10. November 2024
Die zwei großen US-Parteien versprachen im Wahlkampf ihre jeweilige Art von »Rettung der Demokratie«. Das Problem ist aber, dass beide Seiten von Milliardären gekauft werden.
Elon Musk spricht bei einer Wahlkampfveranstaltung für Donald Trump in New York City, 27. Oktober 2024.
Wenn du das hier lesen kannst: Glückwunsch! Du hast die Wahlen in den USA halbwegs überstanden. Vermutlich bist Du enttäuscht, dass Donald Trump gewonnen hat – aber immerhin hast Du den ganzen Wahlkampfwahnsinn ohne allzu viele bleibende Schäden hinter Dich gebracht. Sei stolz darauf!
Vielleicht schmerzen die Augen noch ein wenig und das Hirn ist vernebelt. Aber keine Angst: Das dürfte normal sein nach dem Clockwork Orange–mäßigen Konsum von TV-Sendungen, E-Mails, Tweets, Zeitungsartikeln, Whatsapp-Nachrichten und dem Austausch mit Freundinnen, Feinden, Verwandten, Familie und der Lieblings-Influencerin – die Dir alle auf ihre Weise erklärt haben, dass es hier um nicht weniger als die Demokratie an sich geht.
Wenn Du das Gefühl haben solltest, dass beide Parteien im US-Wahlkampf nichts außer heißer Luft anzubieten hatten, dann konntest Du Dich irgendwie dem Agitprop erwehren und hast vielleicht festgestellt, dass es in den vergangenen Wochen vor allem darum ging, den letzten Rest an tatsächlicher »Volksherrschaft« in den USA anzugreifen.
Die Message auf allen Kanälen mag eine andere gewesen sein, doch es war gut zu beobachten, dass die Parteien, Kandidatinnen und Kandidaten sowie vor allem Spender auf Geld statt Inhalte setzten: Die Wahl wurde in eine Art Auktion verwandelt – der Höchstbietende beziehungsweise Höchstspendende gewinnt – wobei fast niemand in der Presse oder Wählerschaft nachfragte, was eigentlich genau verkauft wurde. Wenn so etwas passiert – wenn die Milliardäre der einen Seite die Milliardäre der anderen Seite beim Ausverkauf eines politischen Wettbewerbs überbieten – ist das keine Verteidigung der Demokratie. Hier wurde die Demokratie direkt angegriffen und dabei so getan, als würde man sie retten wollen.
Natürlich gab es im Wahlkampf Kernthemen, die angesprochen wurden: Die Demokraten machten den Wählerinnen und Wählern vage Versprechungen, man werde unsere verbliebenen Rechte und demokratische Institutionen schützen. Hinzu kamen vorsichtig progressive Wirtschaftsreformen. Die Republikaner warben hingegen mit einer neuen Welle der Deregulierung und des Autoritarismus. Sie würden die Überreste einer bald abtretenden Regierung zerstören; einer Regierung, die viele in den USA als unfähig oder unwillig ansehen, soziale Probleme zu lösen.
Und da so viele in Amerika mit dem wirtschaftlichen Status quo unzufrieden sind, entschieden sie sich tatsächlich gegen die wackelige Brandmauer der Demokraten und für die Radikalpolitik mit dem Flammenwerfer der Republikaner.
»Egal, was die Allgemeinheit will und wie die Wahlen ausgehen, die Oligarchen gewinnen fast immer. Sie bekommen eine Regierung, die wenig oder gar nichts unternimmt, um die Krisen zu bewältigen, von denen ebendiese Oligarchen profitieren.«
Schon bevor das Land den neuen Bewohner des Weißen Hauses auswählte, galt: Geld regiert die US-Wahlen. Es gab ein veritables Billionaire: Endgame – ein Marvel-ähnliches Kriegsepos, das allerdings nur Milliardären offenstand und den Rest von uns nahezu machtlos machte. Es war ein filmreifes Spektakel mit nur einem Ziel: die Grenzen der politischen Möglich- und Machbarkeiten auf Initiativen zu beschränken, die entweder die Macht der Milliardäre stärken oder sie zumindest nicht gefährden.
