05. Dezember 2024
Der französische Premier Michel Barnier wurde im Streit um seinen harten Sparkurs gestürzt – eine große Chance für die Nouveau Front Populaire. Doch in der Linksallianz tobt ein Machtkampf. Sollten die Sozialdemokraten das Bündnis sprengen, hätte Macron am Ende sein Ziel erreicht: die Spaltung der Linken.
François Hollande von der Parti Socialiste will einen zentristischen Kurs einschlagen und kritisiert seine eigene Partei für die Zusammenarbeit mit der Linken.
Im Sommer war die französische Linke im Aufwind: Zum zweiten Mal innerhalb von zwei Jahren schlossen sich die oft zerstrittenen Parteien zu einem Wahlbündnis zusammen, diesmal unter dem Namen Nouveau Front Populaire (NFP). Bei den vorgezogenen Parlamentswahlen übertraf die NFP die Erwartungen und gewann in der Stichwahl am 7. Juli mehr Sitze als jede andere Kraft. Sie erreichte zwar keine absolute Mehrheit, aber mit dem Erfolg der Linken konnte sich Emmanuel Macron nicht mehr als Anker der Stabilität inszenieren. Gleichzeitig wurde ein Sieg der radikalen Rechten unter Marine Le Pen verhindert.
Frankreich schien kurzzeitig als erfolgreiches Vorbild: Wenn man die Linke und die Sozialdemokratie hinter einem radikalen Programm vereinen kann, ist es möglich, die Rechte zurückzudrängen. Allerdings wurden bei dem Bündnis – das vom ehemaligen Macron-Minister Aurélien Rousseau bis hin zu Philippe Poutou von der Nouveau Parti Anticapitaliste reicht – viele Differenzen vorerst hintangestellt. Nun treten sie offen zutage.
Schon als die französische Linke für die Wahl 2022 das Bündnis NUPES geschaffen hatte, zeigten sich mehrere Senatoren des rechten Flügels der sozialdemokratischen Parti Socialiste (PS) enttäuscht über die Entscheidung des Parteivorsitzenden Olivier Faure, sich dem Bündnis anzuschließen. Sie warnten vor einer »Unterwerfung« der Partei unter Jean-Luc Mélenchons linker La France Insoumise und befürchteten, dass sie – selbsternannte »Reformisten« der linken Mitte (deren Reformen den Rahmen des Neoliberalismus nicht übersteigen) – gezwungen sein würden, sich Mélenchons vermeintlich »revolutionärer« Agenda anzuschließen.
Die Skepsis ist seitdem größer geworden, wobei sich das Kräfteverhältnis etwas zugunsten der Parti Socialiste verschoben hat, die im Sommer als Teil der NFP ihre Fraktion in der Nationalversammlung stark vergrößern konnte. Die Haltung von La France Insoumise zu Gaza und der Ukraine sowie der Politikstil von Mélenchon haben zu regelmäßigen Attacken des rechten Flügels der Parti Socialiste sowie von Place Publique geführt, einer äußerst wandelbaren Kleinstpartei, die vor allem den Präsidentschaftsambitionen des Linksliberalen Raphaël Glucksmann dient.
Konservative Mitglieder der Parti Socialiste haben lokal bereits den Aufstand geprobt: So kündigten die Sozialdemokraten im ersten Wahlkreis von Isère damals an, einen eigenen Kandidaten für diesen Kreis zu nominieren, obwohl dieser im Rahmen des NFP-Abkommens vom Juni eigentlich La France Insoumise zugeteilt worden war. Später zog die Partei diese Kandidatur zurück und unterstützte doch den offiziellen France Insoumise/NFP-Kandidaten. In ähnlicher Weise hat die örtliche PS in Boulogne-Billancourt einseitig eine Kandidatin aufgestellt, obwohl der Wahlkreis im Rahmen des NFP-Pakts den Grünen zugestanden wurde. Die Grünen-Vorsitzende Marine Tondelier kritisierte: »Einige spielen auf lokaler Ebene seltsame Spielchen [...] Es ist nicht hinnehmbar, dass derartige Methoden angewendet werden, um die NFP zu zerschlagen.« Sie unterstütze weiterhin die lokale NFP/Grünen-Kandidatin Pauline Rapilly-Ferniot.
