11. Februar 2025
Noch vor wenigen Wochen galt der Einzug des BSW in den Bundestag als sicher. Jetzt liefert sich die Partei ein Kopf-an-Kopf-Rennen mit der Linken und bangt um den Sprung über die Fünf-Prozent-Hürde. Die Brandenburger Spitzenkandidatin Friederike Benda erklärt, warum das so ist und was das BSW am stärksten von der Linken unterscheidet.
BSW-Spitzenkandidatin für Brandenburg Friederike Benda.
Vor wenigen Monaten sah es so aus, als wäre das Bündnis Sahra Wagenknecht auf dem Weg, die erfolgreichste Neupartei in der Geschichte der Bundesrepublik zu werden. Nur wenige Monate nach ihrer Gründung konnte sie bei der Europawahl aus dem Stand 6,2 Prozent holen; kurz danach erzielten sie ein Rekordergebnis bei den Landtagswahlen in Ostdeutschland, während die Linke das schlechteste Ergebnis in ihrer Geschichte einfuhr. Das BSW, so schien es damals, hatte die Zeichen der Zeit erkannt und würde nicht die Fehler der Vergangenheit wiederholen.
Doch ganz so einfach scheint es nun doch nicht zu sein: Aufgrund des starken Ergebnisses in Brandenburg und Thüringen sitzt die Partei nun in zwei Landesregierungen, deren Vorhaben nicht immer mit den erklärten Zielen des BSW in Einklang sind. Während das BSW vor sechs Monaten in manchen Umfragen noch bei 10 Prozent lag, hängt die Partei nun bei um die 5 Prozent fest und bangt um den Einzug in den Bundestag. Gleichzeitig scheint der Rechts-Links-Spagat, den das BSW zu meistern versuchte, die Partei zu zerreißen: Europaabgeordnete Friedrich Pürner, der wiederholt für Gespräche mit der AfD warb, trat neulich aus, weil er die Partei in der Hand von Linken sieht. Andere wiederum kehren der Partei den Rücken, weil ihnen Wagenknechts Rhetorik in Bezug auf Migration und Asyl zu scharf geworden ist.
Das BSW gibt sich trotzdem kämpferisch und deutet den zunehmenden Gegenwind als Zeichen dafür, dass man von den Mächtigen als Bedrohung betrachtet wird – so sieht es jedenfalls Friederike Benda. Sie war ehemals im Parteivorstand der Linken und ist jetzt BSW-Spitzenkandidatin in Brandenburg. Warum sie glaubt, dass das BSW die AfD schwächen kann und welche Gemeinsamkeiten es zwischen ihr und ihrer ehemaligen Partei noch gibt, erzählt sie im Interview.
Das BSW hat in den ostdeutschen Landtagswahlen 2024 einen fulminanten Start hingelegt. Woran liegt der Erfolg von BSW in Brandenburg, Thüringen und Sachsen?
Die Menschen hier in den östlichen Bundesländern haben ein feines Gespür für politische Maskeraden. Im Realsozialismus haben viele die Fähigkeit entwickelt, zwischen den Zeilen zu lesen. Dass Politik heute oft aus symbolischen Akten besteht, die aber real kaum etwas ändern, durchschauen hier viele. Sie fragen sich zurecht: Was macht ihr für uns und unsere Interessen? Viele Bürger, die nicht zufrieden sind, konnte das BSW bei den Landtagswahlen von sich überzeugen. Insbesondere auch vormalige Nichtwähler. Dass wir eine glaubwürdige Friedenspartei sind, die sich in allen Konflikten – auch bei Gegenwind – für Diplomatie einsetzt , war ebenso wichtig für den Erfolg.
In Brandenburg und in Thüringen ist das BSW nun sogar an Regierungen beteiligt. Vor allem die Zusammenarbeit mit der CDU überrascht viele. Wie arbeitet eine Partei, die aus der Linken hervorgegangen ist, mit den Konservativen zusammen?