Das passiert nicht durch Zufall, sondern ist gewollt: Wir erleben die kontrollierte, gezielte Zerstörung der Demokratie. Es ist ein Flächenbrand, der mit mehreren Gerichtsurteilen angefacht wurde, die die Gesetze bezüglich Wahlkampffinanzierung sowie zur Bekämpfung von Bestechung aussetzten oder beschnitten. So konnten Großspenden und somit Korruption im Politik-Alltag verankert werden.
Das Ergebnis: Egal, was die Allgemeinheit will und wie die Wahlen ausgehen, die Oligarchen gewinnen fast immer. Sie bekommen eine Regierung, die wenig oder gar nichts unternimmt, um die Krisen zu bewältigen, von denen ebendiese Oligarchen profitieren. Wir haben deswegen Regierungen, in denen »die Präferenzen des Durchschnittsamerikaners nur einen winzigen, nahezu null betragenden, statistisch nicht signifikanten Einfluss auf die Politik zu haben scheinen«, wie es zwei Princeton-Forscher zusammenfassen.
Das muss nicht sein. Wir reden hier nicht von göttlicher Vorbestimmung. Wenn genug von uns beschließen, dass wir es nicht länger hinnehmen, der Hund im »This is fine«-Meme zu sein, könnten sich die Dinge zum Besseren wenden. Das lehrt uns schon die Vergangenheit. Wenn wir nun aber nach der Wahl 2024 das Gegenteil tun – wenn die republikanische Wählerschaft den Sieg als Beweis dafür nimmt, dass es völlig in Ordnung ist, wenn Milliardäre Wahlen kaufen, und wenn die demokratischen Wählerinnen und Wähler ihre Niederlage als Mahnung sehen, dass sie beim nächsten Wahlkampf eben noch mehr spendierfreudige Milliardäre finden müssen… Dann sieht’s richtig düster aus.
Wenn wir das Billionaire: Endgame, das wir gerade erlebt haben, als den neuen Standard, das »new normal« für unsere Wahlen akzeptieren, dann ist vollkommen gleich, wer ins Weiße Haus einzieht. Denn dann ist der Tod der Demokratie besiegelte Sache.
US-Wahlen waren schon immer eine kostspielige Angelegenheit; mindestens seit der Oberste Gerichtshof die Herrschaft der Milliardäre mit drei Entscheidungen erleichtert hat. »Dank« der Urteile, dass Spenden als verfassungsrechtlich geschützte Meinungsäußerung angesehen werden können (Buckley), diese Regelung auch auf Unternehmen ausgeweitet wurde (Bellotti) und der Ansicht, dass Geld offenbar keine korrumpierende Kraft sei (Citizens United), ist der Wahlprozess in den USA zu einem Kampf zwischen Super-PACs und anderen Gruppen geworden, die Milliarden von Dollar einsetzen, um so lange auf uns einwirken zu können, bis wir so wählen, wie sie es sich vorstellen.
So weit, so schlecht. 2024 war aber in einer Hinsicht anders: Nur wenige Jahre nachdem Bernie Sanders mit seiner Kampagne gegen Milliardäre fast die Nominierung der Demokratischen Partei gewonnen hätte, haben die Superreichen ihre Vorgehensweise geändert. Sie spendeten in diesem Jahr nicht mehr ausschließlich still und heimlich, sondern warfen öffentlichkeitswirksam beispiellose Geldbeträge in den Ring. Einige traten bewusst ins Rampenlicht und stellten sich mit ihrer Finanzkraft im Rücken als eine Art »Superwähler« der jeweiligen Partei dar. Von Republikanern und Demokraten wurden sie dafür bejubelt.
Insgesamt soll bei den Wahlen die Rekordsumme von 16 Milliarden US-Dollar ausgegeben worden sein, ein Großteil davon anonyme Spenden von Geldgebern, die den Diskurs lieber aus dem Hintergrund heraus beeinflussen. Das ist freilich nur das Geld, das überhaupt nachverfolgbar ist. Eine Milliarde Dollar wurden von sogenannten outside groups (also Gruppen außerhalb der Parteien) ausgegeben, was einer Verzehnfachung gegenüber 2020 entspricht. Etwa eine Viertelmilliarde Dollar der bekannten Spenden für die Wahl stammten direkt von Unternehmen – und die Hälfte davon wiederum aus der Kryptoindustrie, die weniger behördliche Kontrolle wünscht.
