19. August 2025
Während ein AfD-Umfragehoch das nächste jagt, darf in der politischen Bekämpfung der Rechten nichts unversucht bleiben. Ein Parteiverbotsverfahren ist notwendig – selbst wenn das bedeutet, dass auch die Linke mit härteren Repressionen rechnen muss. Eine Replik.
Kann weg: AfD-Plakat zerknüllt in einem Mülleimer.
Es ist schon ein Treppenwitz der Geschichte, dass es am Ende viele linke Antifaschistinnen und Antifaschisten sind, die den bürgerlichen Staat und den liberalen Rechtsstaat verteidigen, indem sie ein AfD-Verbot fordern – trotz all der Gegenargumente, die, wie von Sebastian Friedrich, auch von links kommen.
Die gut begründeten Einwände gegen ein AfD-Verbot bleiben jedoch akademisch, wenn man sich die Realität auf dem Globus ansieht, auf dem alles, was nach dem Zweiten Weltkrieg an humanen Errungenschaften der Gleichberechtigung in teilweise schmerzhaften, kämpferischen Prozessen durchgesetzt wurde, angriffen wird: der Schutz vulnerabler Minderheiten, Selbstbestimmungsrechte von Frauen, Schutz von Meinungs- und Medienfreiheit, internationale rechtliche und strafrechtliche Normen, Durchsetzung sozialer und kultureller Menschenrechte, sogar ökologischer Fortschritt.
Hinter uns liegen anderthalb Jahrzehnte einer so schwindelerregend schnellen Auflösung des demokratischen westlichen Modells, dass man Augen und Ohren nicht trauen möchte. Was in Deutschland 2010 mit dem rassistischen Millionenseller Deutschland schafft sich ab des rechten Sozialdemokraten Thilo Sarrazin und der Gründung der AfD 2013 begann, hat sich über die »Flüchtlingskrise«, den Durchmarsch und die faschistischen Häutungen der AfD, die Krise und Spaltung der Linkspartei, dem Schulterschluss der AfD mit der militanten Rechten – Stichwort: 1. September 2018 Chemnitz –, der Corona-Pandemie und ihren Leugnerinnen und Leugnern bis hin zum rassistischen Entschließungsantrag Ende Januar dieses Jahres der noch oppositionellen CDU/CSU-Bundestagsfraktion mithilfe von AfD und FDP in eine handfeste Krise des Parteienstaates entwickelt.
Ähnliches gilt für die internationale Politik: Mit dem Angriffskrieg Russlands auf die Ukraine, der Energiekrise und der Inflation, Trumps erster und zweiter Amtszeit und den Völkerrechtsbrüchen der israelischen Nahostkriege kippt die globale Situation gerade ins Katastrophische. Und ein Ende ist nicht in Sicht. Der Klimakollaps – in der öffentlichen Wahrnehmung dramatisch in den Hintergrund gerückt – hat längst begonnen und droht schon bald die sozialen und humanen Grundfesten menschlichen Zusammenlebens auf dem Globus und Visionen internationaler Solidarität und einer gerechten Weltordnung unter sich begraben.
Vor diesem Panorama scheint Sebastian Friedrichs Abwägen eines AfD-Verbots geradezu kleinmütig. Deutschland ist aus dem angedeuteten planetaren Kontext und der bereits weit rechts stehenden europäischen Umgebung schließlich nicht ausgestanzt. Wie sich die Demokratie hierzulande entwickelt, kann man nicht wie in einer Petri-Schale in aller Gemütsruhe beleuchten. Zum Beispiel die Zustimmungswerte zu einem AfD-Verbotsverfahren: Was bei Allensbach im Juli mit 41 Prozent kaum noch an Mehrheitsfähigkeit heranreichte, war bei INSA noch im Mai deutlich pro Verbot – darauf lässt sich argumentativ nicht aufbauen.
