12. November 2020
Erfolgreich war der New Deal vor allem, weil er den Konflikt mit den Reichen und Mächtigen nicht scheute. Darin liegt seine Vorbildfunktion für eine neue linke Klimapolitik.
Roosevelt bei der Unterzeichnung des Social Security Act, auf dem die Sozialversicherung der USA bis heute beruht.
Der New Deal der Roosevelt-Regierung in den USA hat einen guten Ruf. Vor allem als Werbebanner für einen einem »Green New Deal« ist er dieser Tage wieder äußerst beliebt, vor allen Dingen in den USA. So schreibt etwa Naomi Klein, dass »das Konzept des Green New Deal seine Inspiration aus Franklin D. Roosevelts New Deal bezieht, der mit einem bunten Strauß politischer Maßnahmen und öffentlicher Investitionen auf das Elend und den Zusammenbruch während der Weltwirtschaftskrise der dreißiger Jahre reagierte«. Aber auch in Europa und in Deutschland macht der Slogan »Green New Deal« Karriere – wenn auch mit teilweise sehr unterschiedlichen Akzentuierungen. Das Spektrum reicht vom scheidenden Co-Vorsitzenden der Partei DIE LINKE, Bernd Riexinger, der für einen »linken Green New Deal« im Sinne eines »sozial-ökologischen Systemwechsels« wirbt, bis hin zur Präsidentin der EU-Kommission, die – allerdings auf das Wort »New« verzichtend – einen »Green Deal« zum wichtigsten Ziel der EU erklärt.
Gerade Letzteres fördert aber unter manchen Linken wiederum ein Misstrauen, das auch die Sicht auf den »alten« New Deal beeinflusst. Wird mit dem Green New Deal nicht eher Greenwashing betrieben, um die Illusion zu erzeugen, man könne das Klima unter den Bedingungen des Kapitalismus retten? Und war der New Deal der 1930er Jahre nicht letztlich auch ein Unternehmen zur Rettung des Kapitalismus – ein Unternehmen, dessen positive Elemente erst von unten, durch Massenstreiks, erzwungen werden mussten? Ganz zu schweigen von solch negativen Aspekten wie der Scheu, den Rassismus in den USA auch nur anzutasten?
Selbstverständlich ging der New Deal, wie aus linker Sicht gerne formuliert wird, »nicht weit genug«. Die Überwindung des Kapitalismus wurde tatsächlich nicht angestrebt. Vielleicht wurde sogar der Kapitalismus vor den Kapitalisten gerettet. Dass dies sowohl notwendig als auch möglich war, ist bemerkenswert genug. Aber das gilt ebenso für historische Errungenschaften der europäischen Arbeiterbewegung wie den Sozialstaat, den wir immer wieder verteidigen, obwohl auch er uns »nicht weit genug geht«.
Machen wir uns nichts vor: Wäre der New Deal nur eine Episode unter vielen Reformbemühungen des Kapitalismus des 20. Jahrhunderts gewesen, dann würde seine Ausstrahlungskraft vermutlich nicht sowohl in das bürgerliche als auch in das linke Spektrum reichen. Deshalb lohnt es sich, einmal genauer hinzuschauen: Was wurde gemacht – und wichtiger noch – wie wurde es durchgesetzt.
