16. April 2025
Die Agenda 2030 war ein Wunschprogramm für Unternehmer – der vage Koalitionsvertrag von CDU und SPD ist es nicht ganz. Auf der Suche nach einer passenden Interessenvertretung könnte das deutsche Unternehmertum bald dort landen, wo es gerade noch demonstrative Grenzen zieht: bei der AfD.
AfD-Parteichefin Alice Weidel betont bei jeder sich bietenden Gelegenheit, die CDU habe mit AfD-Positionen Wahlkampf gemacht, die sie nun mit der SPD nicht einlösen könne.
Die AfD will die Sozialkürzungen der Agenda 2030 – und dieser Wille könnte der rechtsextremen Partei den Weg an die Macht ebnen. Friedrich Merz will vor allem regieren, und macht dafür große Zugeständnisse an die SPD. Dass beide Parteien gemeinsame wirtschaftspolitische Vorstellungen verbinden, stellte Beatrix von Storch bereits kurz nach der Wahl fest: »Die CDU kann ihr Wahlprogramm nur mit der AfD durchsetzen«. Bei der Debatte zur ersten Lesung des Schuldenpakets im Bundestag sagte Alice Weidel: »Noch kein Bewerber ums Kanzleramt hat in so kurzer Zeit so viele Wahlversprechen gebrochen.«
Der vorgelegte Koalitionsvertrag bleibt hinter der Agenda 2030 zurück. Die kleinen Versprechen, die Merz den Unternehmen macht, sollen größtenteils erst gegen Ende der Legislatur kommen und dann auch nur unter Finanzierungsvorbehalt. Wenn Merz seinen im Wahlkampf angekündigten Angriff auf den Sozialstaat in der Koalition nicht liefert, könnten die Rufe aus seiner Partei für eine Zusammenarbeit mit der AfD lauter werden. Seit der Wahl sinken die Zustimmungswerte der Union, während die AfD im Aufwind ist. In einer Umfrage überholte sie die Union sogar.
Viele Unternehmer kritisieren öffentlich Nationalismus und Fremdenfeindlichkeit. So haben etwa vierzig Großkonzerne, darunter Siemens, Mercedes-Benz oder Thyssen-Krupp, die Initiative »Wir stehen für Werte« gegründet. Einige äußern sich auch explizit gegen die AfD wie Schraubenkönig Reinhold Würth oder VW-Chef Oliver Blume. Laut einer Befragung des Instituts der deutschen Wirtschaft positionieren sich die Hälfte aller Unternehmenschefs in Westdeutschland aktiv gegen die AfD, in Ostdeutschland etwa ein Drittel. Sich öffentlich zur AfD zu bekennen, ist hingegen noch immer ein Tabubruch. Die AfD ist keinesfalls die erste Wahl der deutschen Unternehmer.
»Bei den Unternehmern schwindet das Unbehagen gegenüber der AfD mit der Einsicht, dass ohne sie die Agenda 2030 nicht durchzusetzen ist.«
Viele von ihnen hatten sich eher ein grünes Wachstumsmodell gewünscht, und während der Pandemie sah es so aus, als könnte das Projekt gelingen. Prominente Politiker wie Lars Klingbeil sprachen offen vom Ende des Neoliberalismus. Es gab teure staatliche Stabilisierungspolitiken zur kurzfristigen Senkung von Gas- und Strompreisen, einen drastischen Anstieg der staatlichen Förderprogramme sowie große Investitionsprämien, zum Beispiel für Chip- oder Batteriefabriken. Eine aktive Industriepolitik war kurz davor, aus dem Neoliberalismus hervorzugehen.
Dafür gab es massive Unterstützung. Eine illustre Koalition aus Arbeitgeberverbänden, Gewerkschaften, Spitzenpolitikerinnen und Spitzenpolitikern von Grünen, SPD und CDU – man denke an die CDU-Ministerpräsidenten Günther, Rhein, Wegner und Haselhoff –, Bundesbank, Sachverständigenrat, Ex-EZB-Chef Draghi und dem internationalen Währungsfond forderte in den vergangenen zwei Jahren mit steigender Intensität eine Reform der Schuldenbremse, um im großen Stil in die grüne Modernisierung zu investieren. Auch in der Bevölkerung sank die Zustimmung zur Schuldenbremse im Winter 2023/24 um 10 Prozentpunkte. Im November vergangenen Jahres appellierte dann noch die liberale Wirtschaftszeitung The Economist mit einem Leitartikel an den CDU-Chef persönlich: »Act Now, Mr. Merz«.
