06. Februar 2025
Das finnische Linksbündnis ist fest entschlossen, sich der Sparpolitik der Rechten entgegenzustellen. Parteichefin Li Andersson erklärt, warum ihr Programm, das Klimaschutz mit einer Stärkung der Beschäftigten verbindet, gerade jetzt gute Chancen hat.
Parteivorsitzende Li Andersson will verhindern, dass Finnland in den Thatcherismus abdriftet.
Li Andersson ist anders als die meisten linken Politikerinnen und Politiker. Sie ist jung, nahbar, charismatisch, bodenständig. Und sie ist ziemlich gut darin, Wahlen zu gewinnen.
Ich habe Andersson beim Käänne Festival getroffen – einer Konferenz der Linken, die sie im Nachgang der guten Ergebnisse bei der letzten Europawahl organisiert hat. In weiten Teilen der EU konnte die radikale Rechte bei Wahlen zulegen, nicht so in Finnland: Die Linke gewann dort 17 Prozent der Stimmen; Andersson wurde zur EU-Abgeordneten gewählt und erhielt mehr Stimmen als jeder andere finnische Kandidat, der je zu einer Europawahl angetreten war.
»Dieses Festival findet zum ersten Mal statt«, erzählt sie mir im Konferenzraum über einem belebten Restaurant im Zentrum von Helsinki. »Für mich ist das wirklich aufregend.«
Andersson ist die ehemalige Vorsitzende des Linksbündnisses, der größten linken Partei Finnlands. Bei den Wahlen 2019 schnitt sie gut ab, gewann 16 Sitze und ging eine Koalition mit den Sozialdemokraten (SDP) ein. Die Koalition wurde von einer der wohl lässigsten Politikerinnen Europas geführt, der damaligen SDP-Chefin Sanna Marin, die man vielleicht noch aus den Nachrichten kennt, als sie sich dafür entschuldigen musste, während der Pandemie in einem Club gefeiert zu haben.
Als wir uns hinsetzen, winkt Andersson Marin mit einem Lächeln zum Abschied zu. Die beiden haben gerade (zusammen mit Will Stronge von Autonomy) eine Podiumsdiskussion zum Thema Arbeitszeitverkürzung hinter sich. Ich nehme das offensichtlich gute Verhältnis zwischen Andersson und Marin mit Interesse zur Kenntnis – es ist doch irgendwie ungewöhnlich, dass Sozialdemokratinnen und Linke so gut miteinander auskommen.
»Der Treibstoff für die radikale Rechte ist die Enttäuschung. Wenn es keine glaubwürdigen Alternativen für eine bessere Zukunft gibt, richten die Menschen ihre Frustration gegen andere Gruppen.«
Tatsächlich haben die beiden einiges gemein. Beide sind junge, charismatische, intelligente Frauen, die in ihren jeweiligen Parteien als Modernisiererinnen gelten. Und sie teilen gewisse politische Ansichten. Andersson war in der von Marin geführten Koalition Bildungsministerin gewesen; und auf der Konferenz scheinen beide sehr angetan von der Vier-Tage-Woche zu sein.
Andersson meint, die letzte sozialdemokratisch-linke Regierung sei nicht weit genug gegangen, um die finnische Wirtschaft zum Wohle der arbeitenden Bevölkerung umzugestalten. Deshalb habe sie im Zuge der aktuellen Preiskrise die Macht verloren.
»Du kennst vielleicht das Zitat: ›Arbeitslosigkeit schadet Regierungen, Inflation bringt sie um.‹ In der letzten Regierung haben wir nicht wirklich über Instrumente zur Bekämpfung der Inflation diskutiert. Wir waren sehr auf die Preispolitik fixiert und haben uns nicht gefragt: ›Sollten wir vielleicht Preisobergrenzen einführen?‹.«
Inzwischen ist die Rechte wieder an der Macht, unter anderem in Form der rechtsradikalen Finnenpartei. Die neue Regierung setzt ein harsches Austeritätsprogramm durch: »Seit der Finanzkrise ist Austerität das wichtigste Mittel in der Wirtschaftspolitik. Die einzige Ausnahme seit 2011 war unsere Regierungskoalition von 2019 bis 2023 [...]. Das Argument der Rechten lautet, dass wir im Rahmen unserer Möglichkeiten leben müssen; wir könnten einfach keine weiteren Schulden aufnehmen. Aber natürlich ist es ihnen trotzdem nicht gelungen, die Schuldenquote zu senken, weil die Austeritätsmaßnahmen ihrerseits zu geringem Wachstum und hoher Arbeitslosigkeit geführt haben«, erklärt Andersson.
