30.07.2021
Als vor zwanzig Jahren Hunderttausende gegen den G8-Gipfel in Genua protestierten, schien eine Abkehr vom globalen Freihandel aussichtslos. Mittlerweile ist genau das eingetreten – und für die Linke tun sich neue Chance auf.
Brechend voll: Die Straßen von Genua am 21 Juli 2001.
Michele Ferraris (CC BY-SA 4.0).
Von Paolo Gerbaudo
Übersetzung von Thomas Zimmermann
Vom 18. bis 22. Juli 2001 versammelten sich Hunderttausende Menschen auf den Straßen von Genua, um gegen den G8-Gipfel zu demonstrieren. Zwanzig Jahre später ist der Gipfel vor allem wegen der Polizeigewalt gegen die Proteste in Erinnerung geblieben. Am 20. Juli wurde der 23-jährige Demonstrant Carlo Giuliani von den Carabinieri erschossen –inmitten brutaler Szenen der Repression, bei denen Polizei-Jeeps die Proteste geradezu niedermähten. Am Abend des folgenden Tages stürmten Polizeikräfte die Diaz-Schule, in der Dutzende Demonstrierende Schutz gesucht hatten, und schlug diese brutal zusammen. Die Polizei ging auch gegen die offiziellen Organisatoren, das Medienzentrum vom Genoa Social Forum, vor.
Unter den Menschen, die sich an diesem Tag im Medienzentrum befanden, war auch Walden Bello, ein philippinischer Ökonom und Umweltschützer, dessen Theorie der Deglobalisierung zu dieser Zeit an Einfluss gewann. Seit den 1990er Jahren – einem Jahrzehnt, in dem das Nordamerikanische Freihandelsabkommen, die europäische Wirtschaftsintegration und die Handelsliberalisierung unter der Ägide der Welthandelsorganisation umgesetzt wurden – diskutierte die Linke ausgiebig, wie man dem globalen Zeitalter begegnen sollte. Einige hielten die wirtschaftliche Globalisierung und die Zurückdrängung der Nationalstaaten für unumkehrbar. Zwar sollten deren negative Auswirkungen bekämpft werden – gleichzeitig müsse man aber ihre progressiven Aspekte für sich reklamieren. Die Erlangung globaler Gerechtigkeit und globaler Demokratie galt ihnen als eine höhere Form des Universalismus, der nun anzustreben sei.
Bellos Ansatz war ein anderer: Die Antiglobalisierungsbewegung musste, getreu ihrem Namen, für eine Deglobalisierung kämpfen. In diesem Sinne sollten die Welt umspannenden wirtschaftlichen Verflechtungen zugunsten einer Relokalisierung der ökonomischen Prozesse zurückgedrängt werden. Bello – der von den Ideen des Ökonomen Samir Amin zur Entkopplung vom globalen Kapitalismus beeinflusst war – verstand die Deglobalisierung als Entmachtung der transnationalen Konzerne und Ermächtigung der lokalen Gemeinschaften. Zudem würde sie Gerechtigkeit und Nachhaltigkeit über das Wirtschaftswachstum stellen.
Der Weg nach vorn war demnach notwendig ein Schritt zurück aus der Globalisierung – oder, besser gesagt, eine Bewegung »nach innen«. Wie Samir Amin in seinem Buch La déconnexion von 1985 schrieb, in dem er den Begriff der Entkopplung einführte, würde dies »die Unterordnung der äußeren Beziehungen unter die Logik der inneren Entwicklung« bedeuten. Ähnlich argumentierte bereits der Wirtschaftshistoriker Karl Polanyi, der in seiner Analyse der kapitalistischen Krise der 1930er Jahre nahegelegt hatte, dass Gesellschaften mit einem Prozess der Re-internalisierung auf die Habgier des Kapitalismus reagieren würden – also einer Wiedereinbettung der Wirtschaft in politische und soziale Institutionen.
Zur Zeit der Proteste von Genua erschien vielen die Abkehr von der Globalisierung als unrealistische, wenn nicht gar dystopische Aussicht. Zwanzig Jahre später hat die Geschichte jedoch genau diesen Weg eingeschlagen.
