15. Januar 2025
Das Auswärtige Amt hat angekündigt, der israelischen Menschenrechtsorganisation Zochrot die Mittel zu streichen. Wir sprachen mit Rachel Beitarie von Zochrot darüber, wie der Finanzierungsstopp und Deutschlands bedingungslose Unterstützung der israelischen Regierung ihre Arbeit zunehmend erschwert.
Rachel Beitarie, Direktorin von Zochrot, in Tel Aviv.
Zu Beginn des neuen Jahres wurde bekannt, dass das deutsche Auswärtige Amt beschlossen hat, die Finanzierung von zwei linken israelischen NGOs einzustellen, Zochrot und New Profile. Zochrot fördert vor allem die Erinnerung an die Nakba – die Vertreibung Hunderttausender palästinensischer Araberinnen und Araber während der Gründung Israels – in der israelischen Gesellschaft, während New Profile israelische Kriegsdienstverweigerinnen und Kriegsdienstverweigerer unterstützt.
Obwohl keine spezifischen Gründe für die Kürzung der Mittel genannt wurden, erklärte ein Vertreter des Auswärtigen Amts, dass »außenpolitische Überlegungen« hinter der Entscheidung stünden. Kritikerinnen und Kritiker vermuten, dass die Bundestagsresolution »Nie wieder ist jetzt« vom vergangenen November ausschlaggebend gewesen sein könnte, da sie die meisten Formen der Kritik an der israelischen Politik mit Antisemitismus gleichsetzt. Diese Resolution diente als Vorwand für verstärkte Überwachung und Druck auf Organisationen, die die israelische Besatzung im Westjordanland kritisieren – ganz zu schweigen von der anhaltenden Zerstörung Gazas. Aber was bedeuten die Kürzungen für die progressive Zivilgesellschaft in Israel selbst, die schon vor dem Krieg in Gaza ständigen Angriffen ausgesetzt war?
Zochrot – was auf Hebräisch »erinnern« bedeutet – versucht, die Wurzeln des israelisch-palästinensischen Konflikts anzusprechen und eine gemeinsame, gleichberechtigte Zukunft zu entwerfen, indem die NGO vorherrschende Erzählungen infrage stellt und sich für einen Dialog über die Geschichte der Region einsetzt. Nach dem Verlust der deutschen Fördermittel steht die Organisation jetzt unter erheblichem finanziellem Druck. Im Interview mit JACOBIN spricht Rachel Beitarie, Direktorin von Zochrot, über die Widerstände gegen ihre Arbeit und erklärt, warum sie glaubt, dass es für ein gerechtes Ende von Krieg und Besatzung eine Auseinandersetzung mit der Nakba braucht.
Zochrot spielt eine zentrale Rolle bei der Bewahrung und Förderung der Erinnerung an die Nakba innerhalb der israelischen Gesellschaft, in der dieses Thema oft marginalisiert wird. Was motiviert euch und mit welchen Herausforderungen werdet Ihr konfrontiert?
Wir wollen die Wahrheit erzählen und uns mit den dunkleren Kapiteln unserer eigenen Geschichte auseinandersetzen. Die Nakba ist palästinensische Geschichte, aber sie ist auch israelische Geschichte – etwas, dem man nicht wirklich entkommen kann und das man nicht ignorieren sollte.
Wir sind seit 23 Jahren eine aktive Organisation. Die Gründerinnen und Gründer waren größtenteils Israelis, die sich den Menschenrechten und dem Frieden verschrieben hatten. Sie waren sehr engagierte Friedensaktivisten und in Friedens- und Dialoginitiativen aktiv, die in den 1990er und frühen 2000er Jahren, nach dem Oslo-Abkommen, recht populär waren. Doch sie sahen, dass dieses Abkommen scheiterte.
