07. Februar 2023
In Berlin entbrennt vor der Wiederholungswahl ein Kulturkampf ums Auto. Das verdrängt soziale Themen wie Wohnen – und DIE LINKE.
CDU-Spitzenkandidat Kai Wegner und SPD-Spitzenkandidatin Franziska Giffey im Ludwig-Erhard-Haus, Berlin, 16. Januar 2023.
IMAGO / Future ImageDer Berliner Winter war in diesem Jahr besonders grau, und auch sonst war die Stadt gebeutelt von einem kurzen aber heftigen Wahlkampf, der nach wie vor auf wackeligen Füßen steht. Denn das Bundesverfassungsgericht behält sich noch immer vor, die Wahl möglicherweise im Nachhinein als nicht verfassungsgemäß einzustufen. Großartige Aussichten.
Laut neuester Forsa-Umfrage liegt die CDU in Berlin mit 26 Prozent stabil vor Grünen und SPD. Gleichzeitig hatte CDU-Spitzenkandidat Kai Wegner, den die meisten nicht einmal vom Hörensagen kennen, einer Koalition mit den Grünen praktisch eine Absage erteilt; zu groß seien die Unterschiede in der Verkehrspolitik. Es sieht also alles nach einer konservativ geführten Deutschlandkoalition aus, sofern die FDP es ins Abgeordnetenhaus schafft. Sonst könnte es noch eine schwarz-rote Koalition geben, was für die SPD vermutlich nicht einmal das Schlimmste wäre.
In der Hauptstadt, die vor gut eineinhalb Jahren noch mehrheitlich für die Vergesellschaftung großer Immobilienkonzerne gestimmt hatte und in der es über zwanzig Jahre lang nicht denkbar schien, dass überhaupt eine andere Partei regieren könnte als die SPD, hat Franziska Giffey nun vermutlich das Unmögliche geschafft: Nach Klaus Wowereit und Michael Müller wird die beste Konservative ihrer Partei den Posten des Bürgermeisters wohl bald an die CDU abgeben. Wie lässt sich das erklären?
Einer der ausschlaggebenden Gründe ist vermutlich die Unbeliebtheit der aktuell regierenden rot-grün-roten Koalition. Laut Statista ist eine Mehrheit sowohl mit der regierenden Bürgermeisterin Franziska Giffey als auch der grünen Spitzenkandidatin Bettina Jarasch unzufrieden. Das dürfte nicht nur an dem Debakel um die Wahlwiederholung als solche liegen, ist aber symptomatisch für eine größere Krise. Auch deshalb dürfte die Wahlbeteiligung vermutlich geringer ausfallen als bei der Wahl 2021.
Den meisten Berlinerinnen und Berlinern dürfte darüber hinaus vor allem missfallen, dass keine der großen Baustellen wirklich angegangen wurde: Beim Wohnen und in der Verkehrspolitik stockt es. Wer in den letzten Wochen versucht hat, aus dem Berliner Norden ins Zentrum zu kommen, konnte weder auf die U2 noch auf die U6 oder die S-Bahn umsteigen. Da hilft es auch nicht, dass das vergünstigte 29-Euro-Ticket nun immerhin bis März gültig sein wird, sogar ein Sozialticket für 9 Euro gibt es mittlerweile.
Das rechte Gerede von einem »failed state« ist vollkommen übertrieben, aber offensichtliche Probleme gibt es dennoch: Wer ins Bürgeramt will oder eine neue Wohnung braucht, ist schnell aufgeschmissen. Während der Energiekrise und der Ankunft von Geflüchteten aus der Ukraine hatte man nicht immer den Eindruck, dass die Regierung dem Problem gewachsen sei. Bis heute wurden nicht nennenswert mehr Fahrradwege oder Wohnungen gebaut, vielmehr dreht sich dieser Wahlkampf um eine kulturkämpferische Sinnlosdebatte um den Autoverkehr in der Friedrichstraße, die von CDU und FDP auf der einen und den Grünen auf der anderen Seite schon fast manisch befeuert wird und vermutlich keinen Menschen außerhalb von Berlin-Mitte jucken wird.
Viele spüren stattdessen, dass die Mieten weiter steigen, die Schulen verrotten und der Volksentscheid bis auf weiteres in eine Kommission abgeschoben wurde – und das bei einer für bundesrepublikanische Verhältnisse ziemlich linken Regierung. Vermutlich ist der Höhenflug der Konservativen also nicht so sehr ihren eigenen Fähigkeiten als vielmehr dem Versagen der amtierenden Regierung geschuldet.
