08. April 2025
Deutschland will vier Studierende mit EU- und US-amerikanischer Staatsbürgerschaft ausweisen, weil sie gegen den Genozid in Gaza protestiert haben. Im Gespräch erklären zwei Betroffene, warum sie kein Einzelfall sind.
Die Kriminalisierung pro-palästinensischen Protests hat mit den drohenden Abschiebungen einen neuen Höhepunkt erreicht.
Vier Personen aus der palästina-solidarischen linken Bewegung in Berlin droht die Ausweisung aus Deutschland. Die Vorwürfe gegen sie sind unterschiedlich, aber einer eint alle Fälle: schwerer Landfriedensbruch durch die Besetzung des FU-Präsidiums im Oktober 2024. Alle Abschiebebescheide beziehen sich auf das organisierte Vorgehen der Besetzung, drei davon führen die Staatsräson als politische Verpflichtung Deutschlands gegenüber Israel an. Gleichzeitig wird den vier eine Nähe zur Hamas zugeschrieben. Die Ausweisung von Personen mit EU- oder US-Staatsangehörigkeit markiert eine neue Stufe staatlicher Repression gegen linke und palästina-solidarische Aktivistinnen und Aktivisten in Deutschland.
Kasia Wlaszczyk und Cooper Longbottom sind zwei der Betroffenen. Beide kommen aus dem sozialen Sektor. Cooper studiert im Master Social Work as Human Rights Profession an der Alice Salomon Hochschule, Kasia arbeitet im Kulturbetrieb, beide sind in der Protestbewegung gegen den Genozid in Gaza aktiv. Sollte die Abschiebung durchgeführt werden, dürfte Cooper zwei Jahre lang nicht in den Schengenraum einreisen und säße als trans Person in den USA fest – ohne eine Möglichkeit deren Partnerin in Berlin zu sehen.
Kasia – ein trans Mann – soll nach Polen abgeschoben werden, ein Land, das er seit seinem zehnten Lebensjahr nicht mehr betreten hat. Im Gespräch mit JACOBIN erklären die beiden, welche politische Dynamik zu ihrer Situation geführt hat und warum sie sich entschieden haben, öffentlich und unter Klarnamen gegen den Abschiebebescheid vorzugehen.
In den vergangenen Tagen wurde viel über Euch berichtet und dass ihr aufgrund Eures »pro-palästinensischen Aktivismus« aus Deutschland abgeschoben werden sollt. Wie seht Ihr das und wie geht es Euch in dieser Situation?
Cooper: Es ist so weird, jetzt im Zentrum dieser Repression und Debatte zu stehen. Die Rede von »pro-palästinensischen« Aktivistinnen und Aktivisten macht so eine Binarität auf, die uns direkt isolieren soll – als würden wir einen separaten Kampf führen. Dabei ist uns wichtig, zu betonen, dass die pro-palästinensische Bewegung ein zentraler Teil des linken Aktivismus ist.
Kasia: Ja, die pro-palästinensische Bewegung muss als integraler Bestandteil der Linken gesehen werden – der Staat versucht sie als eine Art Extrem zu isolieren. Dafür wird der Begriff »pro-palästinensisch« von staatlicher Seite wie durch deutsche Medien als antisemitisch interpretiert und kriminalisiert. Heute wissen wir, dass die falschen Antisemitismusvorwürfe als rassistisches Instrument benutzt werden, um palästinensische, arabische und muslimische Menschen und alle, die sich mit Palästinensern solidarisieren, zu denunzieren.
Kriminalisierung und staatliche Etikettierung zeigen uns nicht, was richtig und was falsch ist. Sie zeigen uns, wo der Staat seine Macht nutzt, um sein Interesse durchzusetzen. Einfach auf eine registrierte Demo gegen den Genozid zu gehen, reicht deswegen schon aus, um staatlich als gefährlich kategorisiert zu werden. Aber wir werden nicht zulassen, dass die internationale Bewegung für ein freies Palästina als falsch abgestempelt wird.