Auf Seiten der Republikaner kam ein Drittel der Spendengelder von Milliardären. Donald Trump bat offen um finanzielle Unterstützung und versprach im Gegenzug Gefälligkeiten in Form neuer Gesetze. Solch öffentlicher Kuhhandel ist auch möglich, weil Trumps Leute beim Obersten Gerichtshof mit Urteilen dafür sorgten, dass er vor Strafverfolgung geschützt ist und Bestechung faktisch legalisiert wurde.
Eine besondere Rolle spielte der reichste Mann der Welt, Elon Musk. Er finanzierte nicht nur eine Super-PAC, die Trump unterstützte, und zahlte zufälligen Wählern eine Million Dollar, sondern machte sich selbst zu einer Art Maskottchen der Republikaner. Nun könnte er auf einen Posten als »Schattenpräsident«spekulieren. Von dieser Position aus könnte Musk sein Firmenimperium mit weiteren Regierungsaufträgen bereichern; Beamte, die seine Unternehmen zu genau kontrollieren, feuern lassen; und sich selbst möglicherweise das größte persönliche Steuergeschenk in der amerikanischen Geschichte verschaffen. Musk stellt sich gerne als Verteidiger der Redefreiheit dar – während seine Social-Media-Plattform so umfunktioniert wurde, dass von ihm persönlich unterstützte politische Ansichten bevorzugt und alle anderen übertönt werden.
»Unternehmen und Milliardäre stehen im Zentrum des Demokratieproblems – nicht nur, weil sie Wahlen mit Spenden beeinflussen, sondern auch, weil sie die Maschinerie besitzen, die die gesamte politische Debatte bestimmt.«
Auf Seiten der Demokraten akzeptierten die Spender zunächst, dass Kamala Harris ohne Gegenkandidat zur Präsidentschaftskandidatin ihrer Partei gekürt wurde. Dann floss eine Milliarde Dollar an Wahlkampfgeldern in die Kassen der Demokraten, und Hunderte Millionen mehr in undurchsichtige Super-PACs von Milliardären, deren Technologie- und Wall-Street-Firmen die behördlichen Kotrollen scheuen wie der Teufel das Weihwasser. Harris war letztendlich die erste Präsidentschaftskandidatin in der Geschichte, deren größte finanzielle Unterstützung die Form von anonymen Spenden annahm.
Auf dem mit Firmenlogos zugekleisterten Parteitag der Demokraten wurde das potenzielle neue Regierungsteam dem nationalen Fernsehpublikum vorgestellt. Zur Hauptsendezeit hielt ein Ex-CEO aus der Kreditkartenbranche eine Rede, in der er betonte: »Kamala Harris versteht, dass die Regierung mit der Geschäftswelt zusammenarbeiten muss«. Ein leitender Uber-Manager erklärte: »Ich weiß, dass sie für euch kämpfen wird«. Und der steinreiche Gouverneur von Illinois, J. B. Pritzker, prahlte damit, ein Milliardenvermögen in Form von Hyatt-Hotels geerbt zu haben. Das Publikum vor Ort war offenbar überglücklich, ein neues Milliardärsidol gefunden zu haben. Zumindest gab es tosenden Applaus für Pritzkers Protzerei.
In den letzten Wochen des Wahlkampfs setzte Harris den Milliardär Mark Cuban als Gesicht ihrer Wahlkampagne im Fernsehen ein. Er ist einer der milliardenschweren Spender, die fordern, dass Harris die wohl konsequenteste Antikorruptionsbeamtin und Vorsitzende der Federal Trade Commission, Lina Khan, aus ihrem Amt entlässt. Harris versprach gehorsam, sie werde Großunternehmen gegenüber freundlicherauftreten als der amtierende Joe Biden.
