26. Februar 2024
Die KPÖ will nach Wahlerfolgen in Graz und Salzburg auch in den Innsbrucker Gemeinderat einziehen. Spitzenkandidatin Pia Tomedi erklärt, welche Probleme die Menschen vor Ort haben und welche Politik es deshalb braucht.
Pia Tomedi bringt in Innsbruck die Forderungen der KPÖ unter die Leute
2024 stehen in Österreich sieben Wahlen an. Insbesondere für die KPÖ dürfte es ein spannendes Jahr werden: Sie hat Chancen auf das Salzburger Bürgermeisteramt und könnte erstmals seit den 1950er Jahren wieder in den Nationalrat einziehen.
Getragen von regionalen Erfolgen in Graz und Salzburg versucht die Partei auch in Innsbruck in den Gemeinderat einzuziehen. Spitzenkandidatin für die Wahlen im April ist die 35-jährige Sozialarbeiterin Pia Tomedi.
Im Interview mit JACOBIN erklärt sie, was kommunistische Lokalpolitik in der Praxis heißt und wie eine linke Partei auch im von der ÖVP geprägten, vermeintlich konservativen Bundesland Tirol Fuß fassen kann.
Damit die KPÖ in Innsbruck zur Gemeinderatswahl antreten kann, müssen bis zum 15. März hundert Personen eine Unterstützungserklärung abgeben. Wie viele dieser Erklärungen habt Ihr schon?
Wir haben uns dazu entschieden, dass wir uns – anders als sonst üblich – nicht einfach vor die Meldestelle stellen, um dort die Unterschriften zu keilen. Stattdessen haben wir einen Brief an 30.000 Innsbrucker Haushalte verteilt, wo auf der Rückseite das Formular für die Unterstützungserklärungen zu finden ist. Das ist die Hälfte aller Innsbrucker Haushalte, die wir damit umworben haben. In dem Brief haben wir auch unsere Themen dargelegt und die Wichtigkeit, die Kampagne zu unterstützen, um damit unseren Antritt zu ermöglichen.
Wir haben einen guten Rücklauf, was uns sehr freut. Das ist schon noch mal ein anderes Commitment, wenn man einen unadressierten Brief nach Hause bekommt und damit zum Meldeamt geht, um das Formular unterschreiben zu lassen. Die hundert Unterschriften haben wir schon erreicht, aber wir freuen uns natürlich, wenn wir noch mehr bekommen.
»Langfristig stellen wir immer die Eigentumsfrage.«
Du warst lange in unterschiedlichen außerparlamentarischen Bewegungen aktiv. Warum hast Du Dich entschieden, Mitglied der KPÖ zu werden? In Tirol gibt es ja quasi keine Parteistrukturen.
Da war einerseits die Corona-Pandemie ausschlaggebend. Ich habe bemerkt, dass es in vielen außerparlamentarischen Gruppen wenig Kontinuität gibt, wenig Raum, wirklich langfristig zu arbeiten.
Das war die Strukturebene, aber auf politischer Ebene bin ich über das Thema Wohnen zur Partei gekommen. Die KPÖ ist die Wohnen-Partei. Ich war bei einem Vortragsabend zu der Mietenstopp-Kampagne der KPÖ und dort haben mich ihre Forderungen und ihr Arbeitskonzept überzeugt. Und seither bin ich dabei geblieben.
Die KPÖ versteht sich als kommunistische Partei, die das kapitalistische Wirtschaftssystem überwinden möchte. Welche Rolle spielt das für Dich in Praxis?
Direkt in der Praxis heißt das, dass alle Personen, mit denen ich zu tun habe – sei es mit Genossinnen und Genossen, aber genauso mit Leuten, die man auf der Straße trifft – potenzielle Verbündete sind. Wir sitzen quasi alle im selben Boot und das Boot droht gerade zu kentern. Mit den Verbündeten kann man das Boot so umbauen, dass es nachher langfristig gut weiter schwimmen kann.
Wir bleiben bei der Idee, mit diesen Verbündeten eine sozialistische Gesellschaft zu schaffen. Kurz- oder mittelfristig versuchen wir, sozial gerechte Politik umzusetzen.
Eine sozial gerechte Politik beanspruchen auch die Grünen oder die Sozialdemokratie für sich. Wo siehst Du hier konkret Unterschiede?
Ein Unterschied ist sicher, dass wir eine marxistische Analyse haben. Wir sind selbst Marxistinnen, wir haben kein Problem damit, das Wort in den Mund zu nehmen und uns als solche zu bezeichnen. Das ist einfach, was wir sind.
Unsere Analyse ist unser tägliches Handwerk, mit dem wir die Welt sehen und verändern wollen. Das ist auch der politische Auftrag, den wir haben. Aber auch unsere Forderungen unterscheiden sich, weil sie radikaler sind. Langfristig stellen wir immer die Eigentumsfrage.
