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09. Juni 2025

Leben wir in Zeiten des Spätfaschismus?

Der Faschismus kehrt nicht zurück, er mutiert – so die Kernthese des neuen Buches von Alberto Toscano. Warum historische Analogien oft in die Irre führen und wie er die Rechte von heute einordnet, erklärt er im Gespräch.

Rechtsextreme demonstrieren »gegen Volksverrat« auf dem Alexanderplatz in Berlin, 1. Juni 2025.

Rechtsextreme demonstrieren »gegen Volksverrat« auf dem Alexanderplatz in Berlin, 1. Juni 2025.

IMAGO / Wolfgang Maria Weber

Fünf vor 1933 oder doch etwas völlig anderes? Die Faschismus-Debatte steht im Zeichen des historischen Vergleichs. Der Philosoph Alberto Toscano argumentiert in seinem jüngst in deutscher Übersetzung erschienenen Spätfaschismus. Rassismus, Kapitalismus und autoritäre Krisenpolitik: Ja, der Faschismus kehrt zurück, aber in veränderter Form – und in gewisser Weise war er sogar nie weg.

Im Rückgriff auf die Tradition radikaler schwarzer Antifaschistinnen und Antifaschisten begreift Toscano den Faschismus als ständiges Potenzial des Kapitalismus. Im Gespräch erklärt er, warum der Faschismus nicht als radikaler Bruch kommt und warum er den Faschismus als Fortführung imperialer Gewalt begreift.

Dein Buch trägt den Titel Spätfaschismus. Was ist darunter zu verstehen?

Der Begriff »Spätfaschismus« soll keine fixe Definition sein. Er ist eher eine Art Ersatzbegriff, eine Bezeichnung für das Problem, dass wir die Besonderheiten des gegenwärtigen Faschismus und seine Unterschiede zum historischen Faschismus mitbedenken müssen. Das, worauf der Faschismus in den 1920er und 30er Jahren reagierte, ist nicht das, worauf er heute reagiert. Die Formen der Krisen und des Staats, der politischen Ökonomie und der Klassenverhältnisse sind nicht dieselben. Der historische und gegenwärtige Faschismus sind nicht identisch, sie unterscheiden sich in wesentlicher Hinsicht sogar radikal.

Du beziehst Dich auf antikoloniale und antirassistische Denkerinnen und Denker aus der Black radical tradition. Wie wird der Faschismus in dieser Denktradition definiert und welche Folgerungen ziehst Du daraus?

In Reaktion auf die italienische Invasion Äthiopiens im Jahr 1935 brachen einige antikoloniale Intellektuelle aus der Arbeiterbewegung mit der Dritten Internationale, die, im Kontext der Volksfrontpolitik in Europa, zwischen einem faschistischen und einem demokratischen Imperialismus unterschied. Obwohl es eine gewisse Opposition aus der Sowjetunion gab, schloss die Linke so eine Art Kompromiss mit den fortdauernden Formen kolonialer Herrschaft. Das ist der Kontext, in dem C.L.R James, George Padmore und Aimé Césaire auftraten.

Ihre Analyse eines »Rassenfaschismus« wehrt sich dagegen, den Faschismus als Ausnahme zu betrachten und damit die strukturellen Kontinuitäten des Imperialismus außen vor zu lassen. Eine bittere Ironie ist, dass der historische Faschismus ja in gewisser Hinsicht ein »Spätimperialismus« ist. Man denke an den deutschen Generalplan-Ost oder an die siedlerkolonialen Pläne Italiens, die von Libyen bis Albanien reichen sollten.

»Die Faschisierung ist nur möglich, weil die Grundlagen und das Personal der Repression schon vorhanden sind. Genau deswegen ist radikaler Aktivismus rund um die Themen Grenzen, Polizei und Gefängnisse antifaschistische Arbeit. Das sind die Nervenzentren der Faschisierung.« 

Eine zentrale Erkenntnis dieses antikolonialen Antifaschismus ist, dass die Ideologien und Praktiken des europäischen Faschismus den Mustern rassistisch-kapitalistischer Herrschaft, die ihren krassesten Ausdruck in der Besitz- und Plantagensklaverei gefunden hatte, nicht nur ähneln, sondern mit ihnen in einer genealogischen Beziehung stehen. Der Dichter Langston Hughes schrieb etwa zu dieser Zeit: Was den Europäern völlig neu vorkommt, ist den Nachkommen der Versklavten, den unterdrückten Schwarzen und den unter französischer oder britischer Kolonialherrschaft stehenden, aufs Engste vertraut. Auf dieser Grundlage können wir von einem Faschismus vor dem Faschismus sprechen.

