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08. September 2025

Mit Sparpolitik gegen Geflüchtete

Hunderttausende Ukrainer wurden in Polen zunächst wohlwollend aufgenommen – nun werden sie zu Gastarbeitern zweiter Klasse.

Polens Präsident Nawrocki hat per Veto Kürzungen bei den Sozialhilfen für Geflüchtete durchgedrückt.

Polens Präsident Nawrocki hat per Veto Kürzungen bei den Sozialhilfen für Geflüchtete durchgedrückt.

IMAGO / newspix

Der Kontrast war deutlich: Während der tschechische Präsident Petr Pavel öffentlich ein ukrainisches Mädchen umarmte, das von seinen Klassenkameraden gehänselt worden war, legte sein polnischer Amtskollege Karol Nawrocki einen Monat später sein Veto gegen einen Gesetzentwurf ein, mit dem das Aufenthaltsrecht für Ukrainer in Polen verlängert worden wäre. Einer der führenden liberalen Publizisten Polens (und Kritiker des rechten Nawrocki), Sławomir Sierakowski, hob den Unterschied zwischen den beiden Staatschefs im Umgang mit Geflüchteten hervor: Der eine zeige Mitgefühl, der andere setze auf Ausgrenzung.

In Polen ist diese Art von Ausgrenzung zu einem zentralen Motiv in politischen und ökonomischen Machtzirkeln geworden. Nicht nur rechtsextreme, sondern auch liberale Kräfte wetteifern darum, zu zeigen, wie entschlossen sie »den polnischen Steuerzahler« vor vermeintlichen ausländischen Schmarotzern schützen.

Nun hat Nawrocki sein Veto gegen ein neues, vom Parlament verabschiedetes Gesetz zur Unterstützung von Ukrainern eingelegt, mit dem der legale Aufenthalt für Geflüchtete bis 2026 verlängert worden wäre. Indem er diese Verlängerung der 2022 eingeführten Bestimmungen blockiert, hat der Präsident hunderttausende Ukrainerinnen und Ukrainer – und die Unternehmen, die sie beschäftigen – in rechtliche Ungewissheit gedrängt.

Interessant ist die Logik hinter dem Veto: Denn rein ökonomisch ergibt es wenig Sinn. Die Ukrainerinnen und Ukrainer sind keine Belastung für den polnischen Staat, sondern ein bedeutender Bestandteil der Erwerbsbevölkerung: Anfang 2025 waren 701.800 ukrainische Menschen legal beschäftigt, was zwei Dritteln aller ausländischen Arbeitskräfte in Polen entspricht. Die Erwerbsbeteiligung unter Ukrainern liegt bei 78 Prozent und damit über dem polnischen Durchschnitt. Ihr Beitrag zum BIP belief sich 2024 auf 2,7 Prozent. Dennoch betonte Nawrocki, nur diejenigen, die »Beiträge zahlen«, sollten künftig Anspruch auf Familienleistungen oder Gesundheitsversorgung haben. Hinter seiner technokratischen Erklärung sowie den Verweisen auf Haushaltsdisziplin und Sparzwänge steht eine klare Botschaft: »Migranten können hier arbeiten, aber sie gehören nicht zu uns.«

Angesprochen werden soll eine Wählerschaft, die nahezu ausschließlich auf ethnische Trigger reagiert. Polen ist dabei nur ein Beispiel für Strömungen in der gesamten Region (einschließlich der Ukraine selbst, die ebenfalls auf der stetigen Suche nach »echten/richtigen Ukrainern« ist). Und sie ist tief in einer neoliberalen Logik verwurzelt.

Refugees Welcome – aber nur auf Zeit

Nawrocki ist ein politischer Gegner der liberalen Regierungskoalition von Ministerpräsident Donald Tusk. Bei der Präsidentschaftswahl im Juni setzte sich Nawrocki gegen den von Tusk favorisierten Kandidaten durch.

