04. Februar 2025
Eine neue Studie zeigt, dass die AfD bei Geringverdienern um bis zu 4 Prozent beliebter wird, wenn die Miete um 1 Euro pro Quadratmeter steigt. Bisher punktet die AfD vor allem abseits der Großstädte. Doch der Mietenwahnsinn droht zum urbanen Einfallstor für die Rechten zu werden.
Steigende Mietpreise helfen der AfD: Wahlwerbung im Berliner Bezirk Marzahn.
»Angesichts der hohen Zustimmungswerte für die AfD im ländlichen Raum wird oft die Frage vernachlässigt, warum die AfD mitunter auch in boomenden Gegenden zweistellige Ergebnisse einfährt« – so erklärt Denis Cohen den Impuls hinter einer Studie, die er mit seinen Kollegen Tarik Abou-Chadi und Thomas Kurer erstellt hat. Eine Erklärung fanden die drei Sozialforscher in den »ungleich verteilten Folgen der Mietmarktentwicklung«. Laut ihrer Prognose steige die Wahrscheinlichkeit, dass einkommensschwache Mieterinnen und Mieter in Befragungen die AfD unterstützen, um bis zu 4 Prozent, wenn die Durchschnittsmiete in ihrer Nachbarschaft um 1 Euro pro Quadratmeter zulegt. Die Studie nutzt Daten des Sozio-oekonomischen Panel (SOEP), eine repräsentative Langzeitbefragung, die ökonomische Daten wie Beruf, Einkommen, aber auch politische Einstellungen erhebt. Sie verbindet diese mit Daten zu Mietsteigerungen der letzten Jahre im jeweiligen Postleitzahlengebiet.
Die Forscher betonen: Nicht nur die eigenen Mietkosten, sondern auch Mietsteigerungen im Umfeld lösten bei Menschen mit niedrigem Einkommen ein Gefühl »latenter Bedrohung« aus. Von diesen sozialen Ängsten wiederum würden rechte Parteien wie die AfD profitieren. Bei Menschen mit Wohneigentum oder hohem Haushaltseinkommen sei ein derartiger Rechtsdrift nicht zu beobachten, schließlich profitieren einige von ihnen von den »Aufwertungsprozessen« im Zuge steigender Mieten.
Im Fazit warnen die Forscher, dass Rechtspopulisten wie Geert Wilders in den Niederlanden bereits erfolgreich Politik mit der Wohnungsnot machen – nach dem Motto »Die Migranten nehmen uns die Wohnungen weg«. Die deutsche AfD hat sich dagegen bisher kaum als Mieterschützerin profiliert. Ihr Wahlprogramm 2025 fordert zwar »bezahlbaren Wohnraum«, verlangt jedoch unter dieser Überschrift den Wegfall der Grunderwerbsteuer für Eigenheimkäufer und eine Vereinfachung des Baurechts für Vermieter. Mieterinnen und Mieter werden gar nicht erst erwähnt. Stattdessen fordert die Partei »die Umwandlung von Mietern zu Eigentümern«.
Folgerichtig stellten sich die Rechtspopulisten stets gegen mehr Mieterschutz. Abgeordnete der AfD unterstützten 2020 im Bundestag die Klage von CDU und FDP gegen den Berliner Mietendeckel, auch eine Bundesratsinitiative für einen Mietenstopp lehnte die Partei im September 2021 ab. Ihr damaliger Spitzenkandidat Tino Chrupalla erklärte: »Der Staat soll nicht Vermieter bei Investitionen hemmen, sondern mit Anreizen dafür sorgen, dass Mieter selbst Wohneigentum erwerben.«
»Die AfD mag bei frustrierten Arbeitslosen punkten, doch ihr eigentlicher Bezugspunkt ist die kleinbürgerliche Mitte. Die AfD bewirtschaftet die Existenzängste derjenigen, die etwas zu verlieren haben.«
Die AfD spricht Eigenheimbesitzer und Großvermieter als Gruppe mit vermeintlich gemeinsamen Interessen an. Diese Ideologie der »home owner society« wurde bereits von Margret Thatcher erfolgreich zur Massenprivatisierung städtischer Wohnungsbestände in Großbritannien bemüht, in Deutschland wird sie heute auch von CDU und FDP vertreten.