In der Signalchatgruppe zur Bombardierung der Huthis schrieb Vizepräsident Vance, er sei es Leid, den Suezkanal zu schützen, von dem Europa deutlich stärker profitieren würde als die USA. Schon vor einem Jahr forderte Boris Pistorius eine Ausnahme von Rüstungsausgaben von der Schuldenbremse und auch die CDU begann im November heimlich einen Plan zu diskutieren, der dann nach der Bundestagswahl und dem Eklat im Oval Office im Eiltempo durchgesetzt wurde. Die herrschende Klasse Europas verstand, dass die USA im Zweifel nicht die europäischen Handelsketten schützen wird, und die EU daher ihre militärischen Kapazitäten massiv ausweiten muss.
»Immer mehr Rüstungsbetriebe werben Fachkräfte aus der Automobilbranche ab und übernehmen ganze Fabriken.«
Im Görlitzer Alstom Werk, wo bisher Doppelstockwagen und Straßenbahnen gebaut wurden, produziert KNDS zukünftig Panzer. Beschäftige von Continental und Bosch wurden in Bremen für die Munitionsproduktion abgeworben. Der Börsenwert von Rheinmetall verdoppelte sich seit Trumps Amtseinführung, das Waffenunternehmen ist mittlerweile deutlich mehr wert als VW. Immer mehr Rüstungsbetriebe werben Fachkräfte aus der Automobilbranche ab und übernehmen ganze Fabriken. Das grüne Wachstumsprojekt ist gescheitert, auf den Green Deal folgt »Rearm Europe«.
Auch das Sondervermögen für Infrastruktur muss im Kontext der Bemühungen gesehen werden, schneller Truppen, Gerät und Treibstoff an die Ostfront verlegen zu können. Im Entschließungsantrag heißt es »die tatsächliche Verteidigungsfähigkeit« setze »eine ausgebaute, funktionierende und moderne Infrastruktur voraus«. Seit Januar gibt es bei der Bundeswehr den »Operationsplan Deutschland«, der unter anderem auslotet, über welche Straßen und Schienenverbindungen Truppen und Militärgerät an die Ostfront transportiert werden können, und wo es Investitionsbedarf gibt. »Der Schwerpunkt unserer Aufgaben ist, den Aufmarsch von alliierten Kräften durch Deutschland sicherzustellen«, sagte Frank Fähnrich, Abteilungsleiter für Operationsplanung im Territorialen Führungskommando der Bundeswehr. In einem Policy Brief forderte die Deutsche Gesellschaft für Auswärtige Politik bereits im Juli 2024 »ein Sondervermögen von 30 Milliarden Euro zur gezielten Erneuerung von militärischen Korridoren« und generell eine Priorisierung von Bahnstrecken, die als Militärkorridore genutzt werden können. Die etwa 8 Milliarden Euro mehr pro Jahr für den Klima- und Transformationsfonds, den die Grünen reinverhandelt haben, werden weder für die Dekarbonisierung der deutschen Produktion ausreichen noch die Produktivitätslücke zu China schließen.
Eine grüne Industriepolitik wäre vom Standpunkt langfristiger Verwertungsinteressen des Kapitals insgesamt die rationale Antwort auf die globale Wirtschaftskrise gewesen. In vielen Sektoren hat China einen rasanten Produktivitätsfortschritt erreicht, wodurch sich Märkte neu aufteilen. Wer mitmischen will, braucht eine staatliche Innovationspolitik – das haben die Grünen um Robert Habeck und Ricarda Lang in den vergangenen Jahren rauf- und runtergebetet. Der Standort bleibt nur erhalten, wenn man ihn neu aufstellt.
