27. Februar 2025
Unternehmen, die vom NS-Regime profitiert haben, prägen noch immer die deutsche Wirtschaft. Zachary Gallant argumentiert in seinem neuen Buch: Eine Entnazifizierung Deutschlands wird es erst geben, wenn Nazi-Erben diese Profite zurückgeben.
Adolf Hitler und der damalige BMW-Vorstandsvorsitzende Franz-Josef Popp im BMW-Werk in München, 1935.
Im vergangenen Monat schrieb der Bankkonzern Credit Suisse aufgrund von Ermittlungen des Finanzausschuss des US-Senats Schlagzeilen. Die Bank wird beschuldigt, systematisch Geld für Profiteure des Dritten Reiches gewaschen und Ermittlungen zur Zusammenarbeit mit den Profiteuren und Nazi-Erben vertuscht zu haben. Doch nicht nur Credit Suisse profitiert bis heute von der Zusammenarbeit mit dem Dritten Reich. In ihrem Buch Entnazifiziert Euch. Wider dem Mythos der Vergangenheitsbewältigung beschreiben Zachary und Katharina F. Gallant, welche Rolle Nazi-Profite noch heute in Deutschland spielen. Viele der größten deutschen Unternehmen halten den Reichtum, den sie durch ihre Profite für das faschistische Regime erwirtschaftet haben, noch heute.
JACOBIN hat mit Zachary Gallant darüber gesprochen, wie das materielle Erbe des Nationalsozialismus die deutsche Gesellschaft und Politik noch heute beeinflusst und was das für den Kampf gegen die extreme Rechte bedeutet.
Gegen die Credit Suisse wird derzeit erneut ermittelt, weil sie im Dritten Reich systematisch Geld für die Nazis gewaschen und die Spuren davon bis heute vertuscht hat. Sind sie damit allein?
Nein. Das Einzige, was den Fall Credit Suisse besonders macht, ist, wie sehr sie versuchen, ihre Schuld zu vertuschen. Man kann in Deutschland völlig unbeschwert eine Vergangenheit als Nazi oder Nazi-Kollaborateur haben und von den Profiten bis heute zehren. Man kann ein glückliches, unbeschwertes Leben führen und Einfluss auf Politik, Wirtschaft und Gesellschaft ausüben. Das gilt sowohl für die Kinder der Täter wie auch für die Manager ihrer Unternehmen.
Es wird derzeit ein großes Spektakel um Credit Suisse gemacht. Dabei ist das, was sie machen, so tief, so systematisch in der deutschen Gesellschaft verankert, so sehr verwurzelt, dass die meisten Profiteure es nicht für nötig halten, sich oder ihre Vergangenheit zu verbergen. Wer einfach den Mund hält und schweigt, hat nichts zu befürchten. Und selbst wenn die Profiteure eines Tages beschuldigt werden, beauftragen sie halt einen Historiker, die Unternehmens-, Familien- oder Stiftungsgeschichte zu untersuchen. Die Ergebnisse werden dann im Rahmen einer großen gemeinsamen Feier veröffentlicht. Sie zeigen der Welt stolz, wie sie Ihre Vergangenheit überwunden haben. Und dann können sie weitermachen, als wäre nichts geschehen.
Kannst Du ein Beispiel nennen?
Es fällt mir schwer, das auf ein Unternehmen zu beschränken. Derartige »Aufarbeitungsprozesse« gab es in fast jedem deutschen Unternehmen. Es werden Professoren dafür bezahlt, in die Archive zu gehen, und anlässlich der Veröffentlichung ihrer Ergebnisse in Buchform auf einer Pressekonferenz zusammen mit den Verantwortlichen des Unternehmens zu betonen, wie wichtig doch die historische Verantwortung sei. Es wird angesichts der Vergangenheit ein bisschen vor laufenden Kameras getrauert und anschließend gejubelt: »Schaut uns an. Wir sind so großartig. Wir haben es geschafft.« Das gilt für fast jedes Unternehmen der deutschen Automobilindustrie und wirklich jedes Chemie- oder Stahlunternehmen. Fast alle großen Unternehmen in Deutschland sind nach diesem Muster vorgegangen, ohne jemals den Aufwand betrieben zu haben, den die Credit Suisse unternommen hat, um ihre Nazi-Belastung zu vertuschen.
Im Zusammenhang mit der Credit Suisse hast Du mir erzählt, dass Du den Schweizer Botschafter bei den Vereinten Nationen mit den Untersuchungen konfrontiert hast. Wie hat er reagiert?
Ich war als Gast der Schweizer Delegation bei der UN eingeladen, um den Jahrestag der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte zu feiern. Es war eine wunderbare Veranstaltung, um etwas sehr Wichtiges zu feiern. Der Botschafter selbst war aufgeschlossen und freundlich.
