09. Januar 2025
Joe Biden war mit dem Anspruch angetreten, der arbeiterfreundlichste Präsident seit Franklin D. Roosevelt zu werden. Doch sein technokratischer und marktbasierter Politikansatz hat die Demokraten nur noch weiter von der Tradition des New Deals weggeführt.
Joe Biden verneigt sich während der Verleihung der Ehrenmedaille im Weißen Haus, 3. Januar 2025.
Dass sich das Establishment der US-Demokraten im März 2020 derart schnell hinter die Präsidentschaftskandidatur von Joe Biden – und damit gegen dessen Kontrahenten Bernie Sanders – stellte, war ein Zeichen beeindruckender Stärke. Allerdings war die Entscheidung für den damals 77-jährigen Washington-Veteranen auch darauf zurückzuführen, dass wohl kein anderer Kandidat in der Lage gewesen wäre, Wählerinnen und Wähler aus der Arbeiterklasse anzusprechen.
Pete Buttigieg, Kamala Harris, Amy Klobuchar, Elizabeth Warren: Sie alle sind Vertreter einer besonderen Klasse im modernen Liberalismus – der sogenannten professional-managerial class (PMC). Dazu zählen beispielsweise Beraterinnen, Anwälte oder Professorinnen. Die genannten Mitglieder der Demokratischen Partei repräsentierten somit genau die Art von Elite, die Donald Trump als abgehoben und realitätsfremd verunglimpfen konnte. Joe Biden hingegen hatte sich trotz seiner vielen Jahre in Washington und trotz seiner Ausbildung zum Anwalt nie ganz von seinem Wurzeln und seinem bodenständig-volksnahen Auftreten als Mann der Arbeiterklasse gelöst. Da den Demokraten schon 2020 dräute, dass man die Unterstützung der weißen Arbeiterklasse in einem Ausmaß verlieren könnte, dass die gesamte Wahl verloren würde, hofften die Parteigranden, Biden könnte dem etablierten PMC-Stil der Partei den dringend benötigten Blaumann-Flair hinzufügen.
Und genau das tat er: 2020 warb Biden damit, in der Wahl stehe sein Heimatort »Scranton gegen die [New Yorker] Park Avenue«. Er betonte seine Arbeiterherkunft und bezeichnete Trumps Populismus als Scharade. Im Amt behauptete Biden häufig, der gewerkschaftsfreundlichste Präsident seit Franklin D. Roosevelt zu sein. Seine Reise nach Michigan im Herbst 2023, bei der er sich an die Seite streikender Automobilarbeiter stellte, sollte erneut den Unterschied zu Trump betonen. In einigen Kreisen gab es die Hoffnung, Biden könne das angeschlagene Image der Demokratischen Partei bei den Arbeiterinnen und Arbeitern nachhaltig aufpolieren. Denn spätestens seit der Ära Bill Clinton hatte sich die Partei zunehmend von den Gewerkschaften, den Jobs in der verarbeitenden Industrie und den damit verbundenen Wählerschichten aus der Arbeiterklasse entfernt (und war ihnen bisweilen sogar feindlich gesinnt).
Dies war sicherlich einer der Gründe für Bidens Streben nach einer grünen Industriepolitik. Zwar hat er nie alle Initiativen des »Green New Deal« übernommen, wie sie von Alexandria Ocasio-Cortez, Sanders und anderen Linken gefordert wurden, doch seine drei wichtigsten Gesetzesvorlagen – der Infrastructure Investment and Jobs Act (IIJA) von 2021, der Inflation Reduction Act (IRA) von 2022 und der CHIPS and Science Act von 2022 – zielten alle darauf ab, per gesetzlichen Regelungen die privaten Investitionen und Produktion anzukurbeln, wobei nicht nur ein Augenmerk auf die Umstellung auf grüne Energie gelegt wurde, sondern eben auch auf gute Arbeitsplätze.