Die Situation in Thüringen nach der Wahl war zugegeben vertrackt, aber das BSW hat in einem intensiven Verhandlungsprozess echte Substanz in den Koalitionsvertrag hineinverhandelt. Eine wohnortnahe Gesundheitsversorgung etwa, den Einsatz für einen Pflegekostendeckel oder dass der Verfassungsschutz nicht mehr im Bereich »Delegitimierung des Staates« – also zur Einschränkung der Meinungsfreiheit – tätig werden darf. Und natürlich die Kritik an der Stationierung neuer US-Mittelstreckenraketen in Deutschland. Dass wir CDU und SPD in Thüringen, aber auch die SPD in Brandenburg nach der sogenannten Zeitenwende dazu gebracht haben, diese Kritik an US-Waffen zu unterschreiben, ist geradezu sensationell.
In Brandenburg ist nun Dietmar Woidke seit fast zwölf Jahren Ministerpräsident. Welches sind die wichtigsten Veränderungen, die das BSW in der Koalition anstoßen will? In welchen Punkten liegt man da mit der SPD quer?
Im Brandenburger Koalitionsvertrag ist eine deutliche BSW-Handschrift vorhanden. So etwa bei der Festlegung, dass alle Krankenhausstandorte erhalten bleiben. Außerdem dass es ein ambitioniertes Tariftreuegesetz geben wird, das dazu führen wird, dass endlich mehr Beschäftigte Tarifverträge erhalten. Auch die Erhöhung des Landesmindestlohns sowie der Einsatz für die Steuerbefreiung von Renten unter 2.000 Euro ist uns gelungen. In der Bildung sollen auf unseren Druck hin analoge Lernmittel in der Grundschule klar Priorität haben. Der Schuldenbremsen-Logik wird im Koalitionsvertrag Dank uns klar widersprochen und es wird mindestens eine Reform angestrebt, um endlich wieder wichtige Investitionen tätigen zu können. Die Mehrheit der Menschen in Ostdeutschland wünscht sich eine Aufarbeitung der Corona-Zeit. Dafür haben wir uns eingesetzt. Vermutlich ist dies ein Punkt, bei dem die SPD ein gewisses Maß an Selbstreflektion aufbringen muss.
Viele, die von der Linkspartei zum BSW übergetreten sind, sahen die Regierungsbeteiligungen der Linken kritisch. Die Linke lasse sich auf ihre Funktion als Mehrheitsbeschafferin für die zahmen Mitte-Links-Parteien reduzieren. Wie unterscheidet sich nun die Koalitionsbeteiligung von BSW in Brandenburg und Thüringen von den vorhergehenden, für viele unbefriedigenden Regierungsbeteiligungen der Linken, in Thüringen etwa?
Wir haben überall hart verhandelt und auch der Bundespartei war nicht egal, was da passiert. Unser Ziel war nie: regieren um jeden Preis. Das ist für die Glaubwürdigkeit einer Partei wichtig. Mein Empfinden in der Linken war, dass den Landespolitikern zu viel Geschmeidigkeit in Richtung des etablierten Politikbetriebs gestattet wurde. Einige konnten so Minister werden, aber die Partei und die Menschen, die sie vorgab zu vertreten, haben massiv darunter gelitten. Auch weil diejenigen, die nach Anerkennung des Mainstreams fiebern, die Kompromisse schon mitgedacht haben, bevor sie überhaupt angefangen hatten, zu verhandeln. Mit so einer unterwürfigen Verhandlungstaktik holt man natürlich wenig raus und wird sehr schnell selbst zum Establishment.
In Brandenburg, wo ich zum Verhandlungsteam des BSW zählte, hat das niemand mit persönlicher Karriereplanungen verbunden. Es ging darum, BSW-Inhalte – also Frieden, Gerechtigkeit und Meinungsfreiheit – zu setzen. Wir sind standhaft geblieben. Das hat sich meiner Ansicht nach gelohnt. Jetzt gilt es für die Kolleginnen und Kollegen im Landtag und in den Ministerien, die im Koalitionsvertrag vereinbarten Dinge umzusetzen.
Was macht das BSW anders als die Linkspartei?