Ein Grund für das Scheitern des grünen Blocks ist ein Patt zwischen fossil gebundenem und potenziell grünem Kapital in Deutschland, welches der Staat im Interesse der Sicherung des Standorts hätte aufheben müssen. Da sich dieser Widerspruch aber in Form der Ampel einen eigenen politischen Ausdruck gab, konnten nur oberflächliche Reformen durchgeführt werden, die dann »ideologisch« wirkten. Ein paar mehr Fahrradstraßen, die die CDU dann abbaut; ein 9-Euro-Ticket, das dann zu einem 49-Euro-Ticket, und schließlich einem 58-Euro-Ticket wurde; eine kurzfristige Förderungen für energetische Sanierung und Wärmepumpen, die dann doch wieder reduziert wurde; eine E-Autoprämie, die dann über Nacht doch wieder gestrichen wurde; das Ende des Verbrenners, das dann wieder in Frage gestellt wurde. Zunehmend entnervt von diesem Schlingerkurs forderte VW-Chef Blume im März vergangenen Jahres den eingeschlagenen Weg konsequent weiterzuführen: »Ich halte nicht viel davon, dass man bei jedem Gegenwind alles wieder infrage stellt.« Welcher Sektor soll bei einem solchen Hin und Her langfristige Investitionsentscheidungen treffen?
Statt grünem Wachstum in Deutschland ist China mittlerweile Marktführer in den wichtigsten Produkten des 21. Jahrhunderts – E-Autos, Solar- und Windkraftanlagen, grüner Wasserstoff, Mikroelektronik – und fordert zunehmend auch die Software Dominanz des Westens heraus, etwa durch Alibaba, TikTok oder DeepSeek. Die chinesische E-Auto-Produktion wird jedes Jahr derart produktiver, dass Einstiegsmodelle mehr als die Hälfte günstiger sind als die der westlichen Konkurrenz. Den BYD Dolphin (400km Reichweite) gibt es in China für 12.000 Euro, etwa ein Drittel vom Preis des Konkurrenzmodells ID.3 von VW. Vor ein paar Wochen kündigte BYD ein 5-Minuten Schellladesystem an. Symbolträchtig wurde der chinesische E-Auto-Hersteller BYD Hauptsponsor der EM in Deutschland, während VW zehntausende Beschäftigte entlassen musste und mit Werksschließungen drohte.
»Panzer statt Autos – das Wirtschaftsprogramm von Schwarz-Rot – kann die Entwertung des fossilen Kapitals in der Automobilbranche etwas bremsen, aber nicht aufhalten.«
Wenn Union und AfD sagen »Das Verbrenner-Aus ist ideologisch« wollen sie eigentlich sagen, dass VW, BMW und Mercedes nicht mit chinesischen E-Autos mithalten können: Das Verbrenner-Aus ist »ideologisch« vom Standpunkt deutscher Kapitalinteressen. Auch diese Einsicht sickert nach und nach durch die Chefetagen und generiert Zustimmung für AfD und Union. Beide versuchen energisch, die deutschen Autokonzerne vor der Realität des chinesischen Produktivitätswunders zu bewahren. Panzer statt Autos – das Wirtschaftsprogramm von Schwarz-Rot – kann die Entwertung des fossilen Kapitals in der Automobilbranche etwas bremsen, aber nicht aufhalten.
Die AfD ist die Alternative zum grünen Wachstumsprojekt, und dieser Alternative wollen sich Teile der Union anschließen. Die konservative Denkfabrik R21 um Historiker Andreas Rödder – ehemals Vorsitzender der CDU-Grundwertekommission – nennt es »bürgerliche Renaissance«, fordert ein Ende vom »Kampf gegen Rechts«, »rote Linien statt Brandmauern« und einen frontalen Angriff auf Sozialstaat und Lohnniveau. Auch Ex-Innenminister Hans-Peter Friedrich (CSU) wünscht sich ein Ende der »wenig demokratischen Brandmauer«. Jens Spahn sagte kürzlich, man solle die AfD behandeln »wie jede andere Oppositionspartei auch«.
