16. Januar 2024
In unserer krisengeschüttelten Zeit bieten einige Influencer an, was man als »Lifestyle-Faschismus« bezeichnen könnte: den Versuch, die Gesellschaft umzugestalten, indem man seinen gebeutelten männlichen Körper neu formt.
Bevor er als Schwindler entlarvt wurde, verdiente der selbsternannte »Liver King« Millionen mit dem Verkauf von »anzestralen« Nahrungsergänzungsmitteln.
YouTubeBrian Johnson und sein (Fast-)Namensvetter bewerben ein vermeintlich besseres Leben. Der eine von ihnen, Bryan mit »y«, ist der 46-jährige Gründer des sogenannten Lebensverlängerungssystems »Project Blueprint«. Dieser Bryan Johnson verbringt seine Tage damit, sich Ganzkörperscans, Bluttests und der von ihm so bezeichneten »Penisverjüngung« zu unterziehen. Ziel des Ganzen: physische Unsterblichkeit.
Der andere Brian schreibt sich mit »i«. Er ist ein 45-jähriger Influencer, der unter dem Namen »Liver King« auftritt und für einen traditionellen beziehungsweise »uralten Lebensstil unserer Ahnen« wirbt, den der moderne Mensch nicht mehr verfolge, weil er lieber in geschlossenen Räumen lebt, auf seinen Computer starrt und sein Essen »totkocht«.
Auf den ersten Blick scheinen die beiden Johnsons völlig gegensätzlich zu sein. Bryan ist Veganer, ernährt sich von individuell zusammengestelltem Pflanzenschmalz und meidet das Sonnenlicht, während der braungebrannte Brian jeden Tag ein halbes Kilo rohe Leber isst. Der Tech-Millionär Bryan, der sein Vermögen mit Zahlungsabwicklungs-Apps gemacht hat, predigt genaue Selbstbeobachtung und Askese – wenn er nicht gerade auf Social Media postet, dass er mal wieder blutgefäßerweiternde Mittel in seinen Penis spritzt. Liver King Brian (der früher in der Zahnarztpraxis seiner Frau arbeitete) ist hingegen ein selbsternannter »dominanter Mann«, der auf einem Plüschthron hockt und genüsslich rohes Fleisch und Organe hinunterschlingt, gerne bei gestellten Familienessen mit seinen offensichtlich widerwilligen Kindern. Während der letztere Brian versucht, die »verlorene prähistorische Größe« des Menschen durch rohe Leber, Klimmzüge und Kniebeugen wiederzuerlangen, bereitet der erste Bryan seinen Körper auf dessen KI-gestützte Tech-Zukunft vor.
Trotz dieser Unterschiede tragen die Auffassungen der beiden Bri/yans zu den Themen Bewegung, Ernährung und sogar Zeit selbst zu ein und demselben politischen Projekt bei. Sie bauen auf dem amerikanischen Individualismus, dem im Silicon Valley kultivierten, unstillbaren Durst nach »Optimierung« und den spätestens seit den 1970/80er Jahren abgedroschenen Selbsthilfe-Plattitüden der Hippie-Kultur auf. Die Johnsons und ihresgleichen tragen auf diese Weise zu einer rechtsgerichteten politischen Haltung bei, die ich als »Lifestyle-Faschismus« bezeichne.
»In einer Welt der brüchigen Meta-Narrative, der gespaltenen Gesellschaften und der Herrschaft einer nicht kontrollierbaren Oligarchie scheint die einzige verbleibende Wahlmöglichkeit die persönliche Konsumentscheidung des Verbrauchers zu sein.«
Im Gegensatz zu rechten Influencern auf dem »Weg von Wellness zum Faschismus« instrumentalisieren die Johnsons nicht die Skepsis gegenüber dem Mainstream-Gesundheitswissen, um ihre Zuhörer für rechte Argumente zu begeistern. Stattdessen setzen sie bei einer faschistischen Ästhetiktradition an – einer Tradition, in der der gestählte junge Körper besonders geschätzt wird – und verschmelzen diese mit der modernen Sprache der »Selbsthilfekultur«. Damit versprechen sie ihren Anhängern ewiges Leben inmitten einer Riege von überlegenen Mannsbildern. Das einzige Kriterium, um Teil dieser Elite zu werden, ist die Bereitschaft, sein Schicksal selbst in die Hand zu nehmen – und zu kaufen, solange der Vorrat reicht. Mit der Monetarisierung der Johnson’schen Weltanschauungen (beispielsweise werden Nahrungsergänzungsmittel aus roher Leber oder kaltgepresstes Olivenöl für 75 Dollar pro Flasche verkauft) wird ihr Nietzscheanismus alltagstauglich gemacht.