Das BSW hat sich bewusst für eine größere Offenheit zur Gesellschaft hin entschieden. Es geht nicht um linke Szene-Codes oder eine Politik in erster Linie für ein bestimmtes großstädtisches, akademisches Milieu, sondern für die große Mehrheit der Bevölkerung. Besonders auch für die, deren Konten nicht prall gefüllt sind. Die Empirie gibt uns bislang Recht: Wir wurden in Brandenburg von allen Alters- und Berufsgruppen einigermaßen gleichmäßig gewählt. Almosen verteilen – also zum Beispiel auf ein Klimageld zu pochen, aber gleichzeitig ein umfassendes Ölembargo zu fordern – greift das Problem nicht an der Wurzel. Es wertet Menschen zu passiven Bittstellern ab. Das hat mit Befreiung nichts zu tun.
Es reicht eben nicht, ab und zu von einer Politik für die Mehrheit der Bevölkerung zu reden. Man muss das ausstrahlen und in der Praxis umsetzen. Dazu gehört, in der politischen Kommunikation und Entscheidungsfindung abzuwägen: Was ist politisch klug und bringt einen echten Unterschied für die Mehrheit und was funktioniert nur in der eigenen sozialen Blase? Wir nehmen die Sorgen der Bevölkerung ernst und werden sie nicht für vermeintlich moralisch schlechte Worte oder Meinungen verurteilen. Wir sind die einzige Partei, die laut einer Studie der Uni Mannheim die AfD überhaupt geschwächt hat. Wir wollen den vielen Menschen, die zu Recht von der Politik enttäuscht sind, eine seriöse Alternative bieten.
Hinzu kommt: In diesen Zeiten, in denen europäische und deutsche Politiker ernsthaft über einen Krieg mit der Atommacht Russland fabulieren und massiv aufrüsten wollen, traut sich das BSW, zu sagen, dass die NATO-Osterweiterung ein Fehler war und die schrittweise Eingliederung der Ukraine in NATO-Strukturen – ohne dass sie formell Mitglied wurde – einer der Hauptgründe war, warum Russland den Krieg begonnen hat. Das entschuldigt diesen Krieg nicht, den wir verurteilen. Aber wenn man diese Ursachen nicht benennt, wird man kaum dauerhaft friedliche Lösungen erreichen.
Sie sagen, dass Sie den Krieg, den die russische Regierung in der Ukraine begonnen hat, verurteilen. Gleichzeitig äußern Sie Kritik an den Sanktionen, die auch Öl-und Gaslieferungen umfassen. Wie soll man Ihrer Ansicht auf völkerrechtswidrige Angriffe auf andere Länder reagieren?
Laut Annalena Baerbock sollten die Sanktionen Russlands Wirtschaft ruinieren. Die zeitweise Schwierigkeit für Russland, bestimmte hochtechnologische Güter zu kaufen, ist längst durch Käufe aus China oder andere Staaten kompensiert. Stattdessen leidet vor allem Deutschland unter den Sanktionen, weil wir nun erheblich teurere und klimaschädlichere Energie kaufen, Fracking-Gas aus den USA zum Beispiel. Oder Öl, das um die halbe Welt geschifft wird und vielleicht sogar russisches Öl ist, das lediglich umdeklariert wurde.
Außerdem heißt es seit Jahren, dass man mit dem Kauf russischen Öls und Gases die Kriegskasse von Putin finanziere. Das ist weitestgehend falsch. Russlands Armee und Rüstungsindustrie werden in der russischen Währung Rubel bezahlt. Die kann die dortige Zentralbank selbst drucken. Der Bedarf an westlichen Devisen, etwa um Waren aus dem Ausland zu kaufen, nimmt ebenso ab, weil die BRICS- Staaten und andere ihre Transaktionen mehr und mehr in ihren eigenen Währungen abwickeln.