Cooper: Wir wollen bei all dem eigentlich nicht im Zentrum stehen. Wir wissen ja, dass wir kein Einzelfall sind. Wir stehen hier nicht isoliert, sondern in der historischen Kontinuität der Kriminalisierung palästinensischer Existenz in Deutschland – genauso wie der staatlichen Repression gegenüber antikolonialen Bewegungen und politischem Widerstand. Unser Fall wirkt einfach neu, weil wir Personen mit privilegierter Passsituation sind. Ich weiß noch genau, dass ich nach meiner Festnahme an der FU Berlin mit Freundinnen darüber gesprochen habe, ob ich mir Sorgen über Abschiebung machen sollte. Sie haben mir immer gesagt: Was soll da schon passieren, du hast die US-Staatsbürgerschaft.
Die Repression gegenüber denjenigen, die gegen den Genozid protestieren, hat sich stark verschärft. Binnen eines Jahres wurden im deutschen Bundestag zwei Antisemitismus-Resolutionen verabschiedet, die durch die umstrittene IHRA-Resolution potenziell die Kritik am israelischen Regierungshandeln mit Antisemitismus gleichsetzen können. Zusätzlich wurde mit dem neuen Hochschulgesetz die politische Exmatrikulation von Studierenden möglich und Staatsbürgerschaften wie Kulturförderungen an das Bekenntnis zum Existenzrecht Israels gebunden. Wie beurteilt Ihr Euren Fall in diesem Kontext?
Kasia: Es wird ein Exempel an uns statuiert. Wir beobachten diesen Shift ja schon länger. Dass beispielsweise das Migrationsrecht als Repressionstool genutzt wird, ist nicht komplett neu, sondern in diesem Ausmaß schon länger vorbereitet worden. Olaf Scholz hat schon vor einigen Monaten Zeit skandiert, dass im großen Stil abgeschoben werden müsste und auch Nancy Faser hat vorgeschlagen, Deportationen aufgrund von Social Media Likes durchzubringen.
Nancy Faser wollte auch vermeintliche Clan-Mitglieder ohne begangene Straftat abschieben lassen – rein aufgrund rassistisch konstruierter familiärer Beziehung. Auch dies war ein Vorläufer eures heutigen Falls, der vorrangig deutsche Palästinenserinnen und Palästinenser betraf. Auch politische Abschiebungen sind keine neue Behördenpraxis – kurdische Aktivistinnen und Aktivisten können ein Lied davon singen.
Kasia: Genau – das meinen wir mit Kontinuitäten. Hier in Deutschland wird Faschismus immer nur mit der Nazizeit gleichgesetzt und diese wird als abgetrennte Vergangenheit behandelt. Das versperrt uns den Blick darauf, die politischen Dynamiken bis ins Heute zu verstehen. Deutschland wurde weder rechtlich, materiell noch personell denazifiziert. Wenn alle Parteien im Bundestag Resolutionen durchsetzen, die von der AfD gedraftet wurden, setzen sie bereits deren Politik um – auch ohne die AfD im Amt. Auch in den USA wurde der Genozid in Gaza von der Biden-Regierung finanziert, nicht erst jetzt durch Trump. Es ist die liberale Ära, die den Boden für einen faschistischen Aufbau stellt.
Cooper: Wer nur die AfD als Problem sieht, versteht unsere aktuelle Situation nicht. Deutschland hat dieses spannende Ding mit Resolutionen, die ja nie rechtlich bindend sind im Gegensatz zu Gesetzen. Von der Anti-BDS-Resolution bis hin zu allen Antisemitismusresolutionen: Es sind eigentlich nur »Handlungsempfehlungen«, aber in der Praxis behandeln es dann alle Institutionen wie Gesetze, obwohl sie als Gesetze gar nicht durchgekommen wäre. Das ist eine sehr erfolgreiche Taktik des autoritären Umbaus. Auch die Staatsräson ist kein Gesetz und dennoch wird sie als rechtliche Grundlage unserer Abschiebungen genannt.
