21. September 2025
Der Ausgang der Verfassungsrichter-Wahl im Bundestag steht bereits fest – jetzt geht es nur noch um die öffentliche Wahrnehmung. Die Linkspartei sollte sich dem politischen Zentrum dabei nicht für Symbolpolitik unterordnen.
Abgeordnete der Linken und der SPD heben die Hände bei einer Abstimmung im Bundestag, 25. März 2025.
Am 25. September 2025 soll der Bundestag über die Neubesetzung von drei Richterstellen am Bundesverfassungsgericht entscheiden. Das höchste Gericht Deutschlands wird jeweils zur Hälfte durch den Bundestag und den Bundesrat gewählt. Notwendig für die Wahl einer Richterin oder eines Richters ist eine Zweidrittelmehrheit. In diesem Jahr steht die Neubesetzung von ganzen drei Posten am Verfassungsgericht an. Der erste Anlauf einer Wahl am 11. Juli war gescheitert, nachdem Teile der Union die Juristin Frauke Brosius-Gersdorf nach einer Desinformationskampagne des rechten »Medienportals« Nius nicht mehr unterstützen.
Der Vorgang war eine Blamage für Bundeskanzler Merz, der als ein Kanzler erschien, der nicht einmal seine eigene Fraktion im Griff hat. Brosius-Gersdorf, die von der SPD vorgeschlagen wurde, zog ihre Kandidatur zurück. Für die Wahl am 25. September schlagen die Regierungsparteien Günter Spinner, den Vorschlag der Unionsfraktionen, sowie Ann-Katrin Kaufhold und Sigrid Emmenegger, die von der SPD neu nominiert wurden, vor.
Das politische Zentrum aus SPD, CDU/CSU, Grünen und FDP, das bisher unter Ausschluss von sowohl der Linken wie der AfD die Richterwahl unter sich ausgemacht hat, verfügt jedoch seit der letzten Bundestagswahl nicht mehr über die notwendige Zweidrittelmehrheit und ist deswegen auf mindestens sieben Stimmen aus den Reihen der Linken oder der AfD angewiesen. Die bisherige informelle Konsensregel lautete, dass CDU und SPD für jeden der zwei achtköpfigen Senate des Bundesverfassungsgerichtes jeweils drei Personen vorschlagen dürfen und Grüne sowie FDP jeweils eine Person.
Nachdem die FDP aus dem Bundestag geflogen, die SPD mit 16,3 Prozent bei der vergangenen Bundestagswahl weit von alter Stärke entfernt ist, diese voraussichtlich auch nicht so bald wieder erlangen wird und die Linke für eine Zweidrittel-Mehrheit gegen die AfD nun gebraucht wird, forderte Linke-Parteivorsitzende Jan van Aken zu Recht, dass seiner Partei das Vorschlagsrecht für eine Richterposition zustehen müsse. Die Fraktionsspitzen der Linken adressierte ein entsprechendes Schreiben an SPD, Grüne und Union, indem noch weitere Rechte für die nun wichtiger gewordene Linksfraktion gefordert wurden. Doch Union und SPD ignorierten die Linke – die Union mit Verweis auf ihre Unvereinbarkeitserklärung mit Linke und AfD.
»Tatsächlich wäre eine linkere Ausrichtung des Bundesverfassungsgerichtes für eine linke Reformpolitik, wie sie der größte Teil der Linken vertritt, entscheidend.«
Mit Günter Spinner hat die Union einen versierten Juristen nominiert, der als umgänglich gilt, Arbeitsrechtler ist und zudem einstimmig von amtierenden Richterinnen und Richtern des Bundesverfassungsgerichtes vorgeschlagen wurde. Das machtpolitische Kalkül der Union ist, dass die Linke einen solchen Kandidaten nicht ablehnen könne und sie um Gespräche mit der Partei herumkommen würde. Das Kalkül der Union ging auf. Für den 11. Juli verabredete die Linksfraktion, dass sie die drei Kandidatinnen der Großen Koalition wählen würde, um der AfD den symbolischen Sieg, die Richterwahl des Bundesverfassungsgerichtes beeinflussen zu können, nicht zu gönnen.