Denn das eigentlich Faszinierende am New Deal der 1930er Jahre ist seine politische Dynamik: In den USA wurde damals ein demokratischer und sozialer Ausweg aus den Folgen der Großen Depression gebahnt – und dies in einer Zeit, da in Europa Millionen von Menschen Mussolini und Hitler zujubelten oder in buchstäblicher Ehr-Furcht vor Stalin erstarrten. Unter diesem Vorzeichen wurde ein zuvor völlig unbekanntes wirtschafts- und gesellschaftspolitisches Terrain erkundet. Der Sozial- und Geschichtsphilosoph Isaiah Berlin attestierte nicht zu Unrecht: »In diesen dunklen und bleiernen dreißiger Jahren waren die Regierung von Herrn Roosevelt und der New Deal in den Vereinigten Staaten das einzige Licht in der Dunkelheit.«
Kein Zweifel: Die politischen Ausgangsbedingungen und die Herausforderungen im Zusammenhang mit der Umwelt- und Klimakrise sind heute ganz andere als damals. Die sozialökologischen Reformen, mit denen wir uns in der nahen Zukunft auf noch größeres und noch unbekannteres Neuland vorwagen müssen, als es die New Dealer taten, sind gigantisch. Angesichts der Kluft zwischen der Größe dieses gesellschaftspolitischen Projekts und den gegenwärtigen politischen Kräfteverhältnissen plädieren Michael Brie und Gabi Zimmer für eine Doppelstrategie: Es gelte sowohl »für einen noch nicht möglichen Richtungswechsel zu streiten« als auch das »hier und jetzt Mögliche zu tun, um die Voraussetzungen für einen solchen Richtungswechsel herbeizuführen«. Genau das macht den Rückblick auf den New Deal so spannend: Wie ist die politische und gesellschaftliche Dynamik in Gang gebracht worden, die dieses Licht in der Dunkelheit entzündete?
Entscheidend war das Wechselspiel von Regierung und gesellschaftlichen Bewegungen, die Lernfähigkeit der Beteiligten und ihr Mut, sich mächtigen Interessengruppen in Wirtschaft, Politik und Medien entgegenzustellen. In einer der zahlreichen Anekdoten, die sich um den New Deal ranken, kommt das sehr schön zum Ausdruck. So soll Roosevelt in einem Treffen mit Aktivistinnen und Aktivisten, die ihn von einem Gesetzesvorhaben überzeugen wollten, abschließend gesagt haben: »Sie haben mich überzeugt. Jetzt gehen Sie raus und sorgen Sie dafür, dass ich es mache.«
Wie es bei Anekdoten so ist: Vielleicht hat es sich nicht genau so zugetragen. Aber dass die Dynamik tatsächlich so funktionierte, zeigt die Durchsetzung grundlegender Sozial- und Beschäftigungsstandards. Alles begann mit der Gründung der National Recovery Administration (NRA) im Frühjahr 1933. Um Dumping-Konkurrenz zu beenden und die Wirtschaft zu beleben, sollten sich Arbeitgeberorganisationen, Gewerkschaften und Verbraucherverbände auf Branchen-Richtlinien über Mindestpreise, Mindestlöhne, Höchstarbeitszeiten und andere soziale Mindeststandards wie das Verbot von Kinderarbeit und das Recht auf gewerkschaftliche Organisation einigen.
Dem Chef der NRA wurde klar, dass dieses Vorhaben »ohne eine starke Welle öffentlicher Unterstützung überhaupt nicht umsetzbar« sei. Daher schuf er ein Symbol des Patriotismus, mit dem sich alle Unternehmen schmücken durften, die die vereinbarten Richtlinien unterstützten: den berühmten »Blue Eagle«. Überall im Land prangte der blaue Adler über den Toren von Betrieben und in den Schaufenstern der Geschäfte. Kundgebungen wurden organisiert, um ihn zu propagieren. Höhepunkt war eine Demonstration von rund 250.000 Menschen in New York im September 1933, deren Weg auf der Fifth Avenue von eineinhalb Millionen Menschen gesäumt wurde.
Das Problem war nur: Ungeachtet der gequälten Zustimmung der Chefs wichtiger Großkonzerne war die NRA im Arbeitgeberlager sehr umstritten. Zudem waren die ohnehin sehr schwachen Gewerkschaften nur an einem Bruchteil der Verhandlungen beteiligt gewesen waren. So standen die Richtlinien häufig nur auf dem Papier. Nur in wenigen Fällen wurden sie im Arbeitsalltag eingehalten. Staatliche Instrumente zur Durchsetzung fehlten. Hinzu kamen Gerichtsurteile, die die NRA als verfassungswidrig bewerteten. Nach einem abschließenden Urteil des Obersten Gerichtshofs musste die Institution dann zwei Jahre nach ihrer Gründung aufgelöst werden.