Gab es nach der berühmten Correctiv-Recherche und auch nach dem ersten Sprung über die Brandmauer im Bundestag noch Millionen, die empört gegen rechts auf die Straße gingen, ist es ansonsten ruhig im Land, so als sei alles in bester Ordnung. Eine AfD-Verbotsforderung hat bislang jedenfalls kein Momentum entwickelt. Dabei biegen sich die Tische unter der Beweislast zur Verfassungsfeindlichkeit der AfD. Ungeheuerliche Zitate fast aller ihrer Protagonistinnen und Protagonisten, Beweise für die Verbindungen der Partei zu gewaltbereiten militanten Neonazis liegen allesamt bereits vor – selbst ohne die geheimnisumwitterten Gutachten diverser dubioser Inlandsgeheimdienste. Selbst Gutachten wie das des Instituts für Menschenrechte oder die beeindruckende Stellungnahme von siebzehn namhaften Staatsrechtsprofessorinnen und Staatsrechtsprofessoren vermochten es bisher nicht, den gefährdeten Verfassungsstaat zum Jagen zu tragen.
»Die Brandmauer ist längst gefallen. Ein großer Teil der Union wartet ungeduldig darauf, den reaktionären Brüdern und Schwestern im Geiste auf den Schoß hüpfen zu dürfen.«
Der Glaube an stabile demokratische Verhältnisse scheint auch eine linke und linksradikale Klientel fromm zu machen. Derweil verrinnt die Zeit, aus den erdrückenden Erkenntnissen Konsequenzen zu ziehen und ein Verbotsverfahren auf den Weg zu bringen. Jede Initiative bleibt bislang im zögerlichen Zaudern, abwägenden Hinhalten und Aufschieben sowie in den unentschlossenen Argumenten der Bedenkenträger hängen.
Sebastian Friedrich macht zurecht darauf aufmerksam, dass sich jede Maßnahme gegen rechte verfassungsfeindliche Bestrebungen irgendwann gemäß der zur DNA der BRD gehörenden Extremismusdoktrin auch gegen links und linke Staatskritik und Organisierung in Anschlag bringen lässt. Na und? Das ist seit den 1950er Jahren schon so und drückte sich zuletzt in der rechtswidrigen Auslieferung von Maja T. nach Ungarn und im Berufsverbot für Lisa Poettinger aus – ohne jegliches Zutun der AfD. Sollte diese Situation eine Linke in Deutschland tatsächlich davon abschrecken, ein Verbot der AfD zu fordern, die einige sogar »in Teilen faschistisch« nennen und bedrohliche Parallelen zum Ende der Weimarer Republik sehen, zumal was das Beschwichtigen angeht?
Der anti-kommunistische Furor, der im Fahrwasser des Kalten Krieges fast ungebrochen aus dem NS in die westdeutsche Nachkriegsordnung hinübergerettet wurde, sorgt bis heute für Generalverdacht und Kriminalisierung linker Politik. Aber sollte diese Repressionsdrohung Linke tatsächlich zu vorsichtigem Lavieren und moderateren Forderungen verleiten, um nicht den Zorn des bürgerlichen Staates auf sich zu ziehen? Wohl kaum. Um eine rechts-autoritäre, illiberale AfD-Regierung zu verhindern und bürgerrechtliche Grundregeln zu schützen, ist eine konsequente Verbotsforderung geboten.