Zwar haben die besagten Gerichtsurteile dafür gesorgt, dass Korruption und Bestechlichkeit praktisch legal sind, doch diese dreiste Art der Bestechung bei der Wahl hätte zumindest ein zentrales Gesprächsthema sein können. Das gilt insbesondere, wenn man bedenkt, wie offen und frei heraus dies alles geschah – und wenn man sich Umfragen ansieht, die belegen, wie wütend die Amerikanerinnen und Amerikaner auf die raffgierige Politik sind.
Doch nicht einmal eine solche Debatte gab es! Seit der vorherigen Präsidentschaftswahl besteht bei allzu unverblümten Äußerungen über Korruption offensichtlich die Gefahr von Repressalien: Im Zuge der Vorwahl der Demokraten 2020 veröffentlichte beispielsweise die Antikorruptionsaktivistin (und Unterstützerin von Bernie Sanders) Zephyr Teachout einen Zeitungsbeitrag, in dem sie Joe Bidens freimütiges Werben und Einsammeln von Spenden als »Korruptionsproblem« bezeichnete. Als Reaktion darauf stellten die Medien sie als Geächtete dar. Letztendlich ruinierte Sanders seine eigene Kampagne auch dadurch, dass er sich von Teachout abwandte und bald Biden seine Unterstützung zusagte.
Im Jahr 2022 kritisierte der demokratische Gouverneurskandidat Beto O’Rourke den republikanischen Gouverneur Greg Abbott dafür, dass dieser Geld von einem Milliardär aus der Ölindustrie angenommen habe, dessen Unternehmen von einem Stromausfall in Texas profitiert hatte. O’Rourke wurde von ebenjenem Milliardär vor Gericht gezerrt und verklagt.
Ein weiteres Beispiel: Erst vor wenigen Monaten, nachdem Krypto-Milliardäre die Senatskandidatur der demokratischen Abgeordneten Katie Porter ruiniert hatten, gab es Reaktionen, die sich allerdings nicht gegen diese mit Geld erkaufte Einflussnahme der Superreichen richteten, sondern gegen Porter selbst. Sie hatte »einen Ansturm von Milliardären, die Millionen ausgeben, um diese Wahl zu manipulieren« kritisiert. Porter stellte umgehend klar, dass sie die Wahlergebnisse nicht anzweifele; und obwohl es eine unbestreitbare Tatsache ist, dass die Ausgaben von Milliardären den Wahlprozess zugunsten von Pro-Milliardärs-Kandidaten beeinflussen, wurde sie umgehend als Verrückte abgestempelt, die ähnlich wie Trump Wahlbetrug-Lügen verbreite. »Kein Demokrat sollte sich einer solchen Wortwahl bedienen«, meinte beispielsweise Porters Rivale Adam Schiff. Es ist, als ob Aussagen zensiert werden sollen, bei denen eine Politik nach dem Gusto von Big Money mit der sich verschärfenden Demokratiekrise in Verbindung gebracht werden.
Nachdem der Diskurs auf diese Weise erfolgreich »bereinigt« worden war, konnte auf beiden Seiten die Korruption weiter abgefeiert werden. Von einer aufrichtigen Kritik, die einst John McCain und Bernie Sanders zu bekannten Personen gemacht hatte, war kaum noch etwas zu hören. Stattdessen gab es einen Zermürbungskrieg, bei dem Feuer mit Feuer bekämpft wurde: je mehr Geld in den jeweiligen Wahlkampf floss, desto mehr jubelte jede Seite, dass dieses Geld für das gewünschte Wahlergebnis sorgen würde.
»Ja, dieses Ergebnis ist ein Wendepunkt in der Geschichte der USA. Wenn darüber hinaus aber normalisiert wird, dass Politik nur mit Big Money im Rücken gemacht werden kann, gibt es schlichtweg kein Zurück mehr.«
Gegen Ende des Wahlkampfs gab es nochmals eine flüchtige Chance für einen ernsthaften Weckruf. So intervenierten die milliardenschweren Eigentümer der Los Angeles Times und der Washington Post, damit ihre Redaktionen nicht die eigentlich geplanten Wahlempfehlungen abdrucken. Darüber hinaus erschien ein Film, der Trumps gelinde gesagt problematische Vergangenheit beleuchtet, und dessen Veröffentlichung bis wenige Tage vor der Wahl verhindert werden konnte.
