06. März 2024
Für seine erhoffte Wiederwahl baut US-Präsident Joe Biden vor allem auf Warnungen, Donald Trump sei eine Gefahr für die amerikanische Demokratie. Im Bereich Migration verfolgt Biden aber Ansätze, die der grausamen Grenzpolitik Trumps in nichts nachstehen.
Donald Trump spricht zu Anhängern in Greensboro, North Carolina, 2. März 2024.
In den USA hat es sich eingebürgert, stets zu betonen, wie sehr die politische Welt polarisiert ist. Politikerinnen und Parteianhänger beider Lager haben nicht einfach nur unterschiedliche Lösungen für die Probleme des Landes parat. Sie scheinen vielmehr in getrennten und grundsätzlich unvereinbaren Versionen der Realität zu leben. Auf eine Sache können sich hingegen fast alle einigen: Donald Trump ist immer noch das Zentrum des politischen Kosmos in den Vereinigten Staaten. Um ihn dreht sich alles.
Trump hat die Vorwahlen der Republikaner gewonnen – obwohl er kaum Wahlkampf betrieben hat und nach wie vor in zahlreichen Straf- und Zivilverfahren angeklagt ist. Die konservative Wählerschaft bevorzugte ihn deutlich gegenüber dem Gouverneur von Florida, Ron DeSantis, der im Wesentlichen mit einem Trump-Programm kandidierte, aber weniger spektakuläre Skandale sowie ein erhebliches Charisma-Defizit aufweist. DeSantis schied im Januar aus dem Rennen aus, ebenso wie Chris Christie, der Ex-Gouverneur von New Jersey, dessen Anti-Trump-Wahlkampf kaum registriert wurde.
Nach vorherigen Siegen gewann Trump kürzlich 60 Prozent der Stimmen in South Carolina und besiegte damit die einzige verbliebene Gegenkandidatin Nikki Haley in ihrem Heimatstaat deutlich. Ein paar Tage später schlug er sie auch in Michigan, mit 68 Prozent Zustimmung. Haley hatte sich zwar entschieden, zumindest bis zum Super Tuesday (am gestrigen Dienstag) durchzuhalten. Nach den Niederlagen dort ist sie nun ebenfalls ausgestiegen. Somit wird Trump im Herbst der republikanische Präsidentschaftskandidat sein.
Hinzu kommt, dass der Oberste Gerichtshof die Entscheidung Colorados, den ehemaligen Präsidenten von der dortigen Wahl auszuschließen, rückgängig gemacht hat. Für das Wahlkampfteam von Trump ist das nur eine weitere von zahlreichen guten Nachrichten in den vergangenen Wochen.
»Wenn Trump eine solche Gefahr ist, warum geben die Demokraten so viel politische Initiative an ihn ab?«
Sogar Joe Biden scheint sich damit abgefunden zu haben, dass Trump die Agenda für die politische Diskussion im Wahlkampf bestimmt. Trotz seiner vier Jahre im Amt hat der derzeitige Präsident seine Wiederwahlkampagne weitgehend auf den Konkurrenten Trump konzentriert – insbesondere auf die Bedrohung, die dieser unter anderem für die Demokratie und das Recht auf Schwangerschaftsabbruch darstellt, sowie auf die zahlreichen Rechtsstreitigkeiten, in die Trump verwickelt ist.
Die meisten Demokratinnen und Demokraten in Ämtern folgen diesem Beispiel: Anstatt sich für Biden aufgrund seiner Leistungen in den vergangenen Jahren auszusprechen, verweisen sie lieber auf das Risiko, das Trump darstellt. Drastisch ausgedrückt: Wer auch nur leise Bedenken gegen Biden äußert, »könnte genauso gut seine MAGA-Kappe aufziehen«, sagte kürzlich der Senator von Pennsylvania, John Fetterman.
Das wohl eklatanteste Beispiel dafür, wie Trump die Bedingungen der Debatte bestimmt, ist Bidens Einwanderungspolitik. Biden benutzt Trump in diesem Fall nicht als Buhmann, wie er es bei anderen Themen gern tut. Vielmehr – wie unter anderem der Jacobin-Redakteur Branko Marcetic ausführlich berichtet hat – sind Bidens Einwanderungspläne seit seinem Amtsantritt nicht weniger als eine Fortführung und Erweiterung der vorherigen Trump-Politik. Das gilt insbesondere in Bezug auf die Südgrenze zu Mexiko. Biden begnügt sich nicht damit, Trumps Politik lediglich nachzuahmen, sondern versucht verzweifelt, in der Einwanderungsfrage einen symbolischen »Sieg« zu erringen – der ihm von den Republikanern im Kongress vorhersehbarerweise verweigert wurde. Mit seiner jüngsten Reise nach Texas signalisierte Biden praktisch an Trump, er werde mit ihm gleichziehen, indem die Grenze weiter verstärkt und es praktisch unmöglich gemacht wird, Asyl in den USA zu beantragen.