Bettina Jarasch verkündete kürzlich, mit den Grünen gehe es »voran«, während Schwarz-Rot für ein Zurück stehe. Gerade beim Konfliktthema Auto wird es wegen der Autobahn A100 und dem kommenden Volksentscheid zur Klimaneutralität bis 2030, für den sich Bettina Jarasch jetzt doch überraschend ins Zeug wirft, darum gehen, in welche Richtung die Stadt verkehrspolitisch tendiert. Damit spielt sich in Berlin die bundesrepublikanische Debatte um Autos und Autobahnen im Kleinen ab.
Die meisten Berlinerinnen und Berliner beschäftigt allerdings weniger der Bau der A100, sondern vor allem das Thema Wohnen, das in Umfragen weiterhin als das zentrale Problem der Stadt gilt. Bei der Frage der Vergesellschaftung hält sich Bettina Jarasch jedoch vornehm zurück. Keine der Parteien außer der LINKEN setzt wirklich auf dieses Thema, denn keine von ihnen will tatsächlich vergesellschaften und Neubauprojekte sind schwierig und würden ohnehin eine Legislatur überdauern. Es ist also illusorisch zu glauben, dass selbst eine grüne Bürgermeisterin ein Vergesellschaftungsgesetz vorantreiben würde, sondern eher nach Formelkompromissen und Teilrückkäufen von einst verkauften Wohnbeständen schaut.
Ob man dieser Zuspitzung und der politischen Gegnerschaft zwischen Schwarzen und Grünen überhaupt trauen kann, ist fragwürdig. Schwarz-Grün wäre nicht das erste Mal das Machtmittel der Wahl, insbesondere wenn sich andere Konstellationen als schwierig erweisen und der von der CDU geliebte Koalitionspartner FDP nicht im Parlament vertreten ist. Die SPD um Giffey und Saleh ist sicherlich konservativer und der CDU näher als die Grünen, aber wenn es nicht anders geht, wird Kai Wegner alles tun, um eine weitere Mitte-links-Regierung zu verhindern. Diese scheint – wenn man den Umfragen glauben will – erst einmal abgewählt zu sein.
Doch was bedeutet das für DIE LINKE, die sich im Wahlkampf daran gemacht hat, sich gleich gegen zwei Prozesse zu wenden – zum einen den internen Machtkampf auf Bundesebene, dem man dadurch entkommen wollte, den Wahlkampf ganz auf die Berliner Linke zu fokussieren, zum anderen gegen die Nebenschauplätze, die vor allem CDU, FDP und Grüne aufgemacht haben? DIE LINKE wollte sich im Wahlkampf ums »Wesentliche« kümmern, hatte Plakate gegen den Markt entworfen und wollte die Wahl wieder zur Mietenwahl machen.
Gelungen ist das nicht, obwohl das Thema weiter brennt. Hier rächt sich, dass die Partei in den vorangegangenen Koalitionsverhandlungen nicht auf das Ressort Wohnen bestanden hat. Immerhin konnte man dort einst den Mietendeckel mit der Senatorin Lompscher durchsetzen. Auch wenn dieser durch das Bundesverfassungsgericht gekippt wurde, sorgte es bundesweit für Aufsehen und zeigte: DIE LINKE kann auch als drittstärkste Kraft etwas bewegen, wenn sie es an den zentralen Schaltstellen auch will.
Durch die strategische Fokussierung auf die Ressorts Kultur (Klaus Lederer), Soziales (Katja Kipping) und Justiz (Lena Kreck) hatte man in dieser Regierung zwar solide Senatsposten, aber eben doch nichts Entscheidendes in der Hand. Die Justiz sollte als Schaltstelle für ein Vergesellschaftungsgesetz wichtig werden, half aber nicht. Denn am Ende hatte der konservative SPD-Mann Andreas Geisel, der das Ressort Wohnen übernehmen sollte, in der Öffentlichkeit und auch regierungsintern immer die Hand auf der Kommission und hielt gemeinsam mit Giffey das Regierungsbündnis unter Kontrolle. Auf bittere Weise zeigt sich: Man kann nicht von einer Mietenwahl sprechen, aber selbst den Hebel aus der Hand geben.