Allmählich, und vor allem durch das Lernen von unseren palästinensischen Freunden und Kolleginnen, erkannten sie, dass Bemühungen – sei es auf staatlicher Ebene oder auf persönlicher Ebene – um Dialog und Frieden fast immer an eine Wand stoßen. Das passiert, weil beide Seiten nicht einmal über dasselbe sprechen und nicht ehrlich sind – besonders die israelische Seite, die nicht ehrlich über ihre Bereitschaft war, die Wurzeln des Problems zu erkunden, nämlich die Nakba: die Vertreibung eines Großteils des palästinensischen Volkes im Jahr 1948 aus dem Gebiet, das zum Staat Israel wurde.
»Selbst unter säkularen Israelis ist die Idee, in das Land unserer Vorfahren zurückzukehren, tief verankert. Sie ist verbunden mit dem Glauben, dass dies ein Land ohne Volk für ein Volk ohne Land war.«
In Friedenskreisen sprachen wir oft über die Besatzung von 1967 und das Militärregime über die palästinensischen Gebiete, die natürlich erhebliche Probleme darstellen. Sie sind jedoch eine Fortsetzung der großen Vertreibung von 1948 und der Enteignung der Palästinenserinnen und Palästinenser, die seitdem anhält. Solange wir die Wurzel des Problems nicht ansprechen, können wir nicht wirklich vorankommen oder nach Lösungen suchen. Und solange wir die Existenz von Millionen palästinensischen Geflüchteten nicht anerkennen – von denen die meisten bis heute staatenlos sind –, können wir die aktuelle Situation nicht lösen. Wir können sie nicht nur nicht lösen, vielmehr setzt sich die Unterdrückung und Enteignung der Palästinenserinnen und Palästinenser weiter fort.
Wir und Palästinenserinnen und Palästinenser bezeichnen das als »andauernde Nakba«. Wir haben leider in den letzten fünfzehn Monaten miterlebt, wie sie ihren tragischen Höhepunkt erreicht hat. Die Unfähigkeit oder der Unwille, die Vergangenheit, die Gegenwart, die Gründungsmythen dieses Landes sowie die Fortsetzung dieser Gewalt kritisch zu hinterfragen, hat sehr tragischerweise zunächst zum Angriff der Hamas am 7. Oktober geführt, und dann zu allem, was darauf folgte. Dazu gehören die Angriffe auf Gaza, das Töten von Zehntausenden Palästinenserinnen und Palästinensern, Hungersnot, Folter, Enteignung und Millionen neue Geflüchtete.
Was meinst Du, wenn Du sagst, dass Israelis und Palästinenser nicht über dasselbe sprechen?
Für die meisten, die wir dem israelischen Friedenslager zurechnen würden, wurde die Wurzel des Problems bis vor nicht allzu langer Zeit in der Besatzung von 1967 gesehen – als Israel das Westjordanland, den Gazastreifen, Ostjerusalem und die Golanhöhen besetzte. Die Golanhöhen sind eine etwas andere Geschichte, aber auch sie sind damit verbunden.
Seitdem dominiert die Logik der Zwei-Staaten-Lösung, die auf Trennung basiert. Viele auf der israelischen Linken haben sich zwar gegen Siedlungen im Westjordanland ausgesprochen – und das zu Recht –, aber sie erkennen oft nicht die historische Verbindung. Die Praktiken der Siedlungen im Westjordanland – Landenteignung, Verhaftungen und Inhaftierungen, Enteignung der Palästinenserinnen und Palästinenser von ihrem Land, das Verhindern ihres Zugangs zu diesem Land und die Trennung von Familien – gab es bereits vor 1967. Tatsächlich begann die Landnahme sogar schon vor 1948, in den frühen Tagen der zionistischen Bewegung. Es ist eine Fortsetzung des gleichen Vorgehens und der gleichen Logik: nach und nach so viel wie möglich von Palästina zu übernehmen, Palästinenserinnen und Palästinenser zu vertreiben, wenn es möglich ist, und wenn es politisch nicht möglich ist, sie in immer kleinere Gebiete zu drängen.
Welche Herangehensweisen verfolgt Zochrot, um Israelis mit der Geschichte der Nakba vertraut zu machen? Wie reagiert die israelische Öffentlichkeit auf Eure Bildungsprogramme und Veranstaltungen?
