben der Mitgliedstaaten für Aufrüstung von den Verschuldungsregeln ausgenommen werden.
Teilen Sie den Eindruck, dass die etablierten Kräfte in ihrer Verunsicherung vor der radikalen Rechten die Reihen schließen, ohne wirklich ein Konzept zu finden? Wie sollte sich die Linke vor diesem Hintergrund aufstellen?
Ja, das sind reflexartige, wenig durchdachte Reaktionen. Frühere »große« sind jetzt immer kleinere Koalitionen. Das wird gegen die radikale Rechte nicht helfen können. Die Linke muss sich linkspopulistisch aufstellen, den Gegensatz Elite vs. einfache Leute besetzen, einschließlich einer pointierten Kritik an der EU. Gut, in Deutschland wird die EU-Kritik vermutlich eine geringere Rolle spielen.
Was wäre im schlimmsten Falle – mit einer AfD mit an der Macht – wirtschaftspolitisch zu befürchten?
Vermutlich ein »Mehr von dem Gleichem«-Neoliberalismus. Eine Regierung unter Beteiligung der AfD würde vermutlich versuchen, durch einen Kurs fiskal- und geldpolitischer Knappheit und sogenannte »Strukturreformen« das deutsche alte Exportmodell wieder herzurichten. Aber der Versuch wäre sehr wahrscheinlich zum Scheitern verurteilt. Das Problem ist ein strukturelles, kein bloßes Problem preislicher Wettbewerbsfähigkeit. Die Spezialisierung der deutschen Wirtschaft passt nicht mehr zur internationalen Nachfrage, die sich stärker in Richtung elektrischer Mobilität bewegt. Daran würde auch eine AfD-Regierung nichts ändern.
Worüber müsste die Linke noch mehr nachdenken, wo hat sie etwas nachzuholen?
Ein wichtiger Bereich ist die Industriepolitik. In Deutschland hat der Staat, etwa im Unterschied zu Frankreich wenig Erfahrungen und Kapazitäten für Industriepolitik. In einer idealen Welt hätten wir ohnehin eine europäische Industriepolitik, die wirklich diesen Namen verdient.
Der Politökonom Lucio Baccaro studierte und lehrte in Europa, der Schweiz und den USA. Seit 2017 ist er zusammen mit dem Soziologen Jens Beckert als Nachfolger Wolfgang Streecks Direktor am Kölner Max-Planck-Institut für Gesellschaftsforschung (MPIfG). Im Herbst 2022 erschien der von ihm zusammen mit Mark Blyth und Jonas Pontusson herausgegebene Sammelband »Diminishing Returns: The New Politics of Growth and Stagnation« bei Oxford University Press.