21. November 2024
Russlands Angriff auf die Ukraine ist zu einem Stellvertreterkrieg zwischen Nord- und Südkorea geworden: Beide Staaten liefern Waffen an die Kriegsparteien. Nachdem Kim Jong-un sogar Truppen ins Kampfgebiet entsendet hat, droht eine weitere Eskalation.
Wladimir Putin beim Staatsbesuch in Pjöngjang, 19. Juni 2024.
Nordkorea unterstützt Russland in dessen Krieg gegen die Ukraine. Laut US-Regierungsbeamten befinden sich derzeit mehr als zehntausend nordkoreanische Soldaten auf russischem Boden. Sie sollen offenbar an russischen Militäroperationen zur Rückeroberung verlorener Gebiete in der Region Kursk mitwirken. Laut der US-Regierung war die ukrainische Armee bereits in Kämpfe mit nordkoreanischen Kräften verwickelt. Auch Wladimir Putin bestritt deren Anwesenheit nicht, als er vergangenen Monat auf dem BRICS-Gipfel danach gefragt wurde.
Die Entsendung dürfte sowohl den Verlauf des Zermürbungskriegs mitten in Europa als auch die seit Jahrzehnten anhaltende militärischer Rivalität zwischen den beiden Staaten auf der koreanischen Halbinsel verändern.
Schon lange vor der Stationierung in Nordkorea war der Ukraine-Konflikt zu einer Art Stellvertreterkrieg für die beiden Koreas geworden: Beide Staaten sind wichtige Quellen für die Lieferung von Artilleriegeschossen und Munition – von Südkorea aus gehen Güter in die Ukraine (aktuell indirekt über die USA und Polen) und von Nordkorea nach Russland. Die beiden koreanischen Staaten waren in einer guten Position, die gesteigerte Nachfrage nach Munition zu decken: ihr eigener permanenter Kriegszustand steht in deutlichem Kontrast zum schrittweisen Abbau konventioneller Waffen in Europa seit dem Ende des Kalten Krieges.
Natürlich profitieren sie auch: Nordkorea will die chronische Ernährungsunsicherheit zumindest teilweise lindern, indem es Mehl und Mais als Gegenleistung für an Russland gelieferte Patronen und Raketen erhält. Südkorea positioniert sich seinerseits als aufstrebender Anbieter von Hightech- sowie erschwinglicher konventioneller Kriegsausrüstung. Seoul unterstützt nun offiziell die NATO und rüstet die neuen mitteleuropäischen Mitglieder des Bündnisses ebenso auf wie diverse weitere Länder im Nahen Osten und in Asien. Im Jahr 2021 exportierte Südkorea Waffen im Wert von 7,3 Milliarden US-Dollar; 2023 hat sich diese Zahl auf 14 Milliarden US-Dollar fast verdoppelt. Inzwischen ist das Land der zehntgrößte Waffenhändler der Welt.
»Kims durchaus risikobehaftete Entscheidung fußt auf jahrelangen diplomatischen, militärischen und ökonomischen Misserfolgen der nordkoreanischen Führung.«
Kurzfristige ökonomische Motive allein können aber nicht erklären, warum der nordkoreanische Staatschef Kim Jong-un sich nun entschieden hat, seine Elite-Infanteriebrigaden Wladimir Putin zur Verfügung zu stellen, der sicherlich nicht zögern wird, diese als entbehrliche Söldner auf dem Schlachtfeld einzusetzen und zu opfern. Kims durchaus risikobehaftete Entscheidung fußt vielmehr auf jahrelangen diplomatischen, militärischen und ökonomischen Misserfolgen der nordkoreanischen Führung.
Im Zuge der Stationierung seiner Soldaten wird sich Nordkorea nicht nur militärisch, sondern auch wirtschaftlich an Russland annähern. Damit gibt das asiatische Land seine jahrelange Taktik auf, die benachbarten Großmächte gegeneinander auszuspielen und sich nicht zu sehr auf einzelne Partner zu verlassen. Diesen Ansatz hatte der Gründer und erste Führer Nordkoreas, Kim Il-sung, nach Ende des Koreakriegs (1950–1953) ab 1956 gewählt, um seine Herrschaft über den neuen, aber vom Krieg zerrütteten Staat zu festigen.