In der Zwischenzeit war jedoch etwas Unvorhergesehenes passiert: Das Gesetz, auf dessen Basis die NRA 1933 geschaffen worden war, hatte erstmals einen Schutz der gewerkschaftlichen Organisationsfreiheit vor Repressalien durch die Arbeitgeber vorgesehen. Dies hatte immer mehr Industriebeschäftigte zur gewerkschaftlichen Organisierung ermutigt, was wiederum auf die erbitterte Gewerkschaftsfeindlichkeit vieler Arbeitgeber stieß. Das löste ab 1933 eine immer größer werdende Welle von Streiks aus, in denen das Recht auf gewerkschaftliche Organisation im Zentrum stand. Zum Teil mündete dieser »grassroots unionism« in blutige Schlachten mit Todesopfern, weil die Bürgermeister oder Gouverneure einiger Bundesstaaten die Streiks mit dem Einsatz von Polizei und Nationalgarde brutal niederschlugen.
Dies leitete einen ebenso unvorhergesehenen, radikalen Umbruch der Gewerkschaftsbewegung ein. Die Mehrheit der Gewerkschaftsverbände der USA waren im Laufe der 1920er Jahre zu großen Teilen in einem bürokratischen Gehäuse traditionalistischer Berufsverbände mit geringer Organisationskraft erstarrt. Die Führung des gewerkschaftlichen Dachverbandes American Federation of Labor (AFL) lehnte sowohl die Organisierung von Ungelernten in der rasch anwachsenden Massenproduktion als auch jegliche Einmischung der Regierung in Probleme der Arbeitswelt ab. Der New Deal stieß bei der AFL daher auf Misstrauen, und dem »grassroots unionism« stand sie zögerlich bis ablehnend gegenüber. Ihr politischer Einfluss war deshalb denkbar gering.
Doch so sollte es nicht bleiben. Die wenigen Gewerkschaften, die für eine Neuorientierung eintraten erhielten Aufwind, als 1933 die von einem Republikaner geführte Bergarbeitergewerkschaft überraschend verkündete, dass die NRA »die größte Chance [sei], die die Arbeiterbewegung je hatte, ihr eigenes Schicksal zu bestimmen«. In landesweiten Organizing-Kampagnen auf der Basis des Prinzips der Industriegewerkschaften wurde mit Aufrufen geworben wie: »Der Präsident will, dass Du in die Gewerkschaft eintrittst.«
Es entstand eine neue industriegewerkschaftliche Massenbewegung: Die Zahl der Gewerkschaftsmitglieder stieg von rund zwei Millionen im Jahr 1933 auf über zehn Millionen Mitglieder am Ende des Jahrzehnts. Nach heftigen innergewerkschaftlichen Konfrontationen verließen die Industriegewerkschaften den Dachverband und etablierten den Congress of Industrial Organizations (CIO), die den New Deal aktiv unterstützte. Nach dem Krieg fusionierten beide Verbände zur bis heute bestehenden AFL/CIO.
Die sich zuspitzenden sozialen Konfrontationen lösten wiederum einen Umschwung in der Regierungspolitik aus. Roosevelt hatte 1933 noch auf die Kooperationsbereitschaft der Arbeitgeber gehofft. Doch die Obstruktionspolitik der Arbeitgeberverbände ab 1934 und das Scheitern der NRA 1935 beflügelten ein Umdenken. Der Ökonom Gardiner Means, der zum engeren Kreis der New Dealer gehörte, fasste den Grund dafür prägnant zusammen: »Der größte Beitrag der NRA zu unserer Gesellschaft besteht darin, dass sie bewiesen hat, dass die Selbstregulierung durch die Industrie nicht funktioniert.«
Frances Perkins, die erste Ministerin in der US-Geschichte, gehörte zu den wichtigsten Persönlichkeiten, die diese Neuorientierung vorantrieben. Zusammen mit dem New Yorker Senator Robert Wagner setzte sie den nach letzterem benannte »Wagner Act« von 1935 durch, der erstmals gewerkschaftliche Rechte im Betrieb verbindlich festschrieb, die allerdings erst nach weiteren Massenstreiks im betrieblichen Alltag der Großunternehmen verankert werden konnten. Es folgten der »Social Securities Act«und 1938 schließlich der »Fair Labor Standards Act«, die – mit Ausnahme einer allgemeinen gesetzlichen Krankenversicherung – das Fundament des US-amerikanischen Sozialstaats mit Arbeitslosenversicherung, Mindestlohn, Arbeitszeit-Begrenzung und einem umlagefinanzierten Rentensystem schufen.