Diese Einsichten entstammten den Kämpfen schwarzer und kolonisierter Aktivistinnen und Aktivisten in sozialistischen und kommunistischen Bewegungen. Es ist aber auch etwas, das die Faschisten jedem erzählten, der es nur hören wollte. Hitler bezog sich ausdrücklich auf das Britische Empire, den amerikanischen Siedlerkolonialismus und auf die Auslöschung der Indigenen in den USA. Die tiefgreifende Kontinuität mit der kolonialen Enteignung wurde von den Faschisten derart explizit gemacht, dass man daran ablesen kann, wie viel Arbeit es gekostet haben muss, die Vorstellung zu verbreiten, der Faschismus sei eine singuläre innereuropäische Anomalie, die mit der Globalgeschichte europäischer Herrschaft nichts zu tun habe.

Wenn der Faschismus nicht als Anomalie zu verstehen ist, was bedeutet das dann für das Verhältnis zwischen Kapitalismus und Faschismus?

Von schwarzen Aktivistinnen und Aktivisten der 1960er und 70er Jahre können wir lernen, dass es in kapitalistisch-rassistisch organisierten Staaten – und damit auch in liberalen Demokratien – Veranlagungen zum Faschismus gibt. Angela Davis vertritt die These, dass die Erfahrung des Faschismus ausdifferenziert ist, dass also das, was einem Rechts- oder Politikwissenschaftler als ein Regime oder eine politische Ordnung erscheinen mag, in Wirklichkeit mehrere Herrschaftsregimes beherbergen kann. Zugespitzt gesagt: Derselbe Staat kann für die einen liberal und für die anderen faschistisch sein. In Anlehnung an Ernst Fraenkel nennt Bill Mullen das einen »Doppelstaat«. Es gibt diejenigen, die aufgrund rassistischer oder anderer zugeschriebener Merkmale mit Rechten ausgestattet werden und diejenigen, die der Staatsmacht schutzlos ausgeliefert sind.

Ihr Charakter als Doppelstaat strukturiert die liberalen Demokratien so, dass in ihnen andauernd das Potenzial zunehmender Faschisierung schlummert. Das ist der materialistische Wahrheitskern des berühmten Zitats von Martin Niemöller: »Als die Nazis die Kommunisten holten, habe ich geschwiegen.« Die zentrale Einsicht ist folgende: Die Ziele und Methoden mögen sich verändern, aber sie holen immer schon rassifizierte Menschen, Migrantinnen und Migranten, Dissidentinnen und Dissidenten. Wir leben in Gesellschaften, in denen es schon jetzt beträchtliche Bereiche rassistischer Rechtlosigkeit gibt, in denen der Staat als Maßnahmenstaat agiert – an jeder Grenze, in jedem Gefängnis, in jedem Internierungslager.

Der radikale schwarze und abolitionistische Antifaschismus macht klar, dass sich antifaschistische Politik auf die Räume der Unterwerfung und des Ausschlusses fokussieren muss, die es schon in der liberalen Gesellschaft gibt. Natürlich macht es einen Unterschied, wenn der Maßnahmenstaat und die Abschiebemaschinerie zum Dreh- und Angelpunkt der Politik gemacht werden. Die begeisterte Affirmation der Staatsgewalt ist konstitutiv für den Faschismus. Aber dennoch: Die Faschisierung ist nur möglich, weil die Grundlagen und das Personal der Repression schon vorhanden sind. Genau deswegen ist radikaler Aktivismus rund um die Themen Grenzen, Polizei und Gefängnisse antifaschistische Arbeit. Das sind die Nervenzentren der Faschisierung. Beim Thema Einwanderung sehen wir das überdeutlich: Für bestimmte Akteure eröffnen sich gerade Räume für exzessives Handeln. Das kann ohne Auftrag geschehen. Der Faschismus ermöglicht es gewissen Subjekten, individuell zu Unternehmern der Herrschaft zu werden.

Du beschreibst diese Dynamik mit dem Begriff der »faschistischen Freiheit«. Eine Provokation?

Es handelt sich notwendigerweise um ein sehr ambivalentes Phänomen. Meine Provokation richtet sich zunächst gegen die beschwichtigende Vorstellung, der Faschismus sei die ultimative Aufhebung von Freiheit. Wir müssen uns bewusst machen, dass der Faschismus auf unterschiedliche Weise bestimmten Gruppen und Individuen Formen von Freiheit verspricht. Meistens handelt es sich dabei um Freiheiten, die eng mit den Subjektivitäten des Siedlerkolonialismus verbunden sind: Freiheit zu herrschen, zu enteignen, zu kontrollieren.

