05. März 2025
Viele wirtschaftswissenschaftliche Institute halten sklavisch an den Dogmen des freien Marktes fest. Ein neues Forschungszentrum will dem ein Ende setzen und Ökonomen ausbilden, die sich weigern, ein System zu verteidigen, das nur wenigen dient.
Viele wirtschaftswissenschaftliche Fakultäten stehen in der Tradition der Neoklassik – das Center of Heterodox Economics will Ökonomie neu denken (Symbolbild).
Die ersten Wochen der neuen US-Regierung unter Donald Trump waren von schnell umgesetzter, autoritärer Austeritätspolitik geprägt. Man könnte von »Austeritarismus« sprechen, womöglich ein prägendes Merkmal unserer heutigen Zeit. Denn schon die Vorgängerregierung unter Joe Biden hatte sich in diese Richtung bewegt, indem Milliarden in die Kriegswirtschaft gesteckt wurden, während gleichzeitig dringend benötigte Bundesmittel für die schwächsten Menschen der Gesellschaft ausliefen. Dies führte unter anderem zu einem dramatischen Anstieg der Kinderarmut: Die Zahl der Kinder, die in den USA in absoluter Armut leben, hat sich zwischen 2021 und 2023 fast verdreifacht.
Trump ist auf einer Mission, das Wenige, das vom sozialen Sicherheitsnetz der Vereinigten Staaten noch übrig ist, zu demontieren: Medicaid kürzen, Lebensmittelmarken beschränken, staatliche Hilfsprogramme streichen. Dahinter steht Project 2025, der von der Heritage Foundation ausgearbeitete Plan, mit dem jegliche staatliche Unterstützung für die ärmsten Amerikaner abgeschafft werden soll.
Dann kam der 28. Januar 2025: Mit einem Federstrich fror Trump wichtige Bundeshilfen ein und überrumpelte damit die Regierungen der Bundesstaaten, gemeinnützige Organisationen und Millionen von Amerikanerinnen und Amerikanern in Not. Die Kürzungen betrafen alles von der Heizkostenhilfe für einkommensschwache Familien bis hin zu Zuschüssen für die Förderung der kindlichen Entwicklung, Gesundheitsversorgung und Universitäten. Ein Bundesrichter hat die Anordnung vorübergehend gestoppt, aber die Botschaft ist klar: Diese Regierung ist fest entschlossen, die Unterstützung für Familien der Arbeiterklasse zu streichen, ungeachtet der Folgen.
»Die Schere zwischen Arm und Reich geht nicht allmählich auseinander, sie wird mit höchster Geschwindigkeit auseinandergerissen.«
Diese Maßnahmen sind kein isoliertes Phänomen, sondern Teil eines umfassenden Angriffs auf die öffentliche Infrastruktur. So nimmt derzeit der Druck auf 2 Millionen Bundesbedienstete zu, ihre Arbeit an den Nagel zu hängen. Trump verspricht ihnen dafür eine Abfindung. Zeitgleich werden im Weißen Haus die roten Teppiche für Unternehmen und Ultrareiche ausgerollt, neue Steuererleichterungen für das Kapital geplant und die Schlinge um die Hälse der Arbeiterinnen und Arbeiter immer enger gezogen.
Mit Austeritätspolitik wird im Allgemeinen sichergestellt, dass die Reichen immer reicher werden – und das in rasantem Tempo. Laut Oxfam ist das Vermögen der Milliardäre allein im Jahr 2024 um zwei Billionen US-Dollar gestiegen, was einer Verdreifachung des Tempos des Vorjahres entspricht. Unterdessen haben mehr als die Hälfte der amerikanischen Haushalte (52 Prozent) Schwierigkeiten, ihre Grundbedürfnisse zu decken, ganz zu schweigen davon, Rücklagen für Notfälle anzusparen. Die Schere zwischen Arm und Reich geht nicht allmählich auseinander, sie wird mit höchster Geschwindigkeit auseinandergerissen.
