05. Februar 2025
Friedrich Merz will der Post-Merkel-CDU zu einer bürgerlichen Renaissance verhelfen. Dabei setzt er auf Provokation und einen hitzigen Law-and-Order-Konservatismus. Das Problem ist jedoch nicht nur sein fehlendes strategisches Gespür. Seine politische Vision hat schlichtweg kaum Aussicht auf Erfolg.
Friedrich Merz setzt trotz Krise weiter auf das deutsche Exportmodell.
Man fragt sich in diesen Tagen: Was tut Merz da eigentlich? Mit der kalkuliert herbeigeführten Abstimmung über einen Entschließungsantrag gemeinsam mit der AfD hat der CDU-Kanzlerkandidat einen doppelten Bruch mit den Grundsätzen der liberalen Demokratie begangen. Über den ersten Bruch – der Abstimmung mit einer faschistischen Partei – wurde viel diskutiert. Über den zweiten Bruch, nämlich dass die Umsetzung des abgestimmten Antrages faktisch eine Abschaffung des Asylrechts bedeutet und gegen Europarecht verstoßen hätte, wurde hingegen weniger gesprochen.
Auch wenn Merz ordentlich gesellschaftlichen Gegenwind bekommen hat und auch in der eigenen Partei für Unruhe sorgte, hat er zumindest den Grünen und der SPD gezeigt, wo der Hammer hängt. Das Manöver ist dabei allerdings nicht einfach nur Wahlkampf, sondern verrät schon einiges darüber, was in den kommenden Jahren mit einem Kanzler Merz auf uns zukommen wird. Der Satz, mit dem er die AfD dazu einlud, mit der CDU gemeinsam abzustimmen, ist dabei emblematisch: »Mir ist es völlig gleichgültig, wer diesen Weg politisch mitgeht. Ich gehe keinen anderen.« Das politische Projekt, was dahinter steht heißt »Weiter so – um jeden Preis«. Wenn sich angesichts von Wirtschaftskrise, Schuldenbremse und Kriegsertüchtigung gesellschaftlicher Konsens und staatliche Legitimität nur noch mit rassistischer Hetze und Abschottung herstellen lassen, dann wird das eben so gemacht. Und wenn dabei demokratische Grundsätze drauf gehen.
Wer ist dieser Friedrich Merz eigentlich, dem schon immer mangelndes strategisches Gefühl nachgesagt wurde und der einmal mehr mit dem Kopf durch die Wand wollte? Der studierte Jurist saß ab 1989 im Europa-Parlament und ab 1994 im Bundestag. Dort setzte er sich nicht nur für die Senkung der Unternehmenssteuer und für Einschränkungen von Sozialleistungen ein, sondern stimmte auch gegen die Liberalisierung des Abtreibungsrechts. 2000 bis 2002 wurde Merz erstmals Vorsitzender der CDU/CSU-Bundestagsfraktion und damit auch Oppositionsführer – einen Posten, den die Parteivorsitzende Merkel 2002 für sich beanspruchte. Den Machtkampf mit ihr verlor Merz nicht zuletzt, weil er mit seiner »Leitkultur«-Rhetorik und der Infragestellung des Kündigungsschutzes große Teile der Partei gegen sich aufbrachte.
Als Merkel 2005 zur Kanzlerin gewählt wurde, zog Merz zwar noch per Direktmandat in den Bundestag ein, zog sich aber auf die hinteren Bänke zurück. Fleißig war er trotzdem: Allein im Jahr 2006 saß Merz in acht Beiräten mehrerer Unternehmen und bezog zusätzlich zu seinem Anwalts-Gehalt Nebeneinkünfte von 250.000 Euro. Nur folgerichtig, dass Merz 2006 erfolglos gegen die Veröffentlichungspflicht für Nebeneinkünften von Abgeordneten klagte.
»Als Wirtschaftsanwalt war Merz für die Kanzlei Mayer Brown tätig, die 2015 Volkswagen im Dieselskandal verteidigte.«
Nach dem Absitzen seiner ersten und einzigen Legislatur unter der ihm verhassten Angela Merkel war es für ihn also ein Leichtes, sich vollends der Anhäufung eines eigenen hübschen Vermögens zu widmen. Als Wirtschaftsanwalt war Merz für die Kanzlei Mayer Brown als Senior Counselor tätig. Die Kanzlei vertritt laut dem Recherchekollektiv Correctiv vor allem die Chemie- und Verbrennerindustrie. Unter anderem verteidigte sie 2015 Volkswagen im Dieselskandal. Nebenbei bekleidete Merz zahlreiche Positionen in Aufsichtsräten, unter anderem beim weltweit größten Vermögensberater BlackRock, und war als Lobbyist tätig – was ihn zum Millionär machte.