Es ist schwierig, weil es ein so tabuisiertes Thema ist. Israelis wollen, denke ich, oft glauben, dass sie zu Recht hier leben, dass unsere Vorfahren – unsere Großeltern oder unsere Eltern – dieses Land als ehrliche und gute Menschen aufgebaut haben. Und vielleicht waren sie das in mancher Hinsicht. Die Konfrontation mit der Nakba ist schwer, weil sie den Gründungsmythos des Staates Israel infrage stellt. Wir wachsen mit der Vorstellung auf, dass Menschen in das Land ihrer Ahnen gekommen sind. Selbst unter säkularen Israelis, die nicht an ein göttliches Versprechen glauben, ist die Idee, in das Land unserer Vorfahren zurückzukehren, tief verankert. Sie ist verbunden mit dem Glauben, dass dies ein Land ohne Volk für ein Volk ohne Land war.
Diese Idee ist im Wesentlichen der Gründungsmythos dieses Landes. Es ist die Geschichte, die uns von dem Tag an erzählt wird, an dem wir als Israelis geboren werden. Es ist eine sehr kraftvolle und überzeugende Erzählung, und es ist nicht einfach, sich mit der Tatsache auseinanderzusetzen, dass sie letztlich nur eine Geschichte ist. Ich denke, es ist ein ziemlich schwieriger Prozess, weil sie einen dazu zwingt, die Grundlagen der eigenen Erziehung, der eigenen familiären Verbindungen und der Art und Weise, wie man aufgewachsen ist, zu hinterfragen.
»Es ist bezeichnend, dass die deutsche Regierung behauptet, Frieden, Verständnis und eine feministische Außenpolitik zu fördern. Doch wenn es um Palästina und Israel geht, kürzt sie genau den Organisationen die Mittel, die sich für Gerechtigkeit einsetzen.«
Natürlich fallen die Reaktionen manchmal feindselig aus, und in einigen Fällen bleibt das auch so, aber in anderen sieht man, wie Menschen anfangen, ins Denken zu kommen. Im Laufe der Jahre hat sich Zochrot mit Tausenden Israelis auseinandergesetzt, und man kann sehen, wie viele von ihnen sich politisch verändert haben, ihre Augen für die Fakten der Nakba und der palästinensischen Enteignung geöffnet haben und ihre Ansichten wirklich geändert haben. Bei mir selbst war das auch so. Ich bin als Zionistin aufgewachsen, und lange bevor ich Mitarbeiterin bei Zochrot wurde, spielte die Organisation eine zentrale Rolle dabei, mir die Augen für die Realitäten dieses Ortes zu öffnen, den ich Heimat nenne, und für die Art und Weise, wie ich aufgewachsen bin.
Du hast erwähnt, dass manche Reaktionen feindselig sind. Was genau meinst Du damit?
Manchmal sind wir verbalen Anfeindungen ausgesetzt. Viele unserer Aktivitäten finden in öffentlichen Räumen statt, in denen wir Führungen anbieten. In der Vergangenheit fanden viele dieser Führungen an öffentlichen Plätzen statt, und manchmal gesellten sich Leute dazu und begannen leidenschaftlich zu streiten, warfen uns vor, Lügen oder Unwahrheit zu verbreiten. Manche Leute waren sehr verärgert über das, was sie hörten. Mitunter gab es verbale Eskalationen und gelegentlich auch Versuche, Schilder abzureißen oder unsere Aktivitäten anderweitig zu stören. Es gibt auch viele Anfeindungen in den Medien und sozialen Netzwerken. Aber ehrlich gesagt, ist das nichts im Vergleich zu dem, was Palästinenserinnen und Palästinenser hier erleben. Natürlich müssen wir weiterhin die Wahrheit sagen, auch wenn es einige Menschen provoziert.
Deutschland hat kürzlich beschlossen, die Finanzierung von Zochrot einzustellen. Wie hat die Organisation auf diese Entscheidung reagiert, und welche Auswirkungen hat sie auf Eure Arbeit, insbesondere im Hinblick auf Eure Bildungsprogramme, Öffentlichkeitsarbeit und Bemühungen, die Erinnerung an die Nakba in Israel zu fördern?
