04. März 2025
Der Erfolg der Linken beruht nicht nur auf TikTok und dem Merz-Effekt. Denn die Nachwahlbefragung hat gezeigt: Die Linke hat vor allem als Kümmerer-Partei mit inhaltlichem Fokus überzeugt.
In vielen armutsbetroffenen Vierteln war Die Linke die einzige Partei, die den Menschen zuhörte.
Die Linke hat mit ihrem fulminanten Wahlerfolg eine zweite Chance bekommen. Viele liberale Analysen führen das gute Ergebnis der Partei auf ihre klare Haltung gegen rechts und ihre Social-Media-Strategie zurück. Dabei gerät aus dem Blick, dass die überwiegende Mehrheit Die Linke aufgrund des Programms gewählt hat. Daran sollte die politische Strategie der Partei künftig anknüpfen und sich inhaltlich weiter auf Brot-und-Butter-Themen, verbunden mit ihrer sozialpopulistischen Zuspitzung, konzentrieren.
Das Ergebnis bei der Bundestagswahl von 8,8 Prozent ist angesichts der Ausgangslage beim Bruch der Ampel im November 2024 mit Umfragewerten von 3 Prozent ein Überraschungserfolg, den wohl die Wenigsten erwartet hätten. Die Partei erlebt nach dem Totengeläut der letzten Jahre aktuell ihre Wiederauferstehung.
Insgesamt erhielt Die Linke mehr als 4,3 Millionen Stimmen. Erstmals seit vielen Jahren erlebt die Partei einen deutlichen Zugewinn bei der Kompetenzzuschreibung: Laut der Nachwahlbefragung von Infratest dimap schrieben 16 Prozent der Befragten ihr Kompetenzen bei sozialer Gerechtigkeit zu. Das sind 5 Prozentpunkte mehr als noch 2021. Gleichzeitig erlebte Die Linke einen wahren Mitgliederboom und hat Stand heute erstmals deutlich mehr als 100.000 Mitglieder. Das sind etwa doppelt so viele wie auf dem Tiefstand Mitte 2023 und knapp 30.000 mehr als vor der gemeinsamen Asyl-Abstimmung von CDU und AfD.
Für den Erfolg der Linken lassen sich verschiedene Faktoren heranziehen: gutes Personal, das verschiedene Milieus erreichte, eine exzellente Öffentlichkeitsarbeit, die politische Geschlossenheit sowie eine beispiellose inner- und außerparteiliche Mobilisierung beim Wahlkampf, insbesondere an die Haustüren. Zudem nutzte Die Linke das Momentum der gemeinsamen Abstimmungen von CDU, FDP und AfD strategisch, um sich als politischer Gegenpol zur Rechtsverschiebung aufzustellen. Laut Daten von Infratest dimap, entschieden sich aber 79 Prozent der Linke-Wählenden aufgrund des Programms für die Partei – sozialpolitische Themen spielten dabei die größte Rolle.
Mit dem Fokus auf bezahlbare Mieten, steigende Preise und die immense soziale Ungleichheit greift Die Linke zentrale lebensnahe Themen auf, die für eine Mehrheit der Bevölkerung zu den größten Sorgen zählen. Das zeigt nicht nur die Auswertung der Haustürgespräche, die Die Linke in ihrer Vorwahlkampagne im großen Stil durchführte, sondern das bestätigen auch Umfragen des ifD Allensbach sowie der R+V Gruppe.
Der Fokus in den politischen Talkshows und Zeitungskommentaren während des Wahlkampfs lag vor allem auf Migration, die explodierenden Mieten und die steigenden Preise wurden kaum thematisiert. So verwundert es kaum, dass über die Hälfte der Menschen laut der Nachwahlbefragung von Infratest dimap die Angst vor steigenden Preisen oder Geldprobleme im Alter als ihre größten Sorgen benannten.
»Schaut man auf die Wahlergebnisse, so wird deutlich, dass Die Linke insbesondere in größeren Städten gewählt wurde, in denen viele Menschen unter hohen Mieten leiden.«
Gleichzeitig besteht in der Sozialpolitik offensichtlich eine Repräsentationslücke. Laut einer Umfrage des Instituts Civey glauben ganze 0 Prozent der Befragten, die Politik kümmere sich um die Wohnungsproblematik und nur 5 Prozent meinen, die Probleme im Bereich Gesundheit, Rente und Soziales würden angegangen. Zu Beginn des Wahlkampfs setzten zwar insbesondere die Grünen, aber auch SPD und BSW auf sozialpolitische Forderungen. Im Verlauf des Wahlkampfs liefen sie jedoch alle der AfD beim Migrationsthema hinterher und ließen dabei die Sozialpolitik in den Hintergrund treten. Einzig Die Linke stellte beharrlich den Mietendeckel, die Abschaffung der Mehrwertsteuer auf Grundnahrungsmittel und die Besteuerung von Superreichen nach vorne. Der Soziologe Klaus Dörre sieht deshalb angesichts der herannahenden schwarz-roten Koalition unter Merz sogar die Chance, dass Die Linke auf längere Sicht die politische Rolle der SPD einnehmen könnte.