An den Sanktionen beteiligen sich lediglich die NATO-Staaten sowie ein paar andere US-Verbündete. Die große Mehrheit der Welt hält sie für falsch. Auch weil der globale Süden nicht vergessen hat, dass die meisten Kriege und militärischen Interventionen der letzten 35 Jahre von den USA ausgingen. Die USA wurden deswegen aber nie von uns mit Sanktionen belegt. Auch gegenüber autokratischen Regierungschefs ist die Nutzung von Sanktionen zweifelhaft. Regelmäßig treffen sie die breite Bevölkerung, während die Mächtigen sie leicht umgehen können. Die vom Westen durchgesetzten UN-Sanktionen gegen den Irak kosteten in den 1990er Jahren bis zu 1,5 Millionen Irakern das Leben. Mit Blick auf die Geschichte von Sanktionen, sollte man dieses Mittel sehr kritisch sehen – auch weil sie fast nie den intendierten Effekt haben.
Mit militärischer Logik oder Sanktionen wird man Menschenrechtsverletzungen nicht beenden können. Auch die selektive Indienstnahme von Moral, um »Regime-changes« durchzusetzen, ist nicht geeignet, sondern Gesinnungsmoral und Chauvinismus des sogenannten Wertewestens, der sich um Folgeprobleme nicht schert und höchst fragile Regionen für die Bevölkerungen hinterlässt. Libyen ist hierfür ein warnendes Beispiel. Die Mehrzahl der Staaten der Welt sind keine Demokratien, wie wir sie kennen. Sollen wir die alle sanktionieren oder gar dort einmarschieren? Das BSW steht für Diplomatie und Interessenausgleich auf internationaler Ebene. Das ist mühsam, aber nachhaltig, wenn es einem wirklich um ein Verhindern von Kriegen und Stabilität geht.
Angenommen BSW schafft den Sprung in den Bundestag: Wie will sich die Partei aus der Opposition heraus für ihre Themen einsetzen?
Wir werden eine aufmüpfige Opposition und eine mutige Stimme für Frieden und Abrüstung sein. Das BSW plakatiert nicht nur Kompetenz, wir haben tatsächlich hochkompetente Kandidaten, etwa den Bestsellerautor Michael Lüders, der eine der glaubwürdigsten Stimmen ist, die sich für einen gerechten Frieden im Nahen Osten einsetzen. Oder den ehemaligen Fußballmanager Oliver Ruhnert, der sich im Bereich Sozial- und Sportpolitik einbringen will. Wir werden in Bund, Land und Kommune Politik aus einem Guss machen: Politik für Rentner und Geringverdiener, während große Vermögende einen fairen Beitrag leisten müssen.
Welche Gemeinsamkeiten gibt es noch mit der Linkspartei? Bei welchen Themen wäre eine Zusammenarbeit möglich?
Im Wahlkampf sind wir derzeit politische Konkurrenten, da mache ich mir keine Gedanken über Zusammenarbeit. Die Linke hat sich auf ein Niveau herabgelassen, um sich beim politischen Mainstream anzubiedern, das ich peinlich finde. Etwa, wenn die Linke-Parteivorsitzende, Ines Schwerdtner, über das BSW als »Kreml-Partei« redet. Besonders schräg finde ich auch, dass Die Linke in ihrem Wahlkampf die Höhe von Lebenshaltungskosten thematisiert, aber der Parteivorsitzende Jan van Aken sich mehrfach für ein sofortiges, ab Februar 2022 geltendes Embargo russischen Öls ausgesprochen hat. So ein sofortiger Ausstieg hätte erheblich höhere Energiepreise nach sich gezogen und sehr wahrscheinlich die Wirtschaft im gesamten ostdeutschen und osteuropäischen Raum zum Zusammenbrechen gebracht.
In Brandenburg ist aktuell die Stahlproduktion in Kurzarbeit, die Zukunft der PCK-Raffinerie komplett ungewiss, die Glasindustrie und einige Automobilzulieferer am Ende und selbst der größte Spreewälder Gurkenproduzent hat angekündigt, zu schließen. Alles wegen der Energiepreise. Man merkt an den Aussagen van Akens, dass das Wissen um ökonomische Zusammenhänge in der Linken dürftig ist. Wir verstehen, dass Reichtum erarbeitet werden muss, bevor er gerecht verteilt werden kann.