Diese Hinwendung zur Industriepolitik war zu begrüßen, doch steckte der Teufel (insbesondere mit Blick auf die Unterstützung der Arbeiterklasse) im Detail: Anstatt populäre öffentliche Initiativen zu starten, die schnell Arbeitsplätze schaffen oder andere unmittelbare soziale Vorteile bieten würden, hielt die Regierung Biden an dem seit einem halben Jahrhundert bestehenden Ansatz der Demokratischen Partei fest, auf stark technokratisches und marktbasiertes Regierungshandeln zu setzen. Das Ergebnis war eine Reihe wichtiger, aber letztlich eng gefasster und sehr komplexer politischer Maßnahmen, deren unmittelbare Auswirkungen für die Arbeiterklasse weitgehend nicht spürbar blieben.
»Wenn die Biden-Jahre irgendetwas deutlich gemacht haben, dann die Tatsache, dass die praktische Politikgestaltung durchaus von Bedeutung ist.«
Ein Blick zurück bis in die späten 1960er und 1970er Jahre hilft, die jüngere Geschichte der Wählerwanderung bis hin zum katastrophalen Wahlergebnis 2024 zu verstehen. Zusammengefasst lässt sich sagen: Es stimmt sicherlich, dass einige Gründe für den Widerstand der Arbeiterklasse gegen den heutigen Liberalismus in dessen »woker« Rhetorik und anderen Anzeichen kultureller Entfremdung liegen. Diese Beschwerden sind aber vielmehr Ausdruck einer tiefer liegenden Unzufriedenheit mit liberalen Wirtschafts- und Regierungsansätzen, die von demokratischen Politikern oft als Ersatz für eine wirklich ansprechende und umfassende moralische Vision verkauft wurden. Für große Teile der arbeitenden Bevölkerung ist es befremdlich, dass sich PMC-Liberale sowohl in politischen als auch in moralischen Fragen auf rein technokratische Lösungen und institutionelle Normen versteifen.
Wenn die Biden-Jahre irgendetwas deutlich gemacht haben, dann die Tatsache, dass die praktische Politikgestaltung durchaus von Bedeutung ist. Der betont professionell-unternehmerische Regierungsansatz der Liberalen (das Herzstück ihres politischen Stils) hingegen dürfte die Ursache für die Enttäuschung der Wählerinnen und Wähler aus der Arbeiterklasse mit der Demokratischen Partei sein.
Im Jahr 1977 veröffentlichten Barbara und John Ehrenreich einen mittlerweile legendären Artikel, in dem sie die Entstehung der »professional-managerial class« beschrieben. Sie identifizierten darin eine »Klasse« aus Bürokraten, Anwältinnen und Managern, die zwischen der klassischen Arbeiterschicht und den höchsten Sphären des kapitalistischen Systems agiert. Hillary Clintons Sieg gegen Sanders bei der Nominierung für die Präsidentschaftskandidatur 2016 lenkte die Aufmerksamkeit erneut darauf, wie die sich ausbreitende PMC den Liberalismus und die Demokratische Partei grundlegend umgestaltet hatte. Seit den 1970er Jahren übten Anwälte, Politikexpertinnen, Bürokraten und Beraterinnen zunehmend Einfluss auf die Wahlkampf- und Politikprioritäten der Demokratischen Partei sowie auf die Wahrnehmung ihrer Wählerbasis aus.
Die liberale PMC-Klasse hat auch den Regierungsstil der Demokratischen Partei geprägt, wenn sie an der Macht war. Die modernen Liberalen teilen (vordergründig) die sozialen Ziele des traditionellen New Deal – allgemeiner Zugang zu einer erschwinglichen Gesundheitsversorgung, eine Wirtschaft, die allen Menschen Chancen bietet, ein sicheres und bezahlbares Dach über dem Kopf etc. Um diese Ziele zu erreichen, werden aber Methoden verwendet, die praktisch immer vom privatwirtschaftlichen oder auch ehrenamtlich-sozialen Bereich bestimmt werden. Im Alltag wird von normalen Menschen daher zunehmend verlangt, sich in einem verwirrenden Dickicht aus diversen Unternehmen, Partnerschaften und nichtstaatlichen Dienstleistern zurechtzufinden, die staatliche Aufgaben erledigen und verwalten. Der liberale Staat von heute ist von gemeinnützigen wie profitorientierten privatwirtschaftlichen Verwaltern/»Managern« durchdrungen.
