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Das Online-Magazin von JACOBIN Deutschland

27. Juli 2025

Die besten Bücher für den Urlaub

Was sollte man diesen Sommer unbedingt lesen? Wir haben uns in unserer Redaktion mal umgehört. Hier die besten Empfehlungen von uns für euch.

Bild zum JACOBIN-Artikel »Die besten Bücher für den Urlaub«
Unsplash / Lawrence Krowdeed

Welche Bücher nimmt man an einem warmen Tag mit an den Badesee? Wir haben unserer Kolleginnen und Kollegen mal nach ihren besten Lesetipps gefragt. Spoiler: Typische Strandlektüre ist unter diesen Buchempfehlungen eher Mangelware – aber danach habt ihr womöglich sowieso nicht gesucht.

Stattdessen findet ihr auf dieser Liste bewegende politische Autobiografien, originelle marxistischer Kulturkritik, einen Roman über eine bürgerliche Dinnerparty, die komplett entgleist, wortgewaltige, vergessene Klassiker der Sowjet-Literatur und eine ziemlich obskure Science-Fiction-Perle. Vielleicht keine leichte Kost, dafür aber Bücher, bei denen ihr euch garantiert nicht langweilen werdet!

Unsere Chefin vom Dienst Astrid Zimmermann empfiehlt:

Treffen sich ein Nazi und ein Exilant – diese schwer verdauliche Gesprächskonstellation ist der Auftakt zu Thomas Wagners Abenteuer der Moderne, der mit seinem Buch eine Ideengeschichte der deutschen Soziologie geschrieben hat. Die wiederum war in der Bundesrepublik der Nachkriegszeit eine aufstrebende Disziplin, geprägt von zwei politische Antipoden: Auf der einen Seite Theodor Adorno, einer der zentralen Denker der Kritischen Theorie, auf der anderen Seite Arnold Gehlen, der 1933 in die NSDAP eintrat, unter Hitler Karriere machte und nach 1945 nur deswegen nicht als Professor an die Universität Heidelberg berufen wurde, weil Adorno das höchstpersönlich verhinderte. Später entwickelte sich zwischen den beiden eine spannungsreiche intellektuelle Freundschaft, von der nicht nur private Treffen, sondern auch öffentliche Radio-Debatten zeugen – zum Beispiel über die Rolle von Institutionen. Einer, der diese Debatten verfolgte, war Wolfgang Harich, der als Sidekick dieser Geschichte fast noch interessanter ist als die beiden Protagonisten. Der DDR-Dissident, überzeugte Kommunist und Vordenker des Ökosozialismus konnte mit Adornos Institutionen-Skepsis wenig anfangen und war von der Überlegenheit des Marxismus so überzeugt, dass er glaubte, selbst jemanden wie Gehlen ideologisch bekehren zu können. Wagner macht vor allem eins deutlich: Wie stark der Einfluss von Denkern der NS-Zeit auf die intellektuelle Gründung der Bundesrepublik wirklich gewesen ist. Unbequem, aber unbedingt lesenswert.

Wer im Urlaub Entspannung sucht, sollte natürlich auch einen unterhaltsamen Roman im Gepäck haben. Kochen im falschen Jahrhundert von Teresa Präauer ist definitiv Badesee-tauglich und das vermutlich lustigste Buch, das ich seit langem gelesen habe. Die Autorin erzählt von einer Dinnerparty unter Menschen, die so zwanghaft das gute Leben zelebrieren wollen, dass ihnen der Abend völlig entgleist. Es ist ein Roman über Menschen, die versuchen, die Speisen auf ihrem dänischen Holztisch so anzurichten, dass sie dieselbe beiläufige Eleganz versprühen wie die Speisen aus einem Ottolenghi-Kochbuch. Menschen, die darauf hoffen, dass man sehr lässige, aber dennoch sehr anregende Gespräche über Philosophie und Kunst führen wird – während im Hintergrund Jazz aus den 1960er Jahren läuft, kuratiert von einer Spotify-Playlist für Leute »mit wenig Ahnung, aber viel Geschmack«. Die Hoffnungen werden allesamt enttäuscht und die Regeln des Anstands bröckeln so schnell, wie die Crémant-Gläser geleert werden. Kochen im falschen Jahrhundert ist eine scharf sezierende, kleine Milieustudie über ein hippes, akademisches Bürgertum, das seine eigene Besonderheit mit viel Mühe durch die Auswahl der richtigen Getränke, Möbel und Gesprächsthemen zu inszenieren versucht –und am Ende doch nicht umhinkommt, schnöde und gewöhnliche Vertreter ihrer Klasse zu sein. Der perfekte PMC-Roman.

