24. Januar 2025
Laut dem neuen Oxfam-Bericht hat kein anderes Land in Europa so viele Milliardäre wie Deutschland. Wer die Demokratie stärken will, muss die Macht der Superreichen beschränken.
Wer viel hat, hat gut lachen: So viele Superreiche wie jetzt, gab es in Deutschland noch nie (Symbolbild).
Deutschland hat ein Demokratieproblem: zu viele Milliardäre. Zu dieser Schlussfolgerung kam der jüngste Bericht der Hilfsorganisation Oxfam. Im internationalen Vergleich schneidet die Bundesrepublik besonders miserabel ab: Mehr Milliardäre als hierzulande gibt es nur noch in den USA, China und Indien – Länder, mit vier- bis zehnmal so vielen Einwohnerinnen und Einwohnern.
Der massive Anstieg des Reichtums der Reichsten in Deutschland ist keine Folge harter Arbeit, sondern Symptom einer dysfunktionalen Vermögensbesteuerung. Das zeigt ein Blick auf die Liste der deutschen Milliardäre: Sie wird von Personen dominiert, die ihr Vermögen nicht erarbeitet, sondern geerbt haben. Angeführt wird sie von Michael Kühne, der sein weltweit operierendes Logistikimperium Kühne + Nagel von seinem Vater übernommen hat – ein Konzern, der während des Nazi-Regimes mit dem Transport gestohlener Güter von Jüdinnen und Juden Geschäft machte. Laut Schätzungen von Oxfam, stammen insgesamt 71 Prozent des Gesamtvermögens der Milliardärinnen und Milliardäre in diesem Land aus Erbschaften.
Wenn extremer Reichtum von Unternehmern wie Kühne und Co. kritisiert wird, entgegnen Wirtschaftsliberale gerne, dass dieser Reichtum das Ergebnis harter Arbeit sei. Doch die Personen auf dieser Liste haben nicht besonders viel geleistet. Als die Wirtschaftszeitung Capital von Oxfam wissen wollte, wie der Reichtum der deutschen Milliardäre zu erklären sei, teilte die Hilfsorganisation mit, dass das Milliardenvermögen der reichsten Deutschen »entweder durch einen Wertzuwachs bei Vermögensbeständen wie Unternehmensaktien oder durch die Übernahme bestehenden Familienvermögens, also dem klassischen Erbe«, entstanden sei. Mit anderen Worten: Deutschlands Superreiche schaffen keinen Wohlstand – sie schöpfen ihn ab oder erben ihn.
Der extreme Reichtum dieser Menschen ist nicht vordergründig ein Problem, weil er ihnen ein Leben in Luxus ermöglicht – auch wenn man das aus moralischen Gründen durchaus skandalisieren kann. Das Hauptproblem ist, dass extremer Reichtum in politische Macht umschlägt. Wer so viel Kapital hat, der hat auch Kontrolle über die Wirtschaft, in der wir alle leben und arbeiten. Aspekte wie etwa die Preisbildung oder das Lohnniveau, die unsere Lebensumstände bestimmen, können dann maßgeblich von einer kleinen Gruppe von Menschen zu ihrem Vorteil beeinflusst werden, die niemals gewählt wurden und die niemandem Rechenschaft schuldet.
»Für Menschen mit durchschnittlichem und geringem Einkommen ist Deutschland ein Hochsteuerland, für Superreiche hingegen eine regelrechte Steuer-Oase.«
Dass die Superreichen überhaupt reich werden konnten, ist auch die Konsequenz politischer Entscheidungen der letzten Jahrzehnte. In Deutschland gilt: Wer hat, der gibt nicht. Für Menschen mit durchschnittlichem und geringem Einkommen ist Deutschland ein Hochsteuerland, für Superreiche hingegen eine regelrechte Steuer-Oase: Sie zahlen oft weniger Steuern als eine Durchschnittsfamilie mit mittlerem Einkommen. In kaum einem Land werden Arbeitseinkommen so hoch und Vermögen so niedrig besteuert wie hier. Das Aussetzen der Vermögenssteuer im Jahr 1997 sowie weitere steuerpolitische Reformen zugunsten der Reichsten haben dazu geführt, dass der Anteil der vermögensbezogenen Steuern, die der Staat einnimmt, bei gerade einmal knapp 1 Prozent des BIP liegt – in Ländern wie Frankreich, Großbritannien oder den USA ist der Anteil vermögensbezogener Steuereinnahmen drei- bis viermal so hoch.
Die Steuerpolitik der letzten Jahre hat also ein Demokratieproblem geschaffen. Zwar ist es grundsätzlich so, dass im Kapitalismus die Demokratie dort endet, wo sich die Macht bündelt, nämlich in der Wirtschaft. Doch mit dem Anstieg von Milliardären hat die Konzentration von ökonomischer Macht in Deutschland ein neues, historisches Extrem erreicht. Immer weniger Konzerne verfügen über immer mehr Marktmacht. Laut Oxfam kontrollieren Großunternehmen in Deutschland 73,5 Prozent des gesamten Umsatzes. Dieser massive Einfluss auf die Wirtschaft erlaubt es diesen Akteuren, auf die Preisbildung einzuwirken, um etwa ihre Gewinnmargen zu erhöhen: Allein in den Jahren 2022 und 2023 sind die Gewinne der größten Konzerne in Deutschland um satte 89 Prozent angewachsen. Deutschland ist damit zu einem Paradies für Großaktionäre geworden: Die Dividenden stiegen um 27 Prozent, während die Reallöhne für uns alle um 12 Prozent gesunken sind.