Diesen besonderen Ansatz des Regierens haben die PMC-Liberalen durch ihre eigene Ausbildung und im Laufe der Zeit auch durch ihre Klasseninteressen entwickelt. Zu Beginn der 1960er Jahre stieg die Zahl der Amerikaner mit Hochschulabschluss deutlich. Dieser Trend beschleunigte sich in den folgenden Jahrzehnten: Zwischen 1963 und 1979 verdoppelte sich die Zahl der Studienanfänger in der Rechtswissenschaft auf mehr als 40.000. Andere Studiengänge verzeichneten ein ähnlich explosives Wachstum. Ebenso nahm die formale Ausbildung im Bereich öffentliche Verwaltung erheblich zu. Besonders auffällig war diese »Demokratisierung der Universitätsausbildung« unter Frauen und People of Color. Schon bald wurde Diversität unter gut (aus-)gebildeten Menschen zu einem Markenzeichen des modernen Liberalismus. Der Einfluss der PMC ist in dieser Hinsicht parteiübergreifend, aber an der Spitze der Demokratischen Partei ist er besonders ausgeprägt. So war Tim Walz die erste Person ohne Jura-Studium auf einem Präsidentschaftswahlzettel der Demokraten seit Jimmy Carter im Jahr 1980.
Viele junge Babyboomer wollten ihre in den 1960er Jahren gefestigten Werte in ihren Beruf übertragen; und so entstand aus den breiten Reihen dieser Manager, Anwältinnen und gut geschulten Bürokraten der 60er und 70er Jahre eine aufstrebende und zunehmend diverse Generation politisch aktiver Liberaler. Es handelte sich dabei oft um unzynisch idealistische Policy-Professionals. Viele verzichteten bewusst auf die lukrativeren Angebote in der Privatwirtschaft, um in oder an der Seite der Regierung zu arbeiten.
»Die hochkomplexen und technischen Regierungsansätze erreichten ihren Höhepunkt in den Regierungen Clinton und Obama.«
In den 1980er und 90er Jahren waren die Ausbildung, die Instinkte und die soziale Welt der PMC-Liberalen bereits untrennbar mit dem (globalisierten) kapitalistischen System verbunden, das sie eigentlich reformieren wollten. Und während die Spenden der Gewerkschaften für liberale politische Parteien und deren Wahlkampfkampagnen im Vergleich zu den Beiträgen von Unternehmen und Finanzinteressen zurückgingen, übernahmen einige Liberale sogar Vorstandssitze oder andere beratende Positionen im privatwirtschaftlichen Sektor. Überall priesen die Liberalen die neuen Technologien und die Aussichten eines neuen globalisierten Kapitalismus, der für mehr Gleichheit sorgen würde. Ebenso glaubten sie an vermeintlich rationale, datenbasierte Beweise als Mittel der politischen Überzeugung. Vor allem aber machten sie Reformen, Management und Förderung der Märkte sowohl zum Mittel als auch zum Ziel der allgemeinen Politik.
