19. Dezember 2025
Laut Trumps neuer National Security Strategy wollen die USA Europa künftig so behandeln, wie der Westen den Osten und den Süden stets behandelt hat: Sich in unsere Wahlen einmischen und unsere Gesetze aushebeln, um uns »Zivilisation« beizubringen.

Donald Trump hält eine Eröffnungsrede während eines Treffens mit US-Außenminister Marco Rubio und US-Kriegsminister Pete Hegseth, 2. Dezember 2025.
Am 5. Dezember veröffentlichte Donald Trump die National Security Strategy seiner zweiten Amtszeit. In diesem Papier erklären traditionell amerikanische Präsidenten die Welt und die Rolle der USA in ihr, die außenpolitischen Ziele, die sie sich stecken, und wie sie diese erreichen wollen. Nach Monaten taktisch platzierter Leaks in der Gerüchteküche der Washingtoner Denkfabriken hätten die Grundzüge – nämlich dass es mit der amerikanischen primacy, also dem weltweiten Vormachtsanspruch, jetzt wirklich vorbei sei – niemanden vom Fach überraschen dürfen.
Nun steht das auch schwarz auf weiß so drin: »Die Vereinigten Staaten lehnen das verhängnisvolle Konzept der globalen Dominanz als Selbstzweck ab« und »die Zeiten, in denen die Vereinigten Staaten die ganze Weltordnung wie Atlas auf ihren Schultern stemmten, sind vorbei«. Des Weiteren steht da, recht selbstgefällig, dass sie Europa aber auch nicht gleich abschreiben oder von einem ihrer Gegner dominiert sehen wollen.
Europas Juniorpartnerschaft in der amerikanischen Weltherrschaft nach dem Kalten Krieg ist also ganz offiziell vorüber. Das europäische außenpolitische Establishment reagierte zunächst mit der mittlerweile gewohnten Abfolge aus Nicht-wahrhaben-Wollen, Zorn, Verhandeln und Depression. Oder einfach die Nerven wegschmeißen, wie wenn NATO-Generalsekretär Mark Rutte droht, dass wir bereit sein müssten für Krieg – und zwar so einen wie ihn unsere Groß- und Urgroßeltern durchlebten. Bis zur Akzeptanz und dem Formulieren einer pragmatischen, konstruktiven, vorausblickenden Vision für Europa als einem selbständigen Akteur in dieser neuen Weltordnung haben sie sich noch nicht durchringen können.
Dabei hatten die Europäer seit Trumps Amtsantritt schon genug Generalproben, von dem Eklat auf der Münchener Sicherheitskonferenz bis zur jüngsten Runde von Trumps brachialen Friedensvermittlungen zwischen Russland und der Ukraine. Bereits im Februar meinte ein pensionierter spanischer Diplomat dazu, die Realitätsverweigerung und Kriecherei der Europäer erinnerten ihn an Hofleute, die dem Kaiser immer noch vormachen, wie schön seine neuen Kleider wären, obwohl der Kaiser schon längst sagt: »Wovon redet ihr, seht ihr nicht, dass ich nackt bin?«
»In 29 Seiten wird Europa 49-mal genannt, China im Vergleich dazu 24-mal, Russland nur zehnmal. Und fast immer geht es nur darum, auf welchen Abwegen sich Europa befindet.«
Aus den deutschen Denkfabriken gibt es noch beschwichtigende Stimmen, die meinen, hineinschreiben könne man viel in so eine National Security Strategy, aber die Umsetzung wäre ganz was anderes. Trump sei doch so erratisch, und sein Kabinett spräche auch nicht mit einer Stimme, da gäbe es doch verschiedene Lager, und nur die hardcore MAGA-Leute rund um Vizepräsident JD Vance hätten diese tiefe Abneigung gegenüber Europa.
