19. März 2025
Alle im Bundestag vertretenen Parteien wollen aufrüsten – mit Ausnahme der Linkspartei. Um als soziale Opposition glaubwürdig zu sein, darf Die Linke in der Rüstungsfrage jetzt keine Kompromisse machen.
Die Linke bei der bundesweiten Friedensdemonstration in Berlin, 3. Oktober 2024.
Die zukünftige Bundesregierung wird wahrscheinlich eine Koalition aus CDU und SPD unter einem Bundeskanzler Friedrich Merz. Doch die Möglichkeiten für die kommende Bundesregierung sind bei der angespannten Haushaltslage und der schrumpfenden deutschen Wirtschaft klein. Die Parteien der kommenden Koalition waren sich bereits vor dem neuesten Eklat im Weißen Haus einig, dass Deutschland weiter aufrüsten müsse. Wenig überraschend tritt der designierte Bundeskanzler Friedrich Merz daher von seinen Verlautbarungen vor der Wahl zurück, mit der Union werde es keine Reform der im Grundgesetz verankerten Schuldenbremse geben. Will die neue Regierung handlungsfähig sein, müssen neue Schulden zur Finanzierung der Aufrüstung und Investitionen in die Infrastruktur aufgenommen werden.
Grundgesetzänderungen brauchen eine Zweidrittel-Mehrheit im Bundestag sowie im Bundesrat. An den Mehrheiten der Wahl vom 23. Februar dieses Jahres vorbei hat der alte Bundestag nun die Grundgesetzänderungen beschlossen, die es ermöglichen, hunderte Milliarden zusätzliche Schulden aufzunehmen. Klagen gegen das Vorgehen vor dem Bundesverfassungsgericht der Partei die Linke und anderer sind, mit juristisch fragwürdigen Begründungen, zuvor abgewiesen worden. Mit der Zustimmung der Freien Wähler in Bayern, die dort mit der CSU koalieren, sind auch die letzten Hürden für eine Zustimmung im Bundesrat am kommenden Freitag gefallen. Merz hat somit voraussichtlich geschafft, woran die Ampel-Koalition gescheitert ist: Die deutsche Aufrüstung ist durch die Aufnahme von Schulden gegenfinanziert. Nebenbei ist der Beweis erbracht worden, dass Austerität eine politische Entscheidung ist, die von Machtverhältnissen abhängt und nicht von Fragen der Finanzierbarkeit.
Bis zu 1 Prozent der Ausgaben für Rüstung soll aus dem Haushalt kommen müssen. Darüber hinaus gehende Rüstungsausgaben, Ausgaben für Zivilschutz und Geheimdienste sowie Militärhilfen für Beispielsweise die Ukraine können nun ohne Begrenzung durch Schulden finanziert werden. Auch den Bundesländern soll zukünftig eine jährliche Neuverschuldung von bis zu 0,35 Prozent des Brutto-Inlands-Produkts (BIP) möglich sein. Dazu kommt ein Sondervermögen Infrastruktur in Höhe von 500 Milliarden Euro. Die Zustimmung der Grünen zur Aufrüstung, deren Stimmen es im abgewählten Bundestags bedurfte, war letztendlich eine Formsache. Der Verweis der Grünen auf die demokratischen Legitimationsprobleme des Vorgehens von Union und SPD reduzierte sich auf eine pflichtschuldige Randnotiz.
Bereits seit Jahren sind die finanziellen und damit auch die politischen Spielräume begrenzt, was nicht zuletzt an der im Grundgesetz in Artikel 109 Absatz 3 und Artikel 115 festgelegten Schuldenbremse liegt. Diese verbot den Bundesländern bisher die Aufnahme von Schulden und erlaubte dem Bund lediglich eine Verschuldungsquote von 0,35 Prozent des BIP.
Die Schuldenbremse hatte im Sinne einer »marktkonformen Demokratie« (Angela Merkel) von Anfang an den Zweck, Druck auf den Sozialstaat und damit die potenzielle Verhandlungsmacht und die Lebensbedingungen der lohnarbeitenden Klasse auszuüben. Die Frage, ob Deutschland als drittgrößte Volkswirtschaft der Welt in der Lage wäre am Markt Kredite für Investitionen zu mobilisieren, hat sich dabei nie ernsthaft gestellt. Im Vergleich zu anderen großen Industrieländern ist die Verschuldungsquote des Landes mit 62,7 Prozent des BIP lächerlich gering. Die Bundesrepublik erzielt Bestnoten bei den Bonitätsratings der großen Agenturen. Was fehlte, war schon immer der politische Wille zu investieren.