Nachdem seine alte Erzfeindin Merkel 2018 ankündigte, nach sechszehn Jahren Kanzlerschaft ihr Amt niederlegen zu wollen, witterte Merz doch noch einmal die große Chance, seinen Traum von der Kanzlerschaft wahrzumachen. Auch hier zeigte er sich hartnäckig: Zweimal unterlag er im Rennen um die Kanzlerkandidatur, einmal gegen Annegret Kramp-Karrenbauer und dann gegen Armin Laschet. Erst im dritten Anlauf hatte er Erfolg und wurde 2022 Partei- und Fraktionsvorsitzender.
Dass er jetzt Kanzlerkandidat ist, hat er vor allem seiner erfolgreichen Darstellung als Anti-Merkel und seiner Hetze gegen Migranten und Sozialhilfeempfängerinnen zu verdanken, mit der er immer wieder Schlagzeilen macht. Er formuliert damit eine klare Antwort auf die Krise der Post-Merkel-CDU. Er ist die Personifikation des Rechtsschwenks der CDU, mit dem die Partei versucht, der AfD Wählerinnen und Wähler abzujagen. Merz bemüht sich besonders, sich von Merkel abzugrenzen, die damals versprach: »Wir schaffen das«. Dafür ist er sogar bereit, mit der AfD abzustimmen, was ihm prompt Merkels Kritik einbrachte.
»Die konservative Stabilisierungsstrategie hat sich autoritarisiert – Stabilität wird durch Repression und ideologische Einbindung durch rassistische Hetze hergestellt.«
Gleichzeitig steht er für Deregulierung, Steuersenkungen für Unternehmen und betont wo es nur geht das neoliberale Leistungsprinzip. Auch wenn unter Merkel die europäische Abschottung ebenfalls vorangetrieben wurde und die Antwort auf die Wirtschaftskrise das europäische Spar-Regime bei gleichzeitiger Rettung der Banken war: Merkel hat es in jedem Fall besser verstanden ihre Politik als eine Politik des gesellschaftlichen Konsenses zu verkaufen. Merz hingegen setzt vor allem auf Provokationen: Nach dem öffentlichen Skandal entschuldigt er sich, zieht das Gesagte zurück oder relativiert es und sendet gleichzeitig zielsicher Signale nach rechts.
Zum Beispiel machte Merz 2020 Schlagzeilen, als er äußerte, er habe ja nichts gegen einen Schwulen als Bundeskanzler, aber es gäbe eine Grenze, wo sexuelle Orientierung Kinder betreffen würde. Selbstverständlich stellte Merz im Nachhinein demütig klar, dass es sich bei der implizierten Verbindung von Homosexualität und Pädophilie um ein Missverständnis gehandelt habe. Sein politisches Comeback 2018 war dementsprechend begleitet von einem Revival der Leitkultur-Debatte, einer Infragestellung des Grundrechtes auf Asyl und abstrusen Behauptungen zu Clankriminalität als Ursache von Rechtsextremismus und dem Anschlag in Hanau oder zu vermeintlich unkontrollierbaren, migrantischen Jugendlichen in der Debatte um Silvester 2023. Eines seiner hetzerischen Lieblingsthemen – das zeigte sich in den letzten Jahren – sind allerdings Sozialhilfeempfänger. Merz fordert regelmäßig Leistungskürzungen, mehr Sanktionierungen und verspricht, das Bürgergeld obsolet zu machen.
In den letzten Jahren erklärte Merz vor allem die Grünen zum politischen Hauptfeind – trotz stetig steigender Umfragewerte der AfD. Die »bürgerliche Renaissance«, also der Versuch die liberalen Errungenschaften der sozialen Kämpfe nach 1968 zurückzudrehen, verbindet sich dabei mit der Behauptung, das gescheiterte Projekt der grünen Transformation vollständig einzustampfen und dem kriselnden Wirtschaftsstandort Deutschland unter anderem mit fossiler Energien und der Verbrennerindustrie wieder auf die Beine zu helfen.