Mit diesen Ereignissen wurde das Implizite explizit. Sie zeigten auf, dass Unternehmen und Milliardäre im Zentrum des Demokratieproblems stehen – nicht nur, weil sie Wahlen mit Spenden beeinflussen, sondern auch, weil sie die Maschinerie besitzen, die die gesamte politische Debatte bestimmt. Die Kontroversen hätten eine Chance sein können, endlich einzuräumen, dass dieses bestehende Mediensystem ein Demokratieproblem darstellt, und unabhängige, nicht von Milliardären geführte Medienunternehmen stärker zu fördern. Stattdessen warb die Medienelite dafür, einfach neue, nettere Milliardäre zu finden, um so die im Verfall befindliche Vierte Gewalt im Staat zu stützen.
Es geht noch schlimmer: Mit dem Hashtag #WhyISubscribe versuchte die New York Times, ihre Leserschaft dazu zu drängen, den Milliardären weiterhin ihr Abonnementgeld in den Rachen zu werfen. Bei der Wahlnachtgala der Washington Post, zu der nur geladene Gäste Zutritt hatten und die von Krypto-Lobbyisten gesponsert wurde, wurde mit Sicherheit viel herumgekumpelt. Bei derartigen Events muss man sich wirklich fragen, ob das Motto der Zeitung »Democracy dies in darkness« eigentlich als Warnung oder doch eher als Ziel zu verstehen ist.
Einige Medienfachleute bezeichneten die Entscheidungen der Zeitungen, keine Wahlempfehlung auszusprechen, als »vorauseilenden Gehorsam« angesichts eines möglichen Trump-Siegs. Da dürfte sicherlich etwas dran sein. Doch ein solcher vorauseilender Gehorsam lässt sich weit über die Meinungsseiten der Zeitungen hinaus beobachten. Er zeigt sich im Beschweigen der legalisierten Korruption an allen Ecken und Enden des gesamten politischen Systems.
Man schaue sich die gegenwärtigen USA nur einmal an. Heute hat die Hälfte der Amerikanerinnen und Amerikaner im erwerbsfähigen Alter Schwierigkeiten, sich eine Gesundheitsversorgung zu leisten, und fast ein Drittel hat Schulden wegen medizinischer Eingriffe. Fast die Hälfte der Menschen mittleren Alters hat keinerlei Altersvorsorge. Mehr als ein Drittel der US-Bevölkerung wohnt in Gegenden mit gefährlicher Luftverschmutzung. Zehn Millionen Kinder leben unterhalb der Armutsgrenze. Die Lebenserwartung in den Vereinigten Staaten ist niedriger als in zahlreichen anderen Industrieländern. Die Treibhausgasemissionen haben ihren höchsten Stand in der Geschichte erreicht, unsere Ökosysteme zeigen die ersten Anzeichen eines katastrophalen Kollapses.
Doch keine dieser Krisen waren ein bedeutendes Thema bei den Wahlen. Wie es in einer Schlagzeile der New York Times ausgedrückt wurde: »Das Wahlkampfthema, über das keiner spricht: Gesundheitsversorgung.«
Warum herrscht hier so viel Schweigen? Weil jeder Politiker, der für ein nationales Amt kandidiert, weiß, dass er den Zorn der Milliardäre und Konzerne auf sich zieht, die ihm Spenden entziehen und gegen ihn einsetzen können (und werden!), wenn derartige Themen in den Mittelpunkt des Wahlkampfs gestellt werden. Die daraus resultierende Zurückhaltung, das Nicht-Ansprechen gewisser Probleme ist der tatsächliche vorauseilende Gehorsam und die tatsächliche Demokratiekrise.
Freilich hörte man von diesem massiven Problem nichts, als beim Parteitag der Demokraten »ein echter Milliardär« beklatscht wurde, Elon Musk sich auf Republikaner-Veranstaltungen feiern ließ oder die endlosen, von Super-PACs finanzierten Werbeclips aus unseren Fernsehern, Radios, Computern und Smartphones plärrten.