Als Silvio Berlusconi die anderen Staats- und Regierungschefs – darunter George W. Bush, Tony Blair, Gerhard Schröder und Wladimir Putin – in Genua empfing, betrachtete man die Globalisierung als eine vollendete Tatsache: ein Prozess, der nur noch vertieft werden musste, indem man ihn mit einer moralischen und auch ökonomischen Mission unterfütterte. Die Abschlusserklärung versprach, »die Globalisierung so zu gestalten, dass sie allen unseren Bürgern zugute kommt, und insbesondere den Armen der Welt« und stellte fest, dass die »wirksamste Armutsbekämpfungsstrategie« darin bestünde, »eine starke, dynamische, offene und wachsende Weltwirtschaft zu erhalten«.
Zwar war die Dotcom-Blase im Jahr 2000 geplatzt, doch die neoliberale Globalisierung war damals dennoch auf dem Höhepunkt ihrer Hegemonie. Multinationale Konzerne wie Nike, Coca-Cola und Nestlé verschafften sich Zugang zu den entlegensten Märkten und China schien drauf und dran zu sein, sich der letzten Reste staatlicher Intervention in der Wirtschaft zu entledigen.
Die Situation im Jahr 2021 ist derjenigen von 2001 fast diametral entgegengesetzt. Die globale Verflechtung von Handel und Finanzwirtschaft stagniert seit einiger Zeit. Bereits in den 2010er Jahren verlangsamte sich die Globalisierung »von Lichtgeschwindigkeit auf Schneckentempo«, wie der Economist es ausdrückte. Die Corona-Krise hat zu einem Einbruch des globalen Handels und der internationalen Finanzströme geführt, wobei der Welthandel um 7 Prozent zurückging (allerdings weniger als vorhergesagt) und die weltweiten ausländischen Direktinvestitionen bis 2020 um 42 Prozent abstürzten. Die Weltwirtschaft erholt sich zwar gegenwärtig wieder, aber es wird viele Jahre dauern, bis diese Indikatoren wieder das Niveau von vor der Pandemie erreichen – wenn es denn überhaupt dazu kommt.
Der Stimmungsumschwung war auch auf dem diesjährigen G7-Gipfel im englischen Cornwall zu bemerken. Unter anderem Boris Johnson, Joe Biden und Angela Merkel beteuerten dort, dass »die Covid-19-Pandemie das Risiko für die wirtschaftliche Widerstandsfähigkeit durch globale Krisen und Schocks verdeutlicht hat« und versprachen, gegen die »Absenkung von Arbeits- und Umweltstandards zur Erlangung von Wettbewerbsvorteilen« vorzugehen. Zwar wird der politische Diskurs immer noch mit Floskeln von »freiem und fairem Handel« und ähnlichem neoliberalen Jargon angereichert, jedoch klingen die feierlichsten Vokabeln aus dem Globalisierungslexikon – Chancen, Offenheit und Wettbewerbsfähigkeit – zunehmend hohl.
Die Pandemie hat verdeutlicht, welchen gesundheitlichen, ökologischen, wirtschaftlichen und politischen Risiken die arbeitende Bevölkerung und die meisten Bürgerinnen und Bürger durch die Globalisierung ausgesetzt sind. Es ist kein Zufall, dass heute quer durch das politische Spektrum obsessiv Ausdrücke des Risikobewusstseins wie »Nachhaltigkeit« und »Resilienz« beschworen werden.
Der Notstand hat Länder und Unternehmen dazu veranlasst, ihre Abhängigkeit von langen Lieferketten neu zu bewerten. Gleichzeitig führen die immer deutlicher werdenden Auswirkungen des Klimawandels dazu, dass die Politik wieder mehr zu staatlichem Interventionismus neigt, insbesondere im Bereich der Infrastruktur (Wasserableitung, Küstenschutz, Verstärkung von Straßen und Brücken, Stromnetz und so weiter).
Dieses Gefühl von Fragilität – das ich in meinem neuen Buch The Great Recoil als »Agoraphobie« beschreibe: eine Angst vor offenen Räumen im Kontext einer aus den Fugen geratenen Globalisierung – erklärt zu einem großen Teil den Wandel im heutigen politischen Common Sense und die Rückkehr des Staatsinterventionismus und Handelsprotektionismus in den meisten westlichen Ländern.
Viele glaubten, Donald Trumps Handelskriege seien eine vorübergehende Anomalie – doch nach ihm hat auch Biden protektionistische Maßnahmen ergriffen, wie etwa den Buy American Act, der staatlichen Einrichtungen vorschreibt, bei inländischen Produzenten einzukaufen. Auch hat er die Notwendigkeit einer Rückverlagerung von Arbeitsplätzen im Bereich der verarbeitenden Industrie in die USA betont – und auch viele andere Länder zeigen sich inzwischen nicht mehr so begeistert vom Freihandel.
