03. Dezember 2024
In Rumänien hat der rechtsextreme Călin Georgescu überraschend die erste Runde der Präsidentschaftswahl gewonnen. Mit seiner mehr rhetorischen als programmatischen Kritik an den »Globalisten« und der EU konnte er bei vielen krisengeplagten Wählern punkten.
Der parteilose rechtsextreme Kandidat Călin Georgescu hat die erste Wahlrunde überraschend gewonnen.
Der ultranationalistische unabhängige Kandidat Călin Georgescu hat sich am vorvergangenen Sonntag für die Stichwahl um das Präsidentenamt in Rumänien qualifiziert. Er erhielt in der ersten Runde überraschend 23 Prozent der Stimmen. Eine erneute Auszählung könnte zwar noch für Veränderungen sorgen, doch in der Stichwahl am 8. Dezember wird er voraussichtlich gegen die konservativ-liberale Kandidatin Elena Lasconi von der Union Rettet Rumänien (USR) antreten. Mit 19 Prozent der Stimmen verwies Lasconi den amtierenden sozialdemokratischen Premierminister Marcel Ciolacu auf den dritten Platz. Es ist das erste Mal seit Ende des Staatssozialismus im Jahr 1989, dass der Kandidat der Sozialdemokraten die zweite Wahlrunde nicht erreicht. In der Stichwahl kann Georgescu nun hoffen, weitere rechte Wählerinnen und Wähler von der Allianz für die Union der Rumänen (AUR) zu gewinnen, deren Kandidat mit 14 Prozent den vierten Platz belegte.
Umfragen kurz vor der Wahl hatten zunächst darauf hingedeutet, dass Lasconi und Ciolacu in die Stichwahl einziehen würden, bald zeigte sich aber, dass der Ultranationalist Georgescu unerwartet deutliche Zugewinne erzielen kann. Er feierte seinen Sieg als »ein unglaubliches Erwachen des rumänischen Volkes«. In seinen Reden versprach er, ausländische Unternehmen und die Globalisierung zu bekämpfen, die Abhängigkeit Rumäniens von Lebensmittel- und Energieimporten zu verringern, harte Anti-Einwanderungsmaßnahmen durchzusetzen und eine »neue Außenpolitik« umzusetzen, mit der die Hilfe für die Ukraine eingestellt und der Einfluss der NATO in Rumänien eingedämmt werden sollen.
Sein Durchbruch mag nicht das von ihm imaginierte »Erwachen des rumänischen Volkes« sein, aber es sollte als Weckruf für Rumänien und für all diejenigen dienen, die den Aufstieg des Katastrophennationalismus und das, was der ungarische Philosoph G. M. Tamás als Postfaschismus bezeichnet hat, bisher leugneten. Georgescus Kritikerinnen und Kritiker nennen ihn mit Verweis auf Italiens rechte Regierungschefin nicht ohne Grund den »rumänischen Meloni«. Die Muster sind bekannt: Wie auf globaler Ebene und bei der fortschreitenden Faschisierung der europäischen Politik machte sich Georgescu zunächst vor allem damit einen Namen, dass er stets seine große Bewunderung für Wladimir Putin, Viktor Orbán und Donald Trump betonte.
Dass er so erfolgreich ist, stellt die größte politische Herausforderung in Rumänien seit der Revolution von 1989 dar.
In den internationalen Medien wurde Georgescu weithin als »der prorussische Kandidat« und als scharfer NATO-Kritiker beschrieben, der Sympathie für Putin und vor allem für dessen Verschmelzung von Religion und Patriotismus äußert. Ebenso hat Georgescu den rechten Ministerpräsidenten Ungarns, Viktor Orbán, und dessen Außenpolitik gelobt. Bei der Europäischen Union hingegen spart er nicht an Kritik. Diese vertrete in keiner Weise die Interessen des rumänischen Volkes. Den Schritt, dementsprechend für einen EU-Austritt zu werben, macht er allerdings auch nicht.
Seine klaren Anti-NATO- und Anti-EU-Positionen stehen im Mittelpunkt der ausländischen Berichterstattung. Sie schüren im Westen die Befürchtung, dass mit seiner Wahl die Unterstützung für die Ukraine weiter gefährdet werden könnte; ein weiteres Nachbarland (neben Ungarn) könnte sich gegen Kiew wenden. Die strategische Lage Rumäniens zwischen der Ukraine, Russland und der Türkei macht es zu einem wichtigen NATO-Aktivposten in der Region. Im Jahr 2022 war Georgescu einer der lautesten Kritiker des amerikanischen Raketenabwehrschildes in Südrumänien.