Der ehemalige antijapanische Guerillaführer war der Ansicht, das neue Nordkorea müsse von allen ausländischen Einflüssen unabhängig bleiben, inklusive der ihm potenziell wohlgesonnenen Sowjetunion und China. Die beiden führenden kommunistischen Mächte hatten tatsächlich ihre eigenen Fraktionen innerhalb der Arbeiterpartei Koreas gefördert. Kim säuberte die Partei erfolgreich von diesen beiden Strömungen, blieb angesichts der strategisch wichtigen Lage des Landes im Kalten Krieg für Moskau und Peking aber trotzdem unverzichtbar. Darüber hinaus machte es die zunehmende chinesisch-sowjetische Rivalität unmöglich, einen anderen Führer in Nordkorea einzusetzen, der für beide Mächte akzeptabel gewesen wäre.
In den 1930er Jahren war Kim der Kommunistischen Partei Chinas beigetreten, um Unterstützung für seine Guerilla-Kampagne gegen den japanischen Imperialismus in der Mandschurei zu finden. Später floh er angesichts einer intensiven japanischen Fahndung in die UdSSR, wo er Asyl beantragte, bis er 1945 in die nördliche Hälfte der Halbinsel Korea zurückkehrte (die nach Ende des Zweiten Weltkrieges zunächst unter sowjetischer Besatzung stand). Drei Jahre später gründete Kim unter maßgeblicher sowjetischer Aufsicht die Demokratische Volksrepublik Korea (DVRK) im Norden. Im Gegenzug rief der von den USA unterstützte rechtsgerichtete Rhee Syng-man in der amerikanisch besetzten Südhälfte die Republik Korea aus.
»Die Industrialisierung Nordkoreas wurde durch die exzessive Ausbeutung des Landes in Kombination mit einer Massenmobilisierung der Arbeiterschaft ermöglicht.«
Als nationalistischer Kämpfer war Kim mindestens einmal sowohl in der UdSSR als auch in den von der KP kontrollierten Gebieten Chinas entwaffnet und inhaftiert worden. Daher hegte er gegenüber beiden Mächten tiefe Skepsis und versuchte stets, Moskau und Peking und ihre jeweiligen Versuche der Einflussnahme auf die DVRK gegeneinander auszuspielen.
Insgesamt wurde die politische Ökonomie Nordkoreas unter Kim durch zwei ineinandergreifende, aber dennoch eigenständige Gebote geprägt: Erstens musste das Entstehen jeglicher politischen Opposition unterbunden werden. Eine starke Opposition hätte seiner Ansicht nach dazu führen können, dass sich Peking und Moskau zu stark einmischen, oder dass sogar eine militärische Intervention Südkoreas und der Vereinigten Staaten provoziert werden könnte. Zweitens strebte Kim eine autarke nordkoreanische Wirtschaft mit einer robusten Industriebasis an, die es der DVRK ermöglichen würde, autark zu sein und auf eigenen Füßen zu stehen.
Kim stellte sorgfältig eine nordkoreanische Elite aus den Reihen seiner Guerillakameraden und deren Großfamilien sowie jungen nationalistischen Technokraten zusammen. So kam es zu einem Übergang von Kims Herrschaft zu einem Modell der Erbfolge, das sich nun über siebzig Jahre bis zu seinem Enkel Kim Jong-un erstreckt. Die Mitglieder der breiteren Elite betrachten das bestehende System als Faustpfand dafür, dass ihre eigenen politischen und wirtschaftlichen Interessen garantiert bleiben. Aus ihrer Sicht ist die Wahrung ihrer Interessen mit der nationalen Souveränität der DVRK gleichzusetzen.