»Die Freiheitsversprechen der gegenwärtigen Rechten treten in einer spezifischen historischen Situation auf, die von einem halben Jahrhundert Neoliberalismus geprägt ist. So kommt es zu eigenartigen Verbindungen aus rechter Politik und Hyperindividualismus.«

Historisch gab es aber auch Freiheiten, die Formen des traditionellen Konservatismus zuwiderliefen. Dagmar Herzog zeigt in ihrem Buch Die Politisierung der Lust, dass es im Nationalsozialismus eigenständige Formen körperlicher und sexueller Befreiung gab. Sie waren natürlich patriarchal und auf brutale Weise homophob und rassistisch, aber sie ermöglichten auch neue Formen körperlichen Verhaltens, die etwa der familienbezogenen christlichen Geschlechternormativität entgegenstanden. Bei der Gleichsetzung des Faschismus mit extremen Formen hyperkonservativer Unterdrückung geht verloren, dass sich Faschisten auf teils äußerst widersprüchliche Weise mit der Gesellschaft arrangieren müssen, in der sie leben.

Die Freiheitsversprechen der gegenwärtigen Rechten treten in einer spezifischen historischen Situation auf, die von einem halben Jahrhundert Neoliberalismus geprägt ist. So kommt es zu eigenartigen Verbindungen aus rechter Politik und Hyperindividualismus. Man denke an Libertäre, Impfgegner oder die Querdenker-Szene, die alle von Begriffen wie Freiheit und Souveränität besessen sind, aber gleichzeitig extreme Formen staatlicher Gewalt gutheißen, solange sie sich gegen diejenigen Subjekte richtet, die vermeintlich die volle Entfaltung ihrer unternehmerischen Individualität behindern.

Ein zweiter wichtiger Aspekt ist, dass wir von einem starren Verständnis dessen wegkommen, was Faschismus auf wirtschaftlicher Ebene bedeutet. Der italienische Faschismus entstand mit einer äußerst positiven Sicht auf den Wirtschaftsliberalismus. Bei Mussolini heißt das: staatliche Gewalt zur Entfesselung der Märkte. Natürlich durchläuft diese Vorstellung später alle möglichen Mutationen und wird schließlich zur Formel »Alles für den Staat«. Aber das ist nicht das Wesen und schon gar nicht die ursprüngliche Vision des Faschismus.

In Deiner Analyse bringst Du mit der Black radical tradition und der Frankfurter Schule zwei Theorietraditionen zusammen, die Rassismus und Antisemitismus analysieren. Kann uns diese Verbindung helfen, die Instrumentalisierung des Kampfes gegen Antisemitismus zu verstehen, die angesichts des Genozids in Gaza weltweit, vor allem aber hier in Deutschland, zu beobachten ist?

Aufgrund des jahrzehntelangen, konzertierten Drucks des israelischen Staats, aber auch vieler Menschen, die sich stark mit dem Zionismus identifizieren, ist es äußerst schwierig geworden, eine Theorie des Antisemitismus für die Gegenwart zu formulieren.

Das Problem äußert sich auf groteske Weise: In Israel fand kürzlich eine Konferenz zum Thema Antisemitismus statt, zu der das »Who’s who« der europäischen Rechtsextremen eingeladen war – allesamt Leute, die aufs Übelste an der Verbreitung antisemitischer Verschwörungstheorien beteiligt sind. Auf der anderen Seite wurde die progressive Linke der Labour-Party unter Corbyn mittels eines bewusst geschürten Antisemitismusskandals angegriffen. Ähnliches lässt sich bei der Unterdrückung der palästinasolidarischen Bewegung beobachten, von Deutschland bis zu den Hochschulen in den USA.

Für mich ist es wichtig, über die Beziehung zwischen racial capitalism und Antisemitismus nachzudenken. In diesem Zusammenhang sind einige Arbeiten der Frankfurter Schule interessant, wie das »Forschungsprojekt zum Antisemitismus« von 1941, aber auch die zeitgleich entstandene Arbeit des trotzkistischen Widerstandskämpfers Abraham Léon, der 1944 in Auschwitz ermordet wurde, Judenfrage und Kapitalismus. Beides sind Versuche zu verstehen, wie die dem Kapitalismus innewohnenden Mechanismen der Rassifizierung von Klasse und Ausbeutung beeinflussen, was Antisemitismus bedeutet. Der Antisemitismus ist nicht einfach eine psychische Pathologie. Wir müssen seine historischen Bedingungen durchdenken, die Art und Weise, wie er reale gesellschaftliche Konflikte projiziert und verzerrt. Wir müssen auch mit dem idealistischen Reflex brechen, der annimmt, es gäbe zwei völlig verschiedene, nicht miteinander vergleichbare Formen des Rassismus – nämlich antischwarzen Rassismus und Antisemitismus –, zwischen denen es keinerlei Bezüge oder Spannungen gibt.