Wenn ich von allen diesen Büchern eines am dringendsten empfehlen könnte, dann Immediacy von Anna Kornbluh. 2024, im selben Jahr, in dem mit Fredric Jameson einer der bedeutendsten marxistischen Kulturkritiker verstorben ist, erschien zum Glück dieses schmale Buch von Anna Kornbluh. Und vielleicht lehne ich mich jetzt etwas weit aus dem Fenster, aber ich würde behaupten, dass man Kornbluh schon jetzt als seine würdige Nachfolgerin bezeichnen könnte. Während Jameson über die collagenartige, ironisch gebrochene Kultur des Spätkapitalismus schrieb – die Postmoderne – beantwortet Kornbluh die Frage: Was kommt eigentlich nach der Postmoderne? Wie bei Jameson basiert auch ihre Kulturkritik auf einer ökonomischen Beobachtung: In einer Zeit stagnierender Produktivitätskapazitäten beschleunigt sich die wirtschaftliche Zirkulation. Direkte Verfügbarkeit wird zum Modus der Ökonomie: jetzt sofort oder schon zu spät. Die Kultur, die sich in einer solchen Wirtschaft herausbildet, zielt auf unmittelbare Wirkung und Erlebbarkeit. Während die Moderne noch kulturelle Stile entwickelte, um die Gesellschaft zu deuten oder sich zu ihr zu positionieren, dominiert heute eine Kultur der Immersion: Sie will nicht erklären – sie will nur noch wirken. Am besten soll man sich so fühlen, als wäre man dabei gewesen. Die Konsequenz ist eine Verflachung und ein Bedürfnis nach Direktheit, das sich bis in unser Verständnis von Politik hineingefressen hat. Wer das Buch gelesen hat, kommt nicht umhin, diesen Stil der Unmittelbarkeit in den verschiedensten politischen und kulturellen Phänomenen zu erkennen. Analytisch hellsichtig und stilistisch brillant – ein absolutes Brett!

Unser Chefredakteur Loren Balhorn empfiehlt:

Wer seine Wochenenden gern auf Flohmärkten verbringt, stößt früher oder später auf den Roman Tabak des bulgarischen Schriftstellers Dimitar Dimoff, der außerhalb seines Heimatlandes heute so gut wie unbekannt ist. Eine deutsche Übersetzung erschien in mehreren Auflagen beim Ostberliner Verlag Volk und Welt, entsprechend häufig findet man den Roman auf Trödelmärkten von Erfurt bis Rostock auf. Dimoff erzählt die Geschichte eines jungen Bulgaren aus armen Verhältnissen, der sich dazu entschließt, auf Biegen und Brechen in der Geschäftswelt aufzusteigen und dabei seine Geliebte, seine Gemeinde und letztendlich seine Nation verrät. Detailreich schildert Dimoff, wie eine stehengebliebene bäuerliche Gesellschaft in wenigen Jahren durch den deutschen Exportmarkt und später den deutschen Faschismus gewaltsam in die Moderne gezerrt wird, und welche immensen menschlichen und moralischen Kosten damit verbunden sind. Die epochalen Veränderungen des 20. Jahrhunderts haben in dem Roman direkte Spuren hinterlassen: Obwohl Dimoff selbst kleinbürgerlich eingestellt war, wurde die ursprüngliche Fassung aus dem Jahr 1952 von Bulgariens kommunistischer Regierung zuerst gelobt, musste aber kurz darauf überarbeitet und um eine ideologisch korrekte Nebenhandlung ergänzt werden, um das Politbüro zufriedenzustellen. Nur diese »richtige« (und deutlich längere) Version steht deutschen Leserinnen und Lesern zur Verfügung – doch die Wucht von Dimoffs Erzählung bleibt erhalten, garniert mit einer Prise marxistisch-leninistischer Bombastik.