Diese Gesetze, die der Ökonom Paul Krugman als das »Kronjuwel der Institutionen des New Deal« bezeichnet, waren dem konfliktreichen Wechselspiel zwischen dem erstarkenden »grassroots unionism« und der von einem demokratischen Präsidenten geführten Regierung zu verdanken, die auch angesichts des massiven Widerstands mächtiger Kapitalinteressen und reaktionärer Medien-Kampagnen nicht einknickte.
Wichtige Vertreter der Führung der Demokratischen Partei hatten bereits 1932 versucht, Roosevelts Kandidatur zu verhindern. Nach ihrer innerparteilichen Niederlage gründeten sie im Sommer 1934 eine gemeinsame Lobby- und Kampagnen-Organisation mit Konzernchefs und Finanzmagnaten, der sich dann auch einzelne Republikaner anschlossen: die American Liberty League. Auch die großen Verleger schlugen sich 1934/35 auf die Seite der Regierungsgegner. Der Chef des Zeitungsimperiums Hearst prägte diesen sich verbreitenden Duktus mit den Worten, die Regierung sei »kommunistischer als die Kommunisten«, und man solle den dafür verantwortlichen Präsidenten daher besser »Stalin Delano Roosevelt« nennen.
Die Wirtschaftseliten waren besonders empört, weil Roosevelt als Angehöriger der reichen Ostküsten-Oberschicht einer der ihren war. Jetzt galt er in diesen Kreisen als »Verräter seiner Klasse«. Roosevelt war weder finanziell noch kulturell von der Oberschicht zu beeindrucken oder gar zu beeinflussen, wie der US-Historiker Arthur M. Schlesinger sehr schön beschreibt: »Er hatte die Reichen zu lange und zu gut gekannt, um sie sehr ernst zu nehmen. Er verweigerte den Reichen die Ehre, sich vor ihnen zu fürchten.«
Die New-Deal-Regierung stand auch von einer anderen Seite unter starkem Druck. In einer Welle des Populismus wurde der Präsident ebenfalls als Teil der Eliten angegriffen. Die Übergänge zum – in den USA damals anders als in Europa eher verschwommenen und wenig organisierten – Faschismus waren fließend. 1934/35 wurde die Lage brenzlig.
Anstatt unter diesen Bedingungen in Beschwichtigungs- und Kompromissversuchen Zuflucht zu suchen, tat Roosevelt das Gegenteil und drehte den Spieß um: »Der Präsident dachte«, so schreibt der US-Historiker William E. Leuchtenburg, »dass ihm nichts mehr helfen würde, als wenn sich Zeitungen, Bankiers und Unternehmen gegen ihn verbündeten, denn ihre Angriffe würden ihm nur mehr Stimmen einbringen«.
