30. Januar 2025
Wenn der wirtschaftliche Wohlstand in der Krise ist, wird er mit neuer Radikalität verteidigt: Das zeigt die zunehmende Militarisierung nach außen und der Rassismus nach innen. Ein Gespräch über die Verflechtung von Geopolitik und wirtschaftlicher Macht und die Lüge der »wertegeleiteten Außenpolitik«.
Außenministerin Baerbock bei einer Reise nach Nigeria, 19. Dezember 2022.
Pandemie und Krieg haben uns in den letzten Jahren vor Augen geführt, wie eng die Nationalstaaten ökonomisch und politisch verflochten sind. Lieferketten umspannen die Welt, mehr oder weniger stabile Militärbündnisse bilden Machtblöcke. Die kapitalistischen Zentren sind auf Energieträger angewiesen, brauchen Rohstoffe, billige Arbeitskraft, suchen nach Absatzmärkten, Anlagemöglichkeiten und militärischen Verbündeten.
In Deutschland erleben wir die konkreten Effekte dieser Abhängigkeiten: Es werden Terminals für Flüssigerdgas gebaut, um mittels Importen aus den USA oder Katar die Abhängigkeit von russischem Gas zu reduzieren. Bei deutschen Autobauern wie Volkswagen oder BMW kommt es wegen Halbleiter-Knappheit, ausgelöst durch globale Lieferkettenprobleme, zu Produktionsstopps. Die Bundesregierung präsentiert eine »China-Strategie«, die eine stärkere Diversifizierung im Bereich der Handelsbeziehungen fordert, um die Resilienz der deutschen und europäischen Wirtschaft zu erhöhen, Abhängigkeiten zu reduzieren und die technologische Souveränität zu stärken. Produktionskapazitäten werden ins Ausland verlagert, unter anderem wegen steigender Energiepreise. Parallel dazu wird in gewaltigem Ausmaß aufgerüstet und die Wiedereinführung der Wehrpflicht diskutiert. Kai Koddenbrock, Professor für Politische Ökonomie am Bard College Berlin, erklärt im Gespräch mit JACOBIN, welcher Logik diese Prozesse folgen.
Du arbeitest mit einem Begriff, der in Ministerien, Think-Tanks und der Wissenschaft angesichts der Verdichtung ökonomischer und politischer Prozesse zunehmend an Beliebtheit gewinnt: Geoökonomie. Was können wir uns darunter vorstellen?
Der Begriff der Geoökonomie wurde 1990 auf dem Höhepunkt der »Ende der Geschichte-Idee« vom US-amerikanischen Strategen Edward Luttwak geprägt. Das war auch die Zeit, in der überall Bücher über das Ende des Nationalstaates im Zeitalter der Globalisierung geschrieben wurden. Luttwak argumentierte, dass für die USA Kriege kein ernstes Thema mehr seien und der Staat vor allem auf wirtschaftliche und weniger militärisch-geopolitische Instrumente setzen werde.
Diese Geschichte deutet bereits auf etwas sehr Wichtiges hin: Der Begriff stammt aus dem Westen, aus dem imperialen US-Kontext, und er beschreibt staatliches Handeln in Bezug auf die Wirtschaft. Auch wenn Trump den Glauben an eine wieder erstarkende USA entfachen will, geht es um das Management eines relativen Abstiegs. Der selbsterklärte Westen ist heute in der Krise und viele fragen sich, wie es weiter gehen soll angesichts des unaufhaltsamen Aufstiegs Chinas, drohender Deindustrialisierung, Klimakrise und der Unfähigkeit, eine tragfähige Strategie im Umgang mit Russland zu entwickeln.
Geoökonomie entspringt also einer bestimmten ideologischen und realpolitischen Konstellation und es ist kein Zufall, dass allerorten entsprechende Forschungszentren aus dem Boden sprießen, auch in Deutschland: Vom Institut für Weltwirtschaft Kiel über die Deutsche Gesellschaft für Außenpolitik bis zu den geschätzten Kolleginnen und Kollegen der Universität Erfurt. Europaweit und in den USA ließe sich diese Liste spielend leicht fortsetzen. Wir wollen verstehen, warum unsere Hegemonie bröckelt und welche Instrumente Staat und Wirtschaft einsetzen können, um unseren Abstieg aufzuhalten oder sogar wieder in einen Aufstieg zu verwandeln.