Die Auswirkungen sind erheblich, und wir versuchen immer noch herauszufinden, wie wir damit umgehen können, da es sich um einen erheblichen Einschnitt in unsere Finanzierung handelt. Die Mittel machten etwa ein Viertel unseres jährlichen Budgets aus. Wir werden andere Einnahmequellen finden müssen. Diese Auswirkungen werden einige Umstrukturierungen erfordern, aber sie werden uns nicht davon abhalten, unsere Arbeit fortzusetzen. Wir werden weiterhin aufklären und den Menschen die Augen öffnen, denn das ist unsere Mission und unsere Verpflichtung.
Wir haben darauf mit einer Stellungnahme reagiert. Darin gehen wir auf die Entscheidung der deutschen Regierung ein, die finanzielle und personelle Unterstützung für Zochrot einzustellen, und üben Kritik an dieser Entscheidung. Die Stellungnahme hebt das Recht auf Rückkehr als eine Frage des Völkerrechts hervor und kritisiert die Unterdrückung palästinensischer Stimmen durch die deutsche Regierung.
Gab es direkte Gespräche oder Erklärungen vonseiten der deutschen Behörden bezüglich dieses Einstellens der Finanzierung?
Nein, es gab keine direkten Erklärungen, und die Entscheidung zur Einstellung der Finanzierung wurde auch nicht ausführlich erläutert. Wir wurden von Kurve Wustrow, unserer deutschen Partnerorganisation, darüber informiert, dass diese finanzielle und personelle Unterstützung aufgrund einer Regierungsentscheidung beendet wird. Im Jahr 2024 gab es Gespräche, in denen wir gebeten wurden, mehr Details über unsere Aktivitäten, unsere Arbeit und unsere Haltung zur Unterstützung eines jüdischen und demokratischen Staates bereitzustellen. Es wurde jedoch nie ein klarer Grund für die Entscheidung zur Einstellung der Finanzierung genannt. Uns wurde keine Begründung gegeben, weshalb wir nur spekulieren können.
Vermutest Du einen Zusammenhang zwischen der Einstellung der Finanzierung und Deutschlands politischer Haltung zu Israel und Palästina?
Ich glaube, hier gibt es eine klare Verbindung. Natürlich hat die deutsche Regierung das Recht, Organisationen nach eigenem Ermessen zu finanzieren oder nicht zu finanzieren. Diese Entscheidung steht für mich in engem Zusammenhang zu Deutschlands bedingungsloser Unterstützung für den Staat Israel, insbesondere in Anbetracht der fortgesetzten Verbrechen in Gaza. Während die israelische Regierung immer extremer wird und der israelische Diskurs sich weiter nach rechts verschiebt, stellt Deutschland weiterhin seine militärische Unterstützung und seinen diplomatischen Schutz bereit.
Die Einstellung der Unterstützung für Organisationen, die einen demokratischen Diskurs innerhalb der israelischen Gesellschaft fördern, steht im Einklang mit dem mangelnden Interesse der israelischen Regierung an dieser Art von Wandel. Noch einmal: Wir haben kein inhärentes Recht auf deutsche Finanzierung, aber es ist bezeichnend, dass die deutsche Regierung behauptet, Frieden, Verständnis und sogar eine feministische Außenpolitik zu fördern. Doch wenn es um Palästina und Israel geht, kürzt sie genau den Organisationen die Mittel, die sich für Gerechtigkeit einsetzen, ehrliche Diskussionen fördern und den militaristischen und beinahe faschistischen Diskurs und die Handlungen der israelischen Regierung infrage stellen.
Die Kürzung von Mitteln für uns und für New Profile, die sich für eine Entmilitarisierung der israelischen Gesellschaft einsetzen, sowie für mehrere palästinensische Menschenrechtsorganisationen, spricht Bände. Sie mögen behaupten, den Frieden zu fördern, doch in Wirklichkeit behindern sie die Arbeit von Friedensaktivistinnen und Friedensaktivisten in Israel und Palästina.