Ein paar Urlaubstage und Zeit zum Lesen, sind vielen vermutlich eine willkommene Auszeit vom Doomscrollen am Handy. Und angesichts der Tatsache, wie sehr Social-Media-Plattformen wie Meta oder X unser tägliches Leben strukturieren, ist es bemerkenswert, wie wenig wir über deren inneren Abläufe wissen. Tycoons wie Mark Zuckerberg geben sich alle Mühe, ein Image von intellektueller Raffinesse und moralischer Überlegenheit zu pflegen. Doch wenn man sich Jeff Bezos, Elon Musk oder den bereits erwähnten Zuckerberg vor Augen hält, kommt man nicht umhin sich zu fragen: Hatten sie vielleicht einfach nur Glück? Wenn man Sarah Wynn-Williams Glauben schenken darf, lautet die Antwort: Ja. Wynn-Williams begann 2011 bei Facebook zu arbeiten, weil sie fest daran glaubte, dass das Unternehmen die Welt verbessern könne, und verbrachte sieben Jahre damit, die Beziehungen des Unternehmens zu Regierungen auf der ganzen Welt zu verbessern. Ihr kürzlich erschienenes Memoire Careless People: A Story of Where I Used to Work, dessen Veröffentlichung die Facebook-Mutterfirma Meta zu verhindern versuchte, beschreibt ein Unternehmen, das von selbstverliebten Kindsköpfen geführt wird, die wenig Ahnung von der Welt um sie herum haben und nicht einmal wissen, welche Auswirkungen ihr Produkt auf die Gesellschaft hat. Careless People erzählt von gravierenden Entscheidungen, die spontan getroffen werden, weil Zuckerberg sich weigert, die Meinung von Beratern einzubeziehen. Wynn-Williams beschreibt Zuckerburg als einen selbstverliebten Chef, der von Jasagern umgeben ist, die sich nicht einmal trauen, ihn bei einem Brettspiel zu besiegen. Ihre Darstellung bestätigt, was viele von uns schon lange über unsere neuen Tech-Overlords vermutet haben: Sie sind gierig, hartherzig und haben die soziale Intelligenz eines trotzigen Kleinkinds. Noch schlimmer ist: Sie haben absolut keine Ahnung, was sie tun – was sie umso gefährlicher macht.

Einen gänzlich anderen Zugriff auf Technologie und ihre Möglichkeiten und Gefahren bietet die Science-Fiction, zu denen sich Generationen von Linken hingezogen gefühlt haben. Schließlich ist das Genre bekannt dafür, utopische Zukunftsvisionen zu entwerfen. Tatsächlich löste einer der ersten Science-Fiction-Bestseller aller Zeiten, Edward Bellamys Rückblick aus dem Jahr 2000, mit seiner Vision einer utopischen sozialistischen Zukunft eine Massenbewegung in den Vereinigten Staaten aus. Clara Zetkin war so inspiriert von dem Roman, dass sie ihn höchstpersönlich ins Deutsche übersetzte. Unsere Gegenwart mag miserabel sein, versprachen die klassischen Science-Fiction-Autoren, aber eine wundersame Zukunft steht vor der Tür. Terry Bisson, ein äußerst produktiver US-amerikanischer Science-Fiction-Autor, der letztes Jahr verstorben ist, konnte mit diesem utopischen Zugang wenig anfangen. Er radikalisierte sich im Zuge der 68er-Bewegung, verbrachte über ein Jahrzehnt in einer linksradikalen Terrorzelle, die in zahlreiche Bombenanschläge verwickelt war, und sah viele seiner Genossen zu langen Haftstrafen verurteilt. Er selber verbrachte nur ein paar Monate im Gefängnis, bevor er einen Versandbuchservice für politische Gefangene namens »Jacobin Books« ins Leben rief, den er bis ins Jahr 1990 führte. Bissons Zugang zu Science-Fiction beschäftigte sich vielmehr damit, wie die Technologie unsere Gegenwart verändert. Seine Kurzgeschichten aus den frühen 1990er Jahren, die in dem 1998 erschienenen Band Die Bären entdecken das Feuer veröffentlicht wurden, thematisieren die Ambivalenz der Moderne und des zivilisatorischen Fortschritts. Sie beklagen den Status quo, während sie gleichzeitig von seinem Potenzial für Veränderungen fasziniert sind. Seine schnörkellosen Kurzgeschichten sind die perfekte Strandlektüre für alle, die die Transformation unserer gesellschaftlichen Verhältnisse viel verlockender und faszinierender finden, als den Traum einer technologischer Utopie. Denn wie der französische Surrealist und überzeugte Kommunist Paul Éluard, ein Lieblingsautor von Bisson, einmal sagte: »Es gibt eine andere Welt, aber sie ist in dieser.«