»Hollande und seine Mitstreiter greifen einerseits La France Insoumise an, andererseits aber auch die Führung der Parti Socialiste, weil diese es gewagt hat, sich mit den Linken zu verbünden.«
Anders als in Isère bleibt die Sozialdemokratin in Boulogne-Billancourt vorerst im Rennen (wobei sie natürlich vor der für Februar geplanten Lokalwahl noch aussteigen könnte). Tondelier präsentiert sich selbst derweil als »Konsensmacherin« innerhalb der NFP – obwohl sie zuvor als scharfe Kritikerin der früheren NUPES-Allianz aufgetreten war.
La France Insoumise, die sich ebenfalls in der Rolle der Einheitsbewahrerin sieht, reagierte mit heftiger Kritik auf die Alleingänge der lokalen PS-Ableger. Nathalie Oziol, Abgeordnete von La France Insoumise für den Wahlkreis Hérault II, sagte gegenüber JACOBIN: »Was die PS tut, ist nicht akzeptabel. Das ist ein Verstoß gegen die Vereinbarung – und das zu Beginn der Hauptschlacht, nämlich dem Kampf um den Haushaltsplan [der französischen Regierung].« Sie fügte hinzu, die PS-internen Differenzen seien »nicht das Problem des französischen Volkes. Vor drei Monaten haben sie unser gemeinsames Programm unterzeichnet, und wir erwarten, dass sie sich daran halten.«
Bei den von Oziol angesprochenen Differenzen handelt es sich um eine Auseinandersetzung zwischen der PS-Führung und dem rechten Flügel der Partei. Letzterer besteht hauptsächlich aus Senatsmitgliedern, dem Ex-Präsidenten François Hollande sowie Bürgermeistern, die die NFP beenden und einen eigenständigeren Kurs einschlagen wollen. Der derzeitige Parteivorsitzende Faure sieht eine möglichst breite, geeinte Linke hingegen als ein wichtiges strategisches Ziel. Anfang Oktober forderte Hollande daher eine neue Parteiführung. Diese müsse die PS öffnen für Leute wie den liberalen Europaabgeordneten Glucksmann, der zwar kein Mitglied ist, aber bei den Europawahlen im Juni die Liste der Partei anführte.
Ex-Präsident Hollande sagte kürzlich bei einer Lesung in London gegenüber JACOBIN, die Parti Socialiste müsse die Richtung ändern und »sollte ihren Idealen und der Idee der [parteiinternen] Einheit treu bleiben. Die Vereinigung der Linken war schon immer ein Faktor, der zum Sieg führen kann, aber [die PS] sollte sich an der Sozialdemokratie orientieren, weil die radikale Linke allein nicht gewinnen und auch nicht die gesamte Linke mit sich ziehen kann [...] Genau das hat der neue Premierminister des Vereinigten Königreichs [Keir Starmer] getan, um an die Macht zu kommen: Er konnte für die eigene Partei sprechen, sich derjenigen Linken entledigen, die zu radikale Positionen vertraten, die Wählerschaft in der Mitte beruhigen und ein Programm vorlegen, das letztere überzeugte.«
Solche Aussagen sind typisch für Hollande und seine Mitstreiter. Sie greifen einerseits La France Insoumise an, andererseits aber auch die Führung der Parti Socialiste, weil diese es gewagt hat, sich mit den Linken zu verbünden. Einen besonderen Grund zur Empörung gab es für die Hollande-Anhänger, als Macron nach dem unklaren Wahlergebnis im Sommer Bernard Cazeneuve, der Hollande nahesteht, als Premierminister in Betracht zog. Offenbar wollte der Präsident eine möglichst breite »zentristische« Regierungskoalition aufbauen und damit den linken Kräften in der NFP Wind aus den Segeln nehmen. Die PS-Führung machte das nicht mit – was wiederum David Assouline, Mitglied des nationalen Vorstands der Partei, zu einer wütenden Tirade gegen die Parteifreunde veranlasste, weil diese sich weigerten, schriftlich zuzustimmen, dass sie eine Nominierung von Cazeneuve nicht blockieren würden.