Geoökonomie untersucht also die Instrumente, mit denen ein Staat die eigene Position in der Weltpolitik und die Stellung nationaler Unternehmen in der Weltwirtschaft verbessern kann: Sanktionen, Subventionen, Diplomatie, Regeln, Streitkräfte, Drohnen und so weiter.
Mit Lenin könnte man sagen: Staat und Kapital verschmelzen zu einer Einheit und treten an, mit allen möglichen Mitteln die Welt zu erobern.
»Rassismus im Innern und Militarismus gegenüber der Welt wachsen immer dann, wenn die ›Sicherheit der Nation‹ auch ökonomisch nicht mehr gegeben ist.«
Etymologisch ist das »geo-« wichtig, das altgriechisch für »Erde« steht. Es geht hier um die Erde, die Welt, den Planeten – es geht darum, weltweit wirtschaftlichen Erfolg zu erzielen. Mit dieser Logik beschäftigt sich die Geoökonomie. Das war aus Sicht der marxistischen Imperialismustheorie historisch schon immer das Wesen des kapitalistischen Staates.
Dass jetzt alle ungestraft so tun können, als seien sie dabei etwas ganz Neuem auf der Spur, liegt auch an der Schwäche der marxistischen Theorie und Praxis im Westen. Aber das ändert sich glücklicherweise gerade. Geoökonomie und Imperialismustheorie sind Geschwister, die sich noch nicht wiedergefunden haben, aber es bald tun werden. Die neue Generation von Studierenden, Aktivistinnen und Aktivisten ist jenseits des »There is no alternative« aufgewachsen und eignet sich marxistische Theorie mit einer Wucht an, die neu ist.
Das Bild von der Verschmelzung von Kapital und Staat ist etwas plakativ und könnte in die Irre führen. In der Realität werden Staat und Kapital nicht identisch, eher handelt es sich um eine enge Verschränkung von staatlichen Institutionen und ökonomischen Eliten, um das Zusammenfallen von staatlichen und unternehmerischen Interessen. Wie muss man sich das in der Praxis vorstellen? Kommt es zu personellen Verflechtungen, gemeinsamen Absprachen?
Es gab und gibt zahlreiche Versuche in den letzten Jahrzehnten, die Verflechtung und Abhängigkeit von Staat und Kapital genauer unter die Lupe zu nehmen, so zum Beispiel die Verflechtung von Aufsichtsräten in der Deutschland AG, die Rolle der Mont Pelerin Society, oder auch die Konzentration von Akteurinnen und Akteuren im globalen Finanzsystem.
Friedrich Merz als ehemaliger BlackRock-Angestellter ist ein Ergebnis des Drehtüreffekts zwischen Finanzwirtschaft und Politik. Aber wird er aktiv als Lobbyist von Blackrock-Interessen auftreten, wenn er Kanzler ist? Vermutlich nicht. Hier ist aus meiner Sicht die Formulierung von Nico Poulantzas zur »relativen Autonomie« des Staates gegenüber privatwirtschaftlichen Akteuren im Kapitalismus hilfreich. Staatliche Verwaltungen und andere Institutionen setzten nicht oft direkt die spezifischen Interessen einzelner Unternehmen oder des Kapitals durch, sie entscheiden relativ, nicht absolut frei. Aber sie sind aktiv an der Reproduktion kapitalistischer Herrschaft und Prozesse beteiligt und bestellen damit den Boden dafür, dass wir keinen Ausstieg aus dem Kapitalismus finden. Und sie behandeln bestimmte Sektoren und Kapitalfraktionen situativ anders, mit realen Verteilungseffekten.
Politik und Volkswirtschaft, Sicherheits- und Wirtschaftspolitik sind immer verflochten, aber unterschiedlich intensiv. Trump überlegt gerade, auf Basis welcher Gesetze er nun exekutiv Zölle erheben kann. Er kann das, indem er es als eine Frage »nationaler Sicherheit« fasst.
»Deutschland hat immer versucht, seine nationalen Interessen durchzusetzen. Das fiel deshalb nicht auf, weil die EU-Osterweiterung als schöner EU-Idealismus verkauft werden konnte.«
In ökonomisch stabilen, hegemonialen Phasen sind Sicherheitsfragen üblicherweise schlicht militärisch-diplomatische Fragen. Sind die Reproduktionsbedingungen aber in Gefahr und instabil, schieben sich Sicherheit und Wirtschaft stärker ineinander. Das betrifft innere und äußere Gefahren für den Wohlstand eines Landes. Rassismus im Innern und Militarismus gegenüber der Welt wachsen immer dann, wenn die »Sicherheit der Nation« auch ökonomisch nicht mehr gegeben ist.
