24. Juli 2025
Ob die Kritik der SPD an der Ablehnung des Gaza-Appells opportunistisch ist oder nicht, ist zweitrangig. Entscheidend ist, den politischen Moment zu nutzen, um jetzt Druck für neue parlamentarische Mehrheiten aufzubauen.
SPD-Fraktionschef Matthias Miersch fordert einen politischen Kurswechsel und mehr Druck auf Israel.
Der internationale Druck auf die Regierung Israels, den Genozid in Gaza zu beenden, nimmt zu. Am 21. Juli veröffentlichten 28 Staaten – darunter Großbritannien, Japan, Neuseeland, zahlreiche EU-Staaten und die Schweiz – ein Statement, das die »sofortige Einstellung des Krieges« fordert.
Noch wesentlich klarer fällt die Handlungserklärung der Den Haager Gruppe aus. Die zwölf ihr zugehörigen Staaten – unter anderem Bolivien, Kolumbien, Indonesien und Südafrika –, verpflichteten sich am 16. Juli dazu, alle ihnen zur Verfügung stehenden politischen und juristischen Mittel zu nutzen, um die Lieferung von Waffen nach Israel zu verhindern. Darüber hinaus haben sie beschlossen, sämtliche Handelsbeziehungen zu Unternehmen, die an der Aufrechterhaltung der illegalen Besatzung mitwirken, auszusetzen und ihre juristischen Bestrebungen zur Einhaltung des Völkerrechts auszuweiten. Francesca Albanese forderte auf einer Konferenz, die der Erklärung vorausging, den Abbruch sämtlicher Beziehungen zu Israel, um politischen Druck auszuüben.
Die deutsche Bundesregierung unterstützt keine dieser Initiativen. Einerseits behauptet Friedrich Merz, ehemaliger Vorsitzender der Atlantik-Brücke und seit seiner Wahl zum Kanzler Washingtons treuester Verbündeter in Europa, er würde sich im Europarat und in bilateralen Gesprächen gegen die »nicht hinnehmbaren Zustände« in Gaza einsetzen. Andererseits exportiert Deutschland weiterhin Waffen an Israel und gibt der israelischen Regierung auf internationaler Bühne diplomatische Rückendeckung. Um sich für ein Ende des Völkermords in Gaza einzusetzen, ist Merz offensichtlich nicht bereit, seine engen Beziehungen zu Trump oder Netanjahu aufs Spiel zu setzen. Deutschlands außenpolitische Interessen gehen vor.
Gegen diese Haltungslosigkeit regt sich nun Widerstand bei der SPD. Der kommt zwar über zwanzig Monate zu spät, aber er könnte dennoch eine Chance bieten, um der Tatsache, dass auch die Mehrheit der Bevölkerung das Vorgehen Israels verurteilt, endlich einen parteipolitischen Ausdruck zu verleihen.
Die Koalition zwischen SPD und CDU/CSU stand von Beginn an auf wackeligen Beinen. Die von Jens Spahn und der Union orchestrierte öffentliche Diffamierung von Frauke Brosius-Gersdorf im Zuge ihrer Ernennung als Bundesverfassungsrichterin ist nur die Spitze des Eisberges. Der Machtanspruch der Merz-geführten Unionsparteien ist offenkundig, die SPD ist für sie nichts als eine Erfüllungsgehilfin ihrer politischen Agenda.
Gaza ist da keine Ausnahme. Merz selbst inszenierte sich im Mai zwar lautstark als Kritiker von Israels Vorgehens in Gaza. Aber wenn Merz erst nach neunzehn Monaten Genozid davon spricht, dass die Massaker an der Zivilbevölkerung Gazas »sich nicht mehr mit einem Kampf gegen den Terrorismus der Hamas begründen« lassen, verrät er damit seine tief sitzende Verachtung für palästinensisches Leben. Es ist deswegen nur konsistent, dass sich am Handeln der Bundesregierung diesbezüglich seit Amtsantritt nichts verändert hat. Während des Angriffs Israels auf den Iran wurde jedoch zumindest die militärische, politische und ideelle Unterstützung der rechtsextremen Regierung Israels kurzzeitig auf den Prüfstand gestellt. Daran ließe sich anschließen.