Kasia: Und das macht wiederum was gesellschaftlich. Alle möglichen Leute übernehmen auf einmal quasi Staatsservices, die nicht ihre Aufgabe wären, jeder Blogger doxxt auf einmal, Medienschaffende betreiben polizeiliche Verfolgungen und bringen Leute vor Gericht.
Die Staatsräson funktioniert als Werkzeug für einen autoritären Umbau. Dass sie gesetztes Recht unterbindet, wird auch dadurch deutlich, dass Asylanträge aus Gaza beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge unbearbeitet bleiben. Ihr kennt diesen Kontext, wart Ihr trotzdem überrascht über den Umgang des deutschen Staates mit Euch?
Kasia: Beim ersten Brief dachte ich noch – okay wow, das ist schlecht begründet, das ist einfach eine Angsttaktik, aber ohne Prozess, können sie mir nichts.
Cooper: Natürlich ist der Vorgang gewaltvoll und gefährlich, aber er ist – salopp gesagt – auch einfach Bullshit. Auch weil es zuvor zu keiner Verurteilung kam, habe ich nicht sofort mit einem Abschiebebrief gerechnet. Als ich nach Deutschland kam, habe ich mit Freunden immer darüber gelacht, dass es hier für alles ein Gesetz gibt. Ich habe das damals schon nicht für gut befunden, denn mehr Recht bedeutet nicht mehr Gerechtigkeit – im Gegenteil.
Es hat mich dann aber doch überrascht, dass dieser Abschiebefehl ohne Gerichtsprozess kam. Dabei kenne ich dieses Vorgehen von unseren Demos: Dort hat die Polizei plötzlich, und auch ohne rechtliche Grundlage, das Sprechen von allen Sprachen außer Deutsch und Englisch verboten. Das war in dem Kontext ein klarer Angriff auf das große arabisch sprechende Klientel vor Ort.
Im Landesamt für Einwanderung gab es Widerstand gegen Euren Fall. Eine Abteilungsleiterin verweigerte sich und meldete der Innenverwaltung zurück, dass die Abschiebung so rechtlich nicht durchsetzbar sei – diese beharrte jedoch darauf. Das erinnert an die These, dass Herrschaft nicht mehr durch Recht, sondern ohne Recht durchgesetzt wird. Aber auch daran, dass das Beharren auf »Recht« seine Tücken hat.
Kasia: Wir wissen zwar, dass rechtliche Verfahren oft als Mittel der Unterdrückung eingesetzt werden, aber was wir jetzt erleben, ist ein politisch motivierter Angriff, der versucht, jedes rechtliche Verfahren völlig zu umgehen. Der Kampf gegen Abschiebungen und für grundlegende Rechte von Migranten ist ein wichtiger juristischer Kampf, den wir nicht aufgeben dürfen. Was wir tun können, ist, den Horizont dieser rechtlichen Auseinandersetzungen zu erweitern, damit wir nicht in die Falle tappen, zu kategorisieren, wer schutzwürdig ist und wer nicht.
Cooper: Palästinenserinnen und Palästinenser gelten hier wie in Gaza qua ihrer Existenz schon als schuldig. Das zeigt uns, dass dieses Denken falsch spaltet – in »zu Recht« und »zu Unrecht« bestraft.
Das macht das Problem liberaler Unschuld auf. Wohl wissend, dass es keine Prozesse gab, setzen die bisherigen medialen Skandalisierungen darauf, dass es keine Verurteilung gab. Was, wenn diese aber kommt? Welche Form des politischen Kampfes macht das für Euch wichtig?