Kims Streben nach Autarkie dieses Staates, den der Kalter-Krieg-Experte Kenneth Jowitt als »Einfamiliensozialismus« charakterisierte, erwies sich jedoch spätestens Anfang der 1990er Jahre als katastrophal: Nordkorea erlebte eine der schlimmsten Hungersnöte in der Geschichte der modernen Industrieländer. Das Ereignis stand symbolhaft für einen dramatischen Zusammenbruch, nachdem es lange Zeit so ausgesehen hatte, als würde die DVRK ihren südlichen Nachbarn bei der Entwicklung überflügeln. Denn in den ersten beiden Nachkriegsjahrzehnten hatte sich Nordkorea schnell und auf beeindruckende Weise erholt. Die Cambridge-Wirtschaftswissenschaftlerin Joan Robinson prägte einst den Begriff »koreanisches Wunder«. Robinson besuchte das Land 1965 – eine absolute Seltenheit unter westlichen Forscherinnen – und meinte, »etwas im nationalen Charakter« zu erkennen, das die Bemühungen der DVRK um eine eigenständige wirtschaftliche Entwicklung antrieb: »In Kuba beispielsweise sind die Probleme ähnlich groß und der revolutionäre Enthusiasmus nicht geringer, aber das Tempo [der Gegenmaßnahmen] ist nicht dasselbe. Die intensive Konzentration der Koreaner auf Nationalstolz ebenso wie auf nationale Missstände ist gänzlich anders als der sonnig-freundliche Stil Kubas – aber deutlich effektiver.«
Robinson erkannte damals offenbar nicht, dass diese Entwicklung mit zunehmend verheerenden Kosten für Mensch und Umwelt einhergehen würde: Das Land war zu stark von heimischer Kohle und Wasserkraft abhängig; und nur 16 Prozent der Landfläche waren landwirtschaftlich nutzbar. Der »nationale Charakter« der Nordkoreaner konnte diese Nachteile nicht wettmachen, selbst wenn er mit allen technischen Fortschritten kombiniert wurde, die bald zur Verfügung standen.
Die Industrialisierung Nordkoreas wurde durch die exzessive Ausbeutung des Landes in Kombination mit einer Massenmobilisierung der Arbeiterschaft ermöglicht. Ab den 1980er Jahren führten Bodendegradation und Entwaldung jedoch zu einem Rückgang der landwirtschaftlichen Produktion und Produktivität. Als Reaktion darauf mobilisierten die Behörden noch mehr Arbeitskräfte und Ressourcen, um diesen Rückgang umzukehren, was jedoch nur zu noch mehr Entwaldung und einer größeren Abhängigkeit von bodenschädigenden chemischen Düngemitteln und Pestiziden führte. So wurden die Wassersysteme bei den saisonalen Starkregenfällen ebenso anfällig wie bei Dürren. Dadurch wiederum wurde die Energiezufuhr durch Wasserkraft und auch durch Kohlebergbau, der stark von elektrischen Wasserpumpen abhängig war, beeinträchtigt.
Nordkorea wurde somit entgegen der früheren Doktrin zu einem Nettoimporteur von Lebensmitteln und Energie. Dem Land blieb kaum eine andere Wahl, als sich an die UdSSR und China zu wenden, um Getreide, Öl und sogar Kohle aus den sozialistischen Bruderstaaten zu entsprechenden »brüderlichen Preisen« zu kaufen.
Von Beginn an spielten Frauen eine wichtige Rolle in Nordkorea: In den 1950er Jahren herrschte in der kriegszerstörten Wirtschaft, die dringend industrialisiert werden musste, chronischer Arbeitskräftemangel. Dies führte schon früh in der Geschichte der DVRK zur massenhaften Beschäftigung von Frauen in einer Vielzahl von Berufen; von der einfachen körperlichen Arbeit bis hin zu hohen Fachpositionen. Laut Robinson machten Frauen Mitte der 1960er Jahre 49 Prozent der Erwerbsbevölkerung aus (bei 51 Prozent Frauen in der Gesamtbevölkerung). Die Führung hob althergebrachte rechtliche Beschränkungen auf und schrieb die rechtliche Gleichstellung von Frauen vor – Jahrzehnte, bevor Nachbarn wie Südkorea oder Taiwan dies taten.