»Man könnte vielleicht sagen, der Kapitalismus ist zwar immer rassistisch, aber es gibt Momente, in denen das Rassistische als affirmatives, politisches Projekt in den Vordergrund tritt.«

In Israel gibt es in der winzigen, aber interessanten antizionistischen Linken und unter linksliberalen Zionisten schon lange eine Diskussion über den Begriff des Faschismus. Das war schon zur Zeit der Gründung Israels und der Nakba ein Thema, und jüdische Kritikerinnen und Kritiker des israelischen Staatszionismus wie Hannah Arendt haben das sehr deutlich gemacht.

Als die Debatte dann in den späten 1970ern, zur Zeit der Regierung von Menachem Begin, wieder aufkam, gab es einige interessante Artikel der Gruppe Matzpen, wo diese marxistischen, antizionistischen israelischen Aktivistinnen und Aktivisten den Faschismusdiskurs dafür kritisierten, dass er eine materialistische Untersuchung des israelischen Siedlerkolonialismus und seiner Beziehung zum US-Imperialismus verdecke. Sie argumentierten: Wenn man sagt, »der Staat wird faschistisch«, dann besteht die Gefahr, dass man ausblendet, inwiefern das faschistische Phänomen aus dem bereits bestehenden Staat erwachsen ist. Es besteht die Gefahr, das man das Regime, dem die Faschisierung entspringt, zu dessen Gegenteil oder sogar zu dessen Gegenmittel verklärt. Seit den 2000ern schreiben israelische Kommentatorinnen und Kommentatoren immer wieder, dass der Faschismus vor der Tür stehe, aber diese Kommentare beruhen in der Regel darauf, dass die Situation der Palästinenserinnen und Palästinenser, einschließlich der palästinensischen Bürgerinnen und Bürger Israels, völlig ausgeblendet wird.

Ein besonders beunruhigender Aspekt des gegenwärtigen Faschismus ist, dass er mit der ökologischen Katastrophe in eine gewaltsame Wechselwirkung tritt. Wie denkst Du über diese historischen Umstände nach?

Das ist eine große Frage – doch es gibt eine Verbindung, die der kolumbianische Präsident Gustavo Petro in einer bemerkenswerten Rede hergestellt hat. Er verknüpft den Genozid in Gaza und die Komplizenschaft der europäischen Mächte mit den Konflikten und der Gewalt, die die ungebremste Klimakrise heraufziehen lässt. Er sagt, dass das, was wir in Gaza sehen, eine Probe für die Zukunft sei – wir sollen uns abhärten und mitschuldig gemacht werden an tödlicher Gewalt, die gegen Bevölkerungsgruppen ausgeübt wird, die als entbehrlich klassifiziert werden.

Im Allgemeinen lebt der Faschismus immer von der Identifikation bestimmter Menschen als überflüssig, und er setzt Diskurse, Politiken und staatliche Gewalt ein, um diese Vorstellungen zu verwirklichen. In diesem Sinn war das »faschistische Virus«, wie Karl Polanyi es 1934 ausdrückte, von Anfang an da. Der Kapitalismus produziert überschüssige Bevölkerungen und er klassifiziert ganze Gruppen als entbehrlich, minderwertig oder unwürdig. Der Faschismus ist ein bewusstes, gewaltsames Projekt zur Bestätigung und Durchsetzung dieser Strukturen. Man könnte vielleicht sagen, der Kapitalismus ist zwar immer rassistisch, aber es gibt Momente, in denen das Rassistische als affirmatives, politisches Projekt in den Vordergrund tritt. Dort geht es dann nicht mehr nur darum, Hierarchien von Würde, Privilegien und Entbehrlichkeit zu akzeptieren, sondern diese festzuschreiben, herzustellen und ihrer Logik bis zur Auslöschung zu folgen.

Faschistische Gewalt und Diskriminierung erschöpfen sich dabei nicht im Rassismus. Man denke etwa an die Eugenik und die Hunderttausenden von behinderten, neurodiversen oder queeren Menschen, die im Deutschland der 1930er Jahre getötet wurden, noch bevor der Krieg begann.

Welchen Stellenwert hat die Abwertung dessen, was die Nazis »lebensunwertes Leben« nannten, für die extreme Rechte heute – und tritt auch das mit der Klimakrise in Verbindung?

