28. März 2025
Die Linken im Bundesrat haben entgegen der Parteiführung und einem Großteil der Mitgliedschaft der Schuldenbremsenreform für die Aufrüstung zugestimmt. Wenn die Partei eine glaubwürdige sozialistische Opposition sein will, muss sie daraus Konsequenzen ziehen.
Demonstration von Friedensbewegten am Rande der Bundesratssitzung in Berlin, 21. März 2025.
Schleswig-Holsteins Ministerpräsident Daniel Günther bringt das Ergebnis der Abstimmung der Schuldenbremsenreform im Bundesrat vom vergangenen Freitag auf den Punkt: »Die Linken in den Regierungen von Bremen und Mecklenburg-Vorpommern haben am Freitag im Bundesrat auch für die bessere Ausstattung der Bundeswehr gestimmt.« Die Berliner Morgenpost titelt »Die Linke springt über ihren eigenen Schatten«, der Freitag »Mit Linkspartei und Freien Wählern: Bundesrat macht Weg frei für Aufrüstungspaket«.
Das Abstimmungsverhalten der Linksfraktionen von Bremen und Mecklenburg-Vorpommern wird sich im kollektiven Gedächtnis als ein Verrat am eigenen Programm einprägen. Und das, obwohl es die Stimmen der beiden Bundesländer nicht einmal für den Beschluss der Grundgesetzänderungen gebraucht hätte, da mit der Zustimmung der Freien Wähler in Bayern bereits die Zweidrittelmehrheit im Bundesrat gesichert war.
Die Zustimmung der Landesregierungen in Bremen und Mecklenburg-Vorpommern, in denen Die Linke Teil der regierenden Koalitionen ist, erfolgte. Dabei ist in den Koalitionsverträgen geregelt, dass sich die Landesregierungen im Falle einer Uneinigkeit bei einem Thema zu enthalten haben. »Die Schuldenbremse muss weg und der Militärhaushalt muss sinken«, wird in der Präambel des Wahlprogramms der Linkspartei zur Bundestagswahl 2025 ausgeführt.
So oder so ähnlich lauten auch die Beschlusslagen in Mecklenburg-Vorpommern und Bremen. »Frieden und Abrüstung« wurden im Landtagswahlprogramm als Ziele der Linken Mecklenburg-Vorpommern benannt. Auch das Programm der Bremer Linken spricht sich »gegen die massive Aufrüstung der Bundeswehr« aus. Als es darauf ankam, waren diese Beschlüsse ebenso wenig wert wie die Position der Linken im Grundsatzprogramm, das »auf Abrüstung und Rüstungskontrolle« setzt, und an das sich die Mitglieder der Partei gebunden fühlen sollten.
Begründet wurde die Zustimmung der linken Regierenden in beiden Ländern mit der Verantwortung gegenüber den eigenen Landeshaushalten, da das Paket minimale zusätzliche finanzielle Spielräume eröffnet. Verbunden wurde dies mit letztlich folgenlosen Protokollerklärungen, in denen eine echte Reform der Schuldenbremse angemahnt und Kritik an Inhalt und Form der Durchbringung der Reform ausgedrückt wurde. Doch Protokollerklärungen sind das Papier nicht wert, auf das sie gedruckt wurden, wenn eine Zustimmung letztlich dennoch erbracht wird. Dementsprechend wurden die Protokollerklärungen auch in der Presseberichterstattung nicht erwähnt und bekommen keine öffentliche Aufmerksamkeit. Sie dienen nur dem Zweck, die Parteibasis der Linken zu beruhigen.
Die Zustimmung der Landesregierungen ist Ausdruck eines mehrfachen Versagens der Beteiligten. Zuerst wäre hier ein strategisches Versagen zu nennen: Selbst, wenn eine Zustimmung im Bundesrat nicht sicher gewesen wäre, wäre es richtig gewesen, das Paket dennoch abzulehnen. Eine »echte Reform der Schuldenbremse« ist mit der Zustimmung im Bundesrat nun noch unwahrscheinlicher, da nun kein Handlungsdruck aufseiten des politischen Zentrums mehr vorhanden ist. Denn die von allen zentristischen Parteien und der AfD gewünschte Aufrüstung ist nun finanziert. Es besteht keine Notwendigkeit mehr, eine Reform vorzunehmen und Die Linke ist aufgrund der Mehrheiten im neuen Bundestag ihrer Option beraubt worden, auf die Ausgestaltung der Reform Einfluss zu nehmen. Insbesondere die Union unter Friedrich Merz kann kein Interesse daran haben, die Schuldenbremse infrage zu stellen, entspricht sie doch dem Zweck, den Druck auf den Haushalt aufrechtzuerhalten und Einsparungen im sozialen Bereich zu erzwingen.