Die Regierung Tusk ist bisher vor allem mit Ankündigungen aufgefallen. Das Projekt einer umfassenden Deregulierung der polnischen Wirtschaft kommt nicht in die Gänge; ebenso wurden sozialpolitische Versprechen in den Bereichen Wohnen, Kultur und Bildung nicht eingehalten und sich stattdessen auf einzelne Deregulierungen und Steuersenkungen für Unternehmen konzentriert (unter anderem über den Deregulierungsausschuss unter Beteiligung des Magnaten Rafał Brzoska). Hinzu kam ein offen migrationsfeindlicher Diskurs in Form von verschärften Grenzkontrollen und einem weitgehenden Ignorieren der paramilitärischen Aktivitäten der sogenannten »Grenzschutzbewegung« entlang der polnisch-deutschen Grenze.

»Polen als Gastgeber, Ukrainer als bestenfalls tolerierte Gäste. Nawrockis Reformen sind Rituale, mit denen diese klare Unterscheidung verfestigt werden soll.«

Nawrocki geht mit seiner Politik noch einen Schritt weiter und kann dabei auf dem bereits von den Liberalen etablierten Diskurs aufbauen. Er verfolgt im Wesentlichen denselben Ansatz einer »Deregulierung« des Staates und beabsichtigt, potenzielle Wut aus den unteren Klassen angesichts der bevorstehenden neoliberalen Reformen (aktuell konkurrieren Nawrocki und Tusk darum, stärkere Deregulierungsreformen durchzusetzen, vor allem in Bezug auf Steuersenkungen) auf Sündenböcke umzuleiten. Die Ukrainerinnen und Ukrainer im Land bieten sich als ideales Ziel an: Sie sind Außenseiter in der polnischen Gesellschaft, befinden sich in einer schwächeren materiellen Position und werden oft selbst in den ethno-nationalistischen Diskurs der Politik ihres eigenen Landes einbezogen.

Die polnische Politik der Ausgrenzung findet Anklang, weil sie Ressentiments in der Bevölkerung widerspiegelt. In Polen leben derzeit 2,5 Millionen ukrainische Menschen, das sind etwa sieben Prozent der polnischen Bevölkerung. Nach der russischen Invasion 2022 wurden sie mit großer Solidarität, mit Lebensmitteln, Unterkünften und humanitärer Hilfe aufgenommen. 2025 hat sich die anfängliche Solidarität in Feindseligkeit gewandelt. Die BBC berichtet, Flüchtlinge werde immer häufiger nahegelegt, »zurück in die Ukraine zu gehen«. Die historische Wunde der ukrainisch-nationalistischen Massaker an Polen in der Region Wolhynien – ein Trauma aus den 1940er Jahren, das seit Jahrzehnten von der polnischen Rechten instrumentalisiert wird – erlebt eine Wiederkehr als Rechtfertigung für heutige Hierarchieverhältnisse: Polen als Gastgeber, Ukrainer als bestenfalls tolerierte Gäste. Nawrockis Reformen – ebenso wie die theatralische Entfernung einer ukrainischen Flagge von einem Rathausdach durch den rechtsextremen Provokateur und Europaabgeordneten Grzegorz Braun – sind Rituale, mit denen diese klare Unterscheidung in der Wahrnehmung der Öffentlichkeit verfestigt werden soll.

Die abgehängten Klassen ansprechen

In der Situation in Polen spiegeln sich Trends aus anderen Ländern der Region wider. Wie der Politikwissenschaftler Andrei Țăranu kürzlich gegenüber Jacobin erklärte, haben beispielsweise in Rumänien der Zusammenbruch der Sozialdemokratie und die Dominanz des neoliberalen Diskurses das Feld für Nationalisten geebnet. Parteien wie die rumänischen Sozialdemokraten driften in Mitte-Rechts-Position ab, während die Linke nicht über ein Prozent der Stimmen hinauskommt. Nationalistische Führer wie George Simion oder Călin Georgescu mobilisieren die wütende Wählerschaft nicht mit kohärenten Programmen, sondern vor allem mit symbolischen Gesten: territoriale Ansprüche, Aufrufe zur Selbstjustiz und Hass auf Brüssel. Ihre Wählerinnen und Wähler reagieren nicht auf politische Details, sondern auf die selbstgemachte Erfahrung, von der neoliberalen Modernisierung ausgeschlossen zu bleiben.