»Viele Leute müssen sich regelmäßig am Endes des Monats entscheiden, ob sie eine warme Wohnung oder ein warmes Essen haben wollen.«
Das Grazer – und inzwischen auch Salzburger – Modell der KPÖ, insbesondere der Fokus auf Wohnpolitik und die Praxis der Gehaltsspenden, ist auch Euer Vorbild. Welche Elemente dieses Modells sind auf Innsbruck übertragbar, und welche Anpassungen haltet Ihr für notwendig, um den lokalen Gegebenheiten gerecht zu werden?
Gerade die Sozialstruktur von Innsbruck ist der von Salzburg sehr ähnlich. Einerseits von der Verteilung von Reichtum, Boden und Eigentum und andererseits mit dem Tourismus als größten Wirtschaftsfaktor. Da kann man vieles genauso machen und wir werden einiges übernehmen.
In Graz ist Tourismus zwar auch wichtig, aber hat einen anderen Stellenwert als in Innsbruck oder Salzburg. Gerade in der Umgebung der Stadt spielt auch die Produktion eine größere Rolle als bei uns. Es gibt aber auch hier viele Gemeinsamkeiten und Maßnahmen, die sich übertragen lassen. Dazu zählt etwa die Mietzins-Zuzahlung, wenn die Miete mehr als ein Drittel des Einkommens beträgt. Oder auch, den Zugang zu dem Kautionsfonds zu erleichtern. Aktuell muss man mehrere Jahre warten, bis man darauf Zugriff hat. Wir wollen, dass das schon nach einem Jahr möglich ist. Das sind alles Dinge, die wir jetzt schon umsetzen könnten.
Was Ihr auch aus den beiden Städten übernommen habt, sind Miet- und Sozialberatungen. Du führst diese in Innsbruck ja selbst durch. Wer sind die Leute, die zu Dir kommen, und welche Probleme bringen sie mit?
Im Grunde sind es eigentlich alle: Junge, Alte, Familien, Alleinstehende, Zugezogene und Alteingesessene. Die Themen, die aufkommen, sind immer sehr ähnlich. In Innsbruck und allgemein in Tirol sind die Einkommen im Vergleich zu den Lebenshaltungskosten sehr niedrig.
Viele Leute müssen sich regelmäßig am Endes des Monats entscheiden, ob sie eine warme Wohnung oder ein warmes Essen haben wollen. Da geht es um die Frage: Wird mit den letzten Euros die Stromrechnung oder der Lebensmitteleinkauf bezahlt?
Wie kannst Du dann konkret Hilfe anbieten?
Wir unterstützen vor allem bei Antragstellungen oder vermitteln die Leute weiter an Sozialvereine in Innsbruck. Ich bin zwar von Beruf Sozialarbeiterin, aber ich mache nicht Sozialarbeit im engeren Sinn, sondern biete wirklich Sprechstunden an, wo die Leute mit ihren Problemen kommen können.
Wie würde sich diese Arbeit ändern, wenn Du in den Gemeinderat einziehen würdest?
Grundsätzlich nicht so viel. Wir werden weiterhin Sprechstunden anbieten. Unser Team dafür ist jetzt schon größer geworden, wir sind zu dritt und konnten das Angebot auf die Städte Lienz und Schwaz ausweiten. Konkret würde sich nur verändern, dass ich durch meine Gehaltsabgabe von 400 Euro monatlich Menschen in akuten Notlagen direkt etwas geben könnte.
»Teilweise stehen ganze Zinshäuser leer, nur damit weiter spekuliert werden kann.«
Der Innsbrucker Gemeinderat ist bekannt für seine zahlreichen Abspaltungen, vor allem im bürgerlichen Lager. Aber auch Ihr habt Euch entschieden, dieses Mal nicht gemeinsam mit der Alternativen Liste ALi zu kandidieren. Warum?
Wir sind letztes Jahr mit dem Vorschlag für ein gemeinsames Wahlbündnis an die Alternative Liste herangetreten und haben einen Wunschkatalog präsentiert. In mehreren Gesprächsrunden haben wir versucht, die Pläne zu konkretisieren, aber es ist uns leider nicht gelungen.
Die Alternative Liste hat sich dafür entschieden, eigenständig anzutreten und uns gebeten, als KPÖ auf den Antritt zu verzichten und sie zu unterstützen. In unserem höchsten Entscheidungsgremium, der Landeskonferenz, haben wir aber beschlossen, dass die KPÖ auch eigenständig antreten wird.
Was sind die größten Unterschiede zwischen ALi und KPÖ?
Der größte Unterschied ist, dass wir keine Stadtliste, sondern österreichweit in der weiteren kommunistischen Bewegung eingebettet sind. Unsere Partei agiert bundesweit und ist somit auf mehreren Ebenen vertreten. Gleichzeitig sind wir auch Teil der europäischen Linken. Das heißt, wir sind einfach in einem größeren Zusammenhang aktiv.