In den vergangenen Monaten ist eine Verschärfung der Rhetorik zu Migration aus den Reihen des BSW zu beobachten. In vielem kann man wenig Unterschiede zwischen Aussagen von Friedrich Merz und Vertreterinnen Ihrer Partei erkennen. Wie geht das mit den linken Werten zusammen, die BSW und Sie als Politikerin ja auch vertreten wollen?
Selbstverständlich muss Deutschland Menschen, die vor Krieg oder Verfolgung fliehen, weiterhin aufnehmen. Das BSW hat aber einen realistischen Blick auf die Welt. Jeder, der sich ernsthaft mit den Einstellungen der unteren Hälfte der Bevölkerung befasst hat, kann herausfinden, dass diese skeptischer gegenüber Migration ist, als die gut gebildeten oft materiell besser gestellten Mittelschichten. Das ist auch logisch, da die erhöhte Konkurrenz um Arbeit oder Wohnungen durch mehr Migranten die untere Hälfte der Bevölkerung viel mehr betrifft als die obere Hälfte. Die Frage von mehr oder weniger Migration ist deswegen weniger ein »Kulturkampf«, wie manche behaupten, sondern es ist eine soziale Frage. Weil jedoch die meisten Funktionäre der Parteien und auch die Journalisten heutzutage aus kosmopolitischen guten Mittelschichtsmilieus stammen, können oder wollen sie diese Wahrheit nicht sehen. Sie haben ihre eigenen Blasen, in denen man sich gegenseitig bestätigt.
Die Linke behauptet aktuell, dass die Aufnahme von 1 Million Migranten im Jahr überschaubar sei. Das ist ein deutliches »Fuck you« an die untere Hälfte der Bevölkerung, darunter viele Menschen mit Migrationsgeschichte. Deren Interessen vertritt Die Linke nicht. Praktisch sieht das dann so aus: In die Schulen der ärmeren Viertel der Städte gehen weit mehr Kinder, die kaum Deutsch sprechen. Das stellt die Wissensvermittlung vor riesige Herausforderungen, was wiederum die Aufstiegschancen für diese Kinder verringert. Natürlich ist unser Bildungssystem schon seit Jahrzehnten unterfinanziert, aber diese Feststellung lenkt ab von der Tatsache, dass die Vermittlung von Bildung an diesen Schulen wegen der Zunahme der Migration noch schwieriger geworden ist . Die Wahrheit ist deswegen, dass Integration kaum gelingen kann, wenn Kommunen und Aufnahmegesellschaft allgemein überfordert sind. Als BSW wollen wir eine Integrationspolitik, die die Menschen in diesem Land zusammenbringt und nicht spaltet.
Braucht Deutschland wirklich noch eine Partei, die sich für eine Verschärfung des Migrationsrechts einsetzt? Warum sollen Wählerinnen und Wähler auf das BSW setzen, wenn CDU oder sogar AfD auch eine Beschränkung der Migration fordern?
Deutschland braucht eine Partei, die die Realität anerkennt und die sich für die Belange der unteren Hälfte der Bevölkerung einsetzt. Eine Partei, die die Probleme und Herausforderungen, die mit Migration einhergehen benennt, aber ohne Rassismus und Ausländerhass zu verbreiten. Das BSW schürt keine Ressentiments. Wer über Migration redet, muss zudem deren Gründe mitdenken. Viele Menschen flüchten, weil die europäische Handelspolitik ihren Ländern die Entwicklung abwürgt oder wegen Kriegen. Und für nicht wenige dieser Kriege trägt die europäische Politik entweder eine direkte Mit-Verantwortung (Libyen, Afghanistan) oder wollte sie nicht schnellstmöglich beenden (Syrien, Ukraine).
Wenn man sich unseren Parteivorstand oder die Bundestagsgruppe ansieht, sind wir vermutlich die diverseste Partei des Landes. Das BSW wird überdurchschnittlich von Migranten gewählt. Das liegt daran, dass wir ihre sozialen Interessen vertreten. Und dass wir glaubwürdig bei allen internationalen Konflikten sind: Das BSW hat nicht nur mehrfach in den letzten vierzehn Monaten einen Stopp aller Waffenlieferungen an Israel wegen der Hinweise eines Völkermords an den Palästinenserinnen und Palästinensern beantragt, sondern als einzige Partei im Bundestag auch beide Resolutionen, die unter dem Deckmantel des Kampfes gegen Antisemitismus die Meinung- und Wissenschaftsfreiheit einschränken können, abgelehnt.