»Die Hungersnot machte auf schmerzhafte Weise deutlich, wie fragil der Status der herrschenden Elite Nordkoreas sein kann – und bestärkte sie in ihrer Skepsis gegenüber Russland und auch China.«
Die allgemeinen Rechte der Frauen entwickelten sich jedoch nicht entsprechend ihrer wachsenden Rolle in der Gesellschaft und vor allem in der Arbeitswelt. Zugang zu Verhütungsmitteln und Schwangerschaftsabbrüchen ist nach wie vor nicht möglich, obwohl diese nicht offiziell verboten sind. Darüber hinaus sprechen Ehefrauen ihre Ehemänner auch heute noch oft mit juin (주인) an, einem Begriff, der etymologisch vom japanischen Wort shuzen (主人) abgeleitet ist, was sowohl »Herr/Meister« als auch »Ehemann« bedeutet. Gebräuchlich ist außerdem sedaeju (세대주) – »Haushaltsvorstand« oder »Familienoberhaupt«.
Nach den bereits problematischen 1980er Jahren kam es Mitte der 1990er zu einem ungewöhnlich lang anhaltenden El Niño. Das Wetterphänomen mit seiner abwechselnden Folge von sintflutartigen Regenfällen und Dürren verwüstete Nordkorea. Der Staat war völlig unvorbereitet auf die Krise – ganz im Gegensatz zu den benachbarten wirtschaftlichen Schwergewichten Japan und Südkorea, die ebenfalls von Regen und Dürren betroffen waren. Die extremen Wetterbedingungen setzten der ohnehin anfälligen und maroden Landwirtschaft und Industrie der DVRK weiter zu. Hinzu kamen die erschöpften Devisenreserven – und nach dem Zusammenbruch des sowjetisch dominierten Ostblocks konnte Nordkorea auch nicht mehr Lebensmittel und Energie zu den »brüderlichen« Freundschaftspreisen kaufen. Das Ergebnis war eine der schlimmsten Hungersnöte in der modernen Industriegeschichte. Etwa 3 Millionen Menschen starben; zahlreiche Menschen schafften es zumindest, nach China, Südkorea und in andere Teile Asiens zu flüchten.
Die Hungersnot machte auf schmerzhafte Weise deutlich, wie fragil der Status der herrschenden Elite Nordkoreas sein kann – und bestärkte sie in ihrer Skepsis gegenüber Russland und auch China. Diese zeigten sich tatsächlich nicht als allzu verlässliche Verbündete: Das postsowjetische Russland, das selbst mit schweren politischen und wirtschaftlichen Schwierigkeiten zu kämpfen hatte, konnte nicht helfen, sodass sich Nordkorea an China wandte. Doch der große Nachbar der DVRK mit seiner boomenden Wirtschaft schränkte die Hilfslieferungen ebenfalls immer öfter ein, denn in Peking wollte man nicht gegen die internationalen Sanktionen gegen Nordkorea verstoßen. Schließlich schickte sich China an, bald der Welthandelsorganisation beizutreten.
China, die USA und (in geringerem Maße) Südkorea leisteten dennoch genug Unterstützung, um Nordkorea über Wasser zu halten. Offenbar waren sich die Führungen der drei Länder einig, man könne sich einen raschen Zusammenbruch beziehungsweise eine Implosion der DVRK, die sie selbst mit riesigen finanziellen und politischen Kosten belasten würde, nicht leisten. US-amerikanische und südkoreanische Beamte hofften, die Kombination aus Nothilfe und behutsamen Aufrufen zum Wandel würden schließlich zur friedlichen Absetzung der Familie Kim und zur Einführung einer liberalen Marktwirtschaft führen. Das nordkoreanische Regime überstand die Hungersnot-Jahre aber unbeschadet.
Die nordkoreanische Elite kam zu dem Schluss, sie müsse ihren eigenen Weg finden, um ihren Status als weitgehend ignorierter Staat loszuwerden. Dabei sollten Atomwaffen helfen: Die Machthaber der DVRK hatten dieses Projekt nach dem Zusammenbruch des Ostblocks Anfang der 1990er Jahre besonders forciert. Grund für den Wunsch nach Atomwaffen war auch die seit dem Koreakrieg anhaltende Angst vor einem US-Atomschlag. Diese Angst war durchaus berechtigt und die Bedrohung real: Während des Koreakriegs brachte der US-General Douglas MacArthur beispielsweise offen den Einsatz einer Atombombe an der Grenze zwischen China und Nordkorea ins Spiel, um weitere chinesische Interventionen in den Konflikt auf der koreanischen Halbinsel zu verhindern. Als die nordkoreanische Marine 1968 das US-Spionageschiff Pueblo beschlagnahmte, musste Lyndon B. Johnson feststellen, dass er als Vergeltung nicht wie gewünscht militärische Ziele in Nordkorea bombardieren lassen konnte, weil alle in Südkorea stationierten US-Bomber ausschließlich mit Atomwaffen bestückt waren; konventionelle Waffen standen schlichtweg nicht zur Verfügung.