Richtig ist sicherlich, dass ein AfD-Verbot nur einen Teil des Problems löst. Die AfD muss derzeit gar nichts tun, kann sich weniger laut und radikal darstellen und dabei verträumt über den großen Teich auf die USA blicken, wo zu beobachten ist, wie schnell, gründlich und brutal sich der gewaltvoll-autoritäre Umsturz demokratischer Verhältnisse bewerkstelligen lässt. Ihre Politik macht derzeit ohnehin ihr künftiger großer oder kleiner Koalitionspartner CDU/CSU: Der Angriff auf den Rechtsstaat läuft längst, wie sich auch in Dobrindts Härte in der Migrationspolitik und der mit rechten Medien orchestrierten, kulturkämpferischen Kampagne zur Verhinderung der Wahl von Frauke Brosius-Gersdorf zur Verfassungsrichterin zeigt. Das Dobrindtsche Sonderregister für trans Personen, Klöckners Flaggenstreit und Merz’ Zirkuszelt-Äußerung, Verbote des Genderns, der Angriff auf linke und zivilgesellschaftliche Initiativen und »abweichende« Meinungen und deren Äußerung sind weitere Ausblicke auf Kommendes – noch ehe die AfD auch nur in die Nähe der Fleischtöpfe kam.
»Auch wenn das Verfahren scheitert, wäre es fatal, es angesichts der dramatischen Situation unversucht zu lassen.«
Hinzu kommt, dass die Brandmauer längst flächendeckend gefallen ist. Ein großer Teil der Union wartet ungeduldig darauf, den reaktionären Brüdern und Schwestern im Geiste auf den Schoß hüpfen zu dürfen. Das jüngste drastische Beispiel dafür ist die herzliche Zusammenkunft der Brandenburger CDU-Abgeordneten Saskia Ludwig mit AfD-Parteichefin Alice Weidel bei einem Rechtsaußen-Treffen in Orbáns autokratisch regiertem Ungarn. Die AfD ist nur ein Symptom des Niedergangs des Verfassungsstaates, denn die peinlichen Begehrlichkeiten der Protagonistinnen und Protagonisten der Union, sich den Bestrebungen gegen Demokratie, Rechtsstaat und menschenwürdige Rahmenbedingungen anzuverwandeln, stellen die noch größere Herausforderung für eine human verfasste und demokratisch orientierte Zivilgesellschaft dar – inklusive ihrer linksradikalen, linken und linksliberalen Elemente.
Die Einleitung eines AfD-Verbotsverfahren ist keine theoretische Erörterung mehr, sondern eine Notwehrmaßnahme gegen die Faschisierung Deutschlands. Die Demokratie, die sich gerne als wehrhaft bezeichnet und von sich behauptet, aus dem Versagen der Weimarer Republik, dem Hitlerschen Faschismus und der Shoah gelernt zu haben, ignoriert die aktuellen historischen Parallelen zum Ende Weimars. Diese Demokratie ist dabei, ein zweites Mal Verfassung, Menschenwürde und Grund- und Freiheitsrechte einer menschenfeindlichen, autoritären und rückwärtsgewandten Ideologie preiszugeben.
Es ist völlig egal, was hinterher an Repressionen gegen Linke und andere Missliebige seitens der Parteien diesseits der Brandmauer folgen mag. Eine Machtbeteiligung der oder Machtübergabe an die AfD muss mit allen Mitteln verhindert werden. Denn die erste AfD-Machtbeteiligung oder Regierungsübernahme steht bereits ziemlich sicher in Sachsen-Anhalt Anfang September 2026 bevor. Angesichts dessen ist es nur folgerichtig, endlich konsequent den Verfassungsauftrag, die Demokratie, die Rechtsstaatlichkeit und Menschenwürde zu schützen, indem man jetzt ein Verbotsverfahren einleitet. Auch wenn das Verfahren scheitert, wäre es fatal, es angesichts der wirklich dramatischen Situation unversucht zu lassen. Das schrille Opfergetöse und die dreiste Selbstverharmlosung seitens der AfD wird so oder so nicht abebben. Wir haben kaum etwas zu verlieren und im Grunde keine Wahl, wenn wir uns nach der Machtübergabe noch gegenseitig in die Augen blicken wollen.
Friedrich Burschel ist Publizist in Berlin und hat 2020 den Band »Das faschistische Jahrhundert« beim Verbrecher-Verlag herausgegeben.