Einig zeigte sich Merz mit den Grünen allerdings in der Zeitenwende und den Bemühungen, Deutschland kriegstüchtig zu machen – nicht wenig überraschend für einen konservativen Hardliner. Allerdings inszeniert er sich als der entschlossenere Kriegstreiber. In der Frage der Waffenlieferungen an die Ukraine warf Merz Scholz beispielsweise Ängstlichkeit vor, sprach sich für die Lieferung von Taurus-Marschflugkörpern aus und reiste im Mai 2022 zur Solidaritätsbekundung nach Kiew. Bei der Abstimmung zum Sondervermögen ließ er seine CDU zustimmen, verlangte aber als Bedingung, die dauerhafte Verankerung des 2-Prozent-Ziels der NATO im Bundeshaushalt – und das bei gleichzeitigem Festklammern an der Schuldenbremse.
»Während die AfD ihrerseits die CDU zerstören will, zielt der Merz-Flügel der CDU auf eine Spaltung der AfD ab.«
Im Verhältnis zur AfD bleibt das Hauptanliegen von Merz, dass die CDU sich als die »Alternative für Deutschland mit Substanz« präsentiert. Die rechte Dynamik gegen den progressiven Neoliberalismus der Grünen will Merz zwar abgreifen, sich aber gleichzeitig als demokratischer und gemäßigter inszenieren als die AfD und sie somit im Sinne der eigenen politischen Ziele sowohl einhegen als auch kleinhalten. Während die AfD ihrerseits die CDU zerstören will, zielt der Merz-Flügel der CDU auf eine Spaltung der AfD ab, um Teile von ihr langfristig in einen neuen autoritär-neoliberalen Block jenseits der Grünen zu integrieren. Die Brandmauer ist da nur im Weg.
Was aber ist nun das politische Projekt Merz für die kommende Kanzlerschaft? Im CDU-Wahlprogramm wird mehr als deutlich, was uns in den kommenden vier Jahren aller Wahrscheinlichkeit nach erwarten wird: eine kapitalfreundliche Liberalisierung der Wirtschaft in Kombination mit rassistischer Abschottung nach außen und repressiver Law-and-Order-Politik im Inneren. Das alles bei fortgesetzter Militarisierung. In guter neoliberaler Tradition haben staatlicher Rassismus und Repression dabei stets eine doppelte Funktion: einerseits wird das autoritäre Bedürfnis nach rassistischer Gewalt in der rechten Wählerschaft aktiviert und von neoliberaler Sparpolitik abgelenkt. Wer über den Flüchtling nachdenkt, der einem den Termin beim Zahnarzt wegnimmt, denkt nicht über das kaputte Gesundheitssystem nach. Durch den autoritären Durchgriff im Inneren und an den Grenzen simuliert der Staat Problemlösung und Handlungsmacht. Andererseits dient der Ausbau des polizeilichen Sicherheitsapparates dazu, sich in der Krise zuspitzende soziale Konflikte sicherheitspolitisch zu befrieden. Von polizeilichen Maßnahmen sind stets die Armen und Ausgegrenzten am meisten betroffen und die Ausweitung polizeilicher Befugnisse dient nicht zuletzt der Zerschlagung sozialer Bewegungen.
»Das Haushaltsloch soll durch Einsparungen bei Bürgergeld und Migration gestopft werden – ein unrealistisches Vorhaben, was spätestens beim Auslaufen des Sondervermögens zu einem echten Problem werden wird.«
Die CDU will die schwächelnde deutsche Wirtschaft mit Steuergeschenken an Unternehmen und Reiche und mit »Bürokratieabbau« (sprich Deregulierung) wieder in Schwung bringen. Unter anderem der Reichen-Soli und das Lieferkettengesetz sollen abgeschafft und die Stromsteuer gesenkt werden, was vor allem der Chemieindustrie zugutekäme, die zusätzlich auch noch von lästigen Umweltschutzauflagen befreit werden soll. Außerdem soll der Exportsektor in Form der Autoindustrie gestärkt werden – ungeachtet dessen, dass die weltweite Nachfrage nach deutschen Verbrennern längst nicht mehr dieselbe wie noch vor zwanzig Jahren ist.