»Die Zinsen für die Investitionen in Aufrüstung und Infrastruktur werden weiter aus dem regulären Haushalt zu zahlen sein und den finanziellen Spielraum verengen. Damit bleibt der Druck, bei Rente und sozialen Sicherungssystemen zu sparen, erhalten.«
Die Schuldenbremse ist eines der Instrumente, um demokratische Mehrheiten, die im Interesse der Lohnabhängigen tätig werden wollen, in ihren Möglichkeiten einzuschränken und erfüllt dabei die Funktion, die Verteilungsfrage zu entpolitisieren, in dem sie den ausgeglichenen Haushalt als einen Sachzwang mit Verfassungsrang setzt. Bürgernahe Dienstleistungen, Investitionen in Bildung und Wohnungsbau, der Ausbau der sozialen Sicherheit und Investitionen in eine sozial-ökologische Transformation, die nicht Kapitalinteressen, sondern die Bedürfnisse der Menschen priorisiert, waren und sind nicht gewollt. Doch auch aus Logik der Herrschenden erwies sie sich als dysfunktional, wenn wie derzeit große Investitionen – wie zum Beispiel in die Rüstung – notwendig erscheinen.
Das Konstrukt des Sondervermögens war bereits 2022 nichts anderes als Schulden am Bundeshaushalt vorbei aufzunehmen, ohne die Schuldenbremse und ihre Funktion in Frage stellen zu müssen. Auch die nun absehbare Lösung des politischen Zentrums ist keine Infragestellung der Schuldenbremse, sondern eine Ausnahmeregelung, die weiterhin in der neoliberalen Logik der Fesselung der Staatsfinanzen an technokratische Regeln verbleibt. Im Gegenteil: Die Zinsen für die hunderte Milliarden Euro für Aufrüstung und Infrastruktur-Investitionen, nicht zuletzt um die deutsche Infrastruktur für die Militärlogistik zu ertüchtigen, werden weiter aus dem regulären Haushalt zu zahlen sein und den finanziellen Spielraum zusätzlich verengen. Damit bleibt der Druck, bei Rente, sozialen Sicherungssystemen und personeller Ausstattung von Behörden zu sparen, erhalten.
Die Erhöhung der Einnahmen durch Vermögenssteuern, Abschaffung der Privilegien für Kapitaleinkünfte im Vergleich zu Einkommen durch Lohnarbeit, Erbschaftssteuer und Unternehmenssteuern sowie der Kampf gegen Steuerflucht großer Vermögen und Kapitale stehen dagegen nicht auf dem Plan der kommenden Regierung. Es drohen sogar noch zusätzlich radikale Einschnitte in den Sozialstaat, sollte auch nur ein Teil der skizzierten Steuerpläne der kommenden Koalition umgesetzt werden. Sowohl die Pläne der SPD als auch die der CDU würden absehbar zusätzliche Lücken in den Bundeshaushalt zwischen 11 Milliarden Euro (SPD) bis 110 Milliarden Euro (CDU) reißen.
»Merz ist es somit gelungen, inmitten der Hysterie um die Frage der Aufrüstung die Schuldenbremse in ihrer Grundbestimmung zu retten. SPD und Grüne haben sich übertölpeln lassen.«
Zwar stellte der designierte Kanzler Friedrich Merz nach der Zustimmung für die nun gefundene Lösung auch eine generelle Reform der Schuldenbremse in Aussicht, jedoch wäre der Handlungsdruck dafür nach Bewilligung der Sondervermögen nicht mehr groß. Die Union hat kein Interesse an einer grundsätzlichen Reform der Schuldenbremse. Das Merz zu seinem Wort stehen wird, ist daher, auch mit Blick auf seinen Wortbruch in der nahen Vergangenheit, unwahrscheinlich. Mit einer weitergehenden Reform der Schuldenbremse ist nicht mehr zu rechnen. Merz ist es somit gelungen, inmitten der Hysterie um die Frage der Aufrüstung die Schuldenbremse in ihrer Grundbestimmung zu retten. SPD und Grüne, die zumindest laut ihrem Programmen angeblich die Schuldenbremse grundsätzlich reformieren wollten, haben sich übertölpeln lassen.