Die polnische radikale Rechte hat gut aufgepasst und ihre Lektion gelernt. Die Widersprüche sind tatsächlich eklatant: Polnische Arbeitgeber fordern Vorhersehbarkeit und Stabilität im Aufenthaltsrecht. Doch die Wut der Bevölkerung, angeheizt durch jahrzehntelange Ungleichheit und Prekarität, findet ihren Ausdruck in anti-ukrainischer Rhetorik. Ein Problem ist auch der Aufbau des Sozialstaats an sich: Er wurde nach 1989 ohne echte Beteiligung von Arbeitern oder Massenorganisationen aufgebaut und ist nach wie vor top-down organisiert, bürokratisch und fragil. Anstelle von Tarifverhandlungen oder echter Umverteilung bieten die jeweiligen Regierungen selektive Leistungen an, die nach Belieben wieder gestrichen werden können. Und welche Gruppe eignet sich besser, um ein Exempel zu statuieren als Ausländer? Entlang dieser Logik führt die polnische Politik ein Austeritäts-Theaterstück auf.

»In einer Gesellschaft, in der sich die Ungleichheit trotz des raschen BIP-Wachstums immer weiter verschärft, füllt diese symbolische Politik die Lücke, die durch das Ausbleiben einer echten Umverteilung entstanden ist.«

Ein Beispiel ist das Streichen der sogenannten 800+-Leistungen für ukrainische Familien. Dabei handelt es sich um eine Kinderbeihilfe, die als sozialpolitische Maßnahme der vorherigen rechten Regierung unter der Partei Recht und Gerechtigkeit (PiS) eingeführt wurde und in deren Rahmen Familien 800 Złoty pro Monat für jedes Kind bis zum Alter von 18 Jahren erhalten. Dass Ukrainern nun diese Sozialleistung verweigert wird, mag tatsächlich nur wenig Geld einsparen, vermittelt jedoch ein Gefühl der Kontrolle in einer ungleichen Gesellschaft, in der die meisten Menschen das Gefühl haben, eben keine Kontrolle mehr zu haben. Darüber hinaus kann die Streichung auch dazu dienen, die ukrainischen Arbeitskräfte billig und abhängig zu halten. Aus diesem Grund zögern möglicherweise auch viele polnische Arbeitgeber bei der Forderung, die Ukraine in die EU aufzunehmen und ukrainische Menschen somit zu »vollwertigen« EU-Bürgern zu machen – anstatt sie als Gastarbeiter ohne Rechte und Schutz zu tolerieren und auszubeuten.

Daten des Meinungsforschungsinstituts CBOS verdeutlichen die Klassen-Komponente: Optimismus hinsichtlich des Arbeitsmarktes zeigt sich vor allem bei Beschäftigten im öffentlichen Dienst, Managerinnen, hochgebildeten Fachkräften und Besserverdienenden in den Großstädten. Im Gegensatz dazu herrscht unter Kleinbäuerinnen, ungelernten Arbeitern und Personen mit einfacher Berufsausbildung Pessimismus vor. Die größten Klagen kommen von Frauen, jungen Leuten sowie Menschen in Dörfern und Kleinstädten – Gruppen, die den Arbeitsmarkt nicht als Chance, sondern als ein Gebiet konstanter Knappheit und Prekarität betrachten. Gerade in diesen Gruppen gewinnt die nationalistische Rechte an Stärke und lenkt die Wut auf Ukrainer, die paradoxerweise ebenfalls Arbeiterinnen und Arbeiter mit prekären Beschäftigungsbedingungen sind.

Liberale Kräfte versuchen sich anzupassen, indem sie den Habitus der Rechten imitierten. Rafał Trzaskowski, der bei den Präsidentschaftswahlen 2025 als der pro-ukrainischste Kandidat galt, versprach beispielsweise, die Sozialleistungen für nicht erwerbstätige Geflüchtete zu beschränken. Dass auch er so vorgeht, spiegelt die politische Realität wider: Jedes offene Einstehen für Migranten ist im heutigen Polen politischer Selbstmord. Indem die Logik der Ausgrenzung akzeptiert wird, verstärken Liberale allerdings das Framing der radikalen Rechten, wonach »Schutz für Polen« gleichbedeutend mit Drangsalierung von Ukrainern ist.

