15. August 2025
Die Finanzierung der Rente in einer alternden Gesellschaft ist eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe – und die sollte auch gesamtgesellschaftlich geschultert werden. Statt die Last über einen Boomer-Soli bei künftigen Rentnern abzuladen, braucht es eine solidarische Steuerpolitik. Ein Gastbeitrag.
Um älteren und pflegebedürftigen Menschen ein würdevolles Leben zu ermöglichen, müssen bei der Pflege-, Kranken- und Rentenversicherung mehr Steuergelder mobilisiert werden.
Es vergeht kaum eine Woche ohne neue Horrormeldungen zum Zustand der gesetzlichen Rente, gefolgt von reflexartigen Kürzungsvorschlägen: Die »Wirtschaftsweise« Veronika Grimm will die Witwenrente abschaffen, Wirtschaftsministerin Katharina Reiche will das Rentenalter anheben, und der nächste »Rentenpapst« fordert die Regelaltersgrenze auf siebzig anzuheben.
Und es gibt auch einen kollektiven Schuldigen an der Misere. War es bis vor einigen Jahren noch ganz allgemein der demografische Wandel oder die gestiegene Lebenserwartung, so heißt es inzwischen: Die Boomer sind an allem Schuld. Ihre zahlenmäßig starke Generation geht bald in Rente und wird zum Zerrbild. Sie selbst hätten eben keinen Babyboom ausgelöst, sondern im Gegenteil, zu wenige Kinder in die Welt gesetzt, um die eigenen Rentenansprüche zu finanzieren. Da die Rentenausgaben im Umlagesysteme von der Gesamtheit der sozialversicherungspflichtig Beschäftigten bezahlt werden müssen, mehr Zuwanderung politisch aber nicht erwünscht ist und die Generation Z statt aufs Rentenkonto lieber auf Trade Republik ETFs einzahlen soll, stehe die Rentenfinanzierung kurz vor dem Kollaps, so die gängige Erzählung.
Das zentrale ökonomische Argument dahinter ist ebenfalls seit Jahren das Gleiche: Ein viel zu großer Anteil des Bundeshaushalts gehe für Soziales und davon wiederum für die Rente drauf und natürlich müssten die Arbeitgeber viel zu viel Sozial- und Rentenbeiträge bezahlen. Da ist aber kaum etwas dran. Dem demografischen Wandel zum Trotz werden seit Jahrzehnten relativ stabil drei Viertel der Rentenausgaben – 2024 waren es 397 Milliarden Euro – direkt aus den Rentenbeiträgen der Erwerbstätigen finanziert und ein Viertel aus den Steuereinnahmen des Bundes. Die gesamten Rentenausgaben belaufen sich seit den 1970er Jahren stabil auf um die 9 Prozent des Bruttoinlandproduktes und der staatliche Zuschuss bewegt sich zwischen 2 und 3 Prozent der Wertschöpfung. Stärker schwankt der Anteil der Rentenausgaben am Bundeshaushalt. Aber auch hier gilt: Seit 2000 liegt der Anteil stabil bei etwa einem Viertel der Ausgaben des Bundeshaushalts, Tendenz eher rückläufig.
Einen schicken Ausweg aus der so dargestellten Misere entwickelte Mitte Juli das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) am ökonometrischen Reißbrett: den Boomer-Soli. In der ersten Variante sollte nicht die junge Generation, sondern die ältere Generation auf alle Alterseinkünfte, also auch Beamtenpensionen ab 902 Euro, einen Boomer-Soli von 10 Prozent zahlen und mit dem Geld niedrigere Alterseinkommen aufstocken. In der zweiten Variante sollten nicht nur Alterseinkünfte, sondern auch Kapitaleinkünfte über 1.048 Euro herangezogen werden. Mit dem so erzeugten Sondervermögen sollen dann geringe Rentenansprüche aufgewertet und Altersarmut bekämpft werden. Anstelle einer Umverteilung zwischen den Klassen, soll hier also eine Umverteilung innerhalb einer Generation den Ausweg aus der Misere weisen.
Als es die Studie des DIW zum Boomer-Soli am selben Tag in die Tagesschau schaffte, traf dies bei vielen der über 2 Millionen vorwiegend älteren Mitgliedern des VdK – dem größten Sozialverband Deutschlands – auf Entrüstung: Eine Flut an E-Mails und Anrufen erreichte uns, die uns aufforderten, diesem »Unsinn« entgegenzutreten.
Was war passiert? Viele Ältere fühlten sich um ihr Erspartes und vor allem ihre Rentenansprüche betrogen. Sie verstanden nicht, warum das bisher krisenfeste und altbewährte Umlagesystem bei ihnen selbst außer Kraft gesetzt werden sollte.