Für die kommenden Jahre ist zu erwarten, dass der geopolitische Wettbewerb zwischen den USA und China einige dieser Tendenzen noch verstärken wird. Ebenso ist wahrscheinlich, dass andere große Staaten wie Russland und Indien sowie Quasi-Staaten wie die Europäische Union versuchen werden, ihren eigenen Einflussbereich auszuweiten. Die Härte des internationalen Wettbewerbs und die weiterhin bestehenden Überkapazitäten in der Weltwirtschaft lassen die Risiken der »Offenheit« in den Augen der politischen Entscheidungsträgerinnen heute oft größer erscheinen als die Aussichten auf Profit.
In Bezug auf diese Trends haben mehrere Autoren auf eine Abkehr vom globalen Kapitalismus und eine Hinwendung zu einem eher nationalen Kapitalismus hingewiesen. Der Wirtschaftshistoriker Adam Tooze erklärte kürzlich gegenüber George Eaton vom New Statesman, der Neoliberalismus sei als »überschwängliche, aggressive Ideologie eindeutig gestorben«. An gleicher Stelle argumentierte Eaton: »In der Covid-Ära werden die globalen Marktkräfte durch innenpolitische Entscheidungen unterlaufen. Das Zeitalter des Neoliberalismus weicht einem neuen: dem Zeitalter des nationalen Kapitalismus.« Und James Meadway vom Progressive Economy Forum gab zu bedenken, dass dies nicht unbedingt eine gute Nachricht sei, da sich eine noch schlimmere Form des Kapitalismus entwickeln könnte.
Die Ökonomin Grace Blakeley und der Zeithistoriker Quinn Slobodian haben Vorbehalte gegen diese Interpretation geäußert. Sie argumentieren, dass der Neoliberalismus noch immer sehr präsent ist und die Veränderungen tatsächlich geringer sind, als manche annehmen. Wenn es auch Meinungsverschiedenheiten über das Ausmaß dieses Trends gibt, so besteht doch kaum Zweifel daran, in welche Richtung die Reise geht: Die Welt bewegt sich weg vom globalen und hin zu einem eher nationalen Kapitalismus.
Diese Verschiebung wirft wichtige Fragen für die Strategie der Linken auf: Was würde ein stärker national ausgerichteter Kapitalismus für Gewerkschaften, soziale Bewegungen und die Linke insgesamt bedeuten?
Die Auswirkungen einer Verschiebung vom globalen zum nationalen Kapitalismus sorgt unter vielen Linken instinktiv für Beunruhigung – man befürchtet, dies könnte die Stärkung nationalistischer Kräfte und eine Zunahme von Intoleranz und Chauvinismus begünstigen. In der Tat gibt es für diese Besorgnis einige gute Gründe. Die zweite Hälfte der 2010er Jahre hat gezeigt, wie der Rechtspopulismus seine eigene Globalisierungskritik formulieren konnte, die die Migration zum Ursprung aller möglichen Übel macht, die sich in Wirklichkeit aus globalen Ungleichgewichten ergeben.
Die Sorge um die Auswirkungen eines Rückgangs der Globalisierung birgt jedoch auch die Gefahr, dass wir einige der strategischen Vorteile dieser Entwicklung übersehen. Ein gewisses Maß an Renationalisierung und Relokalisierung der Wirtschaft könnte die politischen Möglichkeiten zur Herausforderung der ökonomisch Mächtigen verbessern. Schließlich fürchteten Gewerkschafterinnen und Sozialisten das Aufkommen der Globalisierung genau deshalb so sehr, weil sie kollektives Handeln erschweren könnte, da der Kapitalismus den globalen Raum als gesetzloses Meer jenseits jeglicher politischen Kontrolle nutzen würde.
Wie Zygmunt Bauman in seinem Buch Flüchtige Moderne argumentierte, ist der heutige Kapitalismus von einem eskapistischen Impuls geprägt – er versucht ständig, sich seiner Verantwortung gegenüber den Gemeinschaften zu entziehen, die er ausbeutet. Die globale Vernetzung und die reibungslose Zirkulation von Kapital und Waren bietet Kapitalistinnen und Kapitalisten eine Reihe von Exit-Strategien, die sie nutzen können, falls sie von Arbeitenden und Bürgern unter Druck gesetzt werden sollten.