Angesichts des zunehmenden Widerstands gegen überbordende Bürokratie im privaten wie öffentlichen Sektor wollten diese Liberalen den Staat nicht dazu nutzen, staatliche Kapazitäten aufzubauen, sondern sie so anzupassen und zu zerstückeln, dass dadurch die Märkte in einer Weise gelenkt würden, dass sie gesamtgesellschaftlichen Nutzen bringen könnten. In der Praxis bedeutete dies: Anstatt öffentlichen Wohnraum zu schaffen, wurden subventionierte Wohngutscheine angeboten, um armen Menschen den Zugang zum privaten Wohnungsmarkt zu erleichtern. Anstatt eine staatliche Gesundheitsversorgung zu schaffen, wurde mit Obamacare ein umfangreiches System aus diversen Subventionen, Anreizen und Vorschriften aufgebaut, um den Zugang auszuweiten, private Märkte besser zu kontrollieren und die einzelnen US-Bundesstaaten zur Teilnahme zu bewegen. Viele Liberale sahen die Schaffung eines Marktes für solche »sozialen Güter« gar als ein Mittel, um deren Überleben zu sichern: Sollten die Konservativen beispielsweise Medicare ins Visier nehmen, würden sich die Gesundheitsdienstleister und Versicherer, die sich doch so wunderbar am Trog von Medicare laben konnten, für dessen Rettung starkmachen.
Es ist daher nicht verwunderlich, dass sich eine veritable »Drehtür« zwischen Top-Beratungsfirmen wie McKinsey und demokratischen Regierungen auftat. Im Laufe der Zeit wurde ein management- und marktorientiertes Ethos zum bestimmenden Merkmal der Demokratischen Partei – die einst die Partei der Arbeit gewesen war. Selbstverständlich waren die PMC-Liberalen nicht die einzige Ursache für den Niedergang einer starken Arbeiterschaft: Deindustrialisierung, Automatisierung und zunehmender globaler Wettbewerb waren seit Jahrzehnten strukturelle Realitäten. Doch seit den 1970er Jahren sahen junge Liberale die Gewerkschaften und die Branchen, in die sie traditionell eingebettet waren, zunehmend als weniger wichtig an. »Dynamischere« Sektoren wie Tech und Finanzwirtschaft wirkten offensichtlich viel attraktiver.
Die hochkomplexen und technischen Regierungsansätze erreichten ihren Höhepunkt in den Regierungen Clinton und Obama. Letzterer zelebrierte »Smart Governance« als Lösung für die zunehmende Ungleichheit und soziale Unzufriedenheit im Land. Während seiner zwei Amtszeiten warb Obama mehr als 900 Mal mit dem Wort »smart« für seine marktorientierte Wirtschafts- und Sozialpolitik. Der Präsident und sein Team von PMC-Liberalen waren überzeugt, dass die Konzentration auf fachmännisch verwaltete Märkte und technokratische Regierungsführung soziale Probleme lösen würde, ohne dass dafür eine weitergehende Umverteilung oder ein gewisser Strukturwandel nötig wären. In den acht Jahren, die Biden als Vizepräsident im Weißen Haus von Obama verbracht hat (ganz zu schweigen von seinen mehr als drei Jahrzehnten im Senat), hat er sich diesen auf reines Management ausgerichteten Ansatz ebenfalls zu eigen gemacht. Dieses erlernte Wissen brachte »Scranton Joe« in seine eigene Präsidentschaft mit ein – ebenso wie die vielen früheren Mitglieder der Clinton- und Obama-Administrationen.
Trotz dieser Klassenzusammensetzung unternahm das Weiße Haus unter Biden bewusste Schritte, um bei der amerikanischen Arbeiterklasse mehr Zuspruch zu finden. Allerdings wurden diese Bemühungen durch den besagten marktorientierten Management-Ansatz der Demokraten in der Politikgestaltung fast völlig zunichtegemacht. Zwar malte Biden vollmundig seine wirtschafts-, umwelt- und sozialpolitischen Ziele aus, doch erwiesen sich seine drei wichtigsten Gesetzesvorhaben gerade deshalb als politische Blindgänger, weil sie sich auf die gleichen alten, schwer zu durchblickenden technokratischen und marktfixierten Ansätze stützten.