Aus linker Sicht würde die Abschaffung der Schuldenbremse perspektivisch neue Spielräume für Politik im Interesse der lohnarbeitenden Klasse ermöglichen, mindestens aber akut drohende Sozialkürzungen abwenden helfen – und zwar gerade, wenn Aufrüstung gegen den Sozialstaat im Sinne einer »Kanonen statt Butter«-Politik ausgespielt wird. Kurz sah es so aus als wäre Die Linke in einer unerwarteten Machtposition und hätte die Chance, aus der Opposition heraus durch die Abschaffung der Schuldenbremse die Bedingungen des Klassenkampfes zugunsten der lohnarbeitenden Klasse zu verbessern.
Teile des Reformer-Lagers innerhalb der Linken, die sich seit dem Ukraine-Krieg für eine Änderung des Programms, insbesondere im Bereich der Waffenlieferungen an die Ukraine, einsetzten und immer wieder öffentlich von der Beschlusslage der Partei abweichende Forderungen gestellt hatten, sahen dies auch als eine weitere Chance, sich als »regierungsfähig« zu beweisen. Noch immer droht, dass beispielsweise Die Linke in Bremen und Mecklenburg-Vorpommern am Freitag im Bundesrat der Mogelpackung einer Schuldenbremsen-Reform zustimmt, obwohl dies nach der nun sicheren Zustimmung des Freistaats Bayern nicht einmal mehr für einen Beschluss notwendig wäre. Insbesondere Die Linke im vom Reformflügel der Partei dominierten Mecklenburg-Vorpommern droht auf Grund des durch die SPD aufgebauten Drucks zu kippen und die Haltung der Bundespartei gegen Aufrüstung aus einer falsch verstandenen »Staatsverantwortung« heraus zu untergraben.
»Letztlich stellte sich heraus, dass es auf Bundesebene gar kein Interesse des politischen Zentrums an einer Zusammenarbeit mit der Linken gibt und die gezeigte Kompromissbereitschaft ins Leere lief.«
Doch auch in der neugewählten Bundestagsfraktion gab es bereits Ansätze, Kompromisse mit dem politischen Zentrum suchen zu wollen. Der ehemalige linke Ministerpräsident Bodo Ramelow ließ sich zitieren, dass seine »Fraktion im Bundestag genauso kompromissfähig sein wird, wie es (s)eine Fraktion im Thüringer Landtag« war und signalisierte damit die Bereitschaft, in der Aufrüstungsfrage Kompromisse einzugehen. Auch der parlamentarische Geschäftsführer der Linken im Bundestag, Christian Görke, bekräftigte, dass die Linke lediglich Reformen der Schuldenbremse ablehne, die »ausschließlich Militär- und Aufrüstungsausgaben« priorisieren würden. Im Umkehrschluss wären Änderungen, die neben der Aufrüstung auch weitere Investitionsbedarfe abdecken, aus seiner Sicht verhandelbar.
Zugleich drängen Teile der Reformer weiter auf eine Änderung der Positionen zu Aufrüstung und insbesondere auf eine Neubewertung von Waffenlieferungen an die Ukraine. Begründet wird dies mit einem verkürzten Antiimperialismus, der den vermeintlich an universellen Werten orientierten »Westen« im Kampf mit autoritär geführten Staaten wie Russland und China (und neuerdings auch den USA) sieht. Die Kritik an der Rolle der Europäischen Union und Deutschland und ihrem Agieren im Konkurrenzkampf nationaler Macht- und Wirtschaftsinteressen fällt dabei aus. Letztlich stellte sich jedoch heraus, dass es auf Bundesebene gar kein Interesse des politischen Zentrums an einer Zusammenarbeit mit der Linken gibt und die gezeigte Kompromissbereitschaft ins Leere lief.