Keine Frage: Es gibt Unterschiede zwischen den beiden großen Parteien, und es ist nicht egal, wer die Wahl gewonnen hat. Zwar hat sich Harris nicht allzu konkret zu ihrer möglichen Politik geäußert, aber man kann davon ausgehen, dass ihre Regierung die reproduktiven Rechte verteidigt, einige der Einschränkungen des Affordable Care Act gegen Übergriffe der Versicherungsbranche beibehalten und die Existenz der Klimakrise anerkannt hätte. Eine neue Trump-Regierung wird mit ziemlicher Sicherheit das Gegenteil tun: Spender aus dem Kryptosektor werden die gewünschte Deregulierung bekommen, Spender aus der Ölbranche werden ihre Klima-Deregulierung bekommen, Wall-Street-Spender werden ihre Finanz-Deregulierung bekommen – und viele der Initiativen aus dem radikalen Project 2025, die Trumps frühere Mitarbeiter zusammengestellt haben, werden umgesetzt werden.
Wenn diese Staffel von Billionaire: Endgame, die wir gerade hinter uns gebracht haben, das ist, was wir ›Demokratie‹ und den Kampf um ihre ›Rettung‹ nennen – was retten wir dann eigentlich?
Deswegen: Ja, dieses Ergebnis ist ein Wendepunkt in der Geschichte der USA. Wenn darüber hinaus aber normalisiert wird, dass Politik nur mit Big Money im Rücken gemacht werden kann, gibt es schlichtweg kein Zurück mehr. Die Demokraten werden bestenfalls versprechen, dass es unter ihren Regierungen »keine weiteren Rückschritte« geben wird; und die Republikaner werden noch weiter nach rechts drängen beziehungsweise gedrängt werden.
Vielleicht wäre das sogar zu verkraften in einer Gesellschaft, die bereits die benötigte Infrastruktur aufgebaut hat, um alle menschlichen Grundbedürfnisse zu erfüllen. Aber dies ist Amerika im Jahr 2024 – ein Ort, an dem die Krisen in der Gesundheitsversorgung, beim Wohnen, bei der Rente und beim Klima dramatische Ausmaße annehmen und ein breites Spektrum an politischen Lösungen erforderlich wäre. Derartige Ansätze gab es hierzulande mal; zu Zeiten des New Deal. Sie könnten wieder möglich sein, wenn Urteile wie Citizens United aufgehoben, anonyme Spenden offengelegt und Wahlen aus öffentlichen Mitteln finanziert werden, damit Personen für ein Amt kandidieren können, ohne dass sie legale Bestechungsgelder von Unternehmen und Milliardären annehmen müssen, die als Gegenleistung eine entsprechende Politik nach ihren Wünschen erwarten.
Wenn solche Reformen ausbleiben – und wenn es keinen Wunsch in der Wählerschaft gibt, diese systemische Korruption zu beenden – dann wird die Einflussnahme der Reichen per Brieftasche noch aggressiver werden.
Der Vorsitzende der Federalist Society, Leonard Leo, dessen Organisation die größte anonyme Spende in der Geschichte der USA erhalten hat, droht bereits damit, dieses Geld für die »Unterwanderung der Presse und der Unterhaltungsindustrie« sowie für die Rekrutierung von Personen in seine Bewegung zu verwenden, »die am besten in der Lage sind, in die kritischen Bereiche der Gesellschaft einzudringen und sie zu kontrollieren«. Derweil verspricht Musk, sein Super-PAC zur Unterstützung von Trump bei künftigen Wahlen erneut einzusetzen, auch auf niedrigeren Ebenen.
Unmittelbar nach Trumps Sieg dreht sich ein Großteil des Medienrummels um eine Frage: Ist die amerikanische Demokratie noch zu retten?
Ich würde eine andere Frage stellen: Wenn diese Staffel von Billionaire: Endgame, die wir gerade hinter uns gebracht haben, das ist, was wir »Demokratie« und den Kampf um ihre »Rettung« nennen – was retten wir dann eigentlich? Und für wen?