Genau das lässt sich ja zurzeit auch in Deutschland beobachten.
Ja. Zum Beispiel hatte der Abbruch der Beziehungen zu Russland diverse ökonomische und auch elektorale Konsequenzen auf Deutschland – Inflation, gesunkenes Realeinkommen, Aufstieg der AfD und so weiter. Diese transatlantische Strategie geht nun in Deutschland mit dem Versuch einer neuen Außenwirtschaftspolitik einher: stärkere Beziehungen mit Afrika in Bezug auf Gas und Öl, Gas-Deals mit den Scheichs im arabischen Raum.
Hier reagiert die Außenwirtschaftspolitik auf die Sicherheitspolitik und beide Felder sind damit beschäftigt, den Wohlstand und die Sicherheit der deutschen Bevölkerung – und natürlich insbesondere den des obersten 1 Prozent – zu mehren. Insofern hängen diese Politikfelder voneinander ab. Und wenn der deutsche Chemiekonzern BASF ankündigt, seine Aktivitäten in Deutschland zu reduzieren und stattdessen vermehrt in den USA zu investieren, wird darüber auch in den Ministerien sehr aktiv diskutiert. BASF und Vertreter anderer wichtiger Sektoren der deutschen Exportindustrie sind also in engem Austausch mit staatlichen Agenturen und versuchen, gemeinsame Nenner zu finden. Äußere Sicherheit und wirtschaftlicher Wohlstand sind untrennbar verbunden, das fällt uns aber nur in Krisenzeiten auf. Die Debatte über Geoökonomie ist Ausdruck dieser Überraschung.
Du beschreibst hier die Entwicklungen seit Ausbruch des Ukraine-Krieges. Aber bereits davor hast Du in The Political Economy of Geopolitics geschrieben: »Zunehmend offene Konflikte in der globalen politischen Ökonomie haben tiefgreifende Veränderungen in der Politik und Rhetorik rund um die Schnittstelle von wirtschaftlicher Offenheit und Sicherheit ausgelöst. Die erneute Bekräftigung eines ›nationalen Interesses‹, insbesondere im Zusammenhang mit ›strategischen Sektoren‹ und ›kritischer Infrastruktur‹, scheint in den meisten fortgeschrittenen kapitalistischen Volkswirtschaften Einzug gehalten zu haben und stellt herkömmliche Vorstellungen davon, wie der liberale Kapitalismus funktionieren sollte, in Frage«. Spätestens seit dem 22. Februar ist daran nicht mehr zu zweifeln – woran hat man es vorher bemerkt? Und was hat sich mit dem Ukraine-Krieg verändert?
Deutschland hat immer versucht, seine nationalen Interessen trotz aller EU-Rhetorik durchzusetzen. Das fiel deshalb nicht auf, weil zum Beispiel die EU-Osterweiterung als schöner EU-Idealismus verkauft werden konnte, während sie direkt in die Hände der deutschen Industrie spielte, die Osteuropa als günstige Werkbank nutzen konnte.
Die zunehmende Konflikthaftigkeit und Unsicherheit lassen sich alle auf eine zentrale Ursache zurückführen: die real bröckelnde Hegemonie der USA und ihrer Alliierten im Westen angesichts des Aufstiegs Chinas. Kapitalakkumulation und Wachstum sind nicht mehr unproblematisch, sondern müssen erkämpft werden. Da braucht es eine Intensivierung des Deals zwischen Staat und Kapital. Trump und Brexit und der Aufstieg der AfD sind ohne die Anteile am Weltmarkt, die sich China auch dank der Globalisierungsstrategien des US- und BRD-Kapitals gesichert hat, nicht zu verstehen.