»Mit der Einsicht, dass die grüne Transformation ausbleibt, versuchen alle ihre Anteile an einer schrumpfenden Wirtschaft zu sichern.«
Die Wirtschaftspolitik der Agenda 2030 klammert sich an einen Status quo, der im Auflösen begriffen ist. Mit der Einsicht, dass die grüne Transformation ausbleibt, versuchen alle ihre Anteile an einer schrumpfenden Wirtschaft zu sichern. Das deutsche Kapital hat sich keine langfristige Verwertungsperspektive geschaffen, und so versuchen Unternehmen kurzfristig, mit Sozialabbau und Lohnkürzungen ihre Profite zu retten.
Die CDU beschloss auf ihrem Parteitag vor der Bundestagswahl ein Sofortprogramm, das die Kernelemente ihrer Agenda 2030 umfasst: Arbeitszeit deregulieren, um 12-Stunden-Schichten und mehr zu ermöglichen, Bürgergeld abschaffen, um mit Arbeitslosigkeit als Bedrohung die Verhandlungsmacht der Beschäftigten zu reduzieren, Schuldenbremse einhalten, um die öffentliche Daseinsvorsorge zu kürzen. Dazu Unternehmenssteuern senken und das effektive Renteneintrittsalter erhöhen. Zynisch begründet sie die Deregulierung der Arbeitszeit mit der »Vereinbarkeit von Familie und Beruf«. Die Agenda 2030 sollte der Beginn einer Offensive sein, bei der die CDU erst einmal austestet, wie weit sie gehen kann. Schon jetzt fordern Politikerinnen und Politker der Union immer wieder eine Einschränkung des Streikrechts in Bereichen der öffentlichen Daseinsvorsorge – oder wie die Union es nennt – »kritischer Infrastruktur«.
Obwohl hundert Wirtschaftsverbände mit einem Brandbrief gegen Mindestlohn, Mütterrente und für die Senkung der Unternehmenssteuern in die Koalitionsverhandlungen intervenierten, bleibt der Koalitionsvertrag weit hinter den Plänen der Agenda 2030 zurück – auch aufgrund der Reform der Schuldenbremse und des Sondervermögens. Sicherlich, die lustlos vorgetragenen Vorschläge der SPD zu Reichen-, Vermögens-, und Kapitalertragssteuer haben es nicht in den Koalitionsvertrag geschafft, aber die Pläne zur Senkung der Einkommenssteuer bleiben vage und sollen nur umgesetzt werden, wenn der Haushalt es zulässt. Die Körperschaftssteuer soll erst ab 2028 mit 1 Prozentpunkt pro Jahr sinken, Finanzierungsprobleme bei Rente, Kranken- und Pflegekasse werden per Arbeitskreis auf unbestimmte Zeit verschoben – all das moniert bereits jetzt der Wirtschaftsrat der CDU und die Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände.
Bei den Unternehmern schwindet das Unbehagen gegenüber der AfD mit der Einsicht, dass ohne sie die Agenda 2030 nicht durchzusetzen ist. In einer Reportage der Zeit sagte der Leiter des Bundesverbands der mittelständischen Wirtschaft Christoph Ahlhaus: »Das Wirtschaftsprogramm der CDU ist wie ein Wunschzettel der Unternehmer. Viele glauben nur nicht, dass Merz es durchsetzen kann. Sie trauen es ihm und der CDU nicht mehr zu.«
Nur Sozialdemokrat Gerhard Schröder konnte mit der Agenda 2010 einen Angriff auf den Lebensstandard der unteren Einkommensgruppen durchführen, deren Interessen er vorgab zu verteidigen. Mit den Gewerkschaften im Rücken schaffte er »einen der besten Niedriglohnsektoren«, wie er beim Weltwirtschaftsforum 2005 in Davos stolz verkündete. Die Agenda 2010 war ein Angriff auf Löhne und Arbeitsbedingungen.
Heute trägt die SPD die Agendapolitik der CDU mit, aber ist zu schwach, um sie zu legitimieren. Der Angriff auf Löhne und öffentliche Daseinsvorsorge ist nur vermittelbar, wenn ein großer Teil der deutschen Bevölkerung rassistisch aufgeputscht ist und alle Parteien rechts der Linkspartei versuchen, sich mit Forderungen nach Militiarisierung, Polizeistaat, Massenüberwachung und Deportationen zu überbieten. Die AfD ist für diese Ablenkung unverzichtbar.
