17. Februar 2025
Als Jan van Aken vor Monaten prognostizierte, seine Partei würde bei der Bundestagswahl weit über 5 Prozent erreichen, hat so gut wie niemand daran geglaubt. Nun sieht es so aus, als könnte er Recht behalten. Wie es dazu kam und wie es danach weitergeht, erklärt der Parteivorsitzende im Gespräch mit JACOBIN.
Jan van Aken und »Silberlocke« Bodo Ramelow bei einer Pressekonferenz in Berlin, 13. Februar 2025.
Als Jan van Aken im vergangenen Oktober zusammen mit der ehemaligen JACOBIN-Chefredakteurin Ines Schwerdtner das Ruder der Linkspartei übernahm, bestiegen sie ein sinkendes Schiff: Bei der Bundestagswahl 2021 war die Partei unter die 5-Prozent-Marke gerutscht, die Abspaltung des BSW schien die Partei zu schwächen, bei den darauffolgenden Europa- und Landtagswahlen steckte man eine Niederlage nach der anderen ein. Ob öffentlich oder hinter vorgehaltener Hand zweifelten immer mehr Menschen daran, dass Die Linke in Deutschland nochmal die Kurve kriegt.
Keine sechs Monate später muss man feststellen, dass Die Linke ein fulminantes Comeback hingelegt hat: Die Partei legt in den Umfragen zu, die Mitgliederzahlen sind so hoch wie nie zuvor. Auch wenn die Partei ihre alte Stärke noch lange nicht zurückerlangt hat, scheint dennoch klar zu sein, dass die Partei eine Zukunft hat.
Doch was passiert nach der Wahl? Wie kann Die Linke besser als in der Vergangenheit im Alltag der Menschen präsent sein, den Kampf für eine gerechte Gesellschaft in- und außerhalb des Parlaments führen und vor allem verhindern, dass sich die Partei in vier Jahren in der gleichen Sackgasse befindet? Darüber sprach Parteivorsitzende Jan van Aken mit JACOBIN.
Vor kurzem noch sah es für Die Linke noch düster aus, 2021 habt ihr das schlechteste Wahlresultat in Eurer Geschichte eingefahren, seitdem auch wichtige Landtagswahlen verloren und seid damit aus der Regierung geflogen, in Thüringen etwa. Innerhalb weniger Wochen hat sich das Blatt gewendet: Heute erreicht Die Linke in Umfragen 7 Prozent und wäre damit im Parlament. Wie habt Ihr den Turn-Around geschafft?
Viele Menschen machen sich Sorgen, dass hinter der Bundestagswahl das Grauen lauert. Bürgergeldempfängerinnen, Migranten, Menschen, die in der Klimabewegung aktiv sind, es gibt viele, die richtig Schiss haben davor, was da kommt. Da ist Die Linke ein Hoffnungsschimmer. Unser Antifaschismus kommt vom Herzen.
Wir haben einen klaren Fokus: die Mieten und die Lebenserhaltungskosten. Auf die Grünen und die SPD ist da kein Verlass. Die haben drei Jahre regiert und weder bei der Deckelung der Mieten noch bei der Vermögensteuer ist etwas passiert. Unser Zuspruch ist so groß, weil die Leute spüren, dass hier etwas in Bewegung ist. Sie sehen, dass wir eine klare Haltung haben, dass wir kämpfen – und dass es wieder Spaß macht, links zu sein. Die Freude ist zurück, die Energie ist da, und das steckt an.
Aufmerksamkeit erregt hat vor allem Eurer engagierter Haustürwahlkampf. In Leipzig hat Nam Duy Nguyen damit ein Direktmandat bei der Landtagswahl gewonnen, in Lichtenberg und Neukölln beispielsweise versuchen Ines Schwerdtner und Ferat Kocak mit derselben Strategie Direktmandate im Bund zu holen. Ist das nur eine Wahlkampftaktik oder zeigt sich darin auch, dass ein neuer Geist in der Partei herrscht?
Wir legen jetzt die Grundlage für die Arbeit der nächsten vier Jahre. Natürlich ist es unser Ziel in den Bundestag zu kommen, um dort substanzielle Veränderungen durchzusetzen, aber wir setzten nicht auf die parlamentarische Arbeit alleine. Den Mietendeckel werden wir nur im Zusammenspiel mit der Gesellschaft ermöglichen können.