Doch zum zweiten, nun notwendig gewordenen Wahltermin ist eine Debatte in der Linksfraktion entbrannt. Ein Teil der Fraktion will gerade nach dem entwürdigenden Umgang von Teilen der Union mit Brosius-Gersdorf und ihrer allgemeinen Verweigerung, mit der Linken zu sprechen, Günter Spinner die Wahl verweigern. Die innenpolitische Sprecherin der Fraktion Clara Bünger betonte, dass die Zustimmung der Linken kein Automatismus sei.
Ein anderer Teil der Fraktion jedoch wirbt dafür, aus staatsbürgerlicher Verantwortung und nicht zuletzt zum Nachweis der eigenen Kooperation- und Regierungsfähigkeit dennoch für den Unionskandidaten zu stimmen. Die demokratischen Parteien, so die Erzählung, müssten gegen die AfD zusammenhalten. Bodo Ramelow hat in einem seiner typischen Alleingänge bereits in den Medien angekündigt, Spinner ohnehin wählen zu wollen. Der Entscheidungsprozess in der Fraktion ist noch nicht abgeschlossen, am kommenden Montag soll weiter diskutiert werden.
Wie immer sich die Linksfraktion in der Personalie Spinner entscheiden wird, real etwas ändern wird es nicht. Die AfD hat angekündigt, den Kandidaten der CDU wählen zu wollen. Mit dessen weitgehend unbekannten politischen Positionen oder seiner tadellosen Qualifikation hat die Scharade im Bundestag ohnehin nichts zu tun. Die Debatte rund um die Bundesverfassungsrichter sind im Wesentlichen, was der Ideenhistoriker Anton Jäger als »Hyperpolitik«beschreibt: Die Form und Inszenierung der Politik ist wichtiger als die inhaltliche Auseinandersetzung.
Das Ergebnis der Richterwahl steht faktisch bereits fest. Es geht nur noch darum, wie diese Wahl in der Öffentlichkeit wahrgenommen werden wird. Ob als symbolischer Sieg der CDU, die die Linke zwingt, ihren Kandidaten ohne Entgegenkommen zu wählen, oder ob die Stimmen der AfD erstmals entscheidend für die Wahl eines Verfassungsrichters waren – eines Richters, auf dessen Auswahl sie gleichzeitig keinerlei Einfluss hatte.
Die Linke kann hier eigentlich nichts mehr richtig machen und hat ohnehin verloren. Den letztlich rein symbolischen Sieg machen CDU und AfD nun unter sich aus. Und dennoch wird er in kurzer Zeit dem kollektiven Vergessen anheimfallen.
»Nichts außer manche Inhalte aus phrasenhaften Sonntagsreden über die Demokratie verbindet die Partei die Linke mit dieser Union.«
Einen Hebel, wirklich relevant etwas zu verändern, wäre allein die Drohung der Nichtwahl der Kandidatinnen der SPD, denen auch die AfD voraussichtlich die Stimmen verweigern wird. Wäre es der Linken mit Ihrem Anspruch auf Macht und Beteiligung ernst, dann müsste sie an dieser Stelle ansetzen. Nur so könnte sie Gespräche mit der Regierung, die Ihre von der SPD vorgeschlagenen Kandidatinnen dann nur mit der Linken durchsetzen könnte, erzwingen. Dann hätte auch die Union und Bundeskanzler Merz mit der Linken reden müssen, um einem weiteren Gesichtsverlust der Regierungskoalition vorzubeugen. Denn ein zweifaches Scheitern der Wahl wäre auch eine weitere Blamage der Regierung von SPD und Union gewesen.