In der Vergangenheit wurde Austerität als ein notwendiges Übel und eine unvermeidliche Reaktion auf die Finanzkrise dargestellt. Das kann heute nicht mehr gelten. Die Maske ist gefallen: Es gibt keine derartigen Ausreden, keine Rechtfertigungen mehr. Nur roher, ungefilterter Klassenkampf, gestützt auf veraltete Wirtschaftsdogmen. Das Center for Heterodox Economics (CHE) an der University of Tulsa im erzkonservativen Oklahoma hat sich zum Ziel gesetzt, diese Dogmen in Frage zu stellen.
Die offizielle Gründung des CHE auf unserer ersten Konferenz in Tulsa bildete den Auftakt zu unserem Versuch, das ökonomische Denken von Grund auf neu zu gestalten. Wir wollen auch die Rolle von Ökonominnen und Ökonomen überdenken. Sie sollten nicht länger Komplizen in von der Realität losgelösten technokratischen Denkübungen sein, sondern aktive Vermittler von Wirtschaftswissen. Und wir wollen die Wirtschaftswissenschaften als ein Instrument zurückgewinnen, mit dem eine Zukunft jenseits von Austerität und Ausbeutung konzipiert werden kann.
»Austeritätsmaßnahmen sind ein fester Bestandteil des Kapitalismus: Sie stabilisieren die Klassenverhältnisse, indem sie die Mehrheit zu größerer Marktabhängigkeit erziehen.«
Die neoklassische Tradition, die immer noch die Lehrpläne an den Universitäten sowie die öffentliche Debatte dominiert, muss als ein Paradigma unter vielen verstanden werden. Dieses Paradigma soll durch robustere – institutionalistische, marxistische, sraffianische, postkeynesianische und andere – Theorien hinterfragt werden. Das CHE bietet das erste Nebenfachstudium in Heterodoxer Ökonomie in den USA und strebt danach, dieses zu einem Graduierten- und Postgraduiertenprogramm auszubauen. So soll eine neue Generation von Ökonominnen und Ökonomen ausgebildet werden, die sich weigern, ein System ideologisch zu unterstützen, das lediglich einigen Wenigen dient – auf Kosten der Mehrheit.
Aus Sicht des CHE entsteht echte Innovation im Bereich des ökonomischen Wissens durch die Auseinandersetzung mit sozialen Kämpfen und den gelebten Erfahrungen derer, die die tatsächlich Wirtschaft gestalten: der Arbeiterinnen und Arbeiter.
Austeritätsmaßnahmen sind ein fester Bestandteil des Kapitalismus: Sie stabilisieren die Klassenverhältnisse, indem sie die Mehrheit zu größerer Marktabhängigkeit erziehen und zwingen. Damit Märkte existieren können, ist eine gefügige Bevölkerung, die keine andere Wahl als Lohnarbeit hat, eine wichtige Voraussetzung. Wenn wir den größten Teil unseres Tages dafür aufwenden müssen, über die Runden zu kommen, wer hat dann Zeit, über das große Ganze nachzudenken, geschweige denn über Alternativen?
Die unermüdlichen Bemühungen der Eliten, diese Marktabhängigkeit durch Regierungsmaßnahmen zu erhöhen, zeigen deutlich auf, was die neoklassische Ökonomie zu verbergen sucht: eine inhärent historisch-politische Natur unserer Wirtschaftsweise. Der Kapitalismus ist alles andere als spontan oder nachhaltig selbsterhaltend, sondern äußerst fragil. Das ist kein Wunder; schließlich basiert er auf der systematischen Unterdrückung der großen Mehrheit.
Wir hoffen, dass das CHE durch die Förderung fundierter wirtschaftswissenschaftlicher Kenntnisse, die auch die bestehenden Machtverhältnisse in Frage stellen, dazu beitragen kann, den eisernen Griff unseres ungerechten und gewalttätigen ökonomischen Status quo zu lockern und auf etwas Besseres hinzuarbeiten.
Clara Mattei ist Professorin für Wirtschaftswissenschaften und Direktorin des Center for Heterodox Economics an der University of Tulsa sowie Autorin des Buches Die Ordnung des Kapitals, das 2025 im Brumaire Verlag erscheint.