»Das Streben nach Atomwaffen hat auf beiden Seiten der koreanischen Grenze tiefliegende innenpolitische Wurzeln, die mit nationalistischem Stolz und dem Wunsch nach einem starken Staat in diesen hoch militarisierten Systemen verknüpft sind.«
Zwar haben die USA ihre Atomwaffen aus Südkorea 1990 abgezogen, doch ganz in der Nähe – auf Guam und in U-Booten – bleiben noch zahlreiche Sprengköpfe stationiert, die Washington bei Bedarf sehr schnell gegen die DVRK einsetzen könnte.
Darüber hinaus hat das Streben nach Atomwaffen auf beiden Seiten der koreanischen Grenze tiefliegende innenpolitische Wurzeln, die mit nationalistischem Stolz und dem Wunsch nach einem starken Staat in diesen hoch militarisierten Systemen verknüpft sind. Die Erinnerung an die Atombombenabwürfe der USA, mit denen Japan, der damalige Kolonialherr in Korea, in die Knie gezwungen wurden, hat sich tief in das Bewusstsein der Machthaber in Pjöngjang und Seoul gleichermaßen eingebrannt.
Während des Koreakrieges beauftragte dementsprechend das südkoreanische Militär einen japanischen Wissenschaftler – der sich später als Betrüger entpuppte – mit dem Testen einer Atombombe auf einer abgelegenen Insel. Noch in den 1970er Jahren trieb der starke Mann Südkoreas, Park Chung-hee, heimlich die Entwicklung eines Atomwaffenarsenals voran. Letztendlich vereitelte die Schutzmacht USA diese Ambitionen, da man in Washington entschlossen war, eine weitere Verbreitung von Atomwaffen zu verhindern (und die militärische und politische Abhängigkeit Südkoreas von den USA aufrechtzuerhalten).
Unterdessen versuchte auch die Familie Kim im Norden, eigene Atomwaffen zu entwickeln. Diese sollten als Garant für einen starken Staat dienen, der frei von Einmischung der Supermächte ist, und gleichzeitig die militärische und politische Überlegenheit gegenüber dem südlichen Rivalen demonstrieren. 1964 lehnte Mao Zedong Nordkoreas Hilfeersuchen beim Thema Atomwaffen stillschweigend ab, aber Kim Il-sung konnte mit Hilfe der Sowjetunion weiterhin Atomprojekte für zivile und auch für militärische Zwecke vorantreiben.
Das ging einige Jahrzehnte so. Atomwaffen wurden zum vermeintlichen Garant für das, was die DVRK nach Ansicht der heimischen Eliten werden müsse: ein starker, souveräner Staat, der in der Lage ist, den Vereinigten Staaten und im Prinzip der ganzen Welt auf Augenhöhe gegenüberzutreten, während Südkorea als schwacher US-Lakai ins Abseits gedrängt würde. Als Washington in den 1990er Jahren mit einem gezielten Militärschlag auf die Nuklearanlagen Nordkoreas drohte, drängte Kim Jong-il seinen Vater, nicht nachzugeben: »Eine Erde ohne die DVRK sollte es nicht geben.« Noch heute wird diese Forderung häufig in Nordkoreas offiziellen Medien zitiert.
Nach sechs Atomtests mit einem offenbar nahezu einsatzbereiten Interkontinentalraketensystem – alles auf Kosten einer buchstäblich verhungernden Bevölkerung – wähnte sich der aktuelle Machthaber Kim Jong-un wohl schon auf der Zielgeraden: Er würde die Vision eines starken und unangreifbaren Nordkoreas, die sich über drei Generationen hinweg entfaltet hatte, endlich Realität werden lassen.