Die Linke hätte die Chance haben können, Verhandlungen zu erzwingen und zu erreichen, dass sie bei Nominierungen von Richterinnen zukünftig mitsprechen können. Tatsächlich wäre eine linkere Ausrichtung des Bundesverfassungsgerichtes für eine linke Reformpolitik, wie sie der größte Teil der Linken vertritt, entscheidend. Zuletzt hat das Scheitern des Berliner Mietendeckels vor dem Bundesverfassungsgericht gezeigt, wie das höchste Gericht der Bundesrepublik Deutschland progressiver Reformpolitik praktisch im Wege stehen kann. Dabei ging es in Berlin nur um einen regulatorischen und im Grund klassisch sozialdemokratischen Eingriff in den Markt.
Für den Anspruch der Linken, »ein anderes Wirtschafts- und Gesellschaftssystem: den demokratischen Sozialismus« aufzubauen, wie es im Erfurter Programm der Partei von 2011 heiß, gibt es noch größere Hürden. Bei der erstmaligen Anwendung des Artikels 15 zur Vergesellschaftung, wie es beispielsweise das Ziel der Kampagne Deutsche Wohnen & Co. enteignen in Berlin ist, wird sich letztlich in letzter Instanz vor dem Verfassungsgericht entscheiden, ob und wie das Gesetz zur Anwendung kommen kann. Auch die Justiz ist ein Kampffeld – und Einfluss auf die Besetzung des Bundesverfassungsgerichtes zu haben, wäre daher im Sinne einer sozialistisch orientierten Partei tatsächlich wichtig. Doch die Wahl der SPD-Kandidatinnen auch ohne Gegenleistung ist in der Linksfraktion weitestgehend unumstritten.
Nicht wenige in der Linksfraktion trauen sich nicht zu, die notwendige Machtfrage tatsächlich zu stellen, weil sie sich als Teil einer vermeintlichen Brandmauer gegen die AfD sehen, die aber schon längst gefallen ist. Die Beispiele und Belege dafür könnte man endlos aufzählen.
Das Ausscheren von Teilen der CDU, die Nius auf den Leim gingen, steht exemplarisch für die Rechtsruck der Unionsparteien, die sich der AfD immer weiter annähern. Merz Regierung militarisiert die Gesellschaft, unterstützt weiterhin Israel bei seinem Krieg gegen die Zivilbevölkerung in Gaza und führt Klassenkampf von oben gegen Arme und Migrantinnen. Insbesondere die CDU bereitet faktisch schon jetzt den Boden für einen bruchlosen Übergang zu einer AfD-Regierung, beispielhaft zuletzt durch die Infragestellung des Demokratie-Leben-Programms, in dem Projekte gegen die radikale Rechte und für Demokratie gefördert werden. Gleichzeitig beweist der vorauseilende Gehorsam von Teilen der Linken gegenüber der Union dieser nur, dass sie sich mit der Linken nicht auseinandersetzen muss, weil ihr staatstragende Teil ohnehin springt, wenn sie ein weiteres Mal ihre Harmlosigkeit für die herrschenden Verhältnisse und Kooperativität beweisen darf.
Nichts außer manche Inhalte aus phrasenhaften Sonntagsreden über die Demokratie verbindet die Partei die Linke mit dieser Union. Dabei verdecken diese Sonntagsreden über das Zusammenstehen der demokratischen Parteien gegen die AfD, dass das politische Zentrum insgesamt, von der SPD über die Grünen und die FDP zu den Unionsparteien, durch die AfD nach rechts getrieben wurde. Die AfD-Strategen können zufrieden sein mit ihrer Arbeit. Dann ist es am Ende auch egal, ob sie die entscheidenden Stimmen für einen Richter am Verfassungsgericht gebracht haben oder nicht. Der nächste Fall der Brandmauer kommt ohnehin.
Fabian Nehring ist Politikwissenschaftler und aktives Mitglied bei der Linken in Berlin.