Sie verweist auch auf die Klassenbasis der AfD: Diese mag bei frustrierten Arbeitslosen punkten, doch ihr eigentlicher Bezugspunkt ist die kleinbürgerliche Mitte der deutschen Gesellschaft. Die AfD bewirtschaftet die Existenzängste derjenigen, die etwas zu verlieren haben. Sie beschwört eine ideologische Gemeinschaft von Eigenheimbesitzern und Großvermietern ebenso wie sie die Interessen von Kleinunternehmern, Lohnabhängigen und Großkonzernen in eins setzt, wenn sie »unseren Wohlstand« gegen Bedrohungen von außen verteidigt. Dieses Weltbild teilt sie mit anderen Parteien. Besonders an der AfD ist nur die Radikalität, mit der sie die Migration zur Ursache allen Übels erklärt – und die Tatsache, dass sie Lohnabhängige allein ideologisch integriert, ihnen aber materiell keinerlei Angebote macht.
Die AfD ist erfolgreich ohne jedes soziale Angebot, weil sie nicht nur ökonomische Abstiegsängste bespielt, sondern ein Gefühl von Kontrollverlust, dass sich im letzten Jahrzehnt ausgebreitet hat. Der Zusammenhang von Wirtschaftskrise und Neofaschismus ist in der Bundesrepublik nicht neu: Er zeigte sich in der Krise 1966 mit einem Aufschwung der Altnazis der NPD oder im Zusammenspiel von wirtschaftlichem Abschwung und der ersten Welle des Neonazismus Anfang der 1980er Jahre. Die »Baseballschlägerjahre« der 1990er als Reaktion auf die Deindustrialisierung Ostdeutschlands waren bereits die dritte Periode, in der sich eine kapitalistische Krise in Deutschland in einen Rechtsruck übersetzte. Seit in den 2010er Jahren islamistische Anschläge auch in Deutschland verübt wurden, entgrenzten sich jedoch die Bedrohungsszenarien im Alltag: Menschen haben nicht nur vor dem Verlust des Arbeitsplatzes Angst. Auch Anschläge, Klimawandel und neue Kriege wie in der Ukraine oder die Corona-Pandemie beschädigten die Selbstwahrnehmung von Deutschland als einer sicheren Wirtschaftswunder-Insel. Es gelang der gesellschaftlichen Linken bisher kaum, die multiplen Krisen mit ihrer Kapitalismuskritik zu fassen oder zu bearbeiten.
Die AfD dagegen reagierte sehr flexibel auf Gefühle von »latenter Bedrohung«, die sich nicht mehr ohne weiteres auf einen Zusammenhang von Wirtschaftskrise, Arbeitslosigkeit und Ohnmacht festnageln lassen. Im unterschied zur NPD, die »Arbeit zuerst für Deutsche« versprach, artikulierte die AfD kaum soziale Themen. Sie versprach stattdessen eine Rückgewinnung von Kontrolle über »unser Land« und polemisierte gegen die gesellschaftliche Liberalisierung der Bundesrepublik. Mit Rassismus und Kulturkämpfen trieb die AfD eine »sozialdemokratisierte« Merkel-CDU vor sich her, ohne sich mit dem von der alten Sozialdemokratie artikulierten Klassenkonflikt auseinandersetzen zu müssen. Anders als die NSDAP, die in einer Periode zugespitzter Klassenkämpfe entstand, musste die 2013 gegründete AfD nicht den »Sozialismus« in ihren Parteinamen übernehmen oder Sozialpolitik simulieren. Und so gibt es im Wahlkampf 2025 keine Anzeichen dafür, dass die AfD Forderungen nach Mieterschutz übernimmt und rassistisch auflädt.
»Nicht die Entlarvung des AfD-Programms, sondern die Kanalisierung ohnmächtiger Wut auf reale Ursachen ist Grundlage von Klassenpolitik.«
Die AfD profitiert dennoch vom Bedrohungsgefühl der Wohnungskrise – denn die Partei hat den Modus des Politischen verändert. Einer teils gefühlten, teils realen Ohnmacht setzte die AfD das Versprechen von Selbstermächtigung durch Abwehr des Fremden gegenüber. Aus der Kontrolle über das eigene Leben wird die Kontrolle über nationale Grenzen. Bereits vor dem Dammbruch von Friedrich Merz im Bundestag sind die Parteien der »Mitte« auf dieses illusionäre Versprechen von »Kontrolle« eingeschwenkt. Diese Grenzverschiebung des politischen Raums erlaubt der AfD auch weiterhin, Existenzängste im Kapitalismus zu bündeln, ohne ihren Marktradikalismus aufzugeben. Sollte die medial-politische Fixierung auf Migration sich einmal erschöpfen, kann sich das jedoch ändern. In der Vergangenheit war die AfD sehr flexibel im Aufgreifen neuer Themen. Völkische und klassisch nationalsozialistische Ideologen gibt es in ihren Reihen bereits.