»Georgescu bietet eine neue Identitätspolitik und das Versprechen einer ›rumänischen nationalen Gemeinschaft‹.«
Georgescu hat eine Ausbildung zum Ingenieur durchlaufen und war Universitätsprofessor. Er hat einen Doktortitel in Pedologie (einem Teilgebiet der Bodenkunde) und gilt als Experte für nachhaltige Entwicklung. Sein Lebenslauf ist weitgehend technokratisch geprägt: Er arbeitete ab den 1990er Jahren im Umwelt- und im Außenministerium und wurde mehrmals für das Amt des Premierministers vorgeschlagen – zuletzt 2021 von der rechtsradikalen AUR. Von 2010 bis 2012 war er Sonderberichterstatter für Menschenrechte und gefährliche Abfallstoffe im Büro des Hohen Kommissars der Vereinten Nationen für Menschenrechte. Später war er Präsident des European Support Center in Winterthur des Club of Rome sowie geschäftsführender Direktor des United Nations Global Sustainable Index Institute in Genf und Vaduz.
Georgescu setzt sich seit langem dafür ein, die Abhängigkeit Rumäniens von Lebensmittel- und Energieimporten zu verringern. 2021 gründete er die Organisation »Land der Ahnen«, die mit der Losung »Nahrung, Wasser, Energie« für eine autarke Versorgung des Landes eintritt. Dafür müsse die rumänische Landwirtschaft gestärkt werden, indem solide Netzwerke aus Kleinproduzenten, Landwirten und Handwerkerinnen geschaffen werden sowie Aktivitäten, darunter kulturelle Veranstaltungen, die »die Menschen aus dem Gefühl der Verlassenheit und Einsamkeit befreien können, in dem sie aktuell stecken«. Mit solchen Forderungen kann Georgescu durchaus einen gewissen »populistischen« Reiz erzeugen: Er scheint sich ernsthafte Sorgen um die rumänische Arbeiterklasse zu machen. Dabei bleibt es allerdings bei Rhetorik. Konkrete Verbesserungsvorschläge fanden sich in seinem Wahlkampf kaum. Letzterer basierte ebenso wie die Arbeit von Land der Ahnen nicht auf einer klaren politischen und wirtschaftlichen Vision, um die Dinge zu verbessern, seien es beispielsweise Steuererleichterungen oder andere materielle Zuwendungen. Stattdessen bietet er eine neue Identitätspolitik und das Versprechen einer »rumänischen nationalen Gemeinschaft«.
Georgescu erhielt die meisten Stimmen in Nordrumänien und den Küstenbezirken am Schwarzen Meer, die der Ukraine und Russland am nächsten liegen. In diesen Regionen war der Zustrom ukrainischer Kriegsflüchtlinge in den vergangenen Jahren am höchsten – und die Angst vor einer weiteren Eskalation am größten. Derweil konnte Georgescu mit seiner rechtspopulistischen Wahlkampagne in den ärmsten ländlichen Gebieten des Landes (in Süd- und Ostrumänien) kaum punkten. Dort genießt weiterhin der Kandidat der Sozialdemokraten die größte Unterstützung.
In den letzten Jahren hat Georgescu mit seiner Unterstützung für Putin und Orbán, seiner Verharmlosung der Coronavirus-Pandemie, seinen Wutausbrüchen in den sozialen Medien und seinem kruden Antisemitismus mit Lob für die Eiserne Garde und rumänische Nazi-Kollaborateure eine Reihe von Kontroversen ausgelöst. 2022 wurde ein Strafverfahren gegen ihn wegen Verherrlichung von Völkermördern eingeleitet. Er hatte den Anführer der Eisernen Garde, Corneliu Codreanu, und den damaligen nazifreundlichen Premierminister Ion Antonescu als »Nationalhelden« bezeichnet. Die beiden seien Persönlichkeiten, durch die »die nationale Geschichte noch immer gelebt wird [...] Nur durch sie spricht und sprach die nationale Geschichte; und nicht durch die Lakaien der globalistischen Mächte, die heute Rumänien regieren.«
Diese Aussagen lösten scharfe Reaktionen des Zentrums für die Überwachung und Bekämpfung von Antisemitismus in Rumänien, des Nationalen Instituts für Holocaust-Studien und von Vertreterinnen und Vertretern der örtlichen jüdischen Gemeinden aus, die seine Aussagen als »unverantwortlich und gefährlich« bezeichneten. Aufgrund seiner offensichtlichen Nostalgie nach der faschistischen Ära begannen Georgescus Kritiker, ihn als rumänisches Pendant zu Meloni zu bezeichnen, da die italienische Ministerpräsidentin vor ihrem Amtsantritt sich ebenfalls positiv über Benito Mussolini und andere Faschisten geäußert hatte.