Der explodierende Reichtum ist nicht nur ein deutsches, sondern ein globales Problem. Wie immens die Vermögen der Vermögendsten sind, ist schwer greifbar: Laut Berechnungen von Oxfam könnten die zehn reichsten Männer der Welt 99 Prozent ihres Vermögens abgeben – und wären immer noch Milliardäre. Im Schnitt wird jeder von ihnen pro Tag um 100 Millionen US-Dollar reicher. Selbst wenn der erste datierte Homo sapiens vor 315.000 Jahren täglich 1.000 US-Dollar zur Seite gelegt hätte – er würde immer noch nicht so viel Geld besitzen wie einer der reichsten zehn Milliardäre heute.
Oxfam schlägt daher jetzt die Einführung einer Milliardärssteuer vor – ein sinnvoller Vorschlag, um die Ungleichheit zu verringern. Das arbeitgebernahe Institut der deutschen Wirtschaft kritisierte prompt, die gesamte Studie gehe »an der Realität vorbei«. Besonders die Idee, die Vermögensteuer wiederzubeleben, sei »ein gefährlicher Schritt«, der »deutsche Unternehmen zusätzlich belasten« würde und »Investitionen in die dringend benötigte Transformation« zu blockieren drohe. Glaubwürdig sind diese Bedenken nicht. Wäre die deutsche Investitionsschwäche tatsächlich auf die Steuerpolitik in diesem Land zurückzuführen, dann hätte die Absenkung der Unternehmenssteuern in den vergangenen Jahren zu mehr Investitionen führen müssen – passiert ist das Gegenteil.
»Der massive Vertrauensverlust in politische Institutionen ist die Kehrseite dieser Vermögensungleichheit. Nur 50 Prozent der Bevölkerung in der unteren Einkommenshälfte sind mit der Demokratie in Deutschland zufrieden.«
Die Besteuerung von Vermögen allein ist aber nicht der Auslöser dieser immensen Ungleichheit. Die Tatsache, dass die meisten neuen Milliardäre durch Erbe oder Wertsteigerungen ihrer Aktienbestände so reich geworden sind, zeigt, wo das tatsächliche Problem liegt: bei den Eigentumsverhältnissen. Einen derart obszönen Reichtum kann sich kein Mensch »erarbeiten«. Solange wir in einem System leben, indem man durch die Vererbung oder den Handel mit Vermögenswerten reicher wird, als durch Einkommen, das man sich erarbeitet, wird dieses grundlegende Ungleichgewicht bestehen bleiben. Diese undemokratische Konzentration wirtschaftlicher Macht kann nur durchbrochen werden, wenn die Unternehmensstrukturen gerechter gestaltet werden – etwa durch Mitarbeiterbeteiligungen oder genossenschaftliche Modelle – und mehr Eigentum in öffentliche Hand übergeht, wo es demokratisch kontrolliert werden kann. Nur so lässt sich der Wohlstand, den die Mehrheit erarbeitet, gerechter verteilen und die demokratische Teilhabe an der Wirtschaft stärken.
Der massive Vertrauensverlust in politische Institutionen ist die Kehrseite dieser Vermögensungleichheit. Wenn sich das Gefühl verfestigt, dass man zwar bei Wahlen abstimmen kann, aber über viele Dinge, die für das eigene Leben entscheidend sind, keinerlei Mitbestimmung hat, dann wird man den Institutionen, die Mitbestimmung versprechen, auch weniger Vertrauen schenken. Es ist daher kaum verwunderlich, dass laut Oxfam nur etwa 50 Prozent der Bevölkerung in der unteren Einkommenshälfte mit der Demokratie in Deutschland zufrieden sind. Die Abkehr von der Politik sei in der ärmeren Hälfte der Bevölkerung und unter Arbeiterinnen und Arbeitern am weitesten fortgeschritten. Das ist erschütternd. Aber man kann es Menschen nicht vorwerfen, dass sie sich von einer Demokratie abkehren, die ihnen wenig demokratische Teilhabe bietet.
»Der Staat muss sich als handlungsfähiger Akteur begreifen, statt weiter zur Verhandlungsmasse zwischen Lobbyisten und Großkonzernen zu verkommen.«
Der Frontalangriff auf den Sozialstaat, die Kürzungspläne und die Steuergeschenke an die Industrie, die die Merz-CDU gerade plant, werden den Vertrauensverlust in die politischen Institutionen weiter befeuern. Diese Politik ist nicht nur ein Krisenbeschleuniger, sondern auch ein Geschenk an die AfD. Denn die Desillusionierten und ihren Frust gegen »die da oben«, fangen gerade nicht linke, sondern rechte Kräfte auf. Gerade bei Menschen mit mittleren und kleinen Einkommen ist die AfD auf dem Vormarsch.
Das Versprechen der Arbeiterbewegung ist es immer gewesen, die Machtverhältnisse in der Gesellschaft zugunsten der großen Mehrheit zu verschieben. Auch heute liegt darin der Schlüssel, um die Macht der Reichsten zu bändigen und der AfD das Wasser abzugraben. Neben einer Steuerreform braucht es daher eine Ausweitung öffentlichen Eigentums – etwa bei Wohnungsbeständen oder der Energieversorgung – und eine Förderung von Unternehmensmodellen, die eine gerechte Teilhabe der Beschäftigten an Entscheidungen und Gewinnen ermöglichen. Der Staat muss sich als handlungsfähiger Akteur begreifen, statt weiter zur Verhandlungsmasse zwischen Lobbyisten und Großkonzernen zu verkommen. Nur so wird man das Machtstreben der Superreichen einhegen und dafür sorgen, dass der Wohlstand nicht mehr nur wenigen, sondern der Gesellschaft als Ganzes zugutekommt.
Astrid Zimmermann ist Managing Editor bei JACOBIN.