30. September 2024
»FPÖ verhindern« – mit dieser Formel machen linke und linksliberale Parteien in Österreich seit Jahrzehnten Wahlkampf. Das Ergebnis der Nationalratswahl zeigt erneut, dass rechte Kräfte so nicht besiegt werden.
FPÖ-Chef Herbert Kickl bei einer Fernsehdebatte am Wahlabend, 29. September 2024.
Bei der Nationalratswahl in Österreich holt die rechtsextreme FPÖ den ersten Platz. Mit 28,8 Prozent erreicht die Partei, die 1955 als Sammelbecken für Alt-Nazis gegründet wurde, ihr bisher bestes Ergebnis. Zwei Tage vor der Wahl nahmen führende FPÖ-Politiker bei einem Begräbnis Teil, auf dem ein SS-Treuelied gesungen wurde. Der Vorfall reiht sich in mehrere ähnliche Skandale ein, die der FPÖ nicht mehr schaden können. Man scheint sich an derlei Grenzüberschreitungen gewöhnt zu haben. Aus der Partei selbst folgten nicht einmal mehr nennenswerte Distanzierungen.
Für die österreichische Linke ist das Ergebnis eine Katastrophe. Nicht nur, weil die FPÖ so stark gewonnen hat, sondern auch, weil sie es selbst nicht geschafft hat, eine Alternative anzubieten. Die SPÖ hat unter Andreas Babler ein so linkes Programm wie seit Jahrzehnten nicht – und landet mit 21,1 Prozent nur auf dem dritten Platz. Auch die KPÖ blieb unter den Erwartungen. Für sie ist es zwar das beste Ergebnis seit 1962, aber gleichzeitig wurde der Einzug ins Parlament mit 2,4 Prozent deutlich verpasst. Seit 1945 war die parlamentarische Linke noch nie so schwach.
Dabei war die Themenlage für linke Parteien durchaus günstig. Mit 44 Prozent war der Anstieg der Lebenskosten das wichtigste Thema, erst an zweiter Stelle folgte Zuwanderung, Gesundheit und Pflege belegten den dritten Platz. Wer den Wahlkampf in den letzten Wochen und Monaten verfolgt hat, hat aber unweigerlich das Gefühl bekommen, die Österreicherinnen und Österreicher würden sich nur für Asyl und Migration interessieren. Es ging um »Straßenschlachten« von migrantischen Jugendlichen oder angebliche Terrorismus-Bekämpfung nach einem abgesagten Taylor-Swift-Konzert. ÖVP-Chef Nehammer und FPÖ-Chef Kickl schienen sich in der Debatte darin zu überbieten, wer der eifrigste rassistische Migrations-Bekämpfer ist. Linken Parteien ist es nicht gelungen, diese Themen-Übermacht zu brechen.
Viele Linke, Kommunistinnen und Sozialisten haben in den letzten Monaten große Hoffnung in die KPÖ gesetzt. Nach den erfolgreichen Wahlkämpfen in der Steiermark, in Salzburg und Innsbruck standen die Chancen so gut wie seit Jahrzehnten nicht: Das erste Mal seit 65 Jahren hätte eine Partei links der SPÖ ins Parlament einziehen können. Dass das nicht gelungen ist, zeigt, dass die Partei noch Antworten auf offene strategische Fragen finden muss.
Bei der Salzburger Gemeinderatswahl im März konnte die KPÖ 23 Prozent erreichen, weil es ihr gelungen war, leistbares Wohnen – ihr Kernthema – wahlentscheidend zu machen. Am Ende sah sich selbst die FPÖ dazu gezwungen, darauf einzugehen. Auch in Innsbruck war das Thema Wohnen ausschlaggebend für den Einzug der Partei in den Gemeinderat. Das ist nachvollziehbar, schließlich sind Salzburg und Innsbruck die teuersten Städte Österreichs. Die Wohnungsnot ist dort stärker spürbar als im Rest des Landes.
»Babler ist nicht stark genug gegen seine parteiinternen Gegner vorgegangen und er hat dort nachgegeben, wo er nicht hätte nachgeben dürfen: der Migration.«
Doch es ist weitaus schwieriger, eine nationale »Mieterpartei« zu werden. Nur 43,7 Prozent der Österreicherinnen und Österreicher wohnen 2023 zur Miete, für mehr als die Hälfte der Menschen des Landes spielt das Thema also, wenn überhaupt, nur eine untergeordnete Rolle. Außerhalb der Städte muss sich die KPÖ das Vertrauen der Bevölkerung also mit anderen sozialen Themen erarbeiten. Kurzum: Es geht darum, zu zeigen, dass man nicht nur effektive Stadt- und Landespolitik machen kann, sondern auch auf Bundesebene eine ernstzunehmende linke Kraft ist.