Die besagten drei Gesetzentwürfe waren das Kernstück von Bidens grüner Industriepolitik. Angesichts ihres riesigen Umfangs, der dahinterstehenden Ambitionen und auch ihrer gewissen realen Erfolge ist es aber besonders bemerkenswert, dass heute kaum jemand über sie spricht. Der IIJA umfasste rund 550 Milliarden Dollar für Infrastrukturverbesserungen. Der IRA enthielt rund 750 Milliarden für klimabezogene Innovationen sowie Mittel zur Senkung der Energiekosten für Privathaushalte. Im Rahmen des CHIPS Acts werden fast 300 Milliarden Dollar für die Förderung der inländischen Produktion von Halbleiterchips ausgegeben – den wichtigen Grundkomponenten für diverse Produkte von Solarpanels bis zu Handys. Mit dem Ansatz soll erneuerbare Energie so kosteneffizient gemacht werden, dass die strombezogenen Emissionen in den USA bis 2035 um 75 Prozent sowie die verkehrsbezogenen Emissionen um ein Drittel sinken könnten, glauben Fachleute.
»Diese Version des Liberalismus mag den Schritt hin zur grünen Transformation eingeleitet haben, aber sie ist kein gutes Rezept für den Aufbau politischer Macht.«
Infolge von Bidens Investitionen ist der Anteil des verarbeitenden Gewerbes am BIP des Landes derzeit so hoch wie seit 1981 nicht mehr. Die Investitionen in umweltfreundliche Produktionsanlagen haben sich zwischen 2021 und 2023 verdoppelt. Wenn diese Trends anhalten, werden öffentliche Subventionen in Höhe von etwa 300 Milliarden Dollar in den kommenden Jahren voraussichtlich mehr als 500 Milliarden Dollar an privaten Investitionen in einer Reihe von grünen Sektoren anregen: Solar- und Windenergieerzeugung und -speicherung, Elektrofahrzeuge und Batterien sowie die Dekarbonisierung der traditionellen Fertigung, einschließlich der Beton- und der Stahlproduktion. Im Frühjahr 2024 gab das Energieministerium bekannt, dass es 203 Anträge für Darlehen in Höhe von 262,2 Milliarden Dollar an 245 Standorten in den Vereinigten Staaten bearbeitet. Diese Anträge – von Unternehmen, die an der Wiederverwendung und Reduzierung von CO2, fortschrittlichen Nukleartechnologien, Elektrofahrzeugen und -batterien, der Energieübertragung und mehr arbeiten – stammen von Unternehmen sowohl aus roten als auch blauen Bundesstaaten. Die neuen Arbeitsplätze und Geschäftsmöglichkeiten wurden sowohl von republikanischen als auch von demokratischen Gouverneuren begrüßt.
Biden hat wiederholt versprochen, seine Bidenomics würden die Wirtschaft »von der Mitte heraus und von unten nach oben« wachsen lassen. Doch verschwindend wenige Amerikanerinnen und Amerikaner haben offenbar den Nutzen seiner Initiativen »erkannt«. Eine Umfrage ergab, dass die Mehrheit der Menschen im Land »nichts oder nur wenig« über den IIJA oder den CHIPS Act gesehen, gelesen oder gehört haben. 48 Prozent sagten dies auch über den Inflation Reduction Act. Von denjenigen, die von den Gesetzen gehört hatten, äußerte sich nur ein Viertel positiv. Ungefähr derselbe Anteil der Wählerinnen und Wähler glaubt, dass Donald Trump – dessen erste Regierung es wiederholt unterlassen hatte, in Infrastruktur zu investieren – genauso viel getan hat wie Biden, um Arbeitsplätze zu schaffen und Infrastrukturinvestitionen zu tätigen.
Die von den Demokraten verfolgte marktfixierte Politik ist der Wählerschaft also offensichtlich schwer zu vermitteln. Allerdings gab es aber auch kaum Anzeichen dafür, dass Biden und Vizepräsidentin Harris auch nur daran interessiert waren, es zu versuchen: In Bidens letzter Rede zur Lage der Nation wurden seine drei großen Gesetzesinitiativen kaum noch erwähnt. Im einzigen TV-Duell kritisierte Trump Harris für Bidens (eigentlich guten) Leistungen in Sachen Industrieinvestitionen und Schaffung von Arbeitsplätzen im verarbeitenden Gewerbe. Sie hätte in Reaktion auf die Erfolge des IRA oder des CHIPS Acts verweisen können, sprach aber beide nicht an.