»Das Problem liegt nicht allein an den Entscheidungen einiger weniger Funktionäre, sondern ist strukturell in der Regierungsbeteiligung angelegt.«
Stattdessen hat die Zustimmung von Bremen und Mecklenburg-Vorpommern im Bundesrat mit Stimmen der Linken die Einigkeit der Partei, die nach der Wahl der neuen Vorsitzenden Ines Schwerdtner und Jan van Aken erreicht wurde, wieder aufgekündigt. Der Bruch des Programms in der Friedensfrage wird der Partei über Jahre hinweg vorgeworfen werden. Dafür wird allein das BSW sorgen, das bereits jetzt alles unternimmt, um einen Keil zwischen Die Linke und die Friedensbewegung zu treiben. Sie werden das Ausscheren von Bremen und Mecklenburg-Vorpommern aus dem Konsens der Partei für sich instrumentalisieren und Die Linke bei jeder Gelegenheit als unglaubwürdig in der Friedensfrage darstellen. Insbesondere Die Linke in Mecklenburg-Vorpommern dürfte das auch bei den anstehenden Landtagswahlen im kommenden Jahr zu spüren bekommen. Sie hat damit ihrer eigenen Konkurrenz vermutlich einen Auftrieb verschafft.
Hinzu kommt ein machtpolitisches Versagen. So wie das BSW in Brandenburg und Thüringen die Zustimmung verweigert hat, hätte das auch Die Linke folgenlos tun können. Auf das Ergebnis hätte das keinen Einfluss gehabt. Auch Bremen und Mecklenburg-Vorpommern hätten die Mittel, die aus »staatspolitischer Verantwortung« angeblich ausschlaggebend für die Zustimmung waren, dennoch erhalten. Was hier ersichtlich wird, ist eine Fehleinschätzung der politischen Situation und eine Unfähigkeit, die eigene Position und die der Partei selbstbewusst zu vertreten. Denn die mit den zusätzlichen Mitteln gegebenenfalls zu finanzierenden Vorhaben hätten durch die bestehenden Mehrheiten beschlossen werden müssen – die jeweiligen Linksfraktionen hätten also auch am Verhandlungstisch gesessen. Sollte hinter verschlossenen Türen mit einem Ende der Koalition gedroht worden sein, so wäre damit realistisch nicht zu rechnen gewesen.
Zuletzt liegt auch ein politisches Versagen gegenüber der gesamten Partei vor. Denn die Beschlusslage der Partei könnte deutlicher nicht sein. Bereits im Vorfeld der drohenden Zustimmung versuchten breite Teile der Partei eine Zustimmung durch die Senatorinnen und Ministerinnen der Landesregierungen der Linken zu verhindern. Der Parteivorstand und weitere Gremien haben ihre Ablehnung des Beschlusses sehr deutlich gemacht. In unzähligen Gesprächen wurde versucht, auf sie einzuwirken. Der Jugendverband der Partei linksjugend ['solid] schrieb einen nichtöffentlichen Brief an die betreffenden Fraktionen, der von vielen Gliederungen und Einzelpersonen unterstützt wurde. Auch ein offener Brief wurde von über 61 Parteigliederungen und über 2.700 Mitglieder unterzeichnet und forderte zur Ablehnung auf.
In den Landesverbänden Bremen und Mecklenburg-Vorpommern selbst wendeten sich die Landesvorstände mehrheitlich gegen die Zustimmung. Die Ministerinnen und Senatorinnen Kristina Vogt und Claudia Bernhard aus Bremen sowie Simone Oldenburg und Jacqueline Bernhardt aus Mecklenburg-Vorpommern setzten sich darüber hinweg. Die Landesvorstände haben auf einen öffentlichen Konflikt verzichtet und auch die Kritik aus der Bundespartei blieb verhalten, um dem Dissens nicht noch zusätzliche öffentliche Aufmerksamkeit zu geben. Doch die Presseberichterstattung zeigt, dass dieser Ansatz bereits gescheitert ist.
Das Abstimmungsverhalten zeigt auch, wie einmal ins Amt gewählte Mandatsträgerinnen die Beschlüsse und Positionen der Partei missachten. Dass die Zustimmung real nichts geändert hat, wiegt dabei umso schwerer. Das gute Verhältnis zu den Koalitionspartnerinnen und die reibungslose »Regierungsfähigkeit« war den Regierenden in Bremen und Mecklenburg-Vorpommern wichtiger, als der klare Auftrag, mit dem sowohl die Bundesparteitage als auch die Landesparteitage in Bremen und Mecklenburg-Vorpommern die Ministerinnen und Senatorinnen in ihr Amt entsendet haben. Den Koalitionspartnern wurde damit klargemacht, dass man sich bei der Durchsetzung der Politik des politischen Zentrums auf das Spitzenpersonal der Linken in Bremen und Mecklenburg-Vorpommern verlassen kann – selbst wenn man damit die Positionen der eigenen Partei unterminiert.
Mit einer Regierungsbeteiligung ergibt sich automatisch eine Kräfteverschiebung in der Partei. Es dominieren die Senatorinnen oder die Ministerinnen regelmäßig die Fraktion. Sie haben den direkten Zugang zu den Verwaltungsapparaten und einen strukturellen Wissensvorsprung. Dies gilt grundsätzlich auch immer für Fraktionen, die über Mitarbeitende verfügen und in Vollzeit Politik machen können. Sie verfügen über deutlich größere Ressourcen als die Partei, deren Arbeit nur von wenigen Hauptamtlichen und vielen Ehrenamtlichen getragen wird. Doch die Fraktionen halten sich mit der öffentlichen und innerparteilichen Kritik an der Regierung zurück, um die eigenen Genossinnen und Genossen in der Regierung nicht zu beschädigen.