Die Projekte der Johnsons entsprechen einem typischen Charakterzug des amerikanischen Kapitalismus seit Ronald Reagan: systematisches Anpreisen von scheinbar einfachen Lösungen durch Trickbetrüger (kurz gesagt »Abzocke«). Wie viele andere Wellness-Gurus preisen die beiden Männer idealisierte Lebensstile an, während sie geflissentlich übergehen, dass dieser Lifestyle für den Normalsterblichen ohne dickes Influencer-Gehalt nicht umsetzbar ist. Im Dezember 2022 stellte sich beispielsweise heraus, dass Liver King monatlich Steroide im Wert von fast 12.000 Dollar zu sich nahm – was seine Behauptung widerlegte, er habe allein durch seine »uralte Ahnen-Ernährung« und Sport seine Muskelberge aufgebaut. Bryan Johnson hingegen weigert sich beharrlich, die angeblich »wissenschaftlichen« Grundlagen seines Project Blueprint offenzulegen, selbst gegenüber Ärztinnen und anderen Wissenschaftlern, die mit ihm zusammenarbeiten möchten. In jedem Fall dürfte die Blueprint-Experience, wie Bryan Johnson sie selbst praktiziert, mit ihrem Preis von rund zwei Millionen Dollar pro Jahr nur für einige Wenige erschwinglich sein.
Trotz der vordergründigen Unterschiede gibt es viele Überschneidungen zwischen den Johnsons. Beide versuchen, durch ein Umformen des so arg gebeutelten männlichen Körpers die Gesellschaft umzugestalten und profitieren dabei von der anhaltenden Popularität von Selbstverbesserungsprogrammen, während gleichzeitig unverkennbar rechtskonservative Ansichten vertreten werden. Zusammengefasst heißt das: Die Johnsons glauben, dass alle Probleme im Leben eines Menschen aus individuellen Entscheidungen resultieren. Wenn man seine Ernährung, sein Workout und seinen Schlafrhythmus in Ordnung bringt, kann man schädigenden Impulsen widerstehen, praktisch ewig leben und mit den schlimmsten Aspekten des modernen Lebens brechen. Das bedeutet allerdings auch, dass es keinerlei Solidarität mit anderen oder Veränderungen im soziopolitischen Rahmen bedarf. Wichtig ist nur das »Ich«.
Beide Johnsons messen dem Lebensstil, den sie für optimal halten, eine klare moralische Wertung bei. Ihr früheres Selbst – und damit implizit auch jeder, der entgegen ihren Vorstellungen lebt – wird hingegen als minderwertig betrachtet. Bryan Johnson bezeichnet seine frühere Denkweise gerne als die eines »Lausbubenhirns«. Für Liver King existiert der damalige Brian Johnson schlicht nicht mehr: Sein Alter Ego habe »den Käfig aufgerissen und ihn gefressen«.
»Wenn zu Walter Benjamins Zeiten der Faschismus die ›Ästhetisierung des politischen Lebens‹ war, so kommt der heutige Faschismus als eine ›Lifestylisierung des politischen Lebens‹ daher.«
Die Johnsons würden sich selbst nicht als »Übermenschen« oder die moderne Lebensweise gar als »entartet« bezeichnen. Doch sie reiten auf der Welle der unzähligen Online-Wellness-Trends und propagieren dabei ihre Ziele, ein verlorenes goldenes Zeitalter (Brian) zurückzuerobern oder eine futuristische Utopie (Bryan) zu erreichen. Dabei können ihre Beiträge zum rechten Maskulinismus-Diskurs fast beiläufig oder zufällig erscheinen. Liver King rät zum Beispiel vom Konsum von Pflanzenölen ab, während eine solche Ablehnung auch im verschwörungserzählerischen rechten Denken zu finden ist. Ähnlich verhält es sich mit Bryan Johnsons Glauben an die lebensverlängernde Kraft von Bluttransfusionen, der ihn mit Technofaschisten wie Peter Thiel verbindet.