Schaut man auf die Wahlergebnisse, so wird deutlich, dass Die Linke insbesondere in größeren Städten gewählt wurde, in denen viele Menschen unter hohen Mieten leiden. Das gilt in besonderem Maße für Berlin, wo die Partei unerwartet mit 19,9 Prozent stärkste Kraft werden konnte und im Bezirk Neukölln erstmals ein Direktmandat im Westen gewann. In einigen Wahllokalen in den von hohen Mieten geprägten Stadtteilen Neukölln, Kreuzberg und Wedding ist Die Linke nun Volkspartei und holte mehr als 40 Prozent der Zweitstimmen.
Auch die neue Stärke unter jüngeren Menschen lässt sich nicht allein mit TikTok erklären. Gegenüber den Bundestagswahlen 2021 erlangte Die Linke bei Wählerinnen und Wählern zwischen 18 und 34 Jahren deutliche Zugewinne und wurde unter Erstwählenden mit 27 Prozent sogar stärkste Kraft. Junge Menschen in Ausbildung oder Studium merken schnell, wenn das Pesto immer teurer wird und die Miete für das WG-Zimmer mehr als die Hälfte des Einkommens auffrisst. Hier wächst eine Generation heran, für die soziale Sicherheit ein Fremdwort ist. Die thematische Fokussierung der Linken dürfte also mindestens einen genauso großen Anteil am Erfolg unter jungen Menschen haben wie ihre Social-Media-Strategie.
In der Ansprache der Themen setzte Die Linke auf einen sozialpopulistischen Kurs, der sich in Jan van Akens Forderung »Milliardäre abschaffen« oder Plakatsprüchen wie »Steigt deine Miete, freut sich dein Vermieter« ausdrückte. Im millionenfach verteilten Kurz-Wahlprogramm wurde mit Lidl-Eigentümer Dieter Schwarz ein konkreter Verantwortlicher für die hohen Preise im Supermarkt benannt. Damit folgte die Kommunikation der Partei einer klaren Klassenorientierung und adressierte konkret die Konfliktlinie zwischen Oben und Unten. Der Schulterschluss von AfD und Elon Musk während des Wahlkampfs ließ die Notwendigkeit, Reiche stärker zu besteuern und ihre Macht zu begrenzen, dringlich werden.
Gleichzeitig wurde selbst das als elektoraler Tradeoff benannte Klimathema im Sinne eines neuen, auf soziale Gerechtigkeit zielenden Klimapopulismus zugespitzt. Stellvertretend dafür steht der Plakatspruch »Ist dein Dorf unter Wasser, steigen Reiche auf die Yacht«. Aber auch in Talkshows wurde der hohe CO2 -Ausstoß der Superreichen ins Zentrum der Kommunikation gestellt, ohne dabei von der Notwendigkeit eines ambitionierten Klimaschutzes abzurücken. Dies dürfte neben dem klaren Bekenntnis zum Asylrecht und der klaren Kante gegen Rechts, insbesondere bei den rund 700.000 von den Grünen übergetretenen Wählern, gepunktet haben.
»Insbesondere in den ärmeren Vierteln und Großsiedlungen in den Städten war sie mit der Haustürkampagne häufig die einzige Partei, die sich für die Belange der Bewohnerinnen und Bewohner interessierte.«
Als weiterer Baustein der sozialpopulistischen Strategie zählt auch die Begrenzung der Gehälter, die Jan van Aken und Ines Schwerdtner direkt zu Beginn ihres Parteivorsitzes ankündigten und die auch andere Politiker bereits umsetzen. Ferat Koçak nutze die Gehaltsabgabe offensiv mit dem Plakatspruch »Sie erhöhen die Diäten, ich begrenze mein Gehalt« im Rahmen seiner erfolgreichen Direktkandidatur in Neukölln.
Als Symbiose der sozialpolitischen Fokussierung und sozialpopulistischen Zuspitzung kann die Rückkehr der Linken zum Kümmerer-Image, in Anlehnung an die PDS der 1990er Jahre, gewertet werden. Heidi Reichinnek brachte diese Strategie auf die Losung: »Alle anderen reden nur, aber wir als Linke, wir machen«. Sie dürfte dabei das Motto »Helfen statt reden« der österreichischen KPÖ im Kopf gehabt haben. Zwar wurden bereits auch in den vergangenen Jahren Sozialberatungen in Geschäftsstellen der Linken angeboten. Mit Gründung der Bundesarbeitsgemeinschaft »Die Linke hilft« und Ines Schwerdtner als prominentem Gesicht wurden diese Angebote aber bereits vor dem Wahlkampf in der Partei als Strategie wieder popularisiert und Beratungsangebote ausgebaut.