In den letzten Wochen haben sich die Umfragewerte des BSWs verschlechtert. Woran liegt das?
Wir werden es in den Bundestag schaffen. Aber der Gegenwind ist heftig. Im Wahlkampf wird deutlich, vor wem die Reichen und Mächtigen sowie die Aufrüstungsfans wirklich Angst haben. Da werden unsere BSW-Politiker bewusst nicht gleich behandelt oder es wird versucht, uns aus Wahlsendungen auszuschließen. Sigmar Gabriel, mittlerweile Rüstungslobbyist bei Rheinmetall und zugleich Vorsitzender der USA-Lobby-Organisation Atlantik-Brücke sagte kürzlich, er hätte lieber Die Linke im Bundestag als das BSW. Das macht aus seiner Sicht Sinn.
Wir fallen nicht um, wenn uns jemand in den Medien mit Dreck bewirft. Wir sind gegen Aufrüstung und immer neue Waffenlieferungen an die Ukraine, die das Sterben und diesen Krieg immer weiter verlängern. Wir sagen schon immer, dass die Wirtschaftssanktionen gegen Russland den USA nützen, den Krieg nicht beenden und vor allem uns selbst schaden. Renommierte Wissenschaftler wie James Galbraith bestätigen das. Wir fordern seit Langem diplomatische Bemühungen mit der Wiederaufnahme von Öl- und Gaslieferungen aus Russland zu verbinden. Nun wollen dies sogar deutsche EU-Diplomaten, da offenkundig ist, dass unsere Rezession in Deutschland, die maßgeblich an den hohen Energiepreisen liegt, eng mit den dummen Sanktionen verbunden ist.
Es gab vermehrt Presseberichte über einen autoritären Führungsstil Sahra Wagenknechts und einen Mangel an parteiinterner Demokratie. Wie geht das BSW in Brandenburg mit parteiinternen Meinungsverschiedenheiten um?
Man stelle sich vor, das BSW hätte nicht versucht, langsam und kontrolliert zu wachsen . Dann wären dutzende Glücksritter und vielleicht auch einige Rechte in die Partei geströmt und hätten sie mitunter von innen kaputt gemacht. Die Medien würden etliche Seiten damit füllen, uns dafür zu kritisieren, was für schlimme Leute bei uns Mitglied werden können. Deswegen halte ich Kritik von Medien am Parteiaufbau und Führungsstil für vorgeschoben. Ich verstehe aber, dass sich engagierte einzelne Unterstützer eine schnellere Aufnahme gewünscht hätten. Das wird nun auch passieren.
Vergangene Woche hat eine Mehrheit der BSW-Gruppe im Bundestag dem Gesetzesentwurf der CDU, der eine Beschränkung der Migration fordert, zugestimmt – gemeinsam mit den meisten Abgeordneten der FDP, sowie der AfD. Wie geht die Zusammenarbeit mit einer rechtsextremen Partei mit dem demokratischen Anspruch des BSW zusammen?
Wenn man einem Antrag zustimmt, den man für sachlich in Ordnung hält, ist das keine Zusammenarbeit. Die AfD hat stets den Auslandseinsätzen der Bundeswehr zugestimmt. Sie hat auch dem Zeitenwende-Gesetz, das unter anderen die viele Milliarden teure Entsendung einer Bundeswehrbrigade nach Litauen rechtlich regelt, zugestimmt. Wieso wird die ehemalige Ampel-Regierung nicht in die Mangel genommen, wenn sie Texte ins Parlament einbringt, denen auch die AfD zustimmen kann? Hat sie dann nicht auch mit der AfD zusammengearbeitet? Diese Debatte ist größtenteils Wahlkampf. Habecks Migrationspläne sind denen der CDU äußerst ähnlich. Es geht nicht um die Sache, sondern um moralische Selbsterhöhung. Diese Strategie hat die AfD erst groß gemacht.