Die Externalisierungsprozesse, die in der Phase starker Globalisierung in Mode waren – Outsourcing, Offshoring, Subcontracting und die immer weitere Prekarisierung der Arbeit – bezeugen das. Die »Effizienzgewinne«, die durch globales Outsourcing erzielt wurden, basierten zumeist auf der Entmachtung der organisierten Arbeiterschaft, die auf »Gewerkschaftsdichte« und die physische Konzentration von Arbeitenden an belebten Arbeitsplätzen angewiesen ist.
Die Globalisierung hat die ökonomische Geographie nicht nur international, sondern auch national umgestaltet. Die Liberalisierung des Handels hat die lokalen wirtschaftlichen Strukturen und sozialen Institutionen wie eine Dampfwalze überrollt. Wie Luc Boltanski und Eve Chiapello in Der neue Geist des Kapitalismus darlegen, führte die neoliberale Umstrukturierung von Unternehmen dazu, dass »eine ganze Reihe von ›Gewerkschaftsbastionen‹ (Bergbau, Stahlindustrie, Eisenbergwerke, Werften, Automobilindustrie usw.) stillgelegt bzw. einer starken Stellenkonzentration unterzogen« wurden. In der Folge wurden die Arbeitenden auf kleinere Firmen verteilt, die tendenziell weniger gewerkschaftlich organisiert waren und in denen es keine Tradition des Widerstands gab.
Die globalisierte Wirtschaft hat die Verhandlungsmacht der Kapitalisten gegenüber den Arbeitenden enorm erhöht, da sie ihre Unternehmen leicht in andere Länder verlagern können, wenn ihnen die Löhne zu hoch sind. So wurden in den letzten Jahrzehnten immer wieder große Fabriken nach Osteuropa, Mexiko, Südamerika oder Südostasien verlegt. Die konstante Bedrohung der Standortverlagerung drängt die Arbeitenden in eine extrem verwundbare Position: Transnationale Gewerkschaftsbündnisse haben nur begrenzte Wirkung gezeigt, und das Agieren in grenzüberschreitenden Räumen hat es den Unternehmen ermöglicht, nationalen Vorschriften und Steuerforderungen zu entgehen.
Während die globale wirtschaftliche Integration die Macht der Arbeitenden schwächte, feuerte sie zugleich einen Wettlauf um die niedrigsten Löhne und Arbeitsbedingungen an, dessen destabilisierende Auswirkungen die populistischen Bewegungen der 2010er Jahre anheizten. In einer globalisierten Wirtschaft sind Unternehmen gezwungen, mit allen Mitteln gegen ihre internationalen Konkurrenten zu bestehen, bei denen es sich meist um riesige multinationale Konzerne handelt, die allein aufgrund ihrer Größe enorme Kostenersparnisse genießen. Die einfachste Lösung ist dabei, insbesondere die Kosten der Arbeit zu minimieren, was einen globalen »Wettlauf nach unten« zur Folge hat, bei dem die Arbeitenden unweigerlich die Leidtragenden sind.
Während im Fordismus die Unternehmen ein Interesse daran hatten, dass ihr Heimatland wirtschaftlich erfolgreich ist und ihre Beschäftigten gut bezahlt werden, damit sie die produzierten Autos und Waschmaschinen auch kaufen können, hat die Globalisierung diese teilweise Entsprechung der Interessen aufgehoben. Es ist nicht überraschend, dass dieser Angriff auf die Löhne zu einem Nachfragerückgang geführt hat, der im Neoliberalismus nur teilweise durch den erleichterten Zugang zu Krediten kompensiert wurde. Die wirtschaftliche Stagnation ist inzwischen so augenfällig geworden, dass nun sogar neoklassische Ökonomen eingestehen, dass die Nachfrage angekurbelt werden muss, um das Wachstum wiederherzustellen.
Dass ein Paradigmenwechsel ansteht, wird immer dann offensichtlich, wenn ehemalige Evangelisten des alten Glaubens anfangen, ideologische Zugeständnisse zu machen. Es gibt gegenwärtig viele Anzeichen dafür, dass selbst das zentristische Establishment aufhorcht und einige der Dogmen verabschiedet, die zu den goldenen Jahren des Neoliberalimus vorherrschend waren. Die Slogans von Biden (»Build Back Better«) und Johnson (»Levelling up«) bringen zum Ausdruck, dass die Basis der Gesellschaft nach Jahrzehnten des »Wettlaufs nach unten« nun einer Reparatur bedarf.
