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01. Mai 2022

Keine Arbeit ist auch keine Lösung

Manche Linke wollen die Arbeit abschaffen. Sozialistinnen und Sozialisten wollen sie verändern.

Detail aus dem Detroit Industry Mural von Diego Rivera.

Detail aus dem Detroit Industry Mural von Diego Rivera.

Flickr / Mike Steele, CC BY 2.0.

Von Anton Jäger

Übersetzung von Johannes Nölting

Am 30. April 1983 bereitete sich eine Gruppe holländischer Aktivistinnen und Aktivisten im Amsterdamer Stadtviertel De Pijp auf den 1. Mai vor – den Tag der Arbeit. Als eine Art Pfingsten der weltweiten Arbeiterbewegung ist der 1. Mai der einzige gesetzliche Feiertag, der keinen volkstümlichen oder religiösen Hintergrund hat und der für die Errungenschaften eines ganzen Jahrhunderts hart erkämpften Klassenkampfs steht.

1884 rief die Federation of Organized Trades and Labor Unions dazu auf, am 1. Mai 1886 für den 8-Stunden-Tag zu demonstrieren; vier Jahre später, nach einem gewaltsamen Tag des Streikbrechens, bei dem fünf Menschen starben, forderte der Gewerkschaftsführer Samuel Gompers den Gründungskongress der Zweiten Internationale in Paris dazu auf, den 1. Mai zu ihrem »offiziellen« Feiertag zu machen.

Im Jahr 1983 war die besagte Gruppe jedoch der Auffassung, die Bezeichnung »Tag der Arbeit« sei überflüssig. Auch wenn die holländische Regierung den Tag – hauptsächlich wegen der zeitlichen Überschneidung mit dem »Tag der Königin« am 27. April – nie als Feiertag anerkannt hatte, blieb er für linke Parteien von Bedeutung und wurde mit großen Demonstrationen und Feierlichkeiten in holländischen Städten begangen. Die Gruppe schlug vor, den 1. Mai zum »Tag gegen Arbeitsethos« (Dag tegen het arbeidsethos) umzubenennen und mit ihm den Aufbruch in eine Welt zu feiern, in der die Menschheit von der »Pflicht zur Arbeit« ein für alle Mal befreit sein würde. Zu Beginn des Jahres hatten bereits einige Mitglieder im Amsterdamer Kino Rialto die »Niederländische Vereinigung gegen Arbeitsethos« (Nederlandse Bond Tegen het Arbeidsethos) gegründet, die es sich zur Aufgabe machte, den »freiwillig Arbeitslosen« (bewust werklozen) eine Stimme zu geben.

Die Presse verfolgte die Aktivitäten schon bald mit Interesse, während »wütende« Mitglieder der Niederländischen Partei der Arbeit (Partij van de Arbeid, PvdA) und Gewerkschaftsorganisationen ihren Unmut kundtaten. Obwohl sich die Organisation offiziell als Gewerkschaft der Arbeitslosen verstand, stießen vor allem die Bestrebungen danach, die Re-Integration der niederländischen Arbeitslosen zu stoppen, auf Widerstand in der Arbeiterbewegung. Arbeit sollte ihrer Ansicht nach nicht als zentrales Thema aufgegeben werden. Die Opposition der etablierten Linken milderte die Ambitionen der Vereinigung gegen Arbeitsethos jedoch kaum. In den 1980er Jahren wuchs die Vereinigung zu einer der lautesten Stimmen der Anti-Arbeits-Bewegung an und gab das monatlich erscheinende Magazin Luie Donder (Die Stinkfaulen) heraus. Somit stimmte sie in den stetig wachsenden Chor derjenigen Linken ein, die glaubten, dass die »Gesellschaft der Arbeit« ihr Ende gefunden hatte.

Vom »Post-Kapitalismus« zur »Post-Arbeit«

Aktuelle Diskussionen um eine Gesellschaft jenseits der Arbeit spiegeln in vielerlei Hinsicht die Pattsituation zwischen der Vereinigung gegen Arbeitsethos und der Niederländischen Partei der Arbeit wider. In den letzten Jahren hat sich eine neue Form der post-kapitalistischen Theoriebildung unter dem Vorzeichen einer »Anti-Arbeits«-Politik herausgebildet: von Paul Masons Postkapitalismus (2015) bis zu Nick Srniceks und Alex Williams’ Inventing the Future (2015) und Aaron Bastanis Fully Automated Luxury Communism (2019). Im Gegensatz zu einer etwas aus der Mode gekommenen Fixierung auf Arbeit, distanziert sich diese »neue« Neue Linke vom »Kult der Arbeit« vorhergehender sozialistischer Parteien und widmet sich stattdessen einer Ehrenrettung der Untätigkeit – in etwa so, wie es die Vereinigung gegen Arbeitsethos vor ihnen tat.

Die Gegner der Arbeit wähnen die empirischen Beweise auf ihrer Seite. »Die überwältigender Mehrheit der Menschen«, so schreiben Srnicek und Williams, »sieht in ihrer Arbeit weder Sinn noch Erfüllung oder Erlösung«, sondern »einfach nur etwas, das die Rechnungen bezahlt«. Da es »bereits einen weitverbreiteten Hass auf Jobs« gäbe (zusätzlich zu der zunehmenden Bedrohung durch die massenhafte Vernichtung derzeitiger Arbeitsplätze), sollten Sozialistinnen und Sozialisten auf die »weitverbreitete Forderung, andere sollten deren Arbeitsmoral übernehmen … nur mit der Verachtung, die wir für unsere eigenen Jobs empfinden«, reagieren. Wie auch Bastani und Mason sehen beide die Lösung darin, für mehr Automatisierung einzutreten sowie eine massive Ausweitung von Freizeit zu fordern. Ihr ultimatives Ziel ist damit die Abwesenheit von Beschäftigung – im Gegensatz zur Vollbeschäftigung. »Schlussendlich«, schreiben sie, »müssen wir uns zwischen der Glorifizierung von Arbeit und der Arbeiterklasse und der Abschaffung von beidem entscheiden«.

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