Zochrot setzt sich für das Rückkehrrecht der Palästinenserinnen und Palästinenser ein, was bedeutet, dass palästinensische Geflüchtete und ihre Nachkommen das Recht haben sollten, in die Häuser und auf das Land zurückzukehren, das sie 1948 verlassen mussten. Dies scheint einer der Gründe für die Einstellung der Finanzierung durch Deutschland gewesen zu sein. Welche Rolle spielt das Rückkehrrecht in Euren Bemühungen, die Erinnerung an die Nakba zu fördern und Versöhnung anzustreben?
Nur um klarzustellen: Wir setzen uns nicht nur für das Rückkehrrecht ein – palästinensische Geflüchtete haben ein Recht auf Rückkehr. Jeder Tag, an dem ihnen dieses Recht verwehrt wird, ist eine Verletzung grundlegender Menschenrechte. Was wir fördern, insbesondere innerhalb der israelischen Gesellschaft und manchmal auch darüber hinaus, ist ein Verständnis dafür, was das Rückkehrrecht bedeutet. Wir wollen die politische Vorstellungskraft stärken, die es uns ermöglicht, darüber nachzudenken, wie dieser Ort sowohl zurückkehrenden Geflüchteten als auch den bereits hier lebenden Menschen Schutz bieten kann.
»Die Lösung liegt darin, Wege zu finden, wie wir alle zusammenleben können. Und das ist für uns die eigentliche Bedeutung des Rückkehrrechts.«
Natürlich glauben wir nicht, dass die Wiedergutmachung der Ungerechtigkeiten von 1948 heute durch eine neue Ungerechtigkeit erreicht werden soll. Eine weitere Massenvertreibung – sei es von Palästinensern oder israelischen Jüdinnen – ist für uns inakzeptabel. Die Lösung liegt darin, Wege zu finden, wie wir alle zusammenleben können. Und das ist für uns die eigentliche Bedeutung des Rückkehrrechts: den Wiederaufbau und die Neugestaltung eines gemeinsamen Lebens, das nicht getrennt, sondern verbunden ist. Menschen haben sich diese Koexistenz schon vor dem Zionismus vorgestellt und praktiziert. Jüdinnen und Juden lebten mit Arabern und Palästinenserinnen. Vor dem Zionismus waren Juden Palästinenser. So wie es muslimische und christliche Palästinenserinnen und Palästinenser gibt, gab es auch jüdische Palästinenserinnen und Palästinenser.
Wir sprechen also von einer Logik der Verbindung anstatt der Trennung. Wir sprechen vom Rückkehrrecht als Mittel, diesen Ort zu transformieren, sodass alle dort lebenden Menschen gleichberechtigt und frei leben können. Das ist alles, wofür wir uns einsetzen. Aus irgendeinem Grund wird das als radikal angesehen, obwohl es für mich einfach um grundlegende Menschenrechte geht.
Meine Mutter wurde in Österreich geboren und kam im Alter von zwei Jahren als Geflüchtete nach Palästina. Als Direktorin von Zochrot, politische Aktivistin und Tochter einer Geflüchteten glaube ich, dass die Stimme, die sich für das Rückkehrrecht einsetzt, überall existieren muss, besonders innerhalb der israelischen Gesellschaft. Denn wenn wir nicht darüber sprechen, adressieren wir nicht die wahren Ursachen der Probleme, mit denen wir heute konfrontiert sind. Und man muss nicht weit suchen – schaut einfach nach Gaza. Der Gazastreifen wurde als Folge der Nakba geschaffen und entstand zusammen mit dem Staat Israel als ein abgegrenztes Gebiet für Geflüchtete aus anderen Orten. All die Gewalt und das Blutvergießen gehen darauf zurück.