Aber der amerikanische Experte Stephen Wertheim, trotz seiner Jugend ein wesentlicher Vordenker der neuen, zurückhaltenden Realpolitik (und ganz salonfähig knapp links der Mitte politisch zu Hause), denkt, dass es Trump durchaus ernst damit ist. Mehr noch, die neue Strategie wäre ein historischer Wendepunkt, denn das Streben nach primacy seit dem Ende des Kalten Krieges würde immer kostspieliger in einer sich ändernden Welt und wäre von vornherein ein Fehler gewesen. Die Leute, denen das nicht gefällt, würden sie wirklich nach Trump zu den alten Mustern zurückkehren wollen? Ginge das denn überhaupt noch?
Europa hat also den Schaden – und braucht für den Spott nicht zu sorgen. Denn die Autoren der National Security Strategy scheinen geradezu besessen von Europa: In 29 Seiten wird Europa 49-mal genannt, China im Vergleich dazu 24-mal, Russland nur zehnmal. Und fast immer geht es nur darum, auf welchen Abwegen sich Europa befindet: Unter dem Einfluss »globalistischer« Organisationen würden Demokratie und Meinungsfreiheit beschnitten, durch verquere Klimapolitik und Überregulierung die Wirtschaft ruiniert, und außerdem würde Europa »zivilisatorische Auslöschung« durch Migration drohen, woran ebenfalls die EU Schuld hätte.
Daher wollen die Vereinigten Staaten nun »innerhalb der Nationen Europas Widerstand gegen die derzeitigen Entwicklungen kultivieren« und die »gesunden Nationen« in Mittel-, Ost- und Südeuropa (sprich dort wo Orban, Babiš, Fico, Meloni und bald eventuell die AfD an der Macht sind) durch bevorzugte Zusammenarbeit stärken. Weil sie nur das Beste für uns wollen, versteht sich: Sie wollen »European greatness« fördern.
Unter dem Einfluss von JD Vance und Trumps Berater Steven Miller wirken die Vereinigten Staaten wie ein eifersüchtiger, kontrollierender Ex-Freund, so ein Typ, der immer davon redet, wie verrückt seine Ehemalige ist und wie froh er ist, dass er sie los ist, aber der noch den Schlüssel zu ihrer Garage und den Pin zu ihrem Konto hat und sie mit hunderten SMS behelligt: wie kurz ihr Rock sein darf und wie lang ihre Haare, wen sie treffen darf und was sie essen soll, oder am besten nicht essen, denn sie wird eh schon fett.
Was schwebt ihnen für Europa vor? Vielleicht ein bisschen von dem, was auch Friedrich Merz mit seinem »Straßenbild«-Sager im Sinn hatte. Ein Europa wie aus Sound of Music, mit rotbackigen Großfamilien in schmucken Alpenvillen – nur diesmal sind die Nazis nicht die Bösen. Was stellt sich jemand wie Vance oder Trump unter gesunden Nationen vor? Ein schales, faschistisches Disneyland, bevölkert von kernigen Kerlen mit starkem Kinn und blonden Trad Wives, wie aus der unsäglichen KI-Wahlwerbung der AfD Brandenburg?
»So also fühlt es sich an, wenn arrogante, verblendete Außenseiter meinen, sie wüssten besser als wir, was uns gut tut, und großkotzig ankündigen, dass sie ihre Pläne wenn nötig gegen unseren Willen durchsetzen werden.«
Was weiß die Truppe um Trump schon von Zivilisation? Es wird gerade Winter in Europa, und vom Schwarzen Meer bis zur iberischen Halbinsel tanzen gehörnte Geister auf unseren Straßen, wie seit Jahrtausenden. Anfang Dezember geht es los mit dem Krampus im Alpenraum, im Jänner zieht Sant Antonimit seinen Demonis durch die Balearen und bald darauf treiben Bulgariens Kukeri den Winter aus. Gerade in den letzten Jahrzehnten, inmitten von Urbanisierung, Modernisierung und Migration, sind diese Traditionen enorm belebt worden, kamen vom Land in die Städte, mit Straßenfeststimmung, aufgekratzten Teenagern, kleinen Kindern, die bei allen Liedern mitsingen. Beim Falafel im Wiener 7. Bezirk meint meine Schwester zu den immer populäreren Perchtenläufen »sie sind schon eher prolo« und sinniert weiter, »aber eigentlich waren sie das wohl immer«.