Kasia: Über ein ordnungsgemäßes Verfahren hinaus, ist uns wichtig, dass Aufmerksamkeit und eine breite Mobilisierung gegen Abschiebungen im Allgemeinen geschaffen wird. Wir haben EU- bzw. US-amerikanische Pässe, darum packen wir unsere Namen nach draußen in die Welt. Wir wollen die Situation nutzen, um auf den Genozid und auf das Recht palästinensischer Selbstbestimmung aufmerksam zu machen, damit sich Menschen anschließen. Und um es noch einmal zu betonen: Wir sind nicht die ersten. Dass palästinensische Protestierende Abschiebebefehle hatten, ist keine Neuigkeit.
Cooper: Keine politische Arbeit funktioniert ohne Opfer, die gebracht werden. Das war uns von Anfang an klar. Deswegen ist es uns so wichtig, dass alle unsere jetzige Situation in einem historischen Kontext verstehen. Wir wollen ein Bewusstsein dafür schaffen, wie repressiv dieser Staat für uns alle sein kann.
Wir dürfen nicht durch Repression gelähmt werden, sondern müssen gerade jetzt aufstehen und mitkämpfen. Wir lassen uns durch staatliche Taktiken nicht einschüchtern. Im Gegenteil: Wir müssen uns daran erinnern, dass das die Kraft in unserem Handeln zeigt.
Ich war wirklich aufgeregt, als ich wusste, dass wir öffentlich gehen wollen, aber jetzt bin ich sehr selbstsicher, weil Menschen uns unterstützen wollen. Zu wissen, dass wir das Richtige tun und dafür auch öffentlich einstehen, lässt mich sehr stark fühlen. Liberale sprechen so oft über Gewalt und stellen uns als gewaltvoll dar. Wir stellen hingegen die omnipräsente staatliche Gewalt ins Zentrum. Es geht uns darum, einen von Deutschland unterstützten Genozid zu beenden.
Kasia: Liberale sprechen nur dann positiv über Freiheitsbewegungen, wenn sie der Vergangenheit angehören. Wir wissen aus der Geschichte, dass viele frühere Freiheitsbewegungen zu ihrer Zeit kriminalisiert wurden. Proteste gegen Völkermord und Solidarität mit unterdrückten Menschen sind Dinge, die jeden mobilisieren sollten, der sich für eine gerechte Zukunft für alle einsetzen will. Frühere Bewegungen haben gezeigt, dass wir, wenn wir alle zusammenkommen, sehr wohl in der Lage sind, Druck auf Staaten auszuüben. Das war in der Vergangenheit der Fall – und ist es auch heute noch.
Wenn Leute von Eurer Geschichte hören und jetzt aktiv werden wollen. Was würdet Ihr ihnen empfehlen? Was tun?
Cooper: Sich organisieren! Und damit meine ich nicht nur jeden Samstag zu Demos zu spazieren, sondern sich ernsthaft Gruppen anzuschließen und gemeinsam für eine bessere Welt einzustehen. Wir wünschen uns, dass Menschen unseren Fall nutzen, um in Bewegung zu treten.
Kasia: Wir dürfen das politische Projekt nicht getrennt von unserem Leben und unserer Arbeit sehen. Wir müssen die politische Macht unseres Alltags verstehen und was passiert, wenn wir uns zusammenschließen und uns weigern, unsere Arbeit an Orten auszuüben, die mitschuldig sind – wie zum Beispiel als Arbeitende in unseren Betrieben und Gewerkschaften. Als Beschäftigter im Kultursektor denke ich ständig darüber nach, wie ich mich mit anderen in meinem Bereich zusammenschließen kann. Es ist so viel stärker, die Macht dort aufzubauen, wo wir sind, weil wir sie dort bereits haben. Wir müssen sie kollektiv nutzen.
Cooper Longbottom studiert an der Alice Salomon Hochschule.
Kasia Wlaszczyk arbeitet im Kulturbetrieb.