Bis es eine gerechte Lösung für die Geflüchteten in Gaza und anderswo gibt, glaube ich nicht, dass eine echte Lösung möglich ist. Nicht jeder muss mir zustimmen, aber wir sollten zumindest darüber sprechen. Die Tatsache, dass die deutsche Regierung es sogar für ein Tabu hält, das Rückkehrrecht zu erwähnen und dass die Aufklärung und das Gespräch über dieses grundlegende Recht als Bedrohung für den Staat Israel angesehen werden, spricht Bände. Wenn ein Staat nicht existieren kann, ohne ein ganzes Volk zu unterdrücken, dann verdient er vielleicht nicht die Unterstützung, die er erhält. Vielleicht sollte Deutschland diese Unterstützung überdenken und reflektieren, was sie wirklich bedeutet. Wenn sie sagen, sie unterstützen Israel, unterstützen sie dann die Menschen, die hier leben – jüdische Menschen wie mich, palästinensische Menschen –, oder unterstützen sie eine israelische Regierung, ganz gleich, wie extrem sie wird?
Welche langfristigen Ziele verfolgt Zochrot angesichts des gewaltigen Ausmaßes der Zerstörung in Gaza und des immensen Ressentiments gegenüber Palästinenserinnen und Palästinensern in der israelischen Gesellschaft?
Unsere Ziele sind dieselben geblieben, aber sie sind angesichts der aktuellen Katastrophe noch dringlicher geworden. Wir müssen über das Kernthema sprechen. Wir müssen die Wurzel des Problems ansprechen. Wir können nicht zum Status quo vor dem 7. Oktober 2023 zurückkehren, wo alle paar Jahre ein Angriff auf Gaza stattfand, einige Angriffe aus Gaza auf Zivilisten in Israel, ein Feuergefecht, bei dem Hunderte oder Tausende von Menschen in Gaza getötet wurden, nur um zu einer »Normalität« zurückzukehren, in der die Belagerung von Gaza einfach weitergeht. So lief es hier fast zwanzig Jahre lang. Die Weigerung, sich mit einer tatsächlichen Lösung auseinanderzusetzen, hat uns an diesen Punkt gebracht.
Für uns ist es sehr wichtig, noch stärker einen Diskurs zu fördern, der das Problem von seinen Wurzeln aus betrachtet – von 1948, der Nakba und dem Recht auf Rückkehr als Wiedergutmachung für die Nakba und als Weg, hier eine Gesellschaft aufzubauen, die gleich und frei ist, und an der alle Menschen, die hier leben, teilhaben.
Verlierst Du manchmal die Hoffnung?
Ja, viele Male jeden Tag. Aber ich sehe Hoffnung weniger als etwas, das ich entweder habe oder nicht habe, sondern eher als etwas, das ich jeden Tag versuche zu praktizieren. Die Wahrheit zu sagen und die Wahrheit von Palästinenserinnen und Palästinensern zu hören, gibt mir viel Hoffnung. Es gibt mir Hoffnung, dass wir innerhalb von Zochrot – wo wir ein Team von Israelis und Palästinenserinnen und Palästinensern sind – Verbindungen zueinander aufbauen, ehrlich miteinander sind und wirklich starke Bindungen entstehen, die bereits schwierige Zeiten überstanden haben und weiterhin überstehen werden. Wenn wir das im kleinen Maßstab tun können, dann kann es auch im größeren Maßstab gelingen.
Ich spreche jeden Tag mit Menschen, auch mit Israelis. Ich habe gesehen, wie Menschen ihre Meinung ändern, ihre Augen für die Wahrheit ihrer Existenz hier und ihrer eigenen Geschichte öffnen. Sie treffen dann die Entscheidung, entsprechend zu handeln, anders zu handeln und diese Einsicht vielleicht an andere heranzutragen, die Wahrheit in ihren eigenen Kreisen zu erzählen und sich mit diesem Thema auseinanderzusetzen. Also denke ich nicht nur, dass es möglich ist – ich weiß, dass es das ist. Das ist die Praxis der Hoffnung: die Wahrheit zu sagen und Verbindungen aufrechtzuerhalten.
Rachel Beitarie ist die Direktorin von Zochrot, einer israelischen NGO, die sich der Förderung des Bewusstseins für die Nakba und der Unterstützung der Umsetzung des palästinensischen Rechts auf Rückkehr widmet. Sie setzt sich dafür ein, einen Dialog zu Themen wie Erinnerung, Gerechtigkeit und Versöhnung im Kontext von Israel-Palästina zu fördern.