Finnland werde oft mit den anderen nordischen Ländern in einen Topf geworfen: eine Volkswirtschaft mit soliden Arbeiterrechten und einem starken sozialen Sicherheitsnetz. Andersson argumentiert jedoch, diese Charakterisierung sei »dank« der Politik mehrerer rechtsgerichteter Regierungen nicht mehr gerechtfertigt: »Ich denke, man kann mit Fug und Recht behaupten, dass wir nicht mehr wirklich ein Vorzeigemodell eines nordischen Landes sind.«
Wie unzählige Male anderswo in Europa hat die gescheiterte Austeritätspolitik der finnischen Konservativen den Aufstieg der radikalen Rechten befeuert: »Der Treibstoff für die radikale Rechte ist die Enttäuschung; der Mangel an Visionen, der Mangel an Hoffnung. Wenn es keine glaubwürdigen Alternativen für eine bessere Zukunft gibt, richten die Menschen ihren Zorn und ihre Frustration gegen andere Gruppen«, so Andersson.
»Andersson ist der Meinung, in Finnland und Schweden seien die neuen rot-grünen Parteien am besten positioniert, um von der Institutionalisierung rechtsradikaler Parteien zu profitieren.«
Das Besondere in Finnland sei, dass die radikale Rechte dort bereits an der Macht ist: »Hier haben wir genau gesehen, was die Zusammenarbeit zwischen der Rechten und der radikalen Rechten wirklich bedeutet. Sie haben historische Kürzungen bei der Sozialversicherung und im Gesundheitswesen durchgesetzt und viele heftig kritisierte, rechtsgerichtete Arbeitsmarktreformen umgesetzt [...] In den meisten Ländern im Rest Europas haben derartige Parteien immer noch den Luxus, sich einfach als Alternative, als die laute Stimme des Volkes darzustellen. Aber [in Finnland] können wir wirklich erleben, was diese Parteien tun, wenn sie an der Macht sind. Die Menschen haben die Auswirkungen dieser Politik zu spüren bekommen. Es ist nichts als Thatcherismus gepaart mit Rassismus.«
Andersson vergleicht die aktuelle finnische Erfahrung mit der schwedischen, wo die dortige rechtsradikale Partei, die sogenannten Schwedendemokraten, »inzwischen die offizielle Unterstützungspartei der Regierung« geworden sei. Eine solche Institutionalisierung würde die Unterstützung für die Rechtsradikalen langsam schwächen. Tatsächlich ist der Stimmenanteil der Schwedendemokraten bei den jüngsten Europawahlen zurückgegangen.
Andersson ist der Meinung, in Finnland und Schweden seien die neuen »rot-grünen« Parteien innerhalb der Linken am besten positioniert, um von der besagten Institutionalisierung rechtsradikaler Parteien zu profitieren: »Wir haben die Arbeit geleistet, eine moderne linke Alternative für so viele Wählerinnen und Wähler wie möglich zu schaffen. Wir haben Umweltpolitik mit ehrgeizigen Umverteilungsmaßnahmen kombiniert, aber wir haben auch sehr klare Positionen in Bezug auf internationales Recht und Menschenrechte vertreten.«
Tatsächlich hat sich das Linksbündnis sehr auf die Unterstützung von Gaza sowie der Ukraine konzentriert. Andersson betont, der entschlossene Widerstand gegen die russische Aggression – ein wichtiges Thema in der finnischen Politik – habe ihr bei einigen Parteien der »alten Linken« in ganz Europa Kritik und Streit eingebracht. Dennoch sei sie fest davon überzeugt, dass die europäische Linke ihre Differenzen beilegen und versuchen muss, zusammenzuarbeiten: »Ein wirklich verbindendes Thema für uns alle ist es doch, das offensichtlich kaputte Wirtschaftsmodell in Frage zu stellen. Die Welt befindet sich in einem so schrecklichen Zustand, dass wir breite Koalitionen zu den Themen bilden müssen, die uns einen.« Sie sagt weiter: »Manchmal neigt die Linke dazu zu denken, Zusammenarbeit bedeutet, dass wir uns zusammensetzen und eine Resolution schreiben müssen, in der sich alle über jedes einzelne Wort einig sind. Aber bei solchen Ansätzen vergeudet man viel Zeit und Energie für Dinge, die den Menschen eigentlich egal sind.« Sie wolle sich hingegen strikt auf »die Dinge konzentrieren, die den Menschen wichtig sind«.