Die Forderungen sind mitunter sehr ähnlich. Aber auch hier unterscheiden wir uns etwa durch unsere höhere Gehaltsabgabe und die Forderung, dass Politikergehälter gekürzt werden müssen.
Innsbruck hat seit neuestem eine 4-Prozent-Hürde im Gemeinderat. Das macht den Antritt für Euch schwieriger. Hat das eine Auswirkung auf die Art, wie ihr Wahlkampf führt oder Eure Politik organisiert? Kay-Michael Dankl konnte 2019 in Salzburg auch mit weniger Stimmen einziehen.
Wir sind die einzige Gemeinde oder Stadt in Österreich, die diese 4-Prozent-Hürde hat. Ich hoffe, dass das kein Pilotprojekt für andere Gemeinden in Österreich ist, denn das würde die Demokratie sehr schwächen. Es ist ein Versuch der etablierten Parteien, kleine Parteien und Listen nicht mehr mitspielen zu lassen und sich dadurch unbequemer Kritik aus der Opposition zu entledigen. Es hat was von einer Sesselkleber-Aktion.
Weil Innsbruck eine Universitätsstadt ist, gibt es sehr viele Akademikerinnen und Akademiker, gleichzeitig aber auch sehr viele Menschen mit einem Pflichtschulabschluss. Wen versucht Ihr mit Eurer Politik zu erreichen?
Wir wollen keine Klientelpolitik machen. Es geht uns nicht einfach darum, Wahlen zu gewinnen. Unsere Arbeit beginnt vor der Wahl und geht nach der Wahl weiter. Wir bleiben bei den Themen Wohnen und Soziales einfach dran. Auch Menschen mit akademischen Abschlüssen oder mittleren Einkommen finden in Innsbruck keine leistbaren Wohnungen mehr. Viele müssen ins etwas billigere Umland oder noch weiter weg ziehen. Für eine Bildungsstadt ist das katastrophal, weil es junge innovative Leute abschreckt, hier zu bleiben.
Was hat eigentlich dazu geführt, dass Innsbruck die teuerste Wohn-Stadt Österreichs wurde? Wo sind die großen Unterschiede zu etwa Wien oder Graz?
Aktuell gibt es etwa 3.000 leerstehende Wohnungen in Innsbruck. Das sind oft irgendwelche Ferienwohnungen von reichen Menschen, die nur für ein bis zwei Wochen in die Stadt kommen. Die restliche Zeit des Jahres stehen diese Wohnungen leer.
Auf der anderen Seite gibt es auch viele Anlegerwohnungen. Teilweise stehen ganze Zinshäuser leer, nur damit weiter spekuliert werden kann. Der Wohnraum soll künstlich verknappt werden, damit man die Mieten weiter hinauftreiben kann.
»Die größte Partei ist eigentlich die Gruppe der Nichtwähler. Genau die wollen wir ansprechen: die Menschen, die sich bisher nicht gehört und vertreten fühlen.«
Tirol gilt ja als eines der konservativsten österreichischen Bundesländer. Es ist stark von der ÖVP und den Interessen von Hoteliers und dem Skitourismus geprägt. Es gibt eine schwache Sozialdemokratie, bürgerliche Grüne. Ist diese Ausgangslage für Euch eher eine Chance oder macht sie Eure Arbeit schwieriger?
Wir haben nach der letzten Landtagswahl 2022 eine Analyse in den Innsbrucker Wahlkreisen gemacht. In Stadtteilen, wo eher bürgerliche oder konservative Menschen wohnen, haben wir relativ gut abgeschnitten. Das zeigt für uns, dass sozial-bürgerliche oder christlich-soziale Menschen, die auch ein soziales Gewissen haben, die eine oder andere KPÖ-Forderung gut finden.
In Innsbruck ist bei der letzten Gemeinderatswahl die Hälfte der Stadt zu Hause geblieben. Die größte Partei ist eigentlich die Gruppe der Nichtwähler. Genau die wollen wir ansprechen: die Menschen, die sich bisher nicht gehört und vertreten fühlen und von der Politik der ÖVP und der anderen etablierten Parteien enttäuscht sind. Da setzen wir an und sagen: Wir möchten eine Alternative sein, eine verlässliche Stimme im Gemeinderat für soziales und leistbares Wohnen.
Also sind die Leute trotz konservativer Hegemonie offen für linke Ideen?
Ich würde nicht sagen, dass sie für Kommunismus offen sind (lacht). Aber viele Menschen erkennen, dass die Lage sich seit längerem zuspitzt. Und viele sehen, dass es so, wie die ÖVP Tirol und Innsbruck in den letzten Jahren geführt hat, einfach nicht mehr weitergehen kann.
Pia Tomedi ist Sozialarbeiterin und Mutter von zwei kleinen Kindern. Außerdem ist sie Landessprecherin der KPÖ Tirol und Spitzenkandidatin bei der Gemeinderats- und Bürgermeisterwahl in Innsbruck 2024.