Die grundsätzliche Linie der Parteivorsitzenden Ines Schwerdtner, die betonte, Die Linke werde »nicht für Aufrüstung stimmen« und die Sondervermögen als »Taschenspielertricks« ablehnen, ist dementsprechend richtig und hat sich auch in der Bundestagsfraktion durchgesetzt. Der Erfolg bei der letzten Wahl lag nicht zuletzt an der klaren Positionierung als soziale Opposition gegen den neoliberalen und migrationsfeindlichen Konsens der sogenannten »Mitte«. Auch in der Friedensfrage hat Die Linke ein Alleinstellungsmerkmal. Die »Notwendigkeit« der Aufrüstung ist, mit unterschiedlichen Schwerpunkten, bei allen nach der Wahl im Bundestag vertretenen Parteien, inklusive der AfD, Konsens. Die Linke darf nun nicht auf Wechselwähler aus dem linksliberalen Lager schauen, die ihr ihren unerwarteten Erfolg beschert haben, sondern muss, »die öffentliche Debatte entlang von Klassenlinien neu polarisieren«, um ein »alternatives politisches Projekt« zum Konsens des politischen Zentrum bilden zu können, wie Loren Balhorn argumentiert.
»Angesichts der neuesten Zuspitzungen des deutschen Militarismus muss Die Linke die notwendigen Diskussionen führen, die es ihr ermöglichen, sich aktiv in die Friedensbewegung einzubringen und als ihr parlamentarischer Arm zu wirken.«
»Die Schuldenbremse muss weg und der Militärhaushalt muss sinken«, wird in der Präambel des Wahlprogramms der Linken zur Bundestagswahl 2025 ausgeführt. Diese grundlegende Haltung für einen halbgaren Kompromiss der Schuldenbremse aufzugeben, würde nicht nur die Glaubwürdigkeit der Linken in Frage stellen, sondern der ohnehin schwächelnden deutschen Friedensbewegung eine historische Niederlage bescheren. Jeder Kompromiss, der der Linken eine Zustimmung zur Aufrüstung abnötigt, ist daher klar abzulehnen.
Die Linke muss auf der Maximalposition der Abschaffung der Schuldenbremse bestehen und darf sich keine Zugeständnisse an den neoliberalen und militaristischen Zeitgeist leisten. Die Regierenden wollen die Aufrüstung und werden, ob nun mit oder ohne echte Abschaffung der Schuldenbremse, die Mittel dafür bereitstellen. Die Linke kann durch Opposition mehr Gestaltungsmacht entwickeln, als wenn sie sich auf Grundlage fauler Kompromisse einbinden lässt. Dafür muss sie benennen, das Imperialismus nichts ist, was ein »böser« Akteur im internationalen System der Konkurrenz macht, sondern ein System, in dem verschiedene Nationen und ihre Verbündeten mit unterschiedlichen Mitteln um die regionale oder globale Vorherrschaft um Einflusssphären, Kontrolle von Handelswegen und den Zugang zu Märkten und Rohstoffen kämpfen.
Angesichts der möglichen Folgen einer Aufrechterhaltung der Schuldenbremse für die lohnarbeitende Klasse wäre es jedoch zynisch, eine Gelegenheit, sich ihrer zu entledigen, ungenutzt verstreichen zu lassen. Doch flankiert werden müsste dies dann zwingend mit dem Aufbau einer Friedensbewegung, die auf eine antiimperialistischen Perspektive anstatt auf eine endlose Rüstungsspirale sowie auf die Prävention von gewaltsam ausgetragenen Interessenskonflikten und Diplomatie setzt. Die Linke braucht eine grundsätzliche Kritik an der ökonomischen und militärischen Vormachtstellung auch des Westens, dessen rücksichtslose Machtpolitik kleinere und schwächere Länder ausnutzt. Dazu gehört es, auf die offensichtlichen Widersprüche und doppelten Standards des »Westens« hinzuweisen, statt die heuchlerische Selbsterzählung des politischen Zentrums zu reproduzieren.
Angesichts der neuesten Zuspitzungen des deutschen Militarismus muss die Partei dazu intern die notwendigen Diskussionen führen, die es ihr ermöglichen, sich aktiv in die Friedensbewegung einzubringen und als ihr parlamentarischer Arm zu wirken. Notwendig dafür ist auch die Stärke, mit dem Wissen um das bessere Argument dem öffentlichen Druck standzuhalten und für die eigene Position zu werben.
Fabian Nehring ist Politikwissenschaftler und aktives Mitglied bei der Linken in Berlin.