Um die AfD zu konfrontieren, müssen also die latenten Bedrohungsgefühle, die die Partei bewirtschaftet, als soziale Konflikte sichtbar gemacht werden. Nicht die Entlarvung des AfD-Programms, sondern die Kanalisierung ohnmächtiger Wut auf reale Ursachen ist Grundlage von Klassenpolitik. In der Dauerkrise des letzten Jahrzehnts sind in Deutschland jedoch einzig Niedriglöhne und Mietenexplosion in dieser Form artikuliert worden. Auch wenn die Inflationskrise seit 2022 Rückschläge brachte, kämpfen weiterhin breite Schichten der Bevölkerung in Tarifkämpfen für ihre Interessen. Eine solche Selbstermächtigung benennt Gegner und erlaubt Wut. Sie belehrt nicht wie viele diskursive Politikansätze, sondern sie mobilisiert – und muss deshalb Teil einer Strategie gegen Rechts sein.
Auch die Mietenbewegung verstand sich seit ihren Anfängen als Bewegung gegen Rechts. Ihr Kampf gegen Verdrängung bedeutete die Verteidigung von Nachbarschaften, die durch Migration geprägt sind. Viele Kiezinitiativen wie etwa »Kotti & Co« am Kottbusser Tor in Berlin waren migrantische Selbstorganisierungen. In den lokalen Initiativen der Mietenbewegung wurden ab 2016 erstmals Methoden des Community-Organizing nach Deutschland übertragen – bisher gab es Organizing nur in Betrieben. Durch die Verbindung von Wut und Organisierung wuchsen die Berliner Mietenproteste zur Massenbewegung. Bereits 2015 war es einem ersten Mietenvolksentscheid gelungen, die landeseigenen Wohnungsunternehmen sozialer auszurichten. Ab 2018 formierte sich die »Deutsche Wohnen & Co. Enteignen«, um per Volksentscheid über die Enteignung großer Immobilienkonzerne zu entscheiden. Das erfolgreiche Referendum von 2021 wurde zwar bis heute nicht umgesetzt, sorgte jedoch für die Rekommunalisierung von mehreren Zehntausend Wohnungen.
»Es ist kein Automatismus, dass die AfD in Städten bisher weniger punkten konnte – ihre Begrenzung ist auch das Ergebnis urbaner sozialer Kämpfe.«
Auch andere Städte nutzten Volks- und Bürgerentscheide für Mietenpolitik: In Hamburg hängt seit 2023 ein Vergesellschaftungs-Volksentscheid vor Gericht fest, in Frankfurt unterschrieben 2018 insgesamt 25.000 Menschen ein Bürgerbegehren für bezahlbares Wohnen. Auch dieses wurde vor Gericht verzögert und schließlich abgeschmettert. Die Erfahrungen der Mietenbewegung mit direkter Demokratie sind einerseits ernüchternd, andererseits war die Bewegung alles andere als folgenlos. In Berlin etwa besaß die Stadt auf dem Tiefpunkt der Privatisierung 270.000 Wohnungen – 2024 waren es schon wieder 366.000. Fünfzehn Jahre Protest und Volksentscheid haben fast 100.000 Wohnungen der Spekulation entzogen.
Zwei Kernziele der Bewegung wurden jedoch bisher in keiner Stadt erreicht: die demokratische Verwaltung öffentlicher Wohnungsbestände und die Vergesellschaftung privater Vermieter. Die Mietenbewegung steckt in einer Pattsituation. Sie hat den Marktradikalismus aufgehalten, aber nicht umgekehrt. Dies ist allerdings verglichen mit anderen Bewegungen eine gute Bilanz. Die Sisyphusarbeit der Mietenbewegung hat sich als nützlich für die Bevölkerung erwiesen. Nicht nur Volksentscheide, sondern gerade kleinräumige Mobilisierungen etwa um das kommunale Vorkaufsrechtes haben Menschen ihr Zuhause gerettet. Diese haben den Gebrauchswert von Protest erfahren.