Die Pro-Faure-Fraktion sah im Macron-Vorstoß und der Unterstützung vom rechten PS-Flügel schlicht eine Falle. Sarah Kerrich-Bernard, nationale Sekretärin der Partei, sagte gegenüber JACOBIN: »Es ist nicht so, dass wir Bernard Cazeneuve nicht unterstützen würden; wir haben lediglich gesagt, dass das Gesamtprojekt im Vordergrund steht. Und Cazeneuve war der einzige Politiker in der Linken, der die NFP nicht wollte. In jedem Fall hat Olivier Faure nicht gesagt, dass er Cazeneuve nicht unterstützen würde. Er erklärte, dass wir ihn unterstützt hätten, wenn Cazeneuve bereit gewesen wäre, die NFP mit bestimmten symbolischen Maßnahmen zu verteidigen – zum Beispiel die Rücknahme der Rentenreform, die Emmanuel Macron letztes Jahr durchgesetzt hat.«
Tatsächlich habe man sich zunächst auch in diese Richtung bewegt: »Cazeneuve traf Macron und machte ihm klar, dass er die Rentenreform teilweise rückgängig machen will – und er wurde sofort ausgeschlossen. Macron hat also mit uns gespielt und versucht, uns glauben zu machen, dass er einen Premierminister aus dem linken Lager ernennen könnte. Dabei hatte er selbst im Juli schon Michel Barnier im Sinn. Macron denkt, dass Frankreich rechts steht, und deshalb muss er ein Bündnis mit der Rechten eingehen. Das war böswillig, eine Falle, und der Versuch, uns zu spalten.«
»Das ist ein altbekanntes Spiel: Schon in den Jahren 2012 bis 2017 hatte es den Kampf zwischen François Hollande und Jean-Luc Mélenchon gegeben. Nun ist es zur Rückkehr von Hollande gekommen, der zuvor praktisch aus dem Präsidentenamt gejagt wurde.«
Kerrich-Bernard kritisierte weiter, die Angriffe der »internen Gegner« würden sowohl dem Linksbündnis als auch der PS selbst schaden, »denn wenn man schlechte Dinge über die eigene Partei sagt, wird das aufgegriffen und sorgt für Aufsehen«. Eine der Forderungen der Hollande-Fraktion ist ein Parteitag, bei dem die Mitglieder über die Annahme einer neuen Linie und eine neue Parteiführung abstimmen sollen. Kerrich-Bernard glaubt jedoch, dass ihr linker Flügel auch in diesem Fall die Kontrolle behalten würde: »Sie [Hollande und Co.] haben lediglich eine Basis an der Spitze der Partei, und deutlich weniger Zustimmung unter den Parteimitgliedern an der Basis.«
Die Fauristen und La France Insoumise scheinen sich somit einig, dass eine Rückkehr der Hollande-Fraktion unerwünscht ist. Die France-Insoumise Vertreterin Oziol sagte: »Das ist ein altbekanntes Spiel: Schon in den Jahren 2012 bis 2017 hatte es den Kampf zwischen François Hollande und Jean-Luc Mélenchon gegeben. Nun ist es zur Rückkehr von Hollande gekommen, der zuvor praktisch aus dem Präsidentenamt gejagt wurde und 2017 nicht einmal erneut kandidieren konnte, was zu Macron führte [...] und zu dem politischen Chaos, das wir jetzt haben. Das ist nicht die Art von politischem Revival, auf die man hoffen würde. Bei La France Insoumise haben wir für ein radikales Programm gekämpft, das im Wesentlichen mit dem Neoliberalismus, Kapitalismus und der radikalen Rechten bricht. Wir schlagen eine Alternative aus sozialen, ökologischen und demokratischen Maßnahmen vor, unter anderem in Form einer Verfassungsänderung. Wir haben auf einem klar radikalen Programm bestanden, weil wir wussten, dass es zu einem solchen Kampf um die politische Linie kommen könnte.«