»Unsere Aufgabe ist es, die ökonomischen Themen, die soziale und die Gerechtigkeitsfrage wieder nach vorne zu spielen gegen diesen spalterischen Migrationsdiskurs.«
Es geht also immer auch um gesellschaftliche Mehrheiten und den notwendigen Druck von der Straße. Die Arbeit im Parlament und die Mobilisierungen auf der Straße sollten Hand in Hand gehen. Das kann viele Formen annehmen, etwa das Schlagwort Kümmererpartei: dass man vor Ort ansprechbar ist, wenn die Menschen Probleme haben, dass wir da die Kraft sind, die gemeinsam mit den Menschen kämpft.
Kannst Du mir ein paar konkrete Beispiele nennen, wie Ihr das ausgestaltet mit der Kümmererpartei? Ihr habt ja jetzt auch angefangen, Eure Gehälter zu deckeln auf Durchschnittslohnniveau, nach dem Vorbild der KPÖ. Wie äußert sich das konkret für Menschen in einem Wahlkreis?
Erstens bieten wir mit »Die Linke hilft« konkrete Beratung bei Problemen mit dem Vermieter oder im Jobcenter zum Beispiel. Und wir wollen, dass alle Abgeordneten im Bundestag regelmäßig Sozialsprechstunden anbieten, und zwar selber, nicht durch Mitarbeitende. Wenn Du hörst, was da draußen wirklich los ist, bleibst du geerdet.
Ich kann's Dir von Hamburg sagen, wir haben klassische Hochhaus-Stadtteile, wo wir seit Jahren, auch zwischen den Wahlkämpfen immer vor Ort sind. Wenn's da was gibt, Probleme in der Schule, die Busspur ist falsch, was die Menschen im Alltag bewegt, dann sprechen sie uns darauf an. Es ist wichtig, diese Probleme ins Parlament zu tragen oder eine Initiative im Stadtteil zu unterstützen. Das merken die Leute auf Dauer: Die sind da, auf die kann man sich verlassen und die schaffen es auch, etwas durchzusetzen.
Seit Jahresbeginn könnt ihr fast 30.000 Neueintritte verzeichnet, Die Linke hat jetzt 80.000 Mitglieder. Habt Ihr einen Plan wie Ihr Eure Parteimitglieder langfristig einbindet und mobilisiert?
Das ist eine Challenge. Als Ines Schwerdtner und ich angefangen haben, haben wir gesagt, Parteiaufbau heißt die Kreisverbände zu stärken. Dazu gehörte auch, dass wir erst mal stabilisieren, was da ist. Aber plötzlich gibt es selbst im tiefsten Schwarzwald, wo maximal noch eine Person da war, jetzt Eintritte von zehn, fünfzehn Leuten, die was machen wollen, junge Menschen vor allem. Das sind viele Schülerinnen, auch die alleinerziehende Mutter, die Lehrerin, die Kindergärtnerin, die Krankenschwester, die sich jetzt organisieren wollen. Es kommen mehrheitlich Frauen, das ist neu. Parteien sind ja sonst oft männerdominiert.
Und was machen die fünfzehn neuen Mitglieder mitten im Schwarzwald?
Parteiaufbau heißt auch den nächsten Jahren diesen wiederbelebten Kreisverbänden das Handwerkszeug an die Hand zu geben. Du brauchst Schulungen, organisatorische und inhaltliche. Wie organisiert man Kreismitgliederversammlungen, wie macht man eine Sozialsprechstunde? In den Wahlkreisbüros gibt es zwar Leute, die wissen, wie eine Beratung abläuft, aber wir werden auch über neue Strukturen und vor allem neue Beteiligungsformen nachdenken, zum Beispiel im digitalen Raum.
Ich weiß noch, als ich das erste Mal auf einer Mitgliederversammlung war, hier in Hamburg, das war schon gewöhnungsbedürftig. Es ist allen klar, wenn da jetzt junge Leute kommen, die wollen keine elendig langen Satzungsdebatten führen, die wollen was tun.
Eine Frage, die oft auftaucht, ist, warum Die Linke Menschen aus der Arbeiterschicht so wenig anspricht. Das ist ja auch eine der Gründe, die das BSW angibt, warum sie sich abgespalten haben.
Das kann das BSW ja gerne als seinen Gründungsmythos behaupten, aber etwas wird ja nicht richtiger, nur weil es ständig wiederholt wird. Nein, die Geschichte von der angeblich so »woken Linken« war schon immer falsch. Das war nur eine Masche für Sahra Wagenknecht, um ihre Bücher besser zu verkaufen.