Vor diesem Hintergrund können Nationalisten wie Sławomir Mentzen von der rechtsradikalen Partei Konfederacja eine so zentrale Rolle spielen. Der millionenschwere Unternehmer spricht die weit verbreitete Wut an. Er mobilisiert junge Menschen in prekären Verhältnissen, aber auch diejenigen, die über beträchtliches wirtschaftliches, aber wenig kulturelles oder soziales Kapital verfügen. Dies ist auch die Wählerschaft, die Nawrocki und seine PiS (wobei Nawrocki formell parteilos ist) für sich gewinnen wollen. Diese Gruppen, die zwar einen gewissen relativen Wohlstand genießen, aber sich nicht repräsentiert fühlen, sind besonders empfänglich für Narrative von »nationaler Souveränität« und »Würde«. Es waren ihre Stimmen, zusammen mit denen unzufriedener Landarbeiter, die Nawrocki die Präsidentschaft sicherten.

Daraus ergibt sich eine Politik, die nicht so sehr auf wirtschaftspolitische Vorsicht und Zurückhaltung zurückzuführen ist, sondern vielmehr eine Politik der symbolischen Rache: Die Ukrainerinnen und Ukrainer werden sanktioniert, um den Polen zu versichern, dass überhaupt jemand für Missstände »bestraft« wird. In einer Gesellschaft, in der sich die Ungleichheit trotz des raschen BIP-Wachstums immer weiter verschärft, füllt diese symbolische Politik die Lücke, die durch das Ausbleiben einer echten Umverteilung entstanden ist. In einem solchen Klima gedeiht die radikale Rechte.

Beim anti-ukrainischen Spin in Polen geht es nicht nur um Außenpolitik oder Migrationsmanagement, sondern um eine Verlagerung der Wut der unteren Klassen. Die Arbeiterinnen und Kleinbauern, deren Verhandlungsmacht unter jahrzehntelanger neoliberaler Umstrukturierung zusammengebrochen ist, werden nun dazu angeregt, ihre Wut und Ressentiments nach unten, gegen geflüchtete Menschen, statt nach oben, gegen das Kapital, zu richten. Die Wut, die einst in Form von gewerkschaftlichen Forderungen oder sozialen Bewegungen kanalisiert wurde, wird heute umgedeutet als Kulturkampf darum, wer »wirklich« zur polnischen Nation gehört.

Polnische Interessen?

Es war genau diese Melange – Kleinunternehmer, unzufriedene Landarbeiter und Teile des städtischen Kleinbürgertums – die Nawrocki im Juni ins Präsidentenamt trug. Die damit verknüpfte politische Sprache besteht nicht allein aus technokratischen Rechtfertigungen für neoliberale Reformen, sondern bespielt auch eine intuitive Forderung nach Anerkennung, Würde und Ordnung. Es sind diese Wählergruppen (und nicht die gut bezahlten Fachkräfte), um die sich auch Jarosław Kaczyńskis PiS derzeit am aggressivsten bemüht. Mit dem Versprechen, »die polnische Bevölkerung« sowohl vor ausländischen Migranten als auch vor der liberalen Elite zu schützen, bietet die Rechte keine materielle Umverteilung, sondern symbolische Rache. In einer Gesellschaft, die von zunehmender Ungleichheit geprägt ist, erweist sich dieses Versprechen als gefährlich attraktiv und wirksam.

Dies zeigt sich auch in der jüngsten Politik der liberalen Regierung, die sich der radikalen Rechten anschließt: Bei jeder Gelegenheit werden ukrainische Migranten auf bewusst theatralische Weise bestraft. Das Lager von Tusk will demonstrieren, wie entschlossen es »die polnischen Interessen verteidigt«.

In diesem Punkt sprechen Nawrocki und Tusk dieselbe Sprache: Sie machen keine Politik für die Mehrheit der polnischen Bürger, sondern für das Großkapital, und Sündenböcke sowie erste Opfer sind Ukrainer, die staatliche Unterstützung erhalten. Heute setzen sich nur wenige beispielsweise für ukrainische Kinder in Polen ein. Angesichts der anhaltenden Austeritätspolitik ist aber bereits klar, wer als nächstes leiden wird: die »polnische« Bevölkerung in diesem Land.

Krzysztof Katkowski ist Publizist und Soziologe in Warschau. Er veröffentlicht unter anderem in OKO.press und der Dziennik Gazeta Prawna.