Doch die Bilanz seiner dreizehnjährigen Regierungszeit sieht anders aus. Mit der kurzen Ausnahme bei Donald Trumps Gipfeltreffen mit Kim in den Jahren 2018/19 haben sich die Vereinigten Staaten konsequent geweigert, Nordkorea als Nuklearstaat auf Augenhöhe anzuerkennen. Zudem setzten sie dem Norden mit verschärften Sanktionen weiter zu, während die wirtschaftlichen und militärischen Allianzen mit Japan und Südkorea ausgebaut wurden.
Ein Großteil der südkoreanischen Zivilgesellschaft mag einst Sympathie und Respekt für den Norden gehegt haben, oft infolge nationalistischer Wiedervereinigungsträume oder einer gewissen Bewunderung für Pjöngjangs Trotzhaltung gegenüber den mächtigen Vereinigten Staaten. Angesichts der katastrophalen Menschenrechtssituation und der permanenten wirtschaftlichen Notlage herrscht nun aber seit Jahrzehnten die Ansicht vor, das nordkoreanische Regime sei eine Schande für alle koreanischen Menschen.
Südkorea hat derweil seine High-Tech-Industrie genutzt, um alle Bereiche seiner Streitkräfte mit hochmodernen Waffensystemen auszustatten – mit Ausnahme von Atomwaffen. Nordkorea hingegen war jahrzehntelang nicht in der Lage, seine konventionelle militärische Ausrüstung zu modernisieren, und kann heute praktisch nur noch auf [vermeintliche] Atomwaffen als Zeichen der Stärke verweisen.
»Kim Jong-un glaubt, dass der Krieg in der Ukraine das globale geopolitische Umfeld verändern wird und er davon profitieren kann.«
Dennoch hat die DVRK in letzter Zeit eine härtere Haltung gegenüber dem Süden eingenommen. Im vergangenen Jahr kündigte Kim Jong-un an, er werde die nordkoreanische Verfassung ändern und die beiden Koreas zu einzelnen, getrennten Staaten erklären. Bisher hatte man sie als zwei Teile einer geteilten Nation angesehen, die wiedervereinigt werden müssten. Im Oktober 2024 wurde auf einem Kongress der Regierungspartei tatsächlich eine neue Verfassung verabschiedet, ihr Inhalt bislang aber geheim gehalten. In einer Ansprache an einer Militärakademie bekräftigte Kim jedoch kurz später seine frühere Ankündigung: »In der Vergangenheit haben wir oft von der Befreiung des Südens und der Wiedervereinigung durch Gewalt gesprochen. Heute sind wir nicht mehr an ihnen [und] ihrem separaten Staat interessiert.« Als Warnung gen Süden sagte Kim weiter: »Ein weiser Politiker würde sich mehr auf die Bewältigung der aktuellen Situation konzentrieren, anstatt sich auf Konfrontation mit einer Atommacht einzulassen.«
Zeitgleich haben die Beziehungen Nordkoreas zu China einen Tiefpunkt erreicht. Grund dafür ist unter anderem Kim Jong-uns Vorgehen, um seine Macht zu sichern. So ließ er 2013 seinen Onkel, den Peking nahestehenden Jang Song-thaek, hinrichten, bevor 2017 auch sein im Exil lebender Halbbruder Kim Jong-nam ermordet wurde. Der nordkoreanische Machthaber war offenbar der Ansicht, China wolle diesen Halbbruder als seinen Nachfolger aufbauen.
Das Misstrauen Nordkoreas gegenüber China schlug 2023 in offene Wut um, als der Ex-Verbündete die jüngste Sanktionsrunde der Vereinten Nationen unterstützte und auch noch begann, diese tatsächlich einzuhalten. Im Kontext eines »neuen Kalten Krieges« will Chinas Führung offensichtlich lieber die eigenen wirtschaftlichen Interessen schützen, die nun einmal eng mit der nach wie vor von den USA dominierten Weltwirtschaft verstrickt sind, als diese gegenüber den persönlichen Befindlichkeiten von Kim Jong-un hintanzustellen. Chinesische Regierungsbeamte sehen den störrischen DVRK-Führer zunehmend als Belastung, die allerdings noch immer eine strategisch wichtige Pufferzone zwischen dem chinesischen Staatsgebiet und dem des engen US-Verbündeten Südkorea regiert.