»Man muss nicht regieren, um etwas zu verändern. Für uns ist die Regierungsmacht kein Selbstzweck.«
Guck dir an, was wir real gemacht haben, höre die Reden der vorherigen Vorsitzenden oder nimm unsere Anträge im Bundestag. So zu tun, als ob wir Identitätspolitik gemacht oder nur noch Hafermilchtrinker bedient haben, ist demagogischer Unsinn. Wir machen Politik für die unten und gegen die da oben. Wir stellen die Themen in den Mittelpunkt, die Menschen verbinden – nicht die, die sie trennen.
Unsere Aufgabe ist es, die ökonomischen Themen, die soziale und die Gerechtigkeitsfrage wieder nach vorne zu spielen gegen diesen spalterischen Migrationsdiskurs. Und wir sprechen gerade die Themen an, die die meisten Menschen umtreiben: die viel zu hohen Mieten und Preise. Gregor Gysi hat mal von einem erzählt, der sagte, bei Asyl habt ihr eine Meise, aber ich wähl’ euch trotzdem, weil Sozialpolitik zählt. Und vielleicht auch so was wie Klassenbewusstsein.
Was machst Du mit Leuten, die sagen, eigentlich bin ich auch für Vermögenssteuer, Mietendeckel etc., aber ich will einfach die ganzen Ausländer nicht hier haben?
Dazu gibt es ganz tolle Erfahrungen bei den Haustürgesprächen. Wenn uns jemand gleich kommt mit, ich weiß ja sowieso schon, dass ich AfD wähle, dass wir dann nicht gleich die Tür zuschlagen, sondern erst mal noch mal weiter nachhaken, um ins Gespräch zu kommen. Und was wir da erleben, ist oft sehr bezeichnend. Die Leute versuchen, Dich loszuwerden und in den Beschimpfungen schwingt sofort rassistisches Gedankengut mit. Aber wenn Du dann anfängst, über die Probleme zu reden, die sie real haben, dann sprechen sie selbst soziale Probleme an, reden über Mieten und dass ihr Reallohn gesunken ist.
Das heißt nicht, dass die uns jetzt gleich wählen. Aber was wir mit diesen Gesprächen schaffen, ist die soziale Frage im Bewusstsein der Menschen wieder mehr zum Ausgangspunkt zu machen. Ich habe das selbst erlebt, dass einer sagt, ach, ich weiß, ich wähle AfD, und zehn Minuten später steht er da mit Tränen in den Augen und erzählt, wie ihn gerade die Krankenkasse verarscht und seine Frau oben im Zimmer liegt und an Krebs stirbt. Dann kann man fragen: Aber warum treten Sie jetzt nach unten und boxen nicht nach oben? Es ist unser Job, diese Fragen in den Köpfen der Leute zum Klingen zu bringen.
Du hast vor Kurzem in mehreren Interviews gesagt, dass Sahra Wagenknecht eine Kremlperspektive einnehme. Was ist denn Deine Position zum russischen Krieg in der Ukraine?
Es ist ihr nicht möglich zu sagen, dass die Ukraine ein Existenzrecht hat. Sie redet immer davon, der deutschen Wirtschaft geht's schlecht, weil die Energiepreise hoch sind, Hauptsache, wir haben hier das billige Gas, auch wenn wir damit die Kriegskasse des Kremls mit 500 Milliarden füllen. Das ist eine Kremlperspektive.
Ich bin klar gegen Waffenlieferungen, aber ich bin eben auch Internationalist. Als Linker stehe ich immer an der Seite der Ausgebeuteten, Unterdrückten und Angegriffenen. Und deswegen sehe ich diesen Krieg aus der Perspektive der Menschen in der Ukraine. Was brauchen die? Die brauchen Unterstützung im Kampf gegen die russische Aggression. Ich sage aber: ohne Waffen, weil es zwischen militärischer Lösung und gar nichts tun sehr viel gibt. Gezielte Sanktionen gegen die Oligarchen sind da ein wichtiges Mittel. Wenn man Verhandlungen will, muss man auch Druck aufbauen. Sahra Wagenknecht sagt nie, wie das gehen soll.
Du hast ja eine Vergangenheit als Biowaffeninspekteur und kennst Dich auf der internationalen Ebene gut aus. Die zwei großen Themen Gaza und Ukraine spalten gerade die gesellschaftliche Linke. Wie würdest Du eine linke Außen-und Geopolitik formulieren?
Ich finde, dass wir bei Gaza eine sehr klare Position haben. Ein Menschenrechtsverbrechen darf niemals ein anderes Menschenrechtsverbrechen begründen. Der 7. Oktober war ein Terrorakt ohne Wenn und Aber. Und der brutale Krieg in Gaza ist ebenso ein Verbrechen. Auch der 7. Oktober ist keine Begründung dafür. Deswegen: keine Waffenlieferungen an Israel und Anerkennung des Staates Palästina.