Das Haushaltsloch, das dabei durch Festhalten an Schuldenbremse entsteht, soll durch Einsparungen bei Bürgergeld und Migration gestopft werden – ein unrealistisches Vorhaben, was spätestens beim Auslaufen des Sondervermögens zu einem echten Problem werden wird. Merz bleibt sich und seiner kapitalfreundlichen Agenda treu – auch wenn sich dadurch die soziale Kluft weiter vertieft und ein massiver Angriff auf den Sozialstaat notwendig sein wird. In der Sozialpolitik soll klassischerweise auf »Leistung« gesetzt werden – also auf weniger Sozialstaat und mehr Ausbeutung. So sollen beispielsweise mit einer wöchentlichen statt täglichen Höchstarbeitszeit und steuerfreien Überstundenzuschlägen Lohnabhängige zu mehr Arbeit »motiviert« werden. Auch bei den Renten sollen »Anreize« geschaffen werden, damit mehr Menschen auch über das Rentenalter hinaus weiterarbeiten. Das von Merz so verhasste Bürgergeld soll abgeschafft und zur »Neuen Grundsicherung« werden – ein Modell, bei dem der Regelsatz vollständig gestrichen werden soll, wenn ein Empfänger keine Arbeit aufnimmt.
Bei der Migrationspolitik will die CDU für Einsparungen sorgen, in dem einfach mehr und schneller abgeschoben und weniger aufgenommen werden soll und Ausreisepflichtige nur noch Sachleistungen statt Geldleistungen erhalten sollen, sprich: Bett, Brot, Seife. Außerdem soll das ohnehin schon tödliche Grenzregime weiter militarisiert und externalisiert werden: die Bundespolizei soll an den Außengrenzen mehr Zurückweisungen durchführen und die europäische Grenzschutzagentur Frontex soll mehr Personal, mehr Befugnisse und mehr Zäune bekommen. Außerdem plädiert nun auch die CDU für ein Drittstaatenmodell, womit die Auslagerung der Migrationsbekämpfung auf die Spitze getrieben würde, wenn Geflüchtete zwar formell in Europa Asyl beantragen, aber das Verfahren und die Unterbringung dennoch in einem Drittstaat stattfände. NGOs wie ProAsyl haben wiederholt darauf hingewiesen, dass ein solches Vorgehen weder umsetzbar noch menschenrechtskonform wäre. Weder das eine noch das andere spielt für Merz eine Rolle, dem es dabei einmal mehr um seine Profilierung als migrationspolitischer Hardliner geht.
Aber auch innenpolitisch setzt die Merz-CDU mit ihrem Wahlprogramm auf markige Sprüche und Repression. »Wir setzen auf eine Null-Toleranz-Strategie, stärken Polizei und Strafverfolgungsbehörden den Rücken und geben ihnen die notwendigen Befugnisse an die Hand, die es braucht«, heißt es da etwa. Im Klartext bedeutet das beschleunigte Verfahren, Ausbau der Videoüberwachung im öffentlichen Raum, Ausweitung der Möglichkeiten der Telefonüberwachung, mehr Taser und Bodycams und mehr digitale Befugnisse für Polizei und Behörden – vor allem in Bezug auf den Einsatz von KI und der Analyse großer Datenmengen.
Nahtlos geht der Law-and-Order-Sprech über in die Freund-Feind-Logik der Militarisierung: zum geplanten Gesetz zur Bekämpfung von Extremismus gehört auch, dass »antisemitische Straftaten« zu einem Verlust der Aufenthaltsberechtigung und zur Abschiebung führen sollen. Das Bekenntnis zum Existenzrecht Israels soll zur Einbürgerungsvoraussetzung werden. Mit der Instrumentalisierung des Kampfes gegen Antisemitismus zum Zweck einer rassistischen Stimmungsmache und der Disziplinierung migrantischer Proteste sowie dem Angriff auf eine kritische Zivilgesellschaft stellt sich die CDU in die Tradition der Ampel. So wird im Wahlprogramm auch angekündigt, dass vom Bund geförderte zivilgesellschaftliche Organisationen in Zukunft ein Bekenntnis zum Existenzrecht Israels sowie zur umstrittenen Antisemitismus-Definition der Internationalen Allianz zum Holocaustgedenken (IHRA) abgeben sollen.
Ebenfalls kaum verwunderlich, dass sich Merz und seine CDU in ihrem Wahlprogramm auch zum 2-Prozent-Ziel der NATO bekennen und Investitionen in Aufrüstung und die Vergrößerung der Bundeswehr fordern, eine Rückkehr der Wehrpflicht befürworten und auf Waffenlieferungen an die Ukraine und Israel beharren. Die Militarisierung wird also auch unter der neuen Regierung nicht nur die Kulisse für eine neoliberale Haushaltspolitik bilden, sondern das Hintergrundrauschen des nationalistischen Freund-Feind-Denkens wird sich auch unter Merz nahtlos in die rassistische Sicherheitspolitik einpassen.
