14. März 2024
Anfang März hat Claudia Sheinbaum, die Präsidentschaftskandidatin der Partei Morena, offiziell ihren Wahlkampf in Mexiko-Stadt gestartet. Nach der erfolgreichen Amtszeit des amtierenden Präsidenten AMLO will die Partei ihre starke Position konsolidieren.
Claudia Sheinbaum bei einer Wahlkampfveranstaltung in Teoloyucan, 8. März 2024.
Am 1. März eröffnete die mexikanische Linkspartei Morena den offiziellen Präsidentschaftswahlkampf mit einer Auftaktveranstaltung auf dem Zócalo, dem zentralen Platz von Mexiko-Stadt. Vor einer riesigen Menschenmenge (und nach einer Ansprache der Bürgermeisterkandidatin der Partei für die Stadt, Clara Brugada) präsentierte die Präsidentschaftskandidatin Claudia Sheinbaum einen Hundert-Punkte-Plan für den Aufbau der »zweiten Stufe der Transformation«.
Viele der Vorschläge beziehen sich auf die Konsolidierung bereits laufender oder geplanter Projekte – einschließlich eines Verfassungsreformpakets, das der amtierende Präsident Andrés Manuel López Obrador (AMLO) im Februar in den Kongress eingebracht hat – aber Sheinbaum gab auch Einblicke, wie sich diese zweite Stufe von der ersten unterscheiden soll. Dazu gehört ein stärkerer Fokus auf Frauenbelange, aufbauend auf Programmen, die Sheinbaum schon während ihrer Amtszeit als Bürgermeisterin von Mexiko-Stadt eingeführt hatte. Der interessanteste Vorschlag ist dabei wohl die Herabsetzung des Alters, ab dem Frauen Anspruch auf die allgemeine Erwachsenenrente haben. Künftig sollen Teilzahlungen bereits ab 60 Jahren möglich sein.
Sheinbaum legt mit ihrem Programm außerdem größeres Augenmerk auf Bildung, Kultur, Sport und Kunst, einschließlich Gesundheits- und Sozialversicherungsleistungen für Künstlerinnen und Künstler, die bisher von den Sozialsystemen ausgeschlossen waren. Ebenso gibt es einen stärkeren Fokus auf Prävention sowie psychische Gesundheit, einschließlich eines nationalen Programms zur Unterstützung von Gewaltopfern. Des Weiteren sollen die chronischen Wasserprobleme Mexikos angegangen werden. Dazu gehört eine Reform des nationalen Wassergesetzes aus den Anfangszeiten des Nordamerikanischen Freihandelsabkommens NAFTA in den 1990er Jahren, mit dem die Wasserressourcen an wohlhabende Lizenznehmer und Konzerne übertragen wurden. Sheinbaum hat deutlich gemacht, Wasserversorgung werde eines der wichtigsten Themen ihrer Amtszeit sein.
Aufbauend auf ihrer persönlichen Kompetenz als gelernte Klimaingenieurin verspricht Sheinbaum außerdem, die Energiewende aktiv voranzutreiben. Dies solle nicht im Sinne eines von multinationalen Energiekonzernen propagierten Greenwashing-Modells geschehen, sondern mit deutlich verstärkter öffentlicher Kontrolle über diesen Sektor. Das Thema war bereits einer der wichtigsten Kämpfe in der Amtszeit von AMLO.
Für westliche Leserinnen und Leser, die sich möglicherweise an Apathie und Teilnahmslosigkeit der Großparteien gewöhnt haben, mag es schwierig sein, sich die Situation vorzustellen, wenn Morena in die Stadt einzieht: Anfang März strömten von allen Seiten tausende Demonstrierende auf den Zócalo; an den Straßenecken spielten Bands und die Leute tanzten. Für die zahlreichen Menschen, die nicht auf den vollen Platz wollten oder konnten, wurden Leinwände und Monitore aufgestellt, damit auch sie das Geschehen verfolgen konnten. Es kamen rund 350.000 Menschen zusammen – an einem Werktag.