Meine Geopolitik lautet: Ich möchte, dass Deutschland eine Friedensmacht ist. Das heißt, dass wir unser gesamtes außenpolitisches Handeln als Staat immer an der Maxime ausrichten, Kriege mit friedlichen Mitteln zu verhindern, dazu gehört die Vermittlung zwischen Konfliktparteien, dazu gehören auch gerechte wirtschaftliche Rahmenbedingungen.
In den letzten paar Monaten sind die Grabenkämpfe, die sonst die Berichterstattung über Die Linke geprägt haben, verstummt. Ist das nur so, weil es Abspaltungen gab, oder arbeiten Du und Ines aktiv daran, die Gräben zuzuschütten?
Die großen Differenzen sind wir mit den Austritten der Wagenknecht-Getreuen losgeworden. Wir haben jetzt eine Vertrauensbasis untereinander, dass wir etwaige Konflikte ernsthaft bearbeiten und lösen können. Etwaige Widersprüche sind ja nicht weg, wir tragen sie nur nicht mehr öffentlich aus – und das ist sehr gut so.
»Mein Geheimrezept ist, dass die Verhandlungsführer nachher nicht in der Regierung sitzen dürfen. Dann denkt keiner, der da sitzt, wenn ich jetzt kurz mal klein beigebe, dann werde ich Minister.«
Ich habe in meiner Bewerbungsrede gesagt, Leute, wenn Ihr Probleme mit mir habt, dann sagt es mir ins Gesicht und sagt es nicht in den sozialen Medien. Heute rufen uns Parteikolleginnen und Parteikollegen an, um uns ihre Kritik direkt zu sagen. Und wir geben zu, wenn wir einen Fehler gemacht haben. Das ist unser neuer verbindender Stil.
Eurer Kampagnen-Slogan lautet: »Alle wollen regieren, wir wollen verändern«. Geht das eine ohne das andere?
Ja, klar. Also, das heißt ja nicht, dass wir nicht regieren wollen. Hey, ich würde das Kanzleramt keinesfalls ausschlagen. Aber man muss nicht regieren, um etwas zu verändern. Für uns ist die Regierungsmacht kein Selbstzweck. Wenn man weiß, man kann da eigentlich kaum was verändern, dann sollte man nicht in die Regierung gehen. Aber wenn man einen Mietendeckel in einer guten Form umsetzen und eine Vermögenssteuer, die richtig an die Superreichen rangeht, einführen kann, dann hat man ganz schön viel erreicht.
Was erreicht Ihr mit der Tolerierung einer CDU-Minderheitsregierung in Thüringen?
Wenig, da geht es darum zu verhindern, dass die AfD an die Schalthebel der Macht kommt. Das sind nun mal die Wahlergebnisse. Ich habe mein Leben lang einen inneren Unvereinbarkeitsbeschluss mit der CDU. Aber wenn es die einzige Möglichkeit ist, eine AfD-Regierung zu verhindern, dann find ich's richtig.
Nehmen wir an, die Wahlen laufen deutlich besser als erwartet und es würde sogar eine rot-rot-grüne Koalition im Raum stehen. Wie würde man es in dieser Konstellation hinkriegen, dass man Veränderungen schafft und nicht einfach Mehrheitsbeschaffer ist?
Wenn’s zahlenmäßig reicht, dann führen wir die Gespräche. Klar ist auch: Wenn bei etwaigen Koalitionsverhandlungen nichts herauskommt, nur eine Mietpreisbremse mit tausend Ausnahmen, wo sich am Ende nichts ändert, dann werden wir das nicht mitmachen. Da muss auch eine Veränderung des Mietspiegels drin liegen, sonst verarscht man uns.
Mein Geheimrezept ist, dass die Verhandlungsführer nachher nicht in der Regierung sitzen dürfen. Dann denkt keiner, der da sitzt, wenn ich jetzt kurz mal klein beigebe, dann werde ich Minister. Am Ende darf man aber auch nicht den Fehler machen zu sagen, wir haben nur 90 Prozent durchgesetzt, wenn die letzten 10 Prozent nicht kommen, regieren wir nicht mit. Wir fordern bei der Vermögenssteuer 12 Prozent auf Milliardäre, aber wenn am Ende nur 10 rauskommen, dann kann ich einen solchen Kompromiss gut vertreten. Aber wenn es am Schluss nicht gelingt, eine Vermögenssteuer zu bekommen, dann wird es nicht gelingen, mit uns zu regieren.