Bekannterweise ist das Leben in Europa im Vergleich mit Amerika ausgesprochen zivilisiert. Egal ob Lebenserwartung, Kriminalitätsstatistik, Obdachlosigkeit, sozialer Aufstieg, Volksgesundheit, Selbstmordrate, CO₂-Bilanz, öffentlicher Verkehr, Teilhabe an Kunst und Kultur – Europa steht besser da. Wenn Trump, Vance und Miller davon schwadronieren, dass sie uns Europäern unser »zivilisatorisches Selbstbewusstsein« wiedergeben und sich dafür in unsere Wahlen einmischen, unsere Institutionen torpedieren und unsere Gesetze aushebeln werden, dann ist das aber auch Karma für uns Europäer.
So also fühlt es sich an, wenn arrogante, verblendete Außenseiter meinen, sie wüssten besser als wir, was uns gut tut, und großkotzig ankündigen, dass sie ihre Pläne wenn nötig gegen unseren Willen durchsetzen werden – also das, was wir im Rahmen unserer Entwicklungshilfe in Europas Peripherie und im Globalen Süden betreiben. Wenn wir alle paar Jahre eine brandneue Schulreform in Georgien diktierten, ohne dass wir georgische Lehrer, Eltern oder Schüler dazu befragten. Wenn eine ukrainische Aktivistin die Augen verdreht, weil sie mit dem zehnten Seminar zu Demokratie und Toleranz zwangsbeglückt wird. Wenn eine moldawische Pionierin von Frauenhäusern von einem europäischen NGO-Mitarbeiter zu Gewalt gegen Frauen unterrichtet wird. Oder wenn wir besser wissen, von wem die Menschen anderswo regiert werden wollen (oder sollen).
Die Wut in unserem Bauch, die Empörung und Beleidigung, die wir spüren, wenn wir die National Security Strategy lesen, aber auch die absurde Lächerlichkeit der Vorstellung, dass unsere Zivilisation gerade untergeht: Solche Gefühle haben wir anderswo auf der Welt ausgelöst. Um unser Karma zu reparieren, könnten wir hier ansetzen.
Wertheim diagnostiziert, dass die National Security Strategy das erste Mal seit Jahrzehnten zwar keinen globalen Kalten Krieg mehr vorsieht, aber dafür Europa einen Kulturkampf verordnet. Das sollte uns hellhörig machen, vor allem im Zusammenhang mit noch einem angekündigten Vorhaben, nämlich »die europäischen Märkte für US-Güter und Dienstleistungen zu öffnen und amerikanischen Arbeitern und Unternehmen faire Behandlung zu sichern«. Ein zusätzliches Geheimpapier verrät, dass die Vereinigten Staaten die EU untergraben wollen, und dass sie dafür vier Mitgliedstaaten – Polen, Italien, Österreich und Ungarn – zum Austritt aus der EU bewegen wollen.
Nun kann es durchaus sein, dass Trumps Berater sentimentale oder ideologische Präferenzen für den Nationalstaat haben, dass sie ernsthaft um die »traditionelle europäische Lebensweise« bangen und sie von supranationalen Organisationen bedroht sehen. Es ist aber zumindest genauso wahrscheinlich, dass ihnen die EU ein Dorn im Auge ist, weil sie für amerikanische Firmen vor allem im Digitalbereich uneingeschränkten und unregulierten Zugang zu europäischen Märkten wollen – und damit zu unserem Leben und unseren privaten Daten. Ein Europa der auf sich selbst gestellten Kleinstaaten wäre den Oligarchen und Brutalkapitalisten aus dem Silicon Valley, mit denen Trump ganz offen paktiert, noch viel mehr ausgeliefert.
Almut Rochowanski hat sich als Aktivistin für Frauenrechte und Frieden in Ländern der ehemaligen Sowjetunion eingesetzt und ist derzeit Fellow am Quincy Institute for Responsible Statecraft.