Anstatt ihre Rolle als Vermittler und »Erklärer« von politischen Maßnahmen anzunehmen, verfolgten die Biden-Administration und ihre Vertreter oft einen herablassenden Ansatz: Sie gaben den Medien sowie den Wählerinnen und Wählern die Schuld daran, dass letztere nicht wussten, was eigentlich vor sich ging. John Podesta, Bidens höchster Berater für saubere Energie, drückte es so aus: »Ich glaube nicht, dass die Leute auf die Namen der Gesetzesentwürfe achten oder auch nur darauf, dass Gesetze verabschiedet wurden.« Energieministerin Jennifer Granholm stimmte dem zu: »Es ist einfach enorm, wie viel dort [in Washington] passiert«, sagte sie. Die Leute würden aber schlicht nicht mitbekommen, »was da alles passiert«.
»Dass so viele andere Liberale im Repräsentantenhaus und im Senat bereit waren, diese Kompromisse im Namen des Parteifriedens und des Respekts für Verfahren einzugehen, zeigt, wie allergisch die liberale PMC auf offene Kämpfe um politische Macht oder echte moralische Visionen reagiert.«
Diese Version des Liberalismus mag den Schritt hin zur grünen Transformation eingeleitet haben, aber sie ist kein gutes Rezept für den Aufbau politischer Macht. Das Problem lag und liegt dabei eindeutig weniger bei der amerikanischen Bevölkerung als bei den Prioritäten der politischen Entscheidungsträger und Abgeordneten. Anstatt ihre nur langsam voranschreitende, unternehmensorientierte grüne Wirtschaftspolitik mit einem breiteren Spektrum unmittelbar greifbarer sozialer Vorteile zu verknüpfen, gaben die Demokraten nur vage Prognosen über die erhofften Trickle-Down-Effekte ihrer Subventionen für grünes Kapital auf die allgemeinen Beschäftigungszahlen ab. Wie der Wirtschaftshistoriker Adam Tooze geschrieben hat, handelt es sich dabei um eine »Top-Down-Agenda«, der es an »transformativer Ambition« fehlt. Anders gesagt: Die grundlegende Natur der amerikanischen Klassen- und Sozialpolitik bleibt weitgehend unberührt.
In ähnlicher Weise zeigt sich auch, dass Gesundheitsreformen der Demokraten nicht die politische Dividende gebracht hat, die sich die Partei erhofft hatte. Die Architekten des Affordable Care Act (ACA) versprachen lange Zeit, ein marktbasierter Ansatz werde die Gesundheitsversorgung effizienter machen. Die Umsetzung des ACA hat jedoch bewiesen, dass Marktstrukturen in der Gesundheitsversorgung Preisinflation ermöglichen, ganz zu schweigen von der Abzocke durch privatwirtschaftliche Unternehmen. Dank Bidens erfolgreichen Verhandlungen mit den Arzneimittelherstellern konnten zwar die Kosten für bestimmte verschreibungspflichtige Medikamente wie Insulin gesenkt werden, aber diese Bemühungen behandeln letztlich nur die Symptome und nicht die Ursache des Problems. Hinzu kommt, dass es äußerst schwierig (und ineffizient) ist, sich in der begrenzten Zeit für die Auswahl eines Gesundheitsplans in den vielen Plänen, die zur Auswahl stehen, und den komplexen Regeln für die Anspruchsberechtigung zurechtzufinden. Ebenso schwierig ist es, einen Berater von HealthCare.gov am Telefon zu erreichen. Diese Erfahrungen haben bei vielen Amerikanern zu noch mehr Frustration und Entfremdung von der Regierung und damit auch von der Demokratischen Partei geführt – der Partei, die ganz besonders für »Smart Governance« steht.