Andersson äußerst sich versiert zu diversen politischen Themenfeldern. Im Laufe unseres Gesprächs spricht sie ausführlich über die Einführung der 37,5-Stunden-Woche in Spanien oder über Isabella Webers Vorschlag, Preiskontrollen zur Bekämpfung der Inflation einzusetzen.
»Und die Linke muss weiter an Vorschlägen für ein alternatives Wirtschaftsmodell arbeiten. Wir müssen mutig sein.«
Auf die Frage nach ihren eigenen politischen Prioritäten sagt sie, der Schwerpunkt müsse auf Maßnahmen liegen, die zu einem »besseren Arbeitsleben« führen. Sie konzentriere sich insbesondere auf Arbeitsmarktreformen, wie die Einführung eines echten Mindestlohns und Arbeitszeitbegrenzungen. Sie betont auch, wie wichtig es ist, die Arbeiterrechte zu stärken, die von diversen Regierungen ausgehöhlt worden sind: »Hier in Finnland hat [die Regierung] das Streikrecht eingeschränkt. Wir wollen das Streikrecht wiederherstellen, weil es ein grundlegendes Recht ist. Wir arbeiten auch an Themen, die mit der Arbeitervertretung in Unternehmen und Demokratie im Betrieb zu tun haben.«
Ich frage sie, wie die Beziehung der Partei zu den Gewerkschaften ist, die vermutlich von diesen politischen Initiativen profitieren würden. »Im Moment ist sie sehr gut. Es gab Zeiten, in denen die Distanz größer war, weil unser Linksbündnis gerade daran arbeitete, Umweltpolitik in seine politische Agenda aufzunehmen. Das führte damals zu Spannungen mit den Gewerkschaften. Jetzt ist die Situation eine ganz andere, weil sie meiner Meinung nach die Auswirkungen der Umweltkatastrophe, in der wir bereits leben, verstanden haben. Nach all dem, was [seitens der rechten Regierung] passiert ist, haben wir jetzt in politischem Sinne sehr viele Überschneidungen.«
Dieses Spannungsverhältnis zwischen modernen linken Parteien und der Gewerkschaftsbewegung in Sachen Klimaschutz ist überall auf der Welt ein Thema (kleiner Lesetipp: in diesem Buch wird erklärt, wie Organiser dieses Problem angehen). Andersson ist aber fest davon überzeugt, dass die von ihr als »rot-grün« bezeichnete Politik der einzige Weg nach vorne ist – sowohl aus pragmatischen als auch aus ideologischen Gründen: »Wir haben gerade erst erfahren, dass der finnische Wald keine Kohlenstoffsenke mehr ist, weil so viel abgeholzt wurde. Die Wälder sind jetzt eine Emissionsquelle. Auch das ist eine Frage der Umverteilung, weil der Wald Profite für die Holzindustrie bringt, die Folgen aber von den Steuerzahlern getragen werden müssen.«
Angesprochen auf die größte Herausforderung für die Linke in Finnland, verweist Andersson darauf, dass sich ein gewisser »progressiver Raum« in ganz Europa schließe. Sicher, die finnischen Linksparteien hätten bei den Europawahlen gut abgeschnitten, aber das geschah vor dem Hintergrund eines gleichzeitigen Erstarkens der europäischen Rechten: »Ich denke, dass Finnland außerhalb unserer eigenen Grenzen vor allem als Beispiel dienen sollte. Ich hoffe, dass es in anderen Ländern nicht dazu kommt, dass die radikale Rechte tatsächlich die Regierungsmacht übernimmt. Wir sollten das finnische Beispiel nutzen, um den Menschen zu vermitteln, dass [die Politik der Rechten] absolut nichts mit Unterstützung von Arbeiterinnen und Arbeitern oder mehr Gleichberechtigung zu tun hat.« Und sie fügt hinzu: »Und die Linke muss weiter an Vorschlägen für ein alternatives Wirtschaftsmodell arbeiten. Wir müssen mutig sein.«
Grace Blakeley ist Redakteurin bei Tribune, Host des Podcasts A World to Win und Autorin des Buches Stolen: So retten wir die Welt vor dem Finanzkapitalismus.