Mit der gesetzlichen Rentenversicherung bekommt man – sofern man 40 oder 45 Jahre gut bezahlt in Vollzeit arbeitet – im Unterschied zum ETF-Fonds ein Rundumpaket: Für einen Bruttolohn in Höhe von aktuell 4.200 Euro erhält man einen sogenannten Entgeltpunkt auf dem Rentenkonto gutgeschrieben und der ist zurzeit knapp 41 Euro wert. Wer das 45 Jahre lang auf diesem Level durchhält, also nicht länger krank oder arbeitslos wird, kann dann mit brutto 1.845 Euro Rente im Monat rechnen. Und die wird Jahr für Jahr dynamisiert. Grob folgt sie den Löhnen, wenn die Kürzungsfaktoren der 2000er Jahre nicht wieder eingeführt werden.
»Wenn die Wirtschaftsweisen gegen die Mütterrente oder die Witwenrente wettern, geht es ihnen darum, genau diese umverteilenden Mechanismen der gesetzlichen Rente abzuschaffen.«
Aber das war noch nicht alles. Wenn es im Rücken zwickt oder Burnout droht, kann man bei der Rentenversicherung auch eine Reha bekommen. Meist wird eine stationäre Reha von drei bis vier Wochen ermöglicht, oft aber auch als längerfristig direkte Unterstützung bei der Wiedereingliederung am Arbeitsplatz geboten. Wer dauerhaft krank wird, hat Anspruch auf Erwerbsminderungsrente, wer wegen Kindererziehung oder der Pflege von Angehörigen im Job kürzertreten muss oder wer sehr lange im Niedriglohnsektor gearbeitet hat, bekommt extra Rentenpunkte auf dem Konto geschrieben. Diese solidarischen Ausgleichselemente innerhalb der Rente sind sicherlich ausbaufähig und können systematisch nicht immer vor Altersarmut schützen. Aber sie sind ein sozialstaatliches Versprechen, auf das sich die sogenannte arbeitende Mitte seit Jahrzehnten verlässt und auf das sich auch die Generation Z verlassen können sollte.
Diese sozialen Ausgleichselemente gehen auch weit über das hinaus, was man durch Beitragszahlungen an Rentenansprüchen erwirbt. Wenn die Wirtschaftsweisen etwa gegen die Mütterrente oder die Witwenrente wettern, geht es ihnen im Grunde darum, genau diese umverteilenden Mechanismen der gesetzlichen Rente abzuschaffen. Progressive Kräfte müssen im Gegenteil für ihren Ausbau kämpfen. Bei der Pflege,- Kranken- und Rentenversicherung geht es darum, mehr Steuergelder zu mobilisieren, um kranken, pflegebedürftigen und älteren Menschen ein würdevolles Leben zu ermöglichen. Aber man darf die lohnzentrierte gesetzliche Rente auch nicht mit Erwartung überfrachten. Sie kann nicht nachträglich alle Ursachen für Altersarmut lösen. Explodierende Mieten und Lebensmittelpreise, an denen immer mehr Rentnerinnen und Rentner verarmen, müssen mit konkreten politischen Maßnahmen direkt adressiert werden.
Wenn im Herbst das von der SPD-Arbeitsministerin Bärbel Bas vorgelegte Rentenpaket II durchs Parlament gehen sollte, wird es zwar nicht das Problem der steigenden Altersarmut lösen und auch keine neuen Finanzierungsquellen für die gesetzliche Rente erschließen. Durch die Festschreibung des Mindestrentenniveaus bei 48 Prozent wird es aber sicherstellen, dass die Renten wieder strenger 1:1 den Löhnen folgen und die zusätzlichen Kosten für die Stabilisierung des Rentenniveaus werden eben gerade nicht aus Beitragsmitteln, sondern aus zusätzlichen Steuermitteln vom Bund erstattet werden. Alleine im Jahr 2031 werden dann zusätzliche 11,2 Milliarden Euro vom Bundeshaushalt in die Rente fließen und verhindern, dass die jährlichen Rentenerhöhungen weiter hinter der Lohn- und Preisentwicklung zurückbleiben.
»Die gesetzliche Rente kann nicht nachträglich alle Ursachen für Altersarmut lösen. Explodierende Mieten und Lebensmittelpreise, an denen immer mehr Rentner verarmen, müssen direkt adressiert werden.«
Das ist durchaus eine gute Nachricht für die wichtigste und kostenintensivste der drei großen Sozialversicherungen. Wir leben in einer alternden Gesellschaft – allein deswegen muss der steuerfinanzierte Anteil der Pflege-, Renten- und Krankenversicherung steigen. Während der SPD-Parteivorsitzende und Finanzminister Lars Klingbeil das im Unterschied zur Union bei der Rente akzeptiert, tritt er bei der Kranken- und Pflegeversicherung irrationaler Weise auf die Bremse. Hier reagiert die Politik häppchenweise mit Darlehen, die ohnehin nie zurückgezahlt werden können, statt die Bundeszuschüsse dauerhaft zu erhöhen und damit die Funktionsfähigkeit von Kranken- und Pflegeversicherung zu gewährleisten.