Das muss nicht sein. In einer Gesellschaft, die sozial, politisch und regional so fragmentiert ist wie die USA, könnte eine solide landesweite Politik ein Mittel sein, um Zusammenhalt und Verbindungen zu schaffen. Wie beim New Deal würde eine solche öffentliche Politik auch breitere Bewegungen für den grünen Wandel, bessere Löhne und Sozialleistungen und die gewerkschaftliche Organisierung bestätigen und erleichtern helfen. Eine wirksame und transparent nachvollziehbare Regierungsführung könnte die Grundlage bilden, dass wieder mehr Vertrauen in die Demokratie selbst aufgebaut wird. In seiner ursprünglichen Form enthielt der »Bidenismus« durchaus Vorschläge für sozialpolitische Maßnahmen, die das Leben der Menschen (und vielleicht auch die Wahlchancen der Demokraten) auf allen Ebenen wesentlich hätten verbessern können. Das »Build Back Better«-Paket, die ursprüngliche Gesetzgebung, aus der letztlich »nur« der IRA gezimmert wurde, war das erste realisierbare größere Gesetzgebungsvorhaben in der Größenordnung der Sozial- und Wirtschaftspolitik des New Deal seit Generationen. Es hätte das Potenzial gehabt, das soziale Sicherheitsnetz zu stärken und der amerikanischen Klassen- und Wahlpolitik einen neuen Impuls zu geben. Es umfasste universelle sozialpolitische Maßnahmen: die Finanzierung universeller Vorschuleinrichtungen, eine Verlängerung der Steuergutschriften für Kinder über die Corona-Zeit hinaus, die Einführung staatlicher Unterstützung für bezahlten Urlaub in der Familie und für die medizinische Pflege sowie für vieles mehr. Zunichtegemacht wurde der Plan durch die demokratischen Senatoren Joe Manchin und Kyrsten Sinema, die den Gesetzesentwurf abschmettern, viele der direkten Sozialleistungen streichen und somit den Plan in den arg zurechtgestutzten Inflation Reduction Act umformen ließen.
Dass so viele andere Liberale im Repräsentantenhaus und im Senat bereit waren, diese Kompromisse im Namen des Parteifriedens und des Respekts für Verfahren einzugehen, zeigt, wie allergisch die liberale PMC auf offene Kämpfe um politische Macht oder echte moralische Visionen reagiert. Die Wählerschaft wird derweil gebeten, den etablierten Verfahren zu vertrauen, alle paar Jahre ihre Stimme abzugeben und ansonsten abzuwarten. Für die Wählerinnen und Wähler aus der Arbeiterklasse, die erlebten, wie die Steuergutschriften für Kinder unter Biden gestrichen wurden, war dies besonders bitter: Sie mussten mit ansehen, wie die Kosten für die Kinderbetreuung in die Höhe schnellten – parallel zu den explodierenden Lebensmittelpreisen und Mieten.
»Der Ansatz mit Botschaften ohne entsprechende sinnvolle Maßnahmen, ›smartes‹ Regieren ohne moralische Visionen und Top-Down-gerichtete statt von der Gesellschaft ausgehende und in sie eingebettete Initiativen und Organisationsformen ist zum Scheitern verurteilt.«
Wie der ehemalige Direktor der Verbraucherschutzbehörde AFL-CIO, Steve Rosenthal, kürzlich gegenüber dem New Yorker erklärte, sehnen sich die Wählerinnen und Wähler aus der Arbeiterklasse nach Politikern, die in Wirtschaftsfragen – gerade bei den Themen Arbeitsplätze und Gesundheit – Führungskraft zeigen. Rosenthal leitet die gewerkschaftsnahe Organisation In Union. Diese hat einen Bericht mitverfasst, demzufolge viele Menschen aus der Arbeiterklasse »der Ansicht sind, dass sich die Demokraten um alle anderen kümmern, nur nicht um sie«. Diesen Wählerinnen und Wählern, so Rosenthal weiter, müsse »deutlich gemacht werden, dass unsere Kandidaten und unsere Partei daran arbeiten, ihr Leben in wirtschaftlicher Hinsicht zu verbessern«.