Unsere Redakteurin Magdalena Berger empfiehlt:

Mein ganzes Leben war ein Kampf ist die dreiteilige Autobiografie von PKK-Mitgründerin Sakine Cansiz. Der erste Teil Jugendjahre befasst sich mit ihrem Aufwachsen in Dersim und den Anfängen der kurdischen Freiheitsbewegung aus der Sicht einer der wenigen Frauen, die von Beginn an dabei waren. In Band 2 spricht sie über die Jahre, die sie im türkischen Gefängnis verbringt. Im letzten Teil schließlich berichtet sie auch über ihre Zeit bei der Guerilla der PKK. Kaum eine Biografie gibt einen so tiefen Einblick in die Geschichte der kurdischen Arbeiterpartei und damit auch in die Konflikte des Nahen und Mittleren Ostens. Gerade jetzt, wo die Region neu geordnet und die PKK aufgelöst werden soll, ist Cansiz Zeitdokument aktueller denn je. Sie selbst kann diese Entwicklungen nicht mehr miterleben – 2013 wurde sie in Paris von einem Attentäter ermordet.

Auch Marcel Reich-Ranicki blickt in seiner Autobiografie auf ein Leben zurück, das von politischer Verfolgung und gesellschaftlichen Umbrüchen geprägt ist. In seiner Autobiografie Mein Leben beschreibt er auf über 500 Seiten die wichtigsten Stationen seines Lebens – von seiner Kindheit in Polen und Berlin über das Überleben im Warschauer Ghetto bis hin zu seiner Tätigkeit für die polnisch-kommunistische Geheimpolizei und schließlich seinem Aufstieg zu einer der bekanntesten Fernsehfiguren im deutschen Feuilleton. Ranicki, der wirklich nicht dafür bekannt war, Gefangene zu nehmen oder diplomatisch zu agieren, wirkt in seinem Buch nahbar und verletzlich. Die Verfilmung des Buches mit Matthias Schweighöfer in der Hauptrolle kann man aber getrost auslassen.

Auch Stefan Zweig zeichnet das Portrait einer Zeit, in der der Faschismus das Leben und Überleben ganzer Generationen prägte. Zweigs Die Welt von gestern beschreibt Wien und Europa vom Ende des 19. Jahrhunderts bis zum Beginn des Faschismus. Gerade seine Beschreibung des österreichischen Milieus vor dem Ersten Weltkrieg liest sich heute im Jahre 2025 fast gruselig vertraut. Der unerschütterliche Glaube an den Fortschritt und die intellektuelle Offenheit, die Unvorstellbarkeit eines Krieges, bis er dann da war – all das beschreibt Zweig in einer so zeitlosen Sprache, dass das Buch auch erst gestern veröffentlicht worden sein könnte. Wer von Klassikern normal abgeschreckt ist, findet hier einen idealen Einstieg.

Ash Sarkar wiederum richtet den Blick auf die heutige Linke und wer verstehen will, warum sie so oft scheitert, findet bei der britischen Journalistin eine aktuelle Analyse. Man könnte meinen, zum Themenkomplex Identitätspolitik sei schon alles gesagt: Dass man Kulturkämpfe nicht gewinnen kann, dass sie das Elend um uns verstärkt, und dass ihre Zeit ohnehin vorbei ist. Mit Minority Rule ist es der britischen Journalistin allerdings gelungen, eine breit rezipierte linke Kritik des Phänomens im Mainstream zu platzieren, ohne nach rechts zu blinken. Das gelingt ihr, in dem sie aufzeichnet, wie eine Gruppe aus Hedgefonds-Managern, Medienmogulen und Vermietern gezielt Kulturkämpfe inszenieren, um die Mehrheit der arbeitenden Menschen zu spalten. Eine Mischung aus solider marxistischer Kritik an Rechten und Seitenhieben gegen Linksliberale.