28. Januar 2025
Die Linkspartei hat Grund für vorsichtigen Optimismus: Zum ersten Mal seit Jahren liegt sie in den Umfragen bei 5 Prozent, Tausende Neueintritte beleben den Wahlkampf. Hat die kränkelnde sozialistische Partei doch noch Leben in sich?
Pappaufsteller von Gregor Gysi auf dem Bundesparteitag der Linken in Berlin, 18. Januar 2025.
Als Sahra Wagenknecht und ihre Anhängerinnen und Anhänger im Oktober 2023 ihren Austritt aus der Linkspartei verkündeten, war man auf beiden Seiten überzeugt, von der Spaltung zu profitieren. Im ersten Jahr sah es jedoch so aus, als habe das BSW sein Wählerpotenzial realistischer eingeschätzt als die Partei, aus der es hervorgegangen ist: Bei den Europawahlen 2024 und den Landtagswahlen in Thüringen, Sachsen und Brandenburg liefen Hunderttausende Wählerinnen und Wähler der Linkspartei zum BSW über. Die Linke legte sich in der Zwischenzeit ein neues Corporate Design zu, wählte neue Parteivorsitzende und trat in den sozialen Medien deutlich dynamischer auf und steckte dennoch bei 3 Prozent fest, während das BSW scheinbar einen Erfolg nach dem anderen errang. Doch könnte sich der Wind noch drehen?
Um es klar zu sagen: Das BSW hat laut den meisten Umfragen weiterhin bessere Chancen als Die Linke, die 5-Prozent-Hürde zu knacken und nächsten Monat in den Bundestag einzuziehen. Doch die Veröffentlichung des ZDF-Politbarometers in der vergangenen Woche, die die Partei zum ersten Mal seit 2023 wieder bei 5 Prozent sieht, hat in der Linken einen gewissen Enthusiasmus ausgelöst. Die steigende Zustimmung für die Partei in den Umfragen folgt auf einen durchweg positiven Parteitag, beeindruckende Mitgliederzuwächse von rund 17.000 seit Anfang 2024 und eine spürbar bessere Öffentlichkeitsarbeit. Es wäre verfrüht, von einem Comeback der Linkspartei zu sprechen, aber die letzten Monate haben gezeigt, dass die Abwärtsspirale nicht zwangsläufig weitergehen muss, und dass die Etablierung des BSW vielleicht doch nicht so sicher ist, als es am Anfang aussah.
Was steckt also hinter der jetzigen Enthusiasmuswelle in der Partei? Auch wenn die Parteiführung (verständlicherweise) behauptet, dass die internen Konflikte mit Wagenknechts Abgang nachgelassen hätten, sind die Differenzen nicht verschwunden. Das zeigt sich insbesondere in der Haltung zum Gaza-Krieg. Einige führende Parteifunktionäre halten nach wie vor an einer pro-israelischen Position fest, die sie in Konflikt mit der internationalen Linken und einem wachsenden Teil der Weltöffentlichkeit bringt. Auch in Strategiefragen ist es keineswegs so, dass plötzlich eine Mehrheit für eine konsequentere sozialistische Politik gewonnen werden kann: Nur wenige Wochen nach ihrem schlechtesten Ergebnis seit der Wiedereinführung freier Wahlen in Sachsen beschloss die verzwergte Landtagsfraktion der Linken, eine CDU-geführte Minderheitsregierung zu tolerieren. Währenddessen macht die Partei auf Bundesebene Wahlkampf mit dem Slogan »Alle wollen regieren, wir wollen verändern.« Offensichtlich ist diese Botschaft nicht in Dresden angekommen.
Was die Partei gerade zusammenschweißt und interne Konflikte entschärft, ist also offensichtlich nicht die Einigkeit in der strategischen Ausrichtung, sondern der Selbsterhaltungstrieb. Die drohende wahlpolitische Irrelevanz der Partei bedeutet, dass Fragen von Koalieren oder Opponieren zumindest bis zu einem gewissen Grad ebenfalls irrelevant werden. Das ermöglicht einen Burgfrieden, der zum genau richtigen Zeitpunkt kommt.
»Die Entwicklungen der letzten Wochen erinnern uns zumindest daran, dass die Zukunft ungeschrieben ist und sich die Dinge schnell ändern können.«
Gleichzeitig scheint sich in einigen Teilen der Gesellschaft die Erkenntnis durchzusetzen, dass es angesichts der Annäherung des politischen Mainstreams an die Positionen der AfD in Migrations- und Asylfragen und der parteiübergreifenden Forderung nach einer deutschen Wiederaufrüstung eine linke Opposition im Parlament braucht. Da das BSW in der Migrationsfrage praktisch nicht mehr von der CDU zu unterscheiden ist und immer mehr als Interessenvertreterin des verunsicherten deutschen Mittelstands auftritt, hebt sich Die Linke als einzige bundesweite politische Kraft ab, die zumindest rhetorisch dieser Rechtsdrift eine Absage erteilt.