Georgescus Äußerungen mit Blick auf die Nazi-Kollaborateure führten jedoch auch zu Streit innerhalb des rechtsextremen Lagers, beispielsweise mit der AUR, die Meloni selbst nahesteht, und mit ihrer Partei eine Fraktion im EU-Parlament bildet. Der AUR-Vorsitzende George Simion kritisierte: »Solche diffusen Äußerungen können uns nur schaden, und ich distanziere mich kategorisch von allen Äußerungen, die meiner politischen Zukunft und der der Partei schaden würden.« Als Reaktion darauf brach Georgescu die Zusammenarbeit mit der AUR ab und beendete die damaligen Verhandlungen über seine mögliche Kandidatur für das Amt des Premierministers. Bei der jüngsten Präsidentschaftswahl trat er nun als unabhängiger Kandidat an.
»Ähnlich wie schon unter Faschisten der Zwischenkriegszeit ist es bei Postfaschisten in Osteuropa durchaus üblich, mit antikapitalistischen Ideen zu liebäugeln.«
Im Wahlkampf gewann Georgescu auf Social Media mit seinen Versprechen, die Hilfe für die Ukraine einzustellen, schnell an Popularität. In den Medien wurde er hingegen für seine prorussischen Äußerungen heftig kritisiert. Einige rumänische Kommentatoren bezeichneten ihn sogar als Vertreter kremlfreundlicher Interessen im Land. Nach dem russischen Einmarsch in die Ukraine 2022 hatte Georgescu den militärisch-industriellen Komplex der USA für die Eskalation verantwortlich gemacht und erklärt: »Die Situation in der Ukraine wird eindeutig manipuliert und löst einen Konflikt im Interesse Amerikas aus. Das wird zur erneuten Ausweitung des US-Militärkomplexes beitragen.« In Bezug auf die NATO und die EU erklärte Georgescu, dass Rumänien »nichts verhandelt und daher alles verloren hat«. Später behauptete er, die USA und die EU hätten Rumänien wirtschaftlich ruiniert sowie »unsere nationale Identität ausgelöscht, die DNA, die die Immunität der rumänischen Nation und des rumänischen Geistes sichert«. Außerdem mutmaßte er, die NATO werde im Falle einer direkten bewaffneten Konfrontation mit Russland nicht unbedingt jedes verbündete Land verteidigen.
In einem Interview aus dem Jahr 2015 erklärte Georgescu, die Macht der Konzerne stelle eine größere Gefahr für Rumänien dar als feindliche Staaten. Gleichzeitig lobte er den Ex-Geschäftsmann Donald Trump, der seiner Ansicht nach ein »Held« sei: »Nach Kennedy ist er der einzige Präsident, der den Dämon der Konzerne zum Kampf herausgefordert hat.« Als Reaktion auf die Ergebnisse vom Sonntag sprach Georgescu davon, dass »die 35 Jahre andauernde wirtschaftliche Unsicherheit, die dem rumänischen Volk aufgezwungen wurde, heute endlich zu Unsicherheit für die politischen Parteien geworden ist«.
Ähnlich wie schon unter Faschisten der Zwischenkriegszeit ist es bei Postfaschisten in Osteuropa durchaus üblich, mit antikapitalistischen Ideen zu liebäugeln. Im Gegensatz zu seinen liberalen Kolleginnen und Kollegen ignoriert Georgescu tatsächlich nicht die ökonomischen Herausforderungen und die Austeritätsmaßnahmen, die der autoritäre Neoliberalismus nach dem Zusammenbruch des Sowjetblocks über Rumänien brachte. Mit diesem (rhetorischen) Ansatz ist er nicht allein: Die radikal rechte Partei Mi Hazánk gibt in Ungarn ebenfalls vor, den Neoliberalismus und die Globalisierung nach 1989 zu kritisieren, meint aber wie Georgescu im Kapital einen bestimmten (natürlich rassifizierten) Charakter zu erkennen und verbreitet antisemitische Verschwörungserzählungen. Die Sündenböcke sind altbekannt: George Soros und »Globalisten« seien Schuld am nationalen und wirtschaftlichen Niedergang. Als Lösung schlagen Georgescu und andere Postfaschisten aus der Region derweil nicht vor, das Klassensystem aufzubrechen und zu überwinden oder die kapitalistische Globalisierung zu verändern. Vielmehr brauche es einen »nationalistischen Kapitalismus«.