Innerhalb der Parti Socialiste möchte Kerrich-Bernard das linke Bündnis zusammenhalten. Hollandes Forderungen hält sie für schädigend: »Aktuell ist die NFP die wichtigste politische Kraft der Linken in Frankreich, und die PS sollte ihr angehören […] Wir dürfen nicht zur Linie von François Hollande zurückkehren, die neoliberal und übermäßig marktorientiert ist […] François Hollande oder Raphaël Glucksmann würden die erste Runde [der Präsidentschaftswahlen 2027] nicht überstehen, weil sie schlicht nicht links genug sind; sie sind zu zentristisch. Linke Wählerinnen und Wähler wollen für Links stimmen, nicht für die Mitte. Die Wählerschaft der Mitte hingegen wird für den Macron-Kandidaten stimmen. Sie würden ihre Stimme nicht für einen Hollande oder einen Glucksmann geben.«
Diese Sicht ist in der PS jedoch kein Konsens. Mitglieder aus dem Hollande-Dunstkreis wie Jérôme Guedj (der sich gegen die Bildung der NFP ausgesprochen hatte) und Arthur Delaporte haben kürzlich signalisiert, sie würden nicht für den Vorschlag von La France Insoumise stimmen, das Renteneintrittsalter wieder auf sechzig Jahre zu senken.
Was die Pro-Faure-Fraktion betrifft, so ist die Strategie klar: Sie wollen einen oder eine gemeinsame NFP-Kandidatin aufstellen, die links genug ist, um die erste Runde der Präsidentschaftswahlen 2027 zu überstehen, aber gleichzeitig moderat genug, um in der Stichwahl in der zweiten Runde auch Wähler der Mitte anzusprechen.
Hollande verweist in diesem Zusammenhang gerne auf Benoît Hamon, der 2017 einen relativ linken Präsidentschaftswahlkampf für die PS führte und in der ersten Runde nur sechs Prozent der Stimmen erhielt. Hollande betonte gegenüber JACOBIN: »Die PS sollte die führende Kraft der Linken sein und ihr unabhängiges Denken bewahren, [...] um eine Kohärenz und Geschlossenheit zu erreichen, die ihr derzeit fehlt. Jedes Mal, wenn wir uns dem Einfluss der radikalen Linken aussetzen, können wir die Menschen nicht überzeugen.«
La France Insoumise versucht indes auf ihre eigene Weise, die NFP-Basis zu erweitern. Die Wirtschaftswissenschaftler Bruno Amable und Stefano Palombarini haben dargelegt, die französische Politik sei entlang eines Wettstreits zwischen drei gesellschaftlichen Blöcken strukturiert, die politisch durch die NFP, den Macron/Republikaner-Block und die radikale Rechte vertreten würden. In einem Text erklärt La France Insoumise, diese Analyse müsse angepasst und erweitert werden: Eine geeinte Linke könne nur dann erfolgreich sein, wenn sie auch die Mitglieder des »vierten Blocks« mobilisieren kann, sprich: die Nichtwähler. Befragungen zeigen, dass die sozialen Werte und materiellen Interessen dieser Gruppe tatsächlich am ehesten mit den Prinzipien des linken Blocks übereinstimmen. La France Insoumise argumentiert, diese potenziellen Wählerinnen und Wählern könnten nur durch das Versprechen eines konsequenten Bruchs mit dem politischen System, aus dem sie ausgestiegen sind, und dem Wirtschaftssystem, von dem sie sich im Stich gelassen fühlen, aktiviert werden. Eine starke, geeinte Linke sei notwendig, um der Forderung nach einem solchen Bruch Glaubwürdigkeit zu verschaffen. So könne man Neuwähler hinzugewinnen.