Nach Jahren der Talfahrt sieht es also langsam so aus, als könnte Die Linke genug Unterstützung zusammenkratzen, um bei den Wahlen im nächsten Monat erfolgreich zu sein. Natürlich zeigt allein die Tatsache, dass 5 Prozent als »Erfolg« gefeiert werden, wie tief die Partei gesunken ist. Selbst wenn sie den Wiedereinzug ins Parlament schafft, werden die existenziellen Probleme, die sich aus ihrer dezimierten Wählerbasis im Osten und der schwindenden Unterstützung im gewerkschaftlichen Milieu ergeben, weiter bestehen. Die Tausenden von neuen Mitgliedern stammen überwiegend aus der urbanen Mittelschicht und versprechen zwar, eine neue Dynamik in die Parteibasis zu bringen, werden aber kaum in der Lage sein, den über ein Jahrzehnt andauernden Aderlass in den ehemaligen Hochburgen auszugleichen. Vermutlich sind die meisten von ihnen auch keine Sozialistinnen und Sozialisten im engeren Sinne, sondern Menschen, die von dem gesellschaftlichen Rechtsruck beunruhigt sind und ihren Teil dazu beitragen wollen, ihn zurückzudrehen.
Dennoch gibt es Gründe für einen vorsichtigen Optimismus. Auch wenn die Partei weit davon entfernt ist, ihre internen Widersprüche aufzulösen, kann eine Rückkehr zu den Kompromissen der Vergangenheit aufgrund des Rückhalts fürs BSW in der ostdeutschen Fläche ausgeschlossen werden. Die Linke wird keine andere Wahl haben, als neue strategische Wege zu beschreiten. Für Sozialistinnen und Sozialisten innerhalb und außerhalb der Partei, für die sich deren Ausrichtung bislang zu sehr an rein parlamentarischen Abläufen orientierte, eröffnet sich damit eine Chance.
Taktiken wie Graswurzel-Campaigning und Haustürwahlkampf werden vom neuen Führungs-Duo Jan van Aken und Ines Schwerdtner regelmäßig beschworen und scheinen bei der alten und neuen Mitgliedschaft Anklang zu finden. Die Linke soll zu einer Partei werden, die im Alltag der Menschen verankert ist. Aufstrebende Figuren der Partei wie Nam Duy Nguyen in Leipzig oder Ferat Kocak in Berlin-Neukölln stehen für einen politischen Ansatz, der das Parlament als nur eine (wenn auch zentrale) Arena der politischen Auseinandersetzung unter mehreren betrachtet. Der Flügel der streng parlamentarisch orientierten »Sitzungssozialisten« – verkörpert durch die Gruppe Berliner Funktionäre, die die Partei im Herbst verließ – hat in den vergangenen zehn Jahren kaum Nachfolger herangezogen, geschweige denn ihre Reihen vergrößert, und musste zusehen, wie ihr Einfluss seit der Wahlschlappe von 2021 rapide abnahm.
All das bedeutet noch lange nicht, dass in der Partei eine grundsätzlich andere Orientierung mehrheitsfähig geworden ist. Sowohl Haustürwahlkampf als auch Initiativen wie »Die Linke hilft«, die bundesweit Beratungsangebote vor Ort anbieten soll, sind schlicht Taktiken und keine Strategie. Sie könnten genauso gut nach der Wahl eingestellt oder als Fundamente einer gänzlich anderen politischen Herangehensweise begriffen werden. Doch angesichts des maroden Zustands des parlamentarischen Arms der Partei und der momentanen Dynamik an der Basis bieten sie eine Grundlage, auf der man für weitere Veränderung streiten kann. Dafür wird es nicht nur Vision und Entschlossenheit innerhalb der Parteispitze brauchen, sondern auch massenhafte Diskussions- und Bildungsprozesse in allen Gliederungen der Partei, um eine gemeinsame inhaltliche Basis für eine zukünftige Umorientierung zu legen.
Sozialistinnen und Sozialisten drängen auf den Aufbau von Massenparteien aus der simplen Einsicht heraus, dass nur die kollektiven Anstrengungen von Millionen ausreichen werden, um grundlegende gesellschaftliche Veränderungen gegen den Willen der Mächtigen durchzusetzen. Parteien sind einfach das bisher effektivste Vehikel, diesen Anstrengungen Form zu verleihen. Ob Die Linke in ihrer jetzigen Form eine solche Partei werden kann, ist nach wie vor zweifelhaft. Sie ist in der heutigen Arbeiterklasse so gut wie gar nicht mehr verankert, und ein signifikanter Teil ihres Funktionärskorps scheint bis jetzt nicht zu wissen, ob man das überhaupt will.
Der Weg zu einer Arbeiterpartei, sofern er überhaupt beschritten wird, wird also ein langer sein. Aber die Entwicklungen der letzten Wochen erinnern uns zumindest daran, dass die Zukunft ungeschrieben ist und sich die Dinge schnell ändern können. Wenn Die Linke wieder ins Parlament einziehen würde und eine sozialistische Opposition auf der nationalen Bühne sichtbar bliebe, wäre das inmitten düsteren Zeiten ein bescheidener Hoffnungsschimmer. Danach fängt die Arbeit erst an.
Loren Balhorn ist Editor-in-Chief von JACOBIN.