Regierungsbeteiligungen verändern sozialistische Parteien. Der Anspruch, eine »Gesellschaft des demokratischen Sozialismus« aufzubauen, wird zugunsten einer Fokussierung auf das, was innerhalb der neoliberalen Logiken der Staatsapparate machbar ist, aufgegeben. Wie die historische Erfahrung zeigt, ist der Spielraum für sozialistische Politik bei der Beteiligung an der Regierung in bürgerlichen Staaten sehr klein. Schuldenbremse, knappe Haushalte, europäisches Recht und Vergaberecht sowie die Tatsache, dass die Steuern auf Bundesebene festgelegt werden, lassen kaum sozialdemokratische Politik zu und noch weniger sozialistische. Das gilt besonders dann, wenn man als kleiner Koalitionspartner mit neoliberalen Parteien wie SPD und Grünen koalieren muss.
»Die Konsequenz kann nur sein, diejenigen, die diese Entscheidungen getroffen haben, zukünftig nicht mehr bei der Aufstellung für Mandate zu berücksichtigen.«
Die Regierungspraxis beschränkt sich auf das Verhindern der schlimmsten Kürzungen und konstruktive Vorschläge zum Umsetzen des Kürzungszwangs. Umso mehr wird der Blick dann auf die schmalen Möglichkeitsräume innerhalb knapper Haushalte gerichtet. So gelten derzeit die kurzfristigen Finanzierungszusagen von Projekten, die im nächsten Haushaltsjahr wieder infrage gestellt werden, mitunter schon als der Erfolg linker Regierungen. Eine Veränderung, die im Alltag der lohnarbeitenden Klasse spürbar ist, folgt daraus in der Regel nicht.
Die Perspektive verengt sich darauf, kleine sozialdemokratische Projekte und symbolische Handlung medial so aufzubereiten, dass sie als Erfolge linker Regierungsbeteiligung gelten können. Aus diesem Blickwinkel betrachtet, kann es auch als Erfolg gelten, ein paar hundert Millionen Euro mehr Schulden aufnehmen zu dürfen, auch wenn diese geringen Mittel kaum ausreichend sind, um die vorhandenen Bedarfe zu decken und die Ausgestaltung der Sondervermögen und des Zugriffs der Länder darauf noch völlig unklar sind.
Dazu treten die objektiven Interessen des Regierungspersonals. Ist auch für die lohnarbeitende Klasse der Erfolg der Regierungsbeteiligung kaum spürbar, so bieten sich für diejenigen, die in Regierungsposition landen, neue Karrierechancen, die es sonst kaum für sie geben würde. Das individuelle Interesse – insbesondere des Spitzenpersonals – in der Regierung zu bleiben und eine gute Beziehung innerhalb der Koalition aufrechtzuerhalten, ist daher groß. Auch wenn dies mitunter bedeutet, eigene politische Überzeugungen über Bord zu werfen, sich über die Beschlusslage der Partei hinwegzusetzen und die Basis über die realen Möglichkeiten, in der Regierung wirklich etwas verändern zu können, zu täuschen.
Auch innerhalb der Staatsapparate oder bei staatlich finanzierten Projekten und Nichtregierungsorganisationen ergeben sich durch eine Regierungsbeteiligung bessere Perspektiven für Teile der Mitgliedschaft. Die Nähe zur Regierung über Parteinetzwerke wird oft als vorteilhaft bei der Besetzung von Stellen in Verbänden gesehen oder für die Finanzierung von Projekten des eigenen Verbandes. Parteien versuchen zudem, relevante Positionen in der Verwaltung mit eigenen Leuten zu besetzen und eröffnen so zusätzliche Zugänge zu gut dotierten Positionen.
Das Problem liegt also nicht allein an den Entscheidungen einiger weniger Funktionäre, sondern ist strukturell in der Regierungsbeteiligung angelegt. Die einzige Möglichkeit, dem entgegenzuwirken, ist eine aktive Basis, die die eigenen Funktionäre verantwortlich hält.
Die Konsequenz kann nur sein, diejenigen, die diese Entscheidungen getroffen haben, zukünftig nicht mehr bei der Aufstellung für Mandate zu berücksichtigen, sondern Mitglieder der Partei aufzustellen, die sich an das Parteiprogramm und die Beschlusslage gebunden fühlen. Zudem ist die Beteiligung an Regierungen prinzipiell infrage zu stellen. Auch dafür braucht es eine Parteibasis, die den Erfolg der Regierungsbeteiligung nicht an der Selbsterzählung derer misst, die ein Interesse an der Fortführung des Regierungsgeschäfts haben, sondern daran, was wirklich für die lohnabhängige Klasse zu erreichen ist.
Fabian Nehring ist Politikwissenschaftler und aktives Mitglied bei der Linken in Berlin.