Für sich genommen mögen solche Einzelaussagen nichts über die jeweiligen politischen Ansichten aussagen. Wenn man sie –die Paranoia in Bezug auf Pflanzenöle; die Ablehnung von Impfungen; der Glaube, dass Biohacking, »Daten« oder Künstliche Intelligenz den Menschen physisch unsterblich machen können; die Sehnsucht nach ebenso traditionellen Lebensmitteln wie traditionellen Geschlechterbeziehungen – jedoch gebündelt betrachtet, lässt sich zumindest erahnen, welche Politik und welche Form des Zusammenlebens die beiden Johnsons bevorzugen würden.
In einer Welt der brüchigen Meta-Narrative, der gespaltenen Gesellschaften und der Herrschaft einer nicht kontrollierbaren Oligarchie scheint die einzige verbleibende Wahlmöglichkeit die persönliche Konsumentscheidung des Verbrauchers zu sein. Spätestens in der Ära Bill Clinton beschleunigten psychologische Triangulation und Fokusgruppen eine Kommerzialisierung der Politik: Kandidatinnen wurden zunehmend zu Produkten, und Wahlentscheidungen zu einer Frage des Lifestyles. Politik und Lifestyle sind seit dem Aufkommen von Social Media noch enger miteinander verwoben, da die Plattformen gerade extreme Inhalte monetarisieren (und damit begünstigen) und die Userinnen und Unser in Filterblasen treiben. So sind heute nicht nur politische Entscheidungen zu einer Frage des Lebensstils geworden, sondern einzelne Lifestyle-Entscheidungen verdichten sich zu Ideologie.
Wenn zu Walter Benjamins Zeiten der Faschismus die »Ästhetisierung des politischen Lebens« war, so kommt der heutige Faschismus als eine »Lifestylisierung des politischen Lebens« daher. Nirgendwo wird dies deutlicher als im Bereich Wellness und Gesundheit, wo der individualistische Drang zur Selbstverbesserung schnell umschlägt in Verachtung des irgendwie suboptimalen, des schwächeren, des (von seiner eigenen Natur aus) unwürdigen, des minderwertigen Menschen.
Die Johnsons sind wütend auf den modernen Lebensstil und wollen dagegen ankämpfen. Sie bedienen sich der bekannten aufputschenden Sprache der Online-Wellness-Gurus und verknüpfen ihre Projekte für perfekten Körper und Geist mit dem Aufbau einer besseren Zukunft für weiße Männer und diejenigen, die sie lieben. Die angeblich »robuste Energie und biologische Widerstandsfähigkeit« des »Lebensstils unserer Ahnen« von Liver King basiert gleichermaßen auf patriarchalischen Werten wie auf roher Leber. Bryan Johnson schreibt selbst, bei seiner Tech-Methode gehe es zwar »scheinbar um Gesundheit, Wohlbefinden und Altern«, in Wirklichkeit aber sei sie »ein System, um die Zukunft für dich, mich, den Planeten und unsere gemeinsame KI-Zukunft besser zu machen«.
Diese Influencer verfolgen nicht mehr den vom Guardian beschriebenen »Weg von Wellness zum Faschismus«, der irgendwo bei Impfstoff-Skepsis beginnt und bei QAnon endet. Nein, bei den beiden Johnsons ist der Faschismus Grundlage und inhärenter Teil des Lebensstils.
Maya Vinokour unterrichtet am Lehrstuhl für Russlandstudien und Slawistik der New York University und ist die Autorin von Work Flows: Stalinist Liquids in Russian Labor Culture.