»Die Positionierung der SPD-Fraktion birgt die Möglichkeit einer Kurskorrektur der deutschen Israel-Politik in sich – und damit auch dafür, den Genozid in Gaza endlich zu beenden.«
Denn dass die Bundesregierung sich nicht dem Gaza-Friedensappell zahlreicher EU-Staaten anschließt, scheint für einige in der SPD eine Grenze zu überschreiten. In einem Fraktionsstatement fordern sie »klare und umgehende Konsequenzen«, wie die Unterstützung des Friedensappells, die Beendigung des Assoziierungsabkommens und den sofortigen Stopp von Waffenlieferungen. Dadurch solle die Bundesregierung auf die Beendigung des Militäreinsatzes in Gaza und des illegalen Siedlungsbaus in der Westbank hinwirken sowie sich langfristig beim arabischen Wiederaufbauplan für Gaza einbringen und auf die Realisierung der Zwei-Staaten-Lösung hinwirken.
Das kommt überraschend. »Wir haben Waffen geliefert, und wir werden Waffen liefern«, stellte Olaf Scholz als scheidender SPD-Bundeskanzler noch letztes Jahr klar. Die SPD war seit dem Beginn des Genozids in Regierungsverantwortung. Sie hat durch ihren Kurs der bedingungslosen Unterstützung Israels maßgeblich zur Ermöglichung der systematischen Vertreibung, Aushungerung und Auslöschung der Bevölkerung Gazas beigetragen. Die SPD hat diese Verbrechen gegen die Menschlichkeit durch ihr Handeln aktiv befördert. Die plötzliche Kehrtwende der SPD-Fraktion könnte also als opportunistisch und unaufrichtig abgetan werden.
»Die SPD muss sich als Juniorpartnerin gegenüber der straff-rechten Merz-Union durchsetzen. Für die Menschen in Gaza ist es überlebenswichtig.«
Die SPD wird sich in dieser Frage politische Glaubwürdigkeit schwer erarbeiten müssen – und sie wird durch ihr politisches Handeln beweisen müssen, dass sie es ernst meint. Die Partei muss bereit sein, anzuerkennen, was sie durch passives Schweigen und aktive Komplizenschaft angerichtet hat. Ähnliches gilt für die Linkspartei, die sich zumindest auf Bundesebene bis heute weigert, an palästinasolidarischen Veranstaltungen teilzunehmen und eine angekündigte Großdemonstration bis auf Weiteres vertagt hat.
Das ändert aber nichts an der Bedeutung, die die Positionierung der SPD-Fraktion gerade in der derzeitigen politischen Situation hat, weil sie die Möglichkeit einer Kurskorrektur der deutschen Israel-Politik in sich birgt – und damit auch dafür, den Genozid in Gaza endlich zu beenden. Denn die deutsche Unterstützung durch Waffen und diplomatische Rückendeckung gibt der israelischen Regierung wenig Gründe, ihrer Gewalt ein Ende zu setzen.
Es wird nicht leicht, die Bundesregierung dazu zu bringen, endlich ihren völkerrechtlichen Pflichten nachzukommen. Die Bewegung gegen den Genozid arbeitet seit Oktober 2023 daran und wurde mit massiver Polizeigewalt, Repression, systematischer Stigmatisierung, zahlreichen Kündigungen, Ausladungen und Abschiebungen konfrontiert. Dass die Bundestagsfraktion einer Regierungspartei jetzt den Stopp von Waffenlieferungen fordert, ist ein Teilerfolg, der durch die politische Arbeit der Bewegung ermöglicht wurde.
Nun wird es darum gehen, politische Mehrheiten gegen den Genozid zu organisieren, um diese in Regierungspraxis umzusetzen. In der Bevölkerung gibt es diese Mehrheiten. Im Parlament noch nicht. Damit diese auch dort entstehen, braucht es innerhalb der demokratischen Bundestagsparteien mehr Druck. Dass die Koalition von Union und SPD sowieso im Clinch liegt, ist für die SPD-Fraktion eher von Vorteil. Ist der Burgfrieden einmal gebrochen, dürften diejenigen Kräften in der SPD, die jetzt ein Ende der Waffenlieferungen fordern, weniger Hemmungen haben, auf stärkere Konfrontation mit der CDU zu gehen.
Ob die Haltung der SPD-Fraktion nun auf Opportunismus gründet oder nicht, ist für die aushungernde Bevölkerung Gazas zweitrangig. Von Bedeutung ist, dass die SPD tatsächlich einen Kurswechsel der Regierung erwirken kann. Dafür muss die SPD Haltung gegenüber der Union beweisen und sich als Juniorpartnerin gegenüber der straff-rechten Merz-Union durchsetzen. Ob sie dazu in der Lage ist, wird sich zeigen. Für die Menschen in Gaza ist es überlebenswichtig.
Robin Jaspert ist Politökonom und promoviert an der Goethe-Universität in Frankfurt. Er forscht zu Staatsfinanzen, Süd-Nord-Beziehungen, Fiskal- und Geldpolitik.