Mit seinem Hintergrund in den Bereichen nachhaltige Entwicklung und Umweltschutz schien Călin Georgescu vielen Rumäninnen und Rumänen offenbar die beste Antwort auf soziale Konflikte zu sein, die durch multiple Krisen wie den Klimawandel, die Wirtschaftskrise, die postsozialistische Entfremdung, die Globalisierung und vieles mehr entstanden sind.
»Georgescu hat die Wut und den Wunsch nach Rache gegen die neoliberale Ordnung in eine gefährliche reaktionäre Richtung gelenkt.«
Richard Seymour erklärt in seinem kürzlich erschienenen Buch Disaster Nationalism, dass gut genährte Ressentiments – und nicht nur persönliche wirtschaftliche Interessen – Menschen dazu veranlassen, rechte Parteien zu wählen: »Die Ausbreitung des Katastrophennationalismus gedeiht nicht nur aufgrund von Desinformation und falschen Überzeugungen, sondern auch, weil die Wirtschaft des Ressentiments, die in modernen Gesellschaften zirkuliert, diese Überzeugungen attraktiv macht. Die moderne Hexe – sei es nun der ›Kulturmarxist‹, die ›Kommunistin‹, die ›Antifa‹, der ›Anti-Nationalist‹, die ›Araberfreundin‹ oder ein anderer ›Verräter‹ –, die in den Straßen von Manila, Kenosha, Neu-Delhi oder São Paulo einfach getötet werden kann, bietet eine Pseudoerklärung für das Unglück des Nationalstaats: die Frage, wie ein souveränes Volk seine Souveränität verlor.«
Dieses Phänomen ist im Fall von Georgescu besonders ausgeprägt. So beklagt er, wie die nationale Identität Rumäniens von den »Globalisten« korrumpiert wurde, und bietet ein neues Zugehörigkeitsgefühl sowie »nationale Selbstliebe« an. Seymour erklärt: »Katastrophennationalisten sprechen die Sprache der Klasse. Sie behaupten, eine ›abgehängte‹, ›verratene‹, ›zurückgelassene‹ Wählerschaft zu vertreten.« Tatsächlich verwendet Georgescu insbesondere die Wörter »verlassen« und »entfremdet«, um rumänische Landwirte und Arbeiterinnen zu beschreiben, die seit dem Zusammenbruch des Staatssozialismus tatsächlich im Stich gelassen wurden. Auch G. M. Tamás hat dieses Phänomen ausführlich beschrieben und gewarnt, diese »Zurückgelassenen« könnten sich neue Zufluchtsorte suchen und in der Nische des Post- und Neofaschismus eine solche neue Identität ausbilden.
Georgescus Wahlerfolg könnte also einfach damit erklärt werden, dass er den Unmut der einfachen Leute gegen das neoliberale System, das sie in den letzten 35 Jahren hängen gelassen hat, für sich nutzen konnte. Die von den USA angeführte Schocktherapie und die Folgen der Wende hin zum Kapitalismus nach 1989 haben Bäuerinnen und Arbeiter gedemütigt und verwundbar gemacht, während die liberalen Eliten ihr Leid und ihre verzweifelten Hilferufe ignorierten. 35 Jahre unter einer Klasse ignoranter und moralisch nihilistischer liberaler Eliten an der Macht führten genau zu diesem Moment. Es ist nichts gänzlich Neues. Eine ähnliche Dynamik hat Orbán in Ungarn hervorgebracht. Es scheint, als könnte Rumänien das nächste osteuropäische Land werden, das diesem Muster folgt.
Unabhängig davon, ob Georgescu die zweite Runde der Präsidentschaftswahlen gewinnt oder nicht: Er hat die Wut und den Wunsch nach Rache gegen die neoliberale Ordnung in Rumänien in eine gefährliche reaktionäre Richtung gelenkt. Das kann inzwischen nicht mehr ignoriert werden.
Anita Zsurzsán ist unabhängige Wissenschaftlerin und lebt in Budapest.