Die bereits im Vorwahlkampf begonnenen Haustürgespräche und die Kampagne gegen Mietwucher mit dazugehöriger App wurden im Wahlkampf durch den Heizkosten-Check ergänzt. Durch diese Kombination konnte Die Linke ihr Kümmerer-Image nicht nur medial wirksam in Szene setzen. Mit unzähligen Haustürgesprächen und über 640.000 geklopften Haustüren konnte sie ihren Nutzen auch lokal vor Ort unter Beweis stellen. Insbesondere in den ärmeren Vierteln und Großsiedlungen in den Städten war sie mit der Haustürkampagne häufig die einzige Partei, die sich für die Belange der Bewohnerinnen und Bewohner interessierte. Darüber dürfte sie zumindest ein Teil der 290.000 bisherigen Nicht-Wählenden für sich an die Urnen gebracht, aber auch so manchen schwankenden SPD- und Grünen-Wählenden überzeugt haben.
Im absehbaren Ringen um die Deutungshoheit des linken Wahlerfolgs und der künftigen Debatte um die strategische Ausrichtung der Partei sollte das im Wahlkampf erfolgreiche Zusammenspiel aus thematischer Fokussierung, sozialpopulistischer Zuspitzung und Kümmerer-Image nicht aus dem Blick geraten. Vielmehr sollte der eingeschlagene Kurs fortgesetzt und weiter ausgebaut werden.
»Eine Studie belegt, dass steigende Mieten den Stimmenzuwachs der AfD befördern. Die Durchsetzung von bezahlbaren Mieten könnte eine wirksame Waffe gegen den Aufstieg rechter Kräfte sein.«
Dabei kann der Weg des weiteren Parteiaufbaus entlang der Wohnungsfrage führen. Im Rahmen dessen gilt es in den Parlamenten in diesem wichtigen Themenfeld weiter Kompetenzen aufzubauen, um das programmatische Alleinstellungsmerkmal »Mietendeckel« weiter mit Leben zu füllen und durch ein Konzept für ein öffentliches Bauprogramm zu ergänzen. Das 100-Tage-Programm der Partei zielt dabei in die richtige Richtung. Darin wird vorgeschlagen, Anträge zum Mietendeckel und zu Mietwucher in den Bundestag einzubringen, einen Mietengipfel einzuberufen und konkrete Hilfsangebote wie den Heizkosten-Check und den Mietwucher-Rechner zu verstetigen und auszubauen. Mittelfristig lautet das Ziel beim Thema bezahlbares Wohnen eine linke Hegemonie und in der Wohnungsfrage ein schlagkräftiges politisches Vorfeld aufzubauen, als Voraussetzung, um den Mietendeckel auch tatsächlich gegen die Interessen des Immobilienkapitals durchzusetzen.
Das Thema Wohnen eignet sich dabei hervorragend, um die vielen Neumitglieder einzubinden. Viele der Neuen sind wegen des Rechtsrucks in die Partei eingetreten und suchen jetzt nach Möglichkeiten, sich dagegen zu engagieren. Die Partei kann dabei ein Angebot machen, um sich nachhaltig dem Rechtsruck entgegenzusetzen und das lautet: soziale Politik gegen den Faschismus. Eine Studie belegt, dass steigende Mieten den Stimmenzuwachs der AfD befördern. Die Durchsetzung von bezahlbaren Mieten könnte eine wirksame Waffe gegen den Aufstieg rechter Kräfte sein.
Damit die Kümmerer-Partei nicht nur zum Image, sondern zum Wesenskern der Linken wird, stehen auch die vielen neuen Mandatsträger in der Verantwortung. Sie sollten künftig flächendeckend Sozialsprechstunden und Beratungsangebote in ihren Wahlkreisbüros anbieten sowie ihre Gehälter deckeln und Sozialfonds finanzieren, um Menschen in Not direkt zu unterstützen. Darüber kann Die Linke ihre Glaubwürdigkeit als Verbündete im Alltag unter Beweis stellen. Mit konkreten Hilfsangeboten könnte sie es schaffen bei jenen zumindest einen Fuß in die Tür zu bekommen, die zurecht nichts mehr von der Politik erwarten oder ihr Kreuz bei der AfD machen.
Eine Hegemonie in der Wohnungsfrage aufzubauen, könnte die Grundlage bilden, um zur Partei der arbeitenden Klasse zu werden. Zwar konnte Die Linke ihre Wahlergebnisse bei Arbeitern gegenüber der Bundestagswahlen 2021 leicht verbessern und schnitt bei Menschen in schlechter finanzieller Lage nur leicht überdurchschnittlich ab (11 Prozent). Eine Arbeiterpartei ist Die Linke jedoch noch nicht, denn sowohl bei Arbeitern als auch bei Menschen mit formal geringer Bildung schnitt sie schwächer ab als im Durchschnitt. In einem relevanten Politikfeld wie dem Wohnen an Stärke zu gewinnen, könnte ein Anfang sein, um der Linken als glaubwürdige sozialistische Alternative einen Platz im Parteiensystem zu sichern.
Philipp Möller ist Redakteur des MieterEcho, der Zeitschrift der Berliner MieterGemeinschaft und Co-Host des Podcast »Schöner Wohnen«, der sich mit den Wohnungsfragen unserer Zeit beschäftigt.
Niklas Schenker sitzt seit 2021 für die LINKE im Abgeordnetenhaus in Berlin.