»Deutschland tut so, als hätte es seine Nazi-Geschichte überwunden, dabei hat es die Gewinne nie zurückgegeben.«
Ich habe ihn gefragt, wie sehr die Enthüllungen über die Credit Suisse seine Arbeit erschwert hätten. Die Antwort war überraschend in ihrer Offenheit und Ehrlichkeit. Er sagte, die Schweizer Diplomatie sei von der Schweizer Wirtschaft getrennt, das eine habe mit dem anderen nichts zu tun. Ich habe nichts als Respekt für die Schweizer Diplomaten. Aber wenn es darum geht, wer in der Schweiz die Macht hat, dann sind es nicht die Diplomaten, sondern die Wirtschaft.
Du hast schon angedeutet, dass Nazi-Geld ein systemisches Problem ist. In deinem mit Katharina Gallant veröffentlichtem Buch Entnazifiziert Euch! zitierst Du Berechnungen des CIA-Analysten Sidney Zabludoff, der sagt, dass bis zu 250 Milliarden Euro im heutigen Wert an Geld und Gütern, die während der Arisierungen [der Beschlagnahmung jüdischen Eigentums durch die Nazis] enteignet wurden, noch heute in den Händen der reichsten deutschen Unternehmen sind. Ist das nicht etwas überraschend? Ist Deutschland nicht berühmt für seine Erinnerungspolitik und Vergangenheitsbewältigung?
Das passt gut zur seltsamen Vorstellung, dass Politik und Wirtschaft nichts miteinander zu tun hätten. Deutschland ist weltberühmt dafür, wie es mit seiner Geschichte umgeht; ich sehe das sehr kritisch. Deutschland tut so, als hätte es seine Nazi-Geschichte überwunden, dabei hat es die Gewinne nie zurückgegeben. Aus den 250 Milliarden Euro, von denen Zabludoff spricht, sind heute Vermögen in einer Größenordnung von 300 Milliarden bis 1 Billion Euro entstanden. Und dieses Geld finanziert alles. Es ist überall.
Dieses Geld hat einen großen Einfluss in Deutschland?
Das kann man nicht genug betonen: Es finanziert das zivile Leben. Es finanziert den Sport. Es finanziert die Kunst. Es finanziert die Kultur. Es finanziert die Schulen. Es finanziert die Zivilgesellschaft. Es finanziert Krankenhäuser. Es finanziert alles Mögliche. Aber es fließen auch jedes Jahr Millionen in die Politik.
Welchen Einfluss hat die Nicht-Aufarbeitung auf die Fähigkeit oder Unfähigkeit der Deutschen, den Faschismus zu bekämpfen?
Sie ist der Kern der Unfähigkeit der Deutschen, mit dem Faschismus umzugehen. Die Leute wollen über Parallelen zur Nazizeit sprechen, aber es sind keine Parallelen - das sind Kontinuitäten. Es hat eine Partei die Wahl gewonnen (CDU), die in der Nachkriegszeit voll von Nazis war und aktiv gegen die Entnazifizierung gekämpft hat, um Schaden von den verbliebenen Nazis abzuwenden. Und auch die Sozialdemokraten (SPD), hatten in den 1960er Jahren Nazis in ihren Reihen, die im Justizsystem an Gesetzen arbeiteten, auf dessen Grundlagen den Nazis im gesamten deutschen System Amnestie gewährt werden sollte.
»Das Geld und die Vermögen der Nazis wurden nicht enteignet. Jetzt haben die Profiteure und Erben der Nazis begonnen, Geld in den Aufbau der rechtsextremen AfD zu stecken.«
Die Entnazifizierung selbst sollte ursprünglich fünfzig Jahre dauern. Sie dauerte höchstens sechs Jahre. Der Entnazifizierungsprozess war nur ein Schatten dessen, was er hätte sein sollen. Die Entnazifizierung war letztlich nichts als eine Farce. Das Geld und die Vermögen der Nazis wurden nicht enteignet. Jetzt haben die Profiteure und Erben der Nazis begonnen, Geld in den Aufbau der rechtsextremen Alternative für Deutschland (AfD) zu stecken. Das Einzige, was mich überrascht hat, war die Bereitschaft der deutschen Bevölkerung, den Faschismus der AfD zu akzeptieren. Eigentlich ist das aber nur logisch, Deutschland hat keine Lehren aus den Erfahrungen der Antifaschisten in den 1920er und 30er Jahren gezogen. Diese waren eindeutig: in der Zusammenarbeit mit Nazis gibt es nichts zu gewinnen.
Vor allem nicht, indem man auf institutioneller Ebene mit ihnen zusammenarbeitet, wie der Kanzlerkandidat der CDU, Friedrich Merz.
