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08. Oktober 2025

KI bedroht mehr als nur Arbeitsplätze

Arbeit bringt nicht nur Geld ein, sondern hat auch Bedeutung für persönliches Wohlbefinden und Gemeinschaftsgefühl. Lassen wir zu, dass KI unkontrolliert Jobs vernichtet, blühen uns erhebliche psychische Folgen und letztlich ein Ende der Massenpolitik.

Was, wenn die Büros der Zukunft so aussehen?

Was, wenn die Büros der Zukunft so aussehen?

IMAGO / Berlinfoto

Die US-Wirtschaft blickt einem Konjunkturabschwung ins Auge. Damit einher gehen höhere Preise, geringere Beschäftigungszahlen und ein langsameres Wirtschaftswachstum als Folgen von Donald Trumps globalem Handelskrieg. Trumps Politik bricht mit der neoliberalen Ordnung und bewegt sich in Richtung eines US-Merkantilismus.

Sein Erfolg, andere Staaten zu zwingen, sich den Handelsforderungen der US-Hegemonie zu beugen, wird wettgemacht durch innenpolitische ökonomische Probleme und eine Bevölkerung, die nach Jahren der Lebenshaltungskostenkrise und Jahrzehnten struktureller Ungleichheit ausgelaugt ist. Diese Probleme haben bereits für zahlreiche Schlagzeilen gesorgt und werden dies auch weiterhin tun. Darüber hinaus gibt es tiefgreifendere, langfristige Herausforderungen, denen man sich stellen muss.

Wirtschaftliche Abschwünge bedeuten in der Regel Arbeitsplatzverluste und höhere Arbeitslosigkeit. Die materiellen Folgen sind erheblich, oft verheerend: Arbeitende und ihre Familien haben Mühe, ihren täglichen Bedarf zu decken, geschweige denn, sich die kleinen Luxusgüter zu gönnen, die ihnen auf dem kapitalistischen Marktplatz voller Wunder und Überfluss versprochen worden waren.

Über diese unmittelbaren materiellen Bedürfnisse hinaus prägen Arbeit und Wirtschaft – die von politischen und ökonomischen Eliten oft wie ein Spielzeug behandelt werden – auch Gemeinschaften und das psychische Wohlbefinden von Beschäftigten in einer Weise, die nicht direkt mit dem Einkommen zusammenhängt. Kurz zusammengefasst lässt sich sagen: Das individuelle Wohlbefinden ist zumindest teilweise verknüpft mit der Sinnstiftung und Gemeinschaft, die bei der Arbeit erlebt werden. Wirtschaftliche Probleme kosten die Menschen also nicht nur Geld, sondern auch Gemeinsamkeit und Sinn.

Arbeit und Wohlbefinden

In der Studie »Unemployment and subjective well-being« aus dem Jahr 2021 stellt der Ökonom Nicolai Suppa neben finanziellen Aspekten auch »erhebliche Einbußen in Bezug auf Lebenszufriedenheit und psychische Gesundheit« fest, wenn es zu Arbeitslosigkeit kommt. Er merkt weiter an: »Diese Einbußen sind im Gegensatz zu vielen anderen negativen Erfahrungen über einen längeren Zeitraum hinweg konstant. Zwar scheint das affektive Wohlbefinden (wenn überhaupt) nur zu Beginn der Arbeitslosigkeit beeinträchtigt zu sein. Dennoch bleibt eine emotionale Belastung durch die Arbeitslosigkeit bestehen.«

Die Auswirkungen von Arbeitslosigkeit sind im wahrsten Sinne »nachhaltig«: Suppa zeigt, dass eine Beeinträchtigung des Wohlbefindens über die Zeit der tatsächlichen Arbeitslosigkeit hinausgeht, »unabhängig davon, ob eine Rückkehr in die Beschäftigung oder der Eintritt in den Ruhestand erfolgt – und weit in die Zukunft hinein«. Auswirkungen seien »sogar nach Jahren der [neuen] Beschäftigung noch zu beobachten«.

»Einige Studien deuten darauf hin, dass KI-getriebene Automatisierung fast die Hälfte der Jobs in fortgeschrittenen Volkswirtschaften gefährden könnte, darunter auch eine große Zahl von Arbeitsplätzen, die lange Zeit als weniger gefährdet galten.«

Arbeitslosigkeit kann also nicht nur das unmittelbare materielle und psychische Wohlbefinden der Betroffenen beeinträchtigen, sondern auch negative Auswirkungen auf ihre langfristige Lebensentwicklung haben: Es gibt eine Tendenz hin zu einer generellen Verringerung des Wohlbefindens.

Es gibt in der Linken eine starke Tradition, Arbeit an sich kritisch zu sehen – sie als von Natur aus entfremdend, ausbeuterisch, mühsam oder einfach als »Bullshit« zu verstehen. Doch Suppas Erkenntnisse und auch weitere Literatur zu Arbeit und Wohlbefinden mahnen zur Vorsicht. Sie erinnern uns daran, dass Arbeit für viele Menschen eine inhärente Bedeutung hat, ein Gefühl der Würde und die Möglichkeit bietet, mit anderen in Kontakt zu treten.

Einzelne Jobs und Arbeitsverhältnisse können ganz sicher entfremdend, ausbeuterisch, mühsam und »Bullshit« sein, aber die Arbeit selbst ist nicht der Ursprung dieser Zustände. Vielmehr entstehen die Probleme aus der Art und Weise, wie das soziale und wirtschaftliche Leben derzeit organisiert ist. Doch trotz dieser widrigen Umstände beziehen Arbeiterinnen und Arbeiter immer noch Sinn, Identität und soziale Bindungen aus ihrer Arbeit.