Oziol betonte gegenüber JACOBIN: »Wenn [die PS] beschließt, aus der Vereinbarung auszusteigen, dann muss sie das klar sagen und erklären, warum sie das tut. Das bedeutet dann, dass es beim nächsten Mal keinen gemeinsamen Kandidaten geben wird. Raphaël Glucksmann zum Beispiel hat mit seiner Partei Place Publique sehr deutlich gemacht, dass er kein Bündnis mit La France Insoumise mehr eingehen will. Wir weisen jedes Mal darauf hin, dass die PS, wen sie wieder einen Schritt von der Vereinbarung weg macht, auf die Auflösung dessen hinarbeitet, worauf wir uns [im Juni] geeinigt haben.«
Auf die Frage, ob die NFP längerfristig überleben werde, stimmte Hollande Oziols Ansicht zu, dass es 2027 wohl mehr als einen Kandidaten geben könnte: »Wenn morgen Parlamentswahlen wären, dann müsste man [die Allianz] neu aufstellen, vielleicht mit einem anderen Kräfteverhältnis. Aber wenn es um eine Präsidentschaftswahl geht, gäbe es wohl zwei Kandidaten, einen von der reformistischen Linken und einen von der radikalen Linken.«
»Mit den gemeinsamen Stimmen für La France Insoumise und der PCF hätte Mélenchon wohl vor Le Pen gelegen und wäre statt ihr in die Stichwahl gegen Macron eingezogen.«
Zwei Kandidaten würden aber nicht unbedingt einen endgültigen Bruch in der NFP bedeuten. Die Konservativen in der Parti Socialiste hatten schon die vorherige NUPES-Allianz nicht unterstützt. Darüber hinaus traten mehrere PS-Mitglieder auch 2024 gegen die NFP an. Es bleibt daher die Frage, wie die übrige Linke in Form der Fauristen in der PS, den Grünen und der Kommunistischen Partei (PCF), reagieren würde, wenn sich der rechte Flügel der PS erfolgreich für einen Bruch der Linksallianz einsetzt.
Der Vorsitzende der PCF, Fabien Roussel, erklärt in dieser Hinsicht, auch er würde nicht erneut mit La France Insoumise in eine Wahl ziehen. Seiner Ansicht nach hätte er seinen Sitz im Nationalrat behalten, wenn er nicht der NFP beigetreten wäre. Tatsächlich war sein Stimmenanteil zwischen 2017 und 2022, als er der NUPES beitrat, deutlich gestiegen, 2024 hingegen um drei Prozentpunkte zurückgegangen. Allerdings: Selbst wenn Roussel sein vorheriges Ergebnis gehalten hätte, wäre er von der deutlich erstarkten Rechten geschlagen worden und ebenfalls schon in der ersten Wahlrunde ausgeschieden. Seine Kritik ist daher mindestens unpräzise.
Roussel, der sich selbst als »der Kommunist bezeichnet, der es wagt, Nein zu Jean-Luc Mélenchon zu sagen«, hatte 2022 selbst für das Präsidentenamt kandidiert, statt Mélenchon zu unterstützen, wie es die PCF sowohl 2012 als auch 2017 noch getan hatte. Roussel erhielt nur 2,3 Prozent der Stimmen. Mit den gemeinsamen Stimmen für La France Insoumise und der PCF hätte Mélenchon wohl vor Le Pen gelegen und wäre statt ihr in die Stichwahl gegen Macron eingezogen.
Kerrich-Bernard von der PS erklärte, die Pro-NFP-Fraktion ihrer Partei fordere einen gemeinsamen Präsidentschaftskandidaten, der »mit größtmöglicher Transparenz« in NFP-übergreifenden Vorwahlen bestimmt werden solle. Sie betonte aber auch: »Mélenchon kann nicht der Kandidat sein.« Manuel Bompard von La France Insoumise kritisierte Vorwahlen seinerseits als spaltend und betonte, wenn bereits im Vorfeld festgelegt werde, wer teilnehmen darf und wer nicht, sei eine solche Vorwahl »nicht ernst zu nehmen«. Auf die Frage, ob sie nur gegen Mélenchon oder gegen jeden und jede potenzielle Kandidatin von La France Insoumise sei, sagte Kerrich-Bernard lediglich, ein guter Kompromiss seien Personen wie François Ruffin oder Clémentine Autain.