Ich denke an diese verstörende Autismus-Diskussion in den USA. Robert F. Kennedy Jr. sagt in einer Rede einmal: »Diese Kinder werden niemals spielen und niemals Steuern zahlen.« Das passt zur neoliberalen Idee, dass man der Unternehmer seines eigenen Körpers, seiner eigenen Langlebigkeit und potenziellen Unsterblichkeit ist. Das nimmt dann die Form einer antistaatlichen Politik an, die andere Menschen als parasitär und wertlos markiert. Auch das findet sich bereits in den scheinbar harmlosen, alltäglichen Dimensionen einer durch Kapital, Eigentum und Wettbewerb strukturierten Gesellschaft. Auffallend ist, dass, auf globaler Ebene, die Figur des Migranten und die Figur der Transperson zu Fixpunkten einer faschistischen Internationale geworden sind. Es ist die Bedrohung von außen und die Bedrohung von Innen.

»Als Reaktion auf faschistische Bewegungen ist Antifaschismus natürlich in allen möglichen Situationen lebenswichtig. Aber er wird nur dann zu einer Politik, wenn er sich mit den Strukturen befasst, die dem Faschismus sein Betätigungsfeld, seine Grundlagen und sein Personal liefern.«

In den »Studien zum autoritären Charakter« beschreibt Adorno zwei Modi reaktionärer Orientierung in der Welt: Stereotypisierung und Personalisierung. Beide haben heute in vielerlei Hinsicht mit Austerität und den Auswirkungen von Stagnation und Finanzkrise zu tun, aber sie wachsen auch auf dem Boden der Angst und Orientierungslosigkeit angesichts von Erderwärmung und Klimakollaps.

Die Klimaleugnung der extremen Rechten ist dabei auf einer gewissen Ebene auch eine Art Klimarealismus. Das liegt daran, dass sie auf eine Welt ausgerichtet ist, in der Knappheit vorherrscht und in der massive Gewalt gegen diejenigen ausgeübt wird, die ihren schwindenden Reichtum und Wohlstand zu bedrohen scheinen. Dahinter steckt ein tiefer Pessimismus. Dieses Gefühl von Verfall, Dekadenz und Zersetzung hat schon die historischen Faschismen geprägt. Heute findet das in verwissenschaftlichter Sprache ein Echo, wenn von sinkenden Testosteronlevels, Spermienzahlen oder Geburtenraten die Rede ist. Es herrscht eine pessimistische Stimmung, die zwar voller absurder Fantasien steckt, aber auch mit realen Phänomenen zusammenhängt.

Eine ganz wichtige Frage für die Linke ist, wie man dieses reale Gefühl der Katastrophe aufnimmt und ausdrückt und gleichzeitig sich selbst und andere davor bewahrt, sich den vermeintlichen Lösungen von Ausgrenzung und Vernichtung hinzugeben.

Das führt direkt zu meiner letzten Frage: Welche Schlussfolgerungen ergeben sich aus Deinen Überlegungen für antifaschistische Politik?

Es geht darum, Antifaschismus als das Bestreben zu verstehen, die Strukturen und Subjektivitäten aufzulösen, die Faschismus ermöglichen. Als Reaktion auf faschistische Bewegungen ist Antifaschismus natürlich in allen möglichen Situationen lebenswichtig. Aber er wird nur dann zu einer Politik, wenn er sich mit den Strukturen staatlicher und kapitalistischer Macht befasst, die dem Faschismus sein Betätigungsfeld, seine Grundlagen und sein Personal liefern. Deshalb würde ich sagen, dass es antifaschistisch ist, sich für abolitionistische Politik einzusetzen, für die Befreiung von Queers und Transpersonen, für die Eindämmung und Abschaffung der Macht von Unternehmen und insbesondere für die Bekämpfung repressiver und rassistischer Migrationsregimes. In der Koordinierung dieser Bereiche liegt aus meiner Sicht die Gegenwart und Zukunft antifaschistischer Politik.

Alberto Toscano lehrt an der kanadischen Simon Fraser University und am Goldsmiths College in London. Er ist der Autor von Spätfaschismus. Rassismus, Kapitalismus und autoritäre Krisenpolitik (Unrast, 2025) und Cartographies of the Absolute (Zero Books, 2015). Er ist Mitherausgeber von Ruth Wilson Gilmores Abolition Geography: Essays in Liberation (Verso, 2022) und Georges Battailes Critical Essays (Seagull, 2023) und hat Schriften von Antonio Negri und Alain Badiou ins Englische übersetzt.