Massenpolitik ohne Arbeiterschaft

Angesichts dessen ist die Entwicklung von KI als ökonomischer und beschäftigungspolitischer »Disruptor« nicht nur für das materielle Wohlergehen der Arbeiterschaft von Bedeutung, sondern auch für ihre psychische Gesundheit und für das Schicksal ganzer Gemeinschaften. So sehr wir uns auch um kurz- und mittelfristige wirtschaftliche Abschwünge und Arbeitsplatzverluste sorgen müssen, langfristig dürften Unternehmen weiter darauf drängen, menschliche Beschäftigte in jeder möglichen Hinsicht durch KI zu ersetzen.

Schätzungen zur Veränderung der Arbeitswelt gehen stark auseinander: Goldman Sachs prognostiziert lediglich einen Anstieg der Arbeitslosigkeit um 0,5 Prozent, während andere vor einem vollständigen Zusammenbruch der Büroarbeit warnen. Unabhängig von den genauen Zahlen ist eines sicher: Die Arbeit selbst wird sich verändern. Einige Studien deuten darauf hin, dass KI-getriebene Automatisierung fast die Hälfte der Jobs in fortgeschrittenen Volkswirtschaften gefährden könnte, darunter auch eine große Zahl von Arbeitsplätzen, die lange Zeit als weniger gefährdet galten. Die letztendlichen Ergebnisse hängen wohl weniger davon ab, wie schnell sich KI entwickelt, als davon, ob die Arbeiterschaft die Macht bewahren kann, ihren Einsatz mitzugestalten.

Theoretisch könnte billige Arbeitskraft – die an sich natürlich schlecht für die Arbeitenden ist – die Einführung von KI verlangsamen, da dadurch der Anreiz verringert wird, menschliche Arbeiter zu ersetzen. Wenn dank KI aber dauerhaft niedrigere Arbeitskosten winken, wird dies für Unternehmer, die fünf, zehn oder zwanzig Jahre in die Zukunft denken und planen, höchst verlockend sein. In zwei Jahrzehnten wird es sicherlich noch globalen Handel geben. Aber braucht es dann beispielsweise immer noch Buchhalter? Und was bedeutet das für Massenpolitik?

»Eine Unterbrechung der Entwicklung und Einführung von KI-Systemen, die menschliche Beschäftigte ersetzen sollen, würde es uns als Gesellschaft ermöglichen, gemeinsam zu entscheiden, was wir von dieser Technologie erwarten.«

Die unmittelbare Sorge im Falle einer Arbeitslosigkeit ist die Befriedigung materieller Bedürfnisse, dicht gefolgt vom Wohlergehen der Betroffenen, ihrer Familien und ihrer Gemeinschaften. In Zeiten des Strukturwandels wie heute müssen wir uns aber auch mit der Frage auseinandersetzen, was diese Veränderungen für die Arbeit und demokratische politische Machtausübung bedeuten. Was bedeuten Veränderungen beispielsweise für die Rechte der Arbeiterinnen und Arbeiter sowie das Machtgleichgewicht mit Blick auf Gesetzgebung und Politikgestaltung, wenn die Produktion in großem Umfang durch KI gesteuert wird – zumal wenn Massenpolitik, insbesondere die Drohung mit Arbeitskämpfen, keine Rolle mehr spielt?

Und wie sieht es mit den materiellen und psychologischen Folgen aus, die mit diesem Wandel einhergehen? Tech-Utopisten wischen diese Bedenken mit Versprechen wie einem bedingungslosen Grundeinkommen beiseite, aber es ist keineswegs klar, dass eine solche Lösung tatsächlich plausibel oder praktikabel ist. Letztlich bleibt die Frage: Wie verändert sich das Wohlergehen der Gemeinschaft und des Einzelnen, das so lange Zeit mit Arbeit verwoben war?

Die Zukunft der Arbeit selbst entscheiden

Eine Unterbrechung der Entwicklung und Einführung von KI-Systemen, die menschliche Beschäftigte ersetzen sollen, würde es uns als Gesellschaft ermöglichen, gemeinsam zu entscheiden, was wir von dieser Technologie erwarten und wie wir mit den Folgen ihres Einsatzes umgehen wollen. Parallel dazu sind staatliche Maßnahmen in großem Umfang erforderlich, um die Arbeiterschaft zu schützen und angemessen zu entlohnen für die Aufgaben, die einige von ihnen übernehmen müssen, um Gesellschaften – und Volkswirtschaften – auch in stark automatisierten Branchen am Laufen zu halten. Um eine solche Unterbrechung herbeizuführen, bräuchte es möglichst breiten Protest, Arbeitskampf, Petitionen und Parteipolitik, wenn es überhaupt eine Aussicht auf Erfolg geben soll.

Die Diskussionen, Debatten, Programme und politischen Maßnahmen, die sich aus unserer kollektiven Auseinandersetzung mit den Gefahren ergeben, die KI für Arbeit und Beschäftigung mit sich bringt, müssen auf dem Verständnis dessen basieren, was der Arbeiterschaft seit langem bewusst ist und was die Forschung bestätigt: Arbeiterinnen und Arbeiter wissen am besten, was sie brauchen und wollen; sie wissen, was ihr Wohlbefinden fördert – und was es beeinträchtigt.

Die Arbeit an sich steht im Mittelpunkt dieses Wohlbefindens und sie schafft Gemeinschaftsgefühl. Deswegen muss Arbeit geschützt werden – sie muss angemessen entlohnt werden, sicher sein und mit Würde und Respekt behandelt werden.

David Moscrop ist Autor und politischer Kommentator. Er moderiert den Podcast Open to Debate. Von ihm erschien das Buch Too Dumb for Democracy? Why We Make Bad Political Decisions and How We Can Make Better Ones.