Ruffin und Autain sind beide Ex-Abgeordnete von La France Insoumise, die sich im Wahlkampf für die Parlamentswahlen von der Partei getrennt hatten. Zuvor war bekannt geworden, dass die beiden eine Neugründung planten. Zwei ihrer engen Mitarbeiter wurden aus La France Insoumise ausgeschlossen. Insbesondere das Verhältnis zwischen der Partei und Ruffin hat sich seit seinem Austritt verschlechtert. Der Parteibasis dürfte es schwer vermittelbar sein, wenn Ruffin als Präsidentschaftskandidat unterstützt werden soll.
Ein Grund für die instabilen Allianzen der Linken ist das Wahlsystem selbst. Bei Wahlen zur Nationalversammlung, bei denen es darum geht, in den lokalen Wahlkreisen den ersten Platz zu belegen, haben die linken Parteien keine Chance, wenn sie nicht geeint antreten. Daher braucht es Allianzen wie NUPES oder aktuell die NFP. Bei Präsidentschaftswahlen hingegen geht es den einzelnen Parteiführern vor allem darum, sich gegenseitig zu schlagen: Man will als der Kandidat mit dem nötigen »Momentum« erscheinen, um vor allem taktische Stimmen zu sammeln.
Vor der letzten Präsidentschaftswahl im Jahr 2022 gab es bereits den Versuch, eine Vorwahl unter den linken Parteien zu erzwingen, doch dieser scheiterte kläglich. Stattdessen wurden einzelne Kandidatinnen und Kandidaten aufgestellt. Die der Grünen, der PCF und der PS erzielten jeweils nur niedrige einstellige Ergebnisse, während Mélenchon 22 Prozent erreichte.
Wie bereits erwähnt: Selbst wenn die NFP nun zerbrechen sollte, bedeutet das nicht zwangsläufig, dass sich alle Parteien voneinander trennen. Beispielsweise gibt es derzeit Gerüchte, dass es bei den Stadtratswahlen 2026 eine Allianz zwischen La France Insoumise und den Grünen geben könnte. Neue Ereignisse könnten zu neuen Konstellationen und Allianzen führen beziehungsweise Bestehendes zerstören. Mit Blick auf die Präsidentschaftswahlen haben die einzelnen linken Parteien aber offensichtlich wenig Anreiz, größere Bündnisse einzugehen.
Diese Instabilität könnte unmittelbare Auswirkungen haben: Die Regierung Barnier wurde wegen ihres Sparhaushalts gestürzt; das entsprechende Misstrauensvotum hatten sowohl die NFP als auch Le Pen beantragt. Wie es nun weitergeht, ist vorerst unklar. Es zeigt sich jedoch, wie groß die Unterschiede zwischen den beiden großen Polen in der Linken – der Parti Socialiste und La France Insoumise – offenbar sind.
Mélenchon will vor allem den amtierenden Präsidenten absetzen. Eine solche Amtsenthebung von Macron sei »eine Notwendigkeit« und »das einzige Mittel, um die Macht an die Wählerinnen und Wähler zurückzugeben und die politische Krise zu lösen, die der Präsident [durch das Auslösen von Neuwahlen im vergangenen Juni] verursacht hat«.
Hollande betont hingegen, dass es keine vorgezogenen Präsidentschaftswahlen geben sollte, um die Märkte nicht zu verstören. Stattdessen will er einen neuen Premier finden, der eine Mehrheit hinter sich hat. Damit ergibt sich für die Parti Socialiste einmal mehr die Möglichkeit, dem Linksbündnis den Rücken zu kehren und gemeinsame Sache mit dem Macron-Block und den konservativen Republikanern zu machen. Dann hätte Macron doch noch sein Ziel erreicht, die Linke zu spalten.
In der Linken wird von vielen Seiten die Einigkeit beschworen; doch die Machtkämpfe gehen ebenso unvermindert weiter. Die nächste Präsidentschaftswahl dürfte gerade den kleineren Parteien die perfekte Gelegenheit bieten, ihr Ansehen und ihre Position innerhalb dieser oder zukünftiger Allianzen zu verbessern. Alle bringen sich bereits in Stellung.
Olly Haynes ist Journalist. Er schreibt zu den Themen Politik, Protest, Umwelt und Kultur.