Dass das aktuell noch nicht gelingt, zeigen auch die Ergebnisse aus den KPÖ-Hochburgen der Regionalwahlen. In Graz und Salzburg-Stadt schneidet die Partei mit um die 6 Prozent zwar überdurchschnittlich ab, bleibt aber deutlich hinter dem Ergebnis der Landtags- und Gemeinderatswahlen. Wie die Partei ihr erfolgreiches lokales Modell auf die nationale Ebene übertragen kann, wird die große Aufgabe der KPÖ in den nächsten Jahren werden.
In einer anderen Position ist die SPÖ, die sich aktuell von allen Seiten den Vorwurf anhören muss, das Projekt Andreas Babler sei gescheitert. Dabei ist das Hauptproblem immer noch die Struktur der SPÖ, die einen linken Kandidaten von innen torpediert. Babler ist nicht stark genug gegen diese parteiinternen Gegnerinnen und Gegner vorgegangen und er hat dort nachgegeben, wo er als Bürgermeister von Traiskirchen, dem Ort mit der größten Flüchtlingsunterkunft Österreichs, nicht hätte nachgeben dürfen: der Migration. Im Juni bekannte er sich zur Abschiebung »Schwerstkrimineller« nach Syrien oder Afghanistan. Das Versprechen einer anderen Migrationspolitik, das immer Teil seiner Persona war, wurde damit gebrochen.
Gleichzeitig ist es ihm nicht gelungen, eigene Themen zu setzen. Zum Teil liegt das am medialen Apparat Österreichs, der lieber über innerparteilichen Streit berichtet als über inhaltliche Debatten. Darum bekommen Babler-Kritiker aus den eigenen Reihen wie Hans Peter Doskozil aus dem Burgenland oder Georg Dornauer aus Tirol auch so viel Aufmerksamkeit. Auch mitten im Wahlkampf wurden Streitigkeiten öffentlich ausgetragen. Wenn eine Doris Bures, zweite Nationalratspräsidentin (SPÖ) und eine der wichtigsten Frauen der SPÖ, vier Wochen vor der Wahl eine E-Mail schreibt, in der sie Bablers Programm kritisiert, dann weiß sie, was sie tut. Ihr wird klar gewesen sein, dass diese E-Mail an die Öffentlichkeit gerät und die SPÖ dadurch wieder nicht über ihre Inhalte, sondern über interne Differenzen wahrgenommen wird.
»Dabei sind solche Warnungen vor dem Ende der Demokratie sinnlos. Sie zeigen nur, wie wenig Handlungsmacht der einstigen Großpartei geblieben ist.«
So bleibt der Partei nur ein Thema, auf das sich alle einigen können: Wir sind gegen rechts und für die Demokratie – das Thema, mit dem die SPÖ seit Jahrzehnten von Wahl zu Wahl Stimmen verliert. Dabei sind solche Warnungen vor dem Ende der Demokratie sinnlos. Sie zeigen nur, wie wenig Handlungsmacht der einstigen Großpartei geblieben ist. »Gegen rechts« zu sein, bringt einem zwar die Zustimmung der eigenen Leute ein, aber politische Mehrheiten schafft man damit keine.
Es gibt Wählerinnen und Wähler in diesem Land, die noch nie erlebt haben, dass sich ihre Lebensbedingungen durch linke Politik zum Besseren verändert haben. Von der Arbeitszeitverkürzung und der progressiven Frauenpolitik der sozialdemokratischen Ära unter Ex-Kanzler Bruno Kreisky können nur noch über 50-Jährige aus eigener Erfahrung berichten. Gerade junge Leute kennen heute nur noch eine Welt, in der »Schwarz-Blau verhindern« das einzige politische Projekt ist. Es ist die Welt von 2016, bei der Norbert Hofer als erster FPÖ-Bundespräsident verhindert wurde, nur um ein Jahr später einer FPÖ-ÖVP-Koalition unter Heinz-Christian Strache und Sebastian Kurz den Weg zu ebnen. Es ist die Welt, in der sich die FPÖ 2019 durch Ibiza selbst zerstörte, nur um fünf Jahre später wieder stärkste Kraft in diesem Land zu sein.
Dieses »Dagegen-Sein« ist Teil des Problems. Linker Anspruch muss immer sein, im Alltag der Menschen einen Unterschied zu machen. Der KPÖ ist das auf lokaler Ebene gelungen, auf nationaler Ebene muss sie sich noch stärker beweisen. Der SPÖ hingegen steht der eigene Parteiapparat am meisten dabei im Weg, um wieder als handlungsfähige Kraft wahrgenommen zu werden. Wenn sich in den nächsten Jahren etwas in Österreich zum Positiven verändern soll, brauchen wir dafür aber beide Parteien.
Magdalena Berger ist Assistant Editor bei JACOBIN.