Im Vergleich zu den Kundgebungen der konservativen Opposition – die deutlich älter, wütender und sehr weiß ausfallen – spiegeln die Morena-Versammlungen die ethnische und regionale Vielfalt der zu 80 Prozent mestizisch und indigen geprägten Landesbevölkerung besser wider. In der Nähe der Metrostation Allende sprach mich Honorato aus der Region Sierra Otomí Tepehua in Hidalgo an. Er war sechs Stunden gereist, um Sheinbaum persönlich zu erleben. »Sie sagen, unsere Region sei benachteiligt«, erklärte er. Diese sie seien »aber genau diejenigen, die uns erst an den Rand gedrängt haben, die uns benachteiligt haben – all die Ex-Präsidenten!«
»Morena macht diese Fortschritte zu einer Zeit, in der die radikale Rechte weltweit auf dem Vormarsch ist.«
Andere machten sich zu Fuß auf längere Märsche, wie der Rentner José Luis, der vom Barrio La Raza nördlich von Tlatelolco letztlich bis hinunter zum Zócalo lief, da die öffentlichen Verkehrsmittel mit der Ankunft der Teilnehmenden überfordert waren.
Die Morena-Unterstützerin Susana sagte mir, eine Sheinbaum-Regierung sei die Chance, den eingeschlagenen Entwicklungspfad fortzusetzen, »im Gegensatz zur Opposition, die fest entschlossen ist, Einheimischen wie Ausländern Tor und Tür zu öffnen, damit sie das Land weiter ausplündern können«. Eine weitere Frau namens Margarita äußerte eine Hoffnung, die persönlicher, aber nicht weniger politisch ist: Sie hoffe, Sheinbaum werde die Notlage anderer Frauen, die sich um verschwundene Kinder oder kranke Familienmitglieder sorgen müssen, besser verstehen können. Ihre Wahl werde hoffentlich zu einer »Sensibilisierung« in Bezug auf diese und ähnliche Themen führen. Sie meint: »In Mexiko gibt es noch viel Nachholbedarf in Sachen Gerechtigkeit.«
Die rege Teilnahme an der Sheinbaum-Veranstaltung zeigt, dass ein großer Teil der mexikanischen Bevölkerung angesichts der bisherigen Errungenschaften von Morena begeistert ist. Entgegen der hämischen Kommentare in vielen englischsprachigen Medien hat die Partei in kaum einem Jahrzehnt eine Struktur geschaffen, die ihr die Präsidentschaft, eine Mehrheit im Kongress sowie zahlreiche Gouverneursposten und Abgeordnetensitze in den einzelnen Bundesstaaten eingebracht hat. Aktuelle Umfragen deuten darauf hin, dass Morena bei den anstehenden Präsidentschaftswahlen auf einen Erdrutschsieg zusteuert, mit dem das Ergebnis von 2018 wiederholt oder sogar übertroffen werden könnte.
»Diese Resilienz ist eines der Dinge, die die globale Linke aus der doch recht ungewöhnlichen ›Morena-Erfahrung‹ lernen könnte.«
Die Partei macht diese Fortschritte zu einer Zeit, in der die radikale Rechte weltweit auf dem Vormarsch ist. Gerade im Globalen Norden steckt die parlamentarische Linke in einer Dauerkrise, aber auch progressive Führungspersönlichkeiten in Lateinamerika – wie Gustavo Petro in Kolumbien oder Gabriel Boric in Chile – sehen sich angesichts des ständigen Beschusses von rechts mit heftigem politischen Gegenwind konfrontiert.
Der Erfolg der mexikanischen Partei führt natürlich dazu, dass sie zum Ziel noch heftigerer Angriffe werden dürfte. In den kommenden Monaten ist mit einem Trommelfeuer der nationalen und internationalen Medien zu rechnen, die vor einer »Narco-Wahl« warnen, ein »autoritäres Regime« aufkommen sehen oder die »Demokratie in Gefahr« wähnen. Auch die gefährlichen Rufe nach einer US-Intervention dürften zunehmen. Glücklicherweise hat die Bewegung um Morena inzwischen eine Widerstandsfähigkeit entwickelt, die sie gegen einen Großteil dieser vorhersehbaren Schundartikel wappnet.
Diese Resilienz ist eines der Dinge, die die globale Linke aus der doch recht ungewöhnlichen »Morena-Erfahrung« lernen könnte.
Kurt Hackbarth ist Schriftsteller, Dramatiker, Journalist und Mitbegründer des unabhängigen Medienprojekts MexElects. Derzeit arbeitet er an einem Buch über die mexikanischen Wahlen im Jahr 2018 mit.