Dennoch haben die linken Senatorinnen und der Senator durchaus etwas erreicht: Der Härtefallfonds sei hier zu nennen oder jüngst die Kulturkarte für junge Berlinerinnen und Berliner zwischen 18 und 23 Jahren. Viele Menschen würden vermutlich froh sein um die Arbeit der LINKEN in dieser Regierung – wenn man sie denn nach den konkreten Maßnahmen fragte. Aber es nützt eben wenig, wenn DIE LINKE kaum als Partei in Erscheinung tritt, die qualitativ einen Unterschied macht. Und den hätte sie eben dadurch machen müssen, dass sie den Volksentscheid mit dem Ressort Wohnen knallhart gegen Lobbyinteressen und politische Zähmung durch Sozialdemokraten und Grüne durchboxt oder aber im Finanzressort, das an die Grünen ging, wo sie der Sparpolitik an den Kragen hätte gehen können. Beides wären Schaltstellen gewesen, die linke Handlungsfähigkeit erhöhen und die Koalitionspartner permanent unter Druck setzen könnten (ähnlich wie es auch die FDP im Bund als kleinster Koalitionspartner tut).
Genau das ist das Drama der Wahlkampagne, die aufs »Wesentliche« zielte, aber am Ende die Bevölkerung eher anflehte, überhaupt wählen zu gehen. Ein Großplakat ziert die Aufschrift: »Wählen Sie.« Ein Machtanspruch ist da nicht erkennbar. Das wurde auch dadurch tragisch unterstrichen, dass Klaus Lederer zwar durchgängig als einer der beliebtesten Politiker der Stadt gilt, aber nie wirklich als Bürgermeisterkandidat in diesem Wahlkampf gehandelt wurde. Wofür man genau kämpfte, ließen die blass-weißen Plakate jenseits großer Schlagworte kaum erkennen, während die SPD triumphal etwa das 29-Euro-Ticket für sich in Anspruch nehmen konnte.
Sollte es nun also zu einer konservativen Regierung kommen, wird sich DIE LINKE erneut die Frage stellen müssen, wie sie als Oppositionspartei aufgestellt ist. Bereits nach der letzten Wahl gab es eine heftige interne Debatte samt Mitgliederabstimmung um die Regierungsbeteiligung. Mit aktuell 12 Prozent und vermutlich einem schlechteren Ergebnis als bei der vorigen Wahl könnte sie eine starke Oppositionspartei sein, im Verhältnis zu einer sehr schwachen Regierungspartei.
Auch ihr Verhältnis zur Kampagne Deutsche Wohnen & Co. enteignen bekäme eine neue Grundlage: Man könnte nun gemeinsam an einem bindenden Gesetzesvolksentscheid arbeiten, statt sich in einer Koalition unentschlossen zwischen Bewegung und Staat aufzureiben. Auch für die Kampagne wäre das eine neue Situation: Während man vorher auf eine Umsetzung auch qua Kommission drängte, ist diese mit einer CDU-geführten Regierung praktisch ausgeschlossen. Ab dem ersten Tag nach der Wahl braucht es also einen Plan B, sowohl für die außerparlamentarische als auch die parlamentarische Opposition. Denn die von der Bewegung gesetzte Agenda, die »Immobilienlobby abzuwählen«, ist voraussichtlich gescheitert.
Ganz grundsätzlich stellt sich für DIE LINKE immer wieder die Frage, ab wann genau sich eine Regierungsbeteiligung in dem Sinne lohnt, dass sie als sozialistische Partei eine Strategie der großen Schritte verfolgen kann. Die Vergesellschaftung großer Wohnkonzerne wäre ein solcher Schritt. Mit kleinen Reformen allein – so brauchbar und wichtig diese im Alltagsleben der Menschen sind – lässt sich diese Strategie nicht verfolgen. Eine sozialistische Partei kann sich derzeit nur dann profilieren, wenn sie bei entscheidenden Themen wie dem Wohnen einen Unterschied macht und diesen auch machtpolitisch durchzusetzen weiß. Zur realistischen Einschätzung gehört, dass DIE LINKE das derzeit nicht kann. Das heißt aber nicht, dass sie die kommenden zweieinhalb Jahre dafür nicht nutzen könnte.
Ines Schwerdtner ist seit Oktober 2024 Bundesvorsitzende der Linkspartei. Von 2020 bis 2023 war sie Editor-in-Chief von JACOBIN und Host des Podcasts »Hyperpolitik«. Zusammen mit Lukas Scholle gab sie 2023 im Brumaire Verlag den Sammelband »Genug! Warum wir einen politischen Kurswechsel brauchen« heraus.