Gegen wen müssen strategische Sektoren und kritische Infrastruktur geschützt werden? Gegen Huawei, TikTok und den chinesischen Staat. Wir haben es mit dem Ende der westlichen Hegemonie zu tun und das macht alle ganz wuschig. Der Ukraine-Krieg hat diesen Prozess und die Blockbildung nur verstärkt. Allerdings ist die deutsche Industrie sektoral unterschiedlich in und zu China positioniert. Chemie- und Automobilindustrie haben hier zum Beispiel andere Interessen, weil für beide China ein zentraler Absatzmarkt ist, aber die chinesische Chemieindustrie (noch) kein ernster Konkurrent ist. Die Automobilindustrie wurde vom wichtigen Absatzmarkt zum tödlichen Konkurrenten. Hier können wir also unterschiedliche Positionierungen dieser Wirtschaftssektoren in puncto Deutschland-China-Beziehungen erwarten.
Der Westen wird seine Hegemonie nicht kampflos abtreten. Du hast 2018 geschrieben, dass sich die Erkenntnis durchsetzt, dass »Rechtsruck, Protektionismus und Rückbau zahlreicher multilateraler Abkommen von Dauer sein könnten«, während die Globalisierung die »Aura der Alternativlosigkeit« verloren habe. Was bedeutet das?
Es ist überdeutlich geworden, dass die Globalisierungsgewinne, die immer schon auf Ausbeutung insbesondere des globalen Südens basiert haben, auch bei uns nicht mehr ausreichend fair verteilt sind. Sie kommen vor allem dem obersten 1 Prozent und einigen Großkonzernen, sogenannten Mittelständlern, und deren Erben zugute. Das hat zunächst strukturelle Gründe. Die Akkumulationszentren verschieben sich damit steht »unser« Platz an der Spitze der Wertschöpfungsketten in Frage. Darüber hinaus hat sich die Aufteilung der Wertschöpfung auf Arbeit und Kapital verschoben, der Anteil, der auf den Faktor Arbeit entfällt, hat sich reduziert und gleichzeitig stagnieren oder fallen die Reallöhne seit langem. Trotzdem gäbe es auch aktuell noch Spielräume für Umverteilung, aber dafür müsste man sich mit den Klattens, Quandts und Albrechts anlegen.
»Die Grünen glauben an die Notwendigkeit eines grünen Kapitalismus. Aber der Globale Süden ist ihnen dabei egal.«
Nun geht es also darum, den volkswirtschaftlichen Abstieg zu verlangsamen und/oder ein genuin neues Wirtschaftssystem angesichts der Klimakrise zu entwickeln. Degrowth und Delinking unter Bedingungen eines kapitalistischen und imperialistischen Weltsystems sind da aus meiner Sicht existentielle Fährten, die wir theoretisch und praktisch weiterzuentwickeln haben.
Degrowth bedeutet den gezielten Rückbau von besonders klimaschädlichen Wirtschaftssektoren und die gleichzeitige Stärkung sinnvoller Bereiche. Delinking heißt hingegen, dass sich insbesondere Staaten im Globalen Süden in strategisch wichtigen Bereichen auf den Binnenmarkt konzentrieren und sich dadurch den Abhängigkeiten des Weltmarktes entziehen. Arbeitskräfte und bestimmte Ressourcen sind im Überfluss vorhanden und könnten für den Aufbau einer diversifizierten Wirtschaft genutzt werden, wenn sie weniger auf den volatilen Weltmarkt ausgerichtet ist.
Verbunden mit regional kooperativer Wirtschaftspolitik, die sich der Wettbewerbslogik unter Nachbarn gezielt entzieht, wäre das eine vielversprechende Strategie. In der EU gäbe es für eine progressive Delinking-Politik zahlreiche Möglichkeiten, da unter dem Begriff der ›strategischen Autonomie‹ bereits ein Mainstreamdiskurs besteht, den man progressiv drehen könnte.
Wie weit die Rechte oder der autoritäre »Liberalismus« in Fragen der polizeilichen und militärischen Gewaltanwendung in Zeiten der verschärften Konkurrenz gehen wird, wird sich zeigen. In früheren ernsthaften Krisen gab es weder auf Seiten der Sozialdemokratie noch der Liberalen Skrupel, man denke an die Ermordung Rosa-Luxemburgs und Karl Liebknechts oder auch an die Zustimmung zu den Kriegskrediten von 1914. Mehrere sehr besorgniserregende Entwicklungen der letzten Monate geben Anlass zur Vorsicht: die Radikalisierung von Staatsräson und die Polizeigewalt zur Bekämpfung der Palästinasolidarität sowie die Unterstützung des Genozids in Gaza bis weit in die gesellschaftliche Linke hinein. Dies ist mit der Normalisierung zunehmender Polizeigewalt verbunden. Die Kriminalisierung antikapitalistischer Klimaaktivistinnen bis zum Berufsverbot wie jüngst bei Lisa Poettinger und die Antisemitismus-Resolutionen des Bundestages stellen eine ernste Gefahr für die Meinungs- und Versammlungsfreiheit in Deutschland dar. Das mediale Trommelfeuer zur »Zeitenwende« und zum Krieg gegen Russland lassen darauf schließen, dass eine auch militärische und polizeiliche Absicherung unserer »Abstiegsgesellschaft«, um es mit Oliver Nachtwey zu sagen, keinesfalls unrealistisch ist.