Ein Beispiel für die offensive und mobilisierende Antwort auf die von rechts betriebene politische Polarisierung war Roosevelts Rede in der Kampagne für seine Wiederwahl, die er im Oktober 1936 im New Yorker Madison Square Garden hielt. Darin griff er »Industrie- und Finanzmonopole, Spekulanten und rücksichtslose Banken« mit Worten wie diesen an: »Wir wissen jetzt, dass die Regierung durch das organisierte Geld genauso gefährlich ist wie die Regierung durch das organisierte Verbrechen. Niemals zuvor in unserer Geschichte waren diese Kräfte so vereint gegen einen Kandidaten, wie sie es heute sind. Sie sind sich einig in ihrem Hass auf mich — und ich begrüße ihren Hass.«
Gleichzeitig gingen die New Dealer zur eigenen gesellschaftlichen Basis-Mobilisierung über. Innerhalb der Demokratischen Partei gab es eine starke Graswurzel-Bewegung, deren aktivster Teil die Frauenorganisation war. Über die Partei hinaus bildeten Persönlichkeiten des öffentlichen und politischen Lebens, einschließlich prominenter Republikaner, das Progressive National Committee. Zahlreiche Bürgermeister unterschiedlicher Parteizugehörigkeit mobilisierten die Bevölkerung in Großstädten für die Wiederwahl von Roosevelt. Auch die Rolle der Kulturschaffenden, die im Rahmen des New Deal massiv gefördert wurden, ist nicht zu unterschätzen. Sie trugen zu jenem kulturellen und moralischen Aufbruch bei, der auch das politische Klima prägte.
Für die »Roosevelt Koalition« war die aktive Rolle der neuen Industriegewerkschaften, die sich gegen innergewerkschaftliche Widerstände sowohl von rechts-oben als auch von links-unten hinwegsetzen mussten, organisatorisch und finanziell von sehr großer Bedeutung. Teile des Vorstands der AFL wollten mit dem New Deal weiterhin nichts zu tun haben und unterstützten sogar den republikanischen Gegenkandidaten zu Roosevelt.
Für die basis-aktivistische KP wiederum war der New Deal »dasselbe wie das Programm des Finanzkapitals auf der ganzen Welt«, und in den Augen mancher Sozialistinnen und Sozialisten ging es Roosevelt allein um die Schaffung eines »Staatskapitalismus«. Zu diesen Sozialisten gehörten jedoch auch führenden Köpfe der gewerkschaftlichen Erneuerung wie Sidney Hillman, Vorsitzender der Gewerkschaft der Herrenbekleidungsindustrie, der 1936 im Vorstand seiner Gewerkschaft sehr deutlich wurde: »Meiner Meinung nach hatten wir bis vor einigen Jahren keine Arbeiterbewegung in diesem Land. Selbst in unseren sogenannten radikalen Organisationen haben wir nur Lippenbekenntnisse zur Notwendigkeit der Organisierung abgegeben, aber was haben wir tatsächlich getan, um eine echte Arbeiterbewegung zu schaffen? Sollen wir die Chance ungenutzt verstreichen lassen und warten, bis die Sozialistische Partei an die Macht kommt? Es gibt keine Arbeiterpartei – machen wir uns da doch nichts vor. Ich sage Euch, dass eine Niederlage Roosevelts und der Antritt einer wirklich faschistischen Regierung, die wir dann hätten, den Aufbau einer Arbeiterbewegung unmöglich machen wird.« Hillman setzte sich durch, und der starke Einsatz der CIO-Gewerkschaften für Roosevelts Wiederwahl trug auch dazu bei, dass die Gewerkschaften erheblich an politischem Gewicht gewannen.
Besonders interessant aus heutiger Sicht ist schließlich die Bildung einer breitgefächerten, politisch gerade deshalb für äußerst riskant gehaltenen Good Neighbor League in der Kampagne von 1936: Hier taten sich Angehörige unterschiedlichster religiöser und ethnischer Minderheiten zusammen, die sich traditionell voneinander abschotteten – Katholikinnen und Katholiken, verschiedene protestantische Gruppierungen, jüdische Gemeinden und viele andere.