Erinnern wir uns: die AfD war zunächst eine Anti-Euro-Partei. Und sie hatte mit der Feststellung, dass der Euro so wie er ist, nicht funktioniert, ja sogar Recht. Das hatte Gregor Gysi vor der Einführung des Euros ebenfalls festgestellt. Die Schlussfolgerungen der AfD sind aber natürlich andere, als ich sie gezogen hätte. Damals fing es an, dass man bestimmte offensichtliche Dinge nicht mehr sagen durfte. Sonst war man sofort Anti-Europäer. In der Linken wurde damals jeder Versuch, die reale Verfasstheit der EU und der Wirtschafts- und Währungsunion stärker zu problematisieren, von den Parteivorsitzenden Katja Kipping und Bernd Riexinger, aber auch von Gysi, bekämpft. Ähnliches war dann einige Jahre später zu beobachten. Alle, die auf Probleme oder Herausforderungen im Zusammenhang mit der großen Zahl an Geflüchteten, die nach Deutschland kamen, hinwiesen, wurden sofort in die rechte Ecke gestellt. Die Linke verlor viele Wähler an die AfD, weil sie die Sorgen der Menschen nicht ernst nahm. Gleiche Muster gelten bei Kritik an den Corona-Maßnahmen und schließlich bei der Einschätzung zum Ukraine-Krieg. Der Aufstieg der AfD ist somit zum Teil auch dem Versagen der Partei Die Linke anzulasten.
Die AfD erzählt tatsächlich oft völligen Unsinn, tritt nach unten gegen Menschen, die es richtig schwer haben und arbeitet mit brutalen völkischen Konzepten. Aber diese pauschale Herangehensweise, dass alles, was sie sagt, falsch sein muss, treibt einen selbst in die Enge. Die Brandmauer-Fans müssen immer genau das Gegenteil sagen. Und das gibt der AfD die Macht, dass sie Positionen besetzen kann, die dann von den anderen Akteuren nicht mehr als legitim anerkannt werden. Obwohl einige dieser Positionen wie etwa die Kritik an Grundrechtseinschränkungen sinnvoll oder das Eintreten für Diplomatie wie im Ukraine-Krieg sogar traditionell linke Positionen sind. Der bisherige Umgang mit der AfD hat in den letzten zwölf Jahren dazu geführt, dass die AfD von unter 5 Prozent nun auf womöglich über 20 Prozent geklettert ist. Es führt außerdem zu einer pauschalen Abwertung aller Menschen, die AfD wählen. Da machen wir nicht mit.
Wir kritisieren die AfD dort, wo es ihr weh tut. Dass sie keine Friedenspartei ist etwa. Und dass sie Politik für Milliardäre macht, wie das Hinterherdackeln hinter Elon Musk zeigt. Doch das können die anderen Parteien nicht kritisieren, weil sie für dieselbe Politik stehen. Natürlich sind mit Björn Höcke oder auch Leuten in Brandenburg Personen in der AfD, die eindeutig rechtsextrem sind. Dieser Fakt entbindet uns doch aber nicht davon, klug vorzugehen. Insbesondere deshalb, weil die AfD in Ostdeutschland von einem Drittel der Wähler gewählt wird. Man muss fragen, warum die Leute meinen, die AfD wählen zu müssen. Und ein großer Punkt ist die Verachtung vieler Bürger für die Selbstgerechtigkeit und Denkverbote der Polit- und Medienblase, der sie mit der Wahl der AfD den Mittelfinger zeigen wollen.
Dieses Interview wurde schriftlich geführt.
Friederike Benda war viele Jahre Mitglied des Bundesvorstands sowie des geschäftsführenden Bundesvorstands der Linken. Im Herbst 2023 trat sie aus der Partei aus und ist seit Januar 2024 stellvertretende Parteivorsitzende des BSW. Sie ist Spitzenkandidatin des BSW für die Bundestagswahl in Brandenburg.