Eng verbunden mit der künftigen Organisation und Absicherung des Welthandels ist die ökologische Frage. Das hat auch das Auswärtige Amt Deutschlands begriffen und betreibt eine Abteilung für »Klimaaußenpolitik und Geoökonomie«. Auf der Website der Abteilung schreibt das Auswärtige Amt: »In multilateralen Vereinbarungen werden die Grundlagen für ein offenes, gerechtes, ökologisch und sozial nachhaltiges Welthandelssystem geschaffen, das deutschen Unternehmen überall fairen, diskriminierungsfreien Zugang zu den Weltmärkten gewähren soll«. Worum geht es dabei wirklich?
Diese Formulierung aus dem Hause Baerbock passt zu den neuen Grünen wie ihre blinde, militärische Unterstützung der »Selbstverteidigung« Israels in Gaza. Das ist kaum anders, denn als offener Imperialismus zu bezeichnen. Die Grünen glauben an die Notwendigkeit eines grünen Kapitalismus. Aber der Globale Süden ist ihnen dabei egal. Jede Art von Protektionismus und selektiver Abkopplung durch die Stärkung von Binnenmärkten oder einer regionalen, kooperativen Industriepolitik ist dabei unbedingt im Namen der »diskriminierungsfreien« Marktzugänge zu verhindern. Mit den Grünen ist relatives Delinking nicht zu machen.
»Internationalistisch heißt, die substantielle Verbesserung der Lebenssituation der Mehrheit der Bevölkerung in jedem Land dieser Welt als Handlungshorizont zu haben.«
Man hört auch aus den Entwicklungsfinanzierungs- und Klimaverhandlungen im UN-System, dass Deutschland trotz aller »Afrikastrategien«, die von Partnerschaft schwadronieren, aktiv jede Art von gemeinsamer Front von Staaten aus dem Globalen Süden zu verhindern sucht. Für die Linke in Deutschland ist es an der Zeit, jede Illusion über die Wohltätigkeit und Güte unserer Regierungen abzulegen und für eine internationalistische und solidarische Linke einzutreten, die sich klug mit der neuen auch von China dominierten Akkumulationsdynamik arrangiert.
Angesichts der immer verzweifelter genutzten geoökonomischen Instrumente von Schutzzöllen bis hin zu Unternehmensverboten und der eskalierenden Kriegs- und Rüstungswettläufe ist die Klimakrise für einen Moment aus dem öffentlichen Bewusstsein verdrängt. Aber sie wird schneller und jederzeit wieder ins Bewusstsein der Wählenden geraten und spätestens dann muss eine gesellschaftliche Linke da sein. Dass diese anti-imperialistisch und anti-kapitalistisch und anti-rassistisch sein muss, steht angesichts der sich zuspitzenden Krisen völlig außer Frage. Das ist natürlich leicht gesagt. Es gibt aber gute Ansätze, zum Beispiel unter dem schönen Slogan von Isabella Weber zur »antifaschistischen Wirtschaftspolitik«.
Jetzt müssten wir alle noch hart daran arbeiten, dass diese neue Wirtschaftspolitik auch internationalistisch wird, um der destruktiven Verschränkung von Sicherheits- und Wirtschaftspolitik entgegentreten zu können. Internationalistisch heißt, die substantielle Verbesserung der Lebenssituation der Mehrheit der Bevölkerung in jedem Land dieser Welt als Handlungshorizont zu haben und mit ihnen solidarisch zu sein. Ein erster Schritt dahin ist es, den wirtschaftlichen und politischen Aufstieg des Globalen Südens unbedingt zu unterstützen.
Kai Koddenbrock ist Professor für Politische Ökonomie am Bard College Berlin.