Ein wichtiges Element war dabei der Versuch, die afroamerikanische Bevölkerung – soweit diese überhaupt die Chance hatte zu wählen – von ihrer traditionellen Unterstützung der Republikaner abzubringen. Vor dem Hintergrund der traditionell führenden Rolle der Demokratischen Partei in den zutiefst rassistischen Südstaaten gab die Zeitung Baltimore Afro-American ihren Leserinnen und Lesern eine originelle Erinnerung auf den Weg: »Abraham Lincoln ist nicht Kandidat bei dieser Wahl.« Dass derartige Hinweise auf fruchtbaren Boden fielen, ist angesichts der durch rassistische Strukturen bewirkten Defizite des New Deal bemerkenswert, die bis heute kontrovers diskutiert werden. Das Projekt Living New Deal bekräftigt hingegen, dass der New Deal der afroamerikanischen Bevölkerung trotz allem bedeutende Fortschritte brachte: angefangen bei den erstmals in leitende staatliche Funktionen berufenen Mitgliedern des so genannten so genannten »Black Cabinet«, die Roosevelt in Beschäftigungs- Bildungs- und Bürgerrechtsfragen berieten, bis hin zu der Erfahrung, dass die Schwarze Bevölkerung überproportional an den Armutsbekämpfungs-, Beschäftigungs- und Sozialprogrammen des New Deal teilnehmen konnte.
Alle diese Initiativen, Bündnisse und Aktivitäten trugen dazu bei, dass Roosevelt 1936 mit mehr als 60 Prozent der Stimmen wiedergewählt wurde. Die größten Mehrheiten erhielt er in der Arbeiterschaft sowie insbesondere in der afroamerikanischen und der jüdischen Bevölkerung. Die ethnische, religiöse, kulturelle, regionale und soziale Vielfalt in der US-Gesellschaft wurde von einem Nebeneinander – häufig auch Gegeneinander – separater »communities« in ein Moment der Stärke verwandelt. Die »Mosaik-Linke«, die von Hans-Jürgen Urban seit einigen Jahren in die deutsche Debatte eingebracht wird, hat in der »Roosevelt coalition« von 1936 eine inspirierende historische Vorläuferin.
In der letzten Ausgabe von Jacobin ist das grundlegende Dilemma, mit dem sich Befürworterinnen und Befürworter eines Green New Deal herumschlagen müssen, sehr schön auf den Punkt gebracht worden: »Wir müssen uns daran gewöhnen, in Kategorien zu denken, die so groß sind wie die Herausforderungen, denen wir gegenüberstehen. Und einen Plan haben, der ebenso radikal wie umsetzbar ist.« Und zugespitzt: »Wenn die Menschen sich vorstellen könnten, dass das im Rahmen ihrer Möglichkeiten liegt, dann wären wir jetzt auf einem ganz anderen Weg.«
Dass so etwas möglich ist und wie es gelingen kann, zeigt uns der New Deal. Der Funke energischen Regierungshandelns sprang ermutigend auf große Teile der Bevölkerung über. So konnte eine enorme Reformdynamik überhaupt erst einmal in Gang gebracht werden. Damals ging die Initiative von der Regierung aus, dies wird in den 2020er Jahren sicher anders sein. Aber ohne »Mosaik-Linke« einerseits und eine entschlossene, demokratische politische Führung andererseits wird es nicht jene wechselseitige Verstärkung von Regierungspolitik und gesellschaftlichem Veränderungsdruck geben können, die für einen Green New Deal unabdingbar ist. Und dies wird nur funktionieren, wenn die Regierungen eines Green New Deals mindestens ebenso große Konfliktbereitschaft gegenüber mächtigen Interessengruppen aufbringen wie das historische Vorbild, auf das sie sich berufen.
Steffen Lehndorff ist Research Fellow am Institut Arbeit und Qualifikation der Universität Duisburg-Essen. Der vorliegende Beitrag enthält Ausschnitte aus seinem kürzlich erschienenen Buch »New Deal heißt Mut zum Konflikt – Was wir von Roosevelts Reformpolitik der 1930er Jahre heute lernen können«, sowie aus dem Artikel »Vorbild und Verheißung: Roosevelts New Deal« in Heft 9/2020 der Blätter für deutsche und internationale Politik.
Steffen Lehndorff ist Research Fellow am Institut Arbeit und Qualifikation der Universität Duisburg-Essen.