Die Demokraten sehen es für eine erneute Präsidentschaft offenbar als wichtig an, Trump immer als existenzielle Bedrohung für die Demokratie darzustellen – und vermutlich ist er tatsächlich eine Bedrohung. Doch wenn Trump eine solche Gefahr ist, warum geben die Demokraten dann so viel politische Initiative an ihn ab? Wenn Biden wirklich glaubt, dass Trump eine so große Bedrohung darstellt, warum bemüht sich der Präsident dann so sehr, drakonische Gesetze ausgerechnet in dem Themengebiet zu erlassen, das Trump besonders wichtig ist und in dem er stets punkten kann?
Die großzügigste Interpretation von Bidens Theaterspiel an der Grenze ist, dass er hofft, einer überzeugbaren Gruppe von unentschlossenen Wählerinnen und Wählern Trumps bisherige Bluffs vor Augen zu führen: »Trump hatte ja schon die Gelegenheit, die Grenze zu sichern, aber er hat es nicht gemacht – also werde ich Biden jetzt unterstützen«, soll sich diese (imaginäre) Gruppe am Wahltag sagen. Abgesehen von dem immensen menschlichen Schaden und Leid, den eine Trump-Grenzgesetzgebung durch Biden anrichten würde, ist es schwer vorstellbar, dass eine nennenswerte Anzahl von Wählern durch diese Taktik tatsächlich umgestimmt wird.
Bislang scheint Bidens Strategie, sich in Richtung »Mitte« zu bewegen, um eine größere Wählerschaft für sich zu gewinnen, keine nennenswerten Früchte zu tragen. Laut einer aktuellen Umfrage für die New York Times liegt Trump landesweit mit 48-43 Prozent vor Biden. Außerdem hat Trump in den wichtigen Swing States, in denen die Wahl letztlich entschieden wird, durchweg die Nase vorn. 53 Prozent der Befragten sind darüber hinaus der Meinung, Trump habe während und kurz nach seiner Präsidentschaft »schwere Verbrechen« begangen – ein Rückgang um fünf Punkte gegenüber 58 Prozent im Dezember.
Trotz seiner begrüßenswerten Ernennung eines arbeiterfreundlicheren National Labor Relations Board (NLRB) und Investitionen in grüne Energie hat Biden es derweil weitgehend versäumt, ernsthafte Erfolge für die arbeitenden Menschen zu erzielen (und ihnen in einigen Fällen sogar aktiv geschadet). Der Präsident hat somit nicht viel an politischem Erfolg vorzuweisen. Darüber hinaus kann er nicht einmal überzeugend argumentieren, dass er sich sonderlich bemüht hätte, populäre Maßnahmen zu ergreifen.
»Der amtierende Präsident versucht mit deutlich mehr Energie, Trump-ähnliche Gesetze zu erlassen, als dass er versucht, seinen Anhängern das zu liefern, was sie eigentlich fordern.«
Keine Frage: Biden hatte bei der Umsetzung seiner Pläne mit diversen Hindernissen zu kämpfen. Die Wählerinnen und Wähler erkennen aber, dass er sich viel stärker gegen solche Hindernisse stemmt, wenn es um etwas geht, das ihm wirklich am Herzen liegt – wie die Bereitstellung von Bomben zur Unterstützung der israelischen Angriffe in Palästina oder sein augenscheinlicher Wunsch, Migranten das Leben in den USA zur Hölle zu machen. Maßnahmen hingegen, hinter denen er nicht wirklich steht – wie die Umsetzung einer staatlich-öffentlichen Krankenversicherung oder einen Erlass der Studiengebührenschulden – verfolgt er maximal halbherzig.
So versuchen er und Demokraten wie Fetterman derzeit, die traditionelle demokratische Wählerschaft dazu zu bringen, ihn für vier weitere Jahre zu unterstützen, indem vor Trump gewarnt wird. Die Bedrohung durch Trump ist zwar real, doch es fällt schwer zu glauben, dass Biden diese Drohung tatsächlich ernstnimmt, wenn seine Strategie gegen Trump doch darin besteht, vor dessen zentralen Forderungen zu kapitulieren und sie zu kopieren.
Der amtierende Präsident versucht mit deutlich mehr Energie, Trump-ähnliche Gesetze zu erlassen, als dass er versucht, seinen Anhängern das zu liefern, was sie eigentlich fordern. Daher ist es inzwischen recht wahrscheinlich, dass Biden im Herbst gegen einen Mann verliert, der formal einer der schlechtesten Präsidentschaftskandidaten seit Jahrzehnten sein dürfte.
Ben Beckett ist Autor und lebt in Wien.