»Merz bedient die Interessen des klassischen deutschen Kapitals. Die Hauptprofiteure sind neben den Finanzkonzernen vor allem die Verbrenner- und Chemieindustrie sowie Rüstungsunternehmen.«
Um dem Ganzen das sicherheitspolitische Sahnehäubchen aufzusetzen, sollen all die militaristischen und sicherheitspolitischen Bemühungen in einem Nationalen Sicherheitsrat zusammengebunden werden. Dieser soll mit Sitz im Kanzleramt Außen-, Sicherheits-, Verteidigungs-, Handels-, Europa- und Entwicklungspolitik miteinander verbinden und wohl überall das gleiche Motto geltend machen: Konflikte sollen mit aller militärischen Macht in Schach gehalten werden.
Es zeigt sich einmal mehr in der Geschichte der Neoliberalen: der schlanke Staat ist eine Lüge. Wer auf Einschrumpfung der sozialen Sicherungssysteme und auf Manifestierung von Ungleichheit setzt, muss die sozialen Konflikte im Inland und im globalen Gefüge sicherheitspolitisch und mit einem starken Polizeiapparat unter Kontrolle bekommen.
Der neoliberale Zombie Merz greift auf einen alten neoliberalen Trick zurück: der Klassenkampf von oben soll mit rassistischer Panikmache verschleiert werden. Stuart Hall und seine Kollegen haben das schon im Großbritannien der 1970er Jahre beobachtet, als eine konservative Regierung mit einer Panik vor angeblich zunehmenden Raubüberfällen davon ablenkte, dass der eigentliche Raubzug an der Arbeiterklasse an ganz anderer Stelle stattfand. Heute findet dieser Raubzug in Form von Sozialstaatsabbau und Reallohnverlusten bei gleichzeitig steigenden Vermögen statt. Über die rassistische Feindmarkierung und die damit gerechtfertigte Ausweitung polizeilicher Befugnisse stellen Staat und Kapital so auch in Krisenzeiten Legitimität und Handlungsmacht her. An der Heimatfront soll so für Disziplin und Ordnung gesorgt werden, während Merz als Bundeskanzler darauf hinarbeiten wird, dass Deutschland im militarisierten Europa eine Führungsrolle übernimmt. »Law and Order« bedeutet heute auch Kriegsertüchtigung.
Im Gegensatz zu den Grünen bedient Merz dabei die Interessen des klassischen deutschen Kapitals. Die Hauptprofiteure sind neben den Finanzkonzernen vor allem die Verbrenner- und Chemieindustrie sowie Rüstungsunternehmen. Merz‘ politisches Projekt bedeutet das Aufgeben von jedem transformatorischen Anspruch, den die Ampel mit ihrem gescheiterten Versuch der grünen Transformation zumindest noch behauptet hat. Mit allen zur Verfügung stehenden sicherheitspolitischen Mitteln soll das neoliberale Weiter-So massiver sozialer Ungleichheit aufrechterhalten und vertieft und das Aufrüstungsprojekt der Ampel fortgesetzt werden.
Dieses blinde »Weiter-so« ist dabei auf kurz oder lang zu Scheitern verurteilt: Der zunehmende Protektionismus und die sinkende internationale Nachfrage nach deutschen Exporten aufgrund des Konkurrenzdrucks aus China, in Kombination mit dem Festhalten an nicht-zukunftsfähigen, fossilen Technologien machen Merz‘ Vorhaben zu einem unmöglichen Projekt. Sein aufgeregter Law-and-Order-Konservatismus ist dabei nicht nur die Abkehr von einem transformatorischen Anspruch, sondern auch die Abkehr vom Stabilisierungs-Kurs der Merkel-Ära, in der die CDU auf gesellschaftlichen Konsens setzte. Die konservative Stabilisierungsstrategie hat sich autoritarisiert – Stabilität wird durch Repression und ideologische Einbindung durch rassistische Hetze hergestellt. Das ist nicht zuletzt wegen des ungeklärten Haushaltsproblems eine mehr als fragile Konstruktion und kann auf Dauer nur durch noch mehr Repression und noch mehr Rassismus aufrechterhalten werden.
Raul Rosenfelder studiert Politische Theorie in Frankfurt am Main und setzt sich dabei vor allem mit Autoritarismus, Militarisierung und rassistischer Versicherheitlichung auseinander.