Genau. Doch es ist nicht nur Friedrich Merz Zusammenarbeit mit den Nazis auf legislativer Ebene, die die Nazis ermächtigt, die der Welt zeigt, dass wir mit ihnen zusammenarbeiten können. Als Reaktion auf Merz‘ Vorgehen hatte Karl Lauterbach richtigerweise den Mut, Merz aufgrund dieser Zusammenarbeit einen Nazi zu nennen. Doch was passierte danach? Lauterbach wurde dafür kritisiert, knickte ein und hat sich entschuldigt. Kurt Tucholsky würde sich in seinem Grabe umdrehen, wenn er mitbekommen würde, dass Karl Lauterbach am 80. Jahrestag der Befreiung von Auschwitz seine Aussage, Friedrich Merz sei ein Nazi, zurückgezogen und sich entschuldigt hat. Er ist zurückgerudert, weil der Nazi traurig war, statt bei seiner Aussage zu bleiben und Rückgrat zu beweisen. Aber das ist das Problem: Das machen die Deutschen nicht. Und so werden wir die Nazis nie besiegen.
Wie erklärst du die Instrumentalisierung von Migration durch die extreme Rechte in diesem Zusammenhang?
Die AfD hat lange versucht, jüdische Menschen gegen Migration zu instrumentalisieren, vor allem gegen muslimische Migration. Das ist bereits seit langem, seit Pegida, Strategie. Die AfD spricht von »importiertem Antisemitismus«. Dazu kann ich nur sagen: In meinen ersten Jahren in Deutschland kamen meine engsten Freunde aus Ländern, die Deutschland des importierten Antisemitismus bezichtigt. Was ich gelernt habe, ist, dass der deutsche Antisemitismus viel gefährlicher ist als der »importierte«.
Wenn die Deutschen über importierten Antisemitismus sprechen, ist es meiner Meinung nach wichtig, über das Jahr 1941 und Adolf Hitlers Entscheidung zu sprechen, die Unabhängigkeit des Irak gegen den britischen Kolonialismus zu unterstützen. Diese Entscheidung Hitlers führte dazu, dass die Nazi-Propaganda ins Arabische übersetzt und im gesamten Nahen Osten durch die Muslimbruderschaft verbreitet wurde.
»Wenn wir von importiertem Antisemitismus sprechen, dann aufgrund jener Ideologie, die Deutschland in den 1940er Jahren dorthin gebracht hat. Deutschland hat diesen Antisemitismus geschaffen.«
Es war das erste Mal in der arabischen Geschichte, dass exterminatorischer Antisemitismus in die arabische Sprache Eingang fand. Es gab vorher auch Antisemitismus. Ich will das nicht leugnen, aber die Idee, dass die Juden eine Ethnie sind, die vernichtet werden muss, wurde überhaupt erst von den Deutschen ins Arabische übersetzt und verbreitet. Wenn wir von importiertem Antisemitismus aus dieser Region sprechen, dann nur aufgrund jener Ideologie, die Deutschland in den 1940er Jahren dorthin gebracht hat. Deutschland hat diesen Antisemitismus geschaffen.
Als Julius Streicher bei den Nürnberger Prozessen auf der Anklagebank saß, erklärte er, das Vorbild für den Antisemitismus sei Martin Luthers »Von den Juden und ihren Lügen«. Der darin enthaltene Antisemitismus ist einfach haarsträubend. Der Antisemitismus ist seit über fünfhundert Jahren tief in der deutschen Kultur verwurzelt, er musste nicht erst importiert werden.
Eine Sache, die Du und Katharina in Eurem Buch fordert, ist die Rückgabe des Geldes, das heute noch im Besitz der deutschen Nazi-Erben und -Profiteure ist.
Wir fordern nichts. Wir sagen nur: Wenn ihr das Nazi-Geld nicht zurückgebt, dann müsst ihr aufhören, so zu tun, als hättet ihr die Nazi-Geschichte Deutschlands überwunden. Dieses Eingeständnis wird jedoch verhindert durch die Positionierung Deutschlands auf der Weltbühne, die vorgibt, diese dunkle Geschichte überwunden zu haben. Ein solches Eingeständnis wäre aber ein notwendiger erster Schritt zu einer wirklichen Entnazifizierung. Die gegenwärtige Heuchelei dagegen ist lähmend.
Zachary Gallant hat gemeinsam mit Katharina F. Gallant das Buch Entnazifiziert euch! Wider dem Mythos der Vergangenheitsbewältigung herausgebracht. Ihre Forschung folgt den finanziellen Spuren von Verbrechen gegen die Menschlichkeit, in Deutschland und weltweit.