»Es sind weniger Fragen der Migrationspolitik als Fragen der Wirtschaftspolitik, die einer Zusammenarbeit von CDU und AfD die nötige Machtbasis verschaffen könnten.«
Eine Studie des Zentrums für Europäische Wirtschaftsforschung zur Verteilungswirkung der Parteiprogramme zeigte, dass AfD, CDU und FDP einen Block für Umverteilung von unten nach oben darstellen. Es sind weniger Fragen der Migrationspolitik als Fragen der Wirtschaftspolitik, die einer Zusammenarbeit von CDU und AfD die nötige Machtbasis verschaffen könnten. Gleichzeitig ist das Erstarken der AfD das perfekte Druckmittel, um SPD und Grüne zu erpressen. Der italienische Marxist Angelo Tasca verstand »das Ineinandergreifen der Entwicklung des Faschismus und der politischen und wirtschaftlichen Offensive der besitzenden Klasse« als eine »Allgemeinerscheinung« faschistischer Machtübernahme. Dass die Faschisten von Unternehmern respektiert und unterstützt werden, weil sie es schaffen, Austerität durchzusetzen, hat die Ökonomin Clara Mattei ebenfalls dargelegt.
Die AfD mag nicht die erste Wahl der deutschen Unternehmer sein. Aber es ist zu befürchten, dass sie sich mit ihr arrangieren werden. Viele Unternehmer werden in den nächsten Jahren die reale Erfahrung machen, dass mit der Politik der AfD erstmal richtig gute Profite zu machen sind. Betonten die Unternehmer während der neoliberalen Globalisierung noch bürgerliche Freiheits- und Menschenrechte, werden es im protektionistischen Nationalismus Vaterland, Stolz und Männlichkeit sein. Das lässt sich bereits in den USA beobachten, wo Mark Zuckerberg im Interview mit Joe Rogan sagte, Firmen bräuchten mehr »männliche Energie«. Und auch liberale Ökonomen lieben es mittlerweile, über Marschflugkörper zu debattieren und die Verarmung im Neoliberalismus als Wohlstandsverwahrlosung kleinzureden.
Die Annäherung zwischen dem wirtschaftsliberalen Bürgertum und faschistischen Kräften konnte man bereits innerhalb der AfD schon gut beobachten. Denn lange prägte auch die AfD ein offener Konflikt zwischen einem liberal-konservativen Block mit Figuren der ersten Stunde wie Bernd Lucke, Frauke Petry, Jörg Meuthen, zum Teil auch Alice Weidel und dem völkisch-faschistischen Flügel um Björn Höcke, Hans-Thomas Tillschneider und Andreas Kalbitz. Noch vor wenigen Jahren musste sich der Flügel auf Druck der liberal-konservativen Fraktion auflösen. Als Fraktionsvorsitzende wollte Weidel 2017 Höcke aus der Partei ausschließen. Nach der Correctiv-Recherche zum Potsdamer Treffen entließ Weidel noch ihren Referenten, der an dem Treffen teilnahm. Aber diese Spaltung ist Geschichte. Weidel bezeichnet das Verfahren gegen Höcke inzwischen als »völlig überzogen« und hält es für einen »Fehler«. Beim Parteitag Anfang Januar in Riesa sagte sie: »Dann heißt es eben Remigration« und neigte sich stellvertretend für den gesamten liberal-konservativen Block zu Björn Höcke hinunter.
Wirtschaftsliberale Konservative beginnen zu verstehen, dass sie ihre wirtschaftlichen Interessen nur unter dem Getöse einer völkischen Politik durchsetzen können. Wenn Merz seine Agenda 2030 in der Koalition mit der SPD nicht realisieren kann – wonach der vage Koalitionsvertrag aussieht –, werden sich nach und nach Unionsvertreter aus der Deckung wagen und eine Zusammenarbeit mit der AfD ins Gespräch bringen. Schon jetzt legt die AfD in den Umfragen immer weiter zu. Dass die Unternehmen die AfD schon bald umarmen werden scheint vor diesem Hintergrund nur eine Frage der Zeit zu sein.
Simon Grothe promoviert an der Universität Genf in Politischer Ökonomie über die Auswirkungen von Ungleichheit.