Bidens zweigleisige Wirtschaft legt großen Wert auf die Notwendigkeit, die schwächeren Sektoren der Gesellschaft vor dem harten globalen Wettbewerb zu schützen, um eine Rückkehr des Trumpismus zu vermeiden. Es handelt sich dabei also eher um einen Versuch, den globalen Kapitalismus zu retten, als ihn abzuschaffen. Dennoch ist offensichtlich, dass sich heute ein starker Trend zu einer anderen Art politischer Ökonomie beobachten lässt, die mehr darauf bedacht ist, die nationale Kontrolle zu bewahren und einige wirtschaftliche Schutzmechanismen wieder einzuführen.
Wir sollten die möglichen Vorteile einer solchen Situation für die Linke nicht übersehen. Ein Kapitalismus, der weniger Möglichkeiten hat, seine lokalen Verflechtungen zu kappen, ist ein Kapitalismus, der leichter von Arbeiterinnen und Bürgern eingezäunt und zu Zugeständnissen gezwungen werden kann. Wenn die Produktion teilweise zurückverlagert wird, gewinnt die heimische Wirtschaft an Bedeutung, und wenn die globalen Lieferketten verkürzt werden, könnte dies neue Angriffspunkte für die Arbeiterbewegung bieten. Wie Bauman selbst angesichts eines solchen Houdini-Kapitalismus argumentiert, sollte sich die Strategie der Linken darauf konzentrieren, ihn zu verlangsamen, seinen Auswärtsdrang zu bremsen und ihn in die Enge zu treiben, sodass seine Exit-Strategien zu kostspielig werden.
Es ist wahr, dass ein nationaler Kapitalismus das Risiko autoritärer Entwicklungen in der Politik birgt. Denn die zunehmende korporatistische Zusammenarbeit zwischen dem Staat und den inländischen Unternehmen wird wahrscheinlich den Druck auf interne Disziplin und Lohnmäßigung im »nationalen Interesse« erhöhen. Aber das ist keine ausgemachte Sache – und es gibt auch Wege, auf denen eine teilweise Renationalisierung der Wirtschaft für die Demokratie förderlich sein könnte.
Die Globalisierung hat es der kapitalistischen Klasse ermöglicht, ein Versteckspiel zu veranstalten, dessen ultimatives Ziel es ist, politischer Rechenschaftspflicht und fiskalischer Transparenz zu entgehen. Am deutlichsten wird dies im Fall der Offshoring-Praktiken, die im Wesentlichen genau darauf ausgelegt sind, wirtschaftliche Machtstrukturen zu verschleiern und es schwieriger zu machen, sie zu kritisieren und anzugreifen. Wie der Mobilitätssoziologe John Urry hervorhebt, sind »die Ströme von Geld, Finanzen und Produktion, Dienstleistungen, Sicherheit, Abfall und Emissionen, die auf verschiedene Weise ins Ausland verlagert werden, für eine transparente Regierungsführung katastrophal«. Ein stärker national ausgerichteter Kapitalismus könnte sich als transparenter erweisen und die Ausübung von populärem Druck auf die politische Entscheidungsfindung könnte dadurch begünstigt werden.
Die Demonstrierenden von Genua 2001 hatten Recht, als sie den globalen Kapitalismus anprangerten. Einige von ihnen dachten, ihn herauszufordern müsste bedeuten, ihm auf der gleichen Ebene zu begegnen und eine globale Demokratie jenseits der nationalen Grenzen zu etablieren – wie es der Slogan »unser Widerstand muss so transnational sein wie das Kapital« zum Ausdruck brachte. Doch zwanzig Jahre später beobachten wir eher eine Deglobalisierung, wie sie Bello befürwortete, als eine demokratische Aneignung der Globalisierung.
Steueroasen, ausgelagerte Fabriken, gigantische multinationale Konzerne und viele andere Monster der neoliberalen Globalisierung werden wahrscheinlich noch viele Jahre überdauern. Aber im Klima der 2020er Jahre beginnen auch diese Säulen der Globalisierung zu wackeln. Die Aufgabe der Linken ist es, zu gestalten, was danach kommt.
Paolo Gerbaudo ist Soziologe und Autor des Buches »The Great Recoil: Politics after Populism and Pandemic«, das im August 2021 bei Verso erscheint.
Viel zu langsam, viel zu spät: Der Kapitalismus beginnt auf die Klimakatastrophe zu reagieren – allerdings ohne sie abzuwenden. Einen ausführlichen Lagebericht lest ihr in der neuen (Doppel-)Ausgabe.