Die nordkoreanische Wirtschaft hat nach wie vor nicht ihr Leistungsniveau von vor der Hungersnot erreicht und leidet unter den regelmäßigen Energie- und Lebensmittelknappheiten. Die offiziellen Lieferungen werden durch informelle Märkte ergänzt, die vor allem mit aus China geschmuggelten Waren sowie Produkten aus kleinen heimischen Betrieben und Gemüsegärten bestückt sind. Dieser informelle Sektor wird inzwischen von aufstrebenden Geschäftsmännern, den sogenannten »Money Lords«, beherrscht. Diese halten die Kontrolle über immer ausgeklügeltere Finanzierungssysteme und Lieferketten außerhalb der staatlichen Aufsicht. Von diesen Systemen, die per Schmiergeldern und persönlichen Beziehungen geknüpft und gepflegt werden, profitieren wohl auch einige aus den obersten Rängen der Parteibürokratie. Da ihr Einfluss zunimmt und somit die (informelle) wirtschaftliche Abhängigkeit Nordkoreas von China wächst, könnten die Money Lords möglicherweise eine zukünftige Bedrohung für Kims Ein-Mann-Herrschaft darstellen.
Dies sind die Faktoren und Entwicklungen hinter Kim Jong-uns Entscheidung, Truppen nach Russland zu entsenden. Er glaubt, dass der Krieg in der Ukraine das globale geopolitische Umfeld verändern wird und er davon profitieren kann.
Moskau und Pjöngjang betonen beide, jegliche militärische Unterstützung stehe im Einklang mit dem Völkerrecht, und verweisen dabei auf einen neuen Verteidigungsvertrag. Diese Vereinbarung verpflichtet beide Staaten, sich gegenseitig mit allen Mitteln zu unterstützen, falls eines der Länder in einen Krieg verwickelt wird.
Auf der koreanischen Halbinsel selbst könnte der Abzug der nordkoreanischen Eliteeinheiten in Richtung Russland zumindest vorübergehend die Wahrscheinlichkeit militärischer Zusammenstöße verringern (zuvor waren die Spannungen seit dem Scheitern der letzten bilateralen Friedensbemühungen im Jahr 2020 zunehmend eskaliert). Die Geschichte lehrt jedoch, dass sich die Beteiligung Nord- oder Südkoreas an einem weit entfernten Konflikt bald auch auf die Heimat auswirkt.
»Südkorea könnte seine eigenen Ambitionen im Bereich Atomwaffen wieder verstärken. Begünstigt würde dies auch durch die Wahl von Donald Trump, dessen Haltung zur Nichtverbreitung von Atomwaffen bestenfalls als ambivalent bezeichnet werden kann.«
Ein Rückblick: Mit finanzieller Unterstützung der Vereinigten Staaten waren vor knapp 60 Jahren insgesamt 320.000 südkoreanische Soldaten (mehr als 50 Prozent der damaligen Bodentruppen des Landes) in den Vietnamkrieg gezogen. Nordkorea reagierte darauf mit der heimlichen Entsendung von sogenannten Einheiten für psychologische Kriegsführung und einer Staffel von Kampfpiloten nach Nordvietnam. Während große südkoreanische Kontingente zwischen 1966 und 1969 in Vietnam stationiert waren, setzte Nordkorea kleine, aber intensive Nadelstiche gegen die südkoreanischen und die US-Streitkräfte.
Diese Zeit wurde später von US-Militärhistorikern als DMZ-Konflikt oder Zweiter Koreakrieg bezeichnet, weil es neben den Kämpfen in Vietnam auch zu Scharmützeln und Hinterhalten rund um die entmilitarisierte Zone (Demilitarized Zone, DMZ) kam. Zum ersten Mal seit dem Waffenstillstand von 1953 schickte Kim Il-sung Kämpfer über die DMZ, um – allerdings erfolglos – die Guerilla-Aktionen aus Vietnam nachzuahmen. Diese Bemühungen erreichten ihren Höhepunkt im Januar 1968, als nordkoreanische Kommandos ebenfalls erfolglos versuchten, den Präsidentenpalast in Seoul zu stürmen und, wie bereits erwähnt, das US-Schiff Pueblo beschlagnahmten – und das alles innerhalb von elf Tagen.