Die PMC-Liberalen mögen sich über Donald Trumps vulgären und aggressiven Präsidentschaftsstil ärgern oder mokieren. Aber es lässt sich nicht leugnen, dass es einen gewissen populistischen Reiz hatte, wenn Trump während der Corona-Zeit persönlich Konjunkturschecks für die Menschen unterschrieb. Man kann sich kaum vorstellen, dass ein Otto Normalbürger einen Brief an Biden schreibt, in dem er sich freut, wie die technokratischen Regelungen im IRA für grüne Energie das Leben seiner Familie zum Besseren gewendet haben. Die Biden-Regierung weigerte sich hartnäckig zu akzeptieren, dass der Präsident, egal wie oft er sich auf einer Baustelle zum Fototermin einen Schutzhelm aufsetzte, nichts gegen die Entfremdung der Wähler aus der Arbeiterklasse von der Demokratischen Partei ausrichten konnte. Das gilt über alle Demografien und Ethnien hinweg. Die vergangenen vier Jahre haben bewiesen, dass die 50 Jahre währende Gleichgültigkeit der Demokraten gegenüber Entwicklungen wie dem Rückgang der Gewerkschaftsmitgliederzahlen (und ihr eigener Beitrag dazu!) nicht über Nacht geändert werden kann.
Das zeigte sich dann auch im Wahlkampf: Kamala Harris verströmte deutlich mehr als Biden ein liberales PMC-Ethos. Der mikrofokussierte Ansatz ihrer hyper-gemanagten Wahlkampagne gab der quantitativen Analyse von Fachleuten eindeutig den Vorrang vor dem Versuch, eine echte Beziehung zu den Bedürfnissen der arbeitenden Bevölkerung herzustellen. Als Tim Walz als Vize-Kandidat benannt wurde, sorgte dies anfangs für Begeisterung in unterschiedlichsten Wählerschichten. Doch das Harris-Team mit seinen professionellen Politikberatern hat Walz so sorgfältig »gemanagt«, dass er nur als ein weiterer unaufrichtiger Malocher-Schauspieler an der Spitze einer PMC-Partei erschien.
In den kommenden Monaten und Jahren wird die Demokratische Partei eine gründliche Bestandsaufnahme vornehmen müssen. Einige werden die Bedeutung von »Messaging« und Öffentlichkeitsarbeit betonen. Andere werden dazu aufrufen, sich wirtschaftspolitisch weiter in die Mitte zu bewegen. Es ist zu bezweifeln, dass sich bei einem dieser Ansätze grundlegend mit der Frage auseinandergesetzt wird, warum es dem Bidenismus nicht gelungen ist, Wählerinnen und Wähler aus der Arbeiterklasse in dem Maße zurückzugewinnen, wie es sich die Partei erhofft hatte.
Die Wahl 2024 hat es deutlich gemacht: Der Ansatz mit Botschaften ohne entsprechende sinnvolle Maßnahmen, »smartes« Regieren ohne moralische Visionen und Top-Down-gerichtete statt von der Gesellschaft ausgehende und in sie eingebettete Initiativen und Organisationsformen ist zum Scheitern verurteilt – und zwar nicht nur mit Blick auf die Wählerschaft aus der Arbeiterklasse.
Brent Cebul ist Associate Professor für Geschichte an der University of Pennsylvania und Autor von Illusions of Progress: Business, Poverty, and Liberalism in the American Century.
Lily Geismer ist Professorin für Geschichte am Claremont McKenna College und Autorin von zwei Büchern, darunter zuletzt Left Behind: The Democrats’ Failed Attempt to Solve Inequality.