Es ist somit kein Automatismus, dass die AfD in Städten bisher weniger punkten konnte – ihre Begrenzung ist auch Ergebnis urbaner sozialer Kämpfe der letzten 25 Jahre. Schon bevor Mitte der 2010er Jahre die Mietenbewegung ihr Hoch erreichte, gab es in vielen Städten nicht nur antirassistische und antifaschistische Mobilisierungen – sondern auch Kämpfe um die Rekommunalisierung von Wasser, Strom und anderen Dienstleistungen.
Die Mietenbewegung kann sich jedoch nicht auf dem Erreichten ausruhen. Sie steckt in einer Krise, seit 2021 Gerichtsurteile zwei ihrer wichtigsten Reformprojekte stoppten: den Berliner Mietendeckel und das Kommunale Vorkaufsrecht. Im Bundestagswahlkampf 2021 spielten Mieten eine Nebenrolle, die Bewegung versank in einer Flaute. Erst im letzen Jahr ist mit neuen Protestakteuren wie dem bundesweiten Netzwerk von Vonovia-Mieterinnen und der Kampagne für einen Bundesweiten Mietendeckel wieder ein Aufschwung zu spüren. Die 2021 sichtbar werdende Schwäche der Mietenbewegung besteht darin, dass sie auf Bundesebene kaum wahrgenommen wird – der Bundestag, der das Mietrecht in der Hand hat, kann sich entziehen.
»Anstatt Demokratie abstrakt zu verteidigen, können soziale Kämpfe sie konkret machen.«
Die Linkspartei versucht jüngst, in diese Bresche zu springen. In zwei Online-Kampagnen überprüfte sie für zehntausende Mieterinnen und Mieter Miethöhe und Heizkosten, zudem unterstützt sie die Kampagne für einen Bundesmietendeckel. Allerdings besteht die Gefahr, dass die Mobilisierung eine Kampagne bleibt. Die Linke wird selbst mit optimistisch angenommenen 5 Prozent alleine im Bundestag keinen Mietendeckel durchsetzen können. Es braucht einen Plan B auf Landesebene und in den Kommunen. Dabei sind Kämpfe für Teilreformen gefordert, wie etwa das in Berlin diskutierte Wohnungswirtschaftsgesetz.
Auch eine langfristige Vision ist gefragt – bisher verfügen weder die Mietenbewegung noch die Linkspartei über ein Programm, dass Tageskämpfe mit transformierenden Maßnahmen wie Vergesellschaftung verbindet. Dieses Fehlen einer glaubwürdigen, mobilisierenden Erzählung wird in linken Reflexionen durchaus beklagt. Doch kann eine Meistererzählung keine Kopfgeburt sein, sondern muss aus konkreten Kämpfen entwickelt werden. In der Mietenkrise etwa hat eine soziale Bewegung eine glaubwürdige Kapitalismuskritik entwickelt, die gleichzeitig am Alltag der Menschen ansetzt und konkrete Veränderungen vorschlägt – vom Mietendeckel zur Vergesellschaftung. Gleichzeitig wurden Techniken der Ansprache wie Haustürgespräche oder Community-Organizing erprobt und geübt. So gelang es, die »latente Bedrohung« einer Mietenkrise nicht den Rechten zu überlassen. Vermieter und Finanzkapital wurden als Gegner benannt – ohne dass die Mietenbewegung jemals »nationale Lösungen« vorgeschlagen hätte.
Voraussetzung für erfolgreiche Kämpfe gegen Rechts wäre, dass diese Form kämpferischer Interessenpolitik nicht nur bei Mieten und Löhnen sichtbar wird. Auch in den Fragen Frieden, Klimakrise und dem für Linke sperrigen Thema Sicherheit muss diffusen Ängsten mit konkreter Politik begegnet werden. Dieses Konkrete hätte eine ganz andere Wirksamkeit als das bloße Mittun von Linken in Kämpfen unter der Überschrift »Zusammenhalt« oder »Demokratie«. Dieses Mitmachen ist niemals falsch – jedoch nicht genug. Anstatt Demokratie abstrakt zu verteidigen, können soziale Kämpfe sie konkret machen – in der Mietenbewegung sind es Forderungen wie Mieterräte oder demokratische Verwaltung öffentlicher Wohnungsbestände, die den Unterschied machen.
Ralf Hoffrogge ist Historiker und lebt in Berlin, wo er seit über zehn Jahren in der Mietenbewegung aktiv ist. 2025 wird im Brumaire-Verlag sein Buch »Das Laute Berlin« über die hauptstädtischen Mietenproteste seit der Finanzkrise erscheinen.