Was hat das nun mit dem Boomer-Soli zu tun? Anstatt eine Generation von Rentnerinnen und Rentner stärker zur Kasse zu bitten, wäre eine gerechte Beteiligung von wirklich allen Superreichen an der Finanzierung des Sozialstaats das Gebot der Stunde. Durch kluge und faire Abgaben auf alle hohen Vermögen und sehr große Erbschaften wäre das beispielsweise umsetzbar.
Schon im Frühjahr hatte der Sozialverband VdK gemeinsam mit dem Thinktank Fiscal Future genau das durchrechnen lassen. Bis zu 10 Milliarden Euro könnte eine sozial gerechte Ausgestaltung der Erbschaftssteuer einbringen, 40 Milliarden brächte eine verfassungsgemäße Form der Vermögenssteuer und weitere 25 Milliarden könnten nach Schätzungen des VdK über eine konsequentere Bekämpfung von Steuervermeidung erzielt werden.
In unserem Konzept lägen die Freibeträge – also die Grenzen für die höhere Besteuerung – nicht bei 1.000 Euro im Monat: Stattdessen läge er bei der Erbschaftssteuer bei 2 Millionen Euro und bei der Vermögensteuer bei 5 Millionen Euro. Erst darüber hinaus würde eine Vermögensteuer erhoben werden, zunächst mit einem Satz von 1 Prozent und für besonders große Vermögen ab 100 Millionen Euro läge der Steuersatz bei 2 Prozent. Belastet würden dadurch nicht die Mehrzahl der 21,3 Millionen Rentnerinnen und Rentner, sondern gerade einmal 300.000 Superreiche.
Würde man diese Steuermittel dazu verwenden, die vielen gesamtgesellschaftlichen Leistungen zu finanzieren, die nicht nur die Renten-, sondern auch die Kranken- und Pflegeversicherung bezahlt, dann könnten wir damit nicht nur die Beitragssätze stabilisieren, sondern endlich auch ein höheres Rentenniveau und eine bessere Gesundheitsversorgung und Pflege gewährleisten.
»Belastet würden nicht die Mehrzahl der 21,3 Millionen Rentnerinnen und Rentner, sondern gerade einmal 300.000 Superreiche.«
Und das wäre nur ein Weg, um die gesetzliche Rente finanziell sicherer durch die demografischen Herausforderungen der kommenden Jahre zu manövrieren. Mittlerweile diskutieren auch SPD und Union wieder darüber, neben Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern auch neue Beamtinnen und Beamte, Selbstständige, Politiker oder Freiberufler und Vorstandsmitglieder von Aktiengesellschaften in die gesetzliche Rente einzubeziehen. Diese Erwerbstätigenversicherung würde nicht nur eine große Gerechtigkeitslücke, sondern bis in die 2070er Jahre auch eine Finanzierungslücke in der gesetzlichen Rente schließen.
Natürlich könnte man auch hohe Einkommen stärker an der Finanzierung der Rente beteiligen. Dafür kann die Beitragsbemessungsgrenze angehoben werden. Sie liegt derzeit bei 8.050 Euro im Monat. Für jeden Euro darüber werden keine Beiträge zur Rente gezahlt. Vorrangig sollte dieser Weg aber bei der Kranken- und Pflegeversicherung eingeschlagen werden, denn bei der Rente würde das auch sehr hohe Rentenansprüche nach sich ziehen.
Man könnte aber auch noch einmal genauer nach Österreich schauen. Dort werden die Arbeitgeber seit zwanzig Jahren überproportional an den Rentenbeiträgen beteiligt. Sie zahlen von insgesamt 22,8 Prozent überproportional 12,55 Prozent. In Deutschland müssen die Beschäftigten nicht nur 9,3 Prozent in die gesetzliche Rente zahlen, sondern sollen auch noch 4 Prozent in eine Riesterrente und am besten noch 2 Prozent in eine Betriebsrente zahlen, damit der im Alter der erreichte Lebensstandard gesichert sein kann.
Die Rente wird immer noch zu drei Vierteln aus Beiträgen und damit aus den Löhnen der Versicherten finanziert. Maßnahmen zur Stärkung der Frauenerwerbstätigkeit, zur besseren Integration von Geflüchteten in den Arbeitsmarkt und von älteren Beschäftigten müssen nicht nur auf den Weg gebracht, sondern auch konsequent umgesetzt werden. Deshalb brauchen wir stärkere Anstrengungen, damit Frauen einer Vollzeitbeschäftigung nachgehen können, damit Geflüchtete besser in den Arbeitsmarkt integriert werden und gute Löhne auf dem Bau, in der Landwirtschaft und auch im Büro gezahlt werden.
Das wären generationengerechte Beiträge zur Finanzierung unseres Sozialstaates. Die zukünftigen Aufgaben wären auf breiteren Schultern verteilen würde, die junge Generation, aber auch die arbeitende Mitte würde spürbar entlastet und die ältere Generation nicht einseitig belastet werden.
Michael Popp ist Sozialwissenschaftler und Referent für Alterssicherung beim Sozialverband VdK, der für seine 2,3 Millionen Mitglieder sozialrechtliche Beratung und sozialpolitische Interessenvertretung anbietet.