Während die offizielle nordkoreanische Geschichtsschreibung diese drei Jahre als »zweite Front des vietnamesischen Befreiungskrieges« feiert, waren Kims Aktionen in Wirklichkeit ein eigennütziges Abenteuer, das nicht mit den Führern Nordvietnams koordiniert war. Laut der vietnamesischen Historikerin Do Thanh Thao Mien zeigte sich Ho Chi Minh frustriert, dass Kims kopflose Manöver daheim in Korea die weltweite Aufmerksamkeit von Vietnam ablenkten – und das zu einem kritischen Zeitpunkt, am Vorabend der Tet-Offensive. Hinzu kam, dass die vietnamesische »Nationale Befreiungsfront« wichtige politische Wurzeln in Südvietnam hatte, die von Kim geführten Vorstöße aber keinen entsprechenden Rückhalt in der lokalen Bevölkerung genossen. Kein Wunder, denn nicht selten gab es Opfer unter unschuldigen Zivilisten in den verarmten und abgelegenen Bergregionen Südkoreas, wenn nordkoreanische Kommandos aus dem Nichts auftauchten, um Dörfer zu erobern.
Sowohl Kim in Nord- als auch Park in Südkorea nutzten den Konflikt an der DMZ und die dadurch ausgelösten Ängste in der Bevölkerung, um ihre Macht zu festigen. Nach dem Konflikt begann Kim, die Grundlagen für eine Erbfolge zu schaffen, während Park Pläne für eine neue Verfassung ausarbeitete, die es ihm ermöglichen sollte, Präsident auf Lebenszeit zu werden.
Im heutigen Ukraine-Krieg scheinen die beiden koreanischen Staaten ihre Rollen, die sie vor mehr als einem halben Jahrhundert in Vietnam spielten, getauscht zu haben. Während Nordkorea tausende Soldaten entsendet, hat die konservative südkoreanische Regierung von Yoon Suk-yeol bisher lediglich angeboten, Geheimdienstmitarbeiter in die Ukraine zu entsenden, um bei der Befragung nordkoreanischer Gefangener zu helfen und Propagandakampagnen durchzuführen. Sie erwägt auch die direkte Lieferung von Waffen in die Ukraine. Die Öffentlichkeit in Südkorea steht solchen Schritten allerdings skeptisch gegenüber: Laut einer aktuellen Umfrage befürworten nur 13 Prozent eine militärische Unterstützung der Ukraine; 66 Prozent sind der Meinung, dass die Unterstützung auf humanitäre Hilfe beschränkt sein sollte.
Da auf beiden Seiten jedoch Hardliner an der Macht sind, ist davon auszugehen, dass die beiden Staaten wahrscheinlich mit weiterer Eskalation auf die Schritte des jeweils anderen reagieren werden. Dies wiederum wird die Spannungen auf der koreanischen Halbinsel verschärfen und könnte Südkorea schließlich dazu veranlassen, eigene Kampftruppen in die Ukraine zu entsenden. Darüber hinaus könnte Südkorea seine eigenen Ambitionen im Bereich Atomwaffen wieder verstärken. Begünstigt würde dies auch durch die Wahl von Donald Trump, dessen Haltung zur Nichtverbreitung von Atomwaffen bestenfalls als ambivalent bezeichnet werden kann.
Die USA und ihre NATO-Verbündeten würden ein stärkeres Engagement Südkoreas in einem Krieg, dessen Ende nicht abzusehen ist, wohl begrüßen. Schließlich könnte damit das Kämpfen beibehalten werden, ohne dass eine weitere Eskalation oder Mobilisierung in europäischen Staaten befürchtet werden muss. So könnte es also dazu kommen, dass bald (noch mehr) asiatische Soldaten auf einem europäischen Schlachtfeld auftauchen – mit allen damit verbundenen Gefahren. Für die internationale Antikriegsbewegung sollte das Anlass genug sein, erneut ein Ende aller Militäraktionen in der Ukraine zu fordern.
Kap Seol ist ein koreanischer Autor und Forscher und lebt in New York. Seine Artikel sind in